28.01.2025

Ich mietete mir Superkräfte (für 10 Euro)

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Ordnung durch Ordnung«
Künstliche Intelligenz wird unsere Welt vor allem »unsichtbar« verändern. Plötzlich werden Dinge anders sein, und wir werden nicht wissen, dass es KI war, die sie verändert hat.
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Die Menschen reden viel von künstlicher Intelligenz (KI) und davon, was »denkende Maschinen« in Wirtschaft, Gesellschaft und Alltag bewirken werden. Lasst mich euch aber ganz praktisch zeigen, was KI schon heute bewirkt hat, als mein eigenes, sehr kleines und damit greifbares Beispiel dafür, was KI in viel größerem Maßstab bewirken wird.

Ich betreibe die »Freien Denker«, eine viertelstündlich automatisch aktualisierte Liste der neusten Texte unabhängiger kritischer Autoren.

Technisch stehen hinter den »Freien Denkern« zwei auf Servern installierte Apps, die ich beide vor Jahren selbst programmiert habe, Zeile für Zeile.

Die eine App sammelt die Daten ein, prüft und reinigt sie. Ja, »reinigt sie«: Es ist immer wieder überraschend, was alles schiefgehen kann, wenn Hobby-Techniker ihre Blogs samt RSS-Feed aufsetzen.

Diese erste App sammelt die Daten also, bereitet sie auf und stellt sie zu der viertelstündlich aktualisierten Seite zusammen, die ihr auf dushanwegner.com/freie-denker/ seht.

Nachdem die erste App die Daten gesammelt und aufbereitet hat, benachrichtigt sie eine zweite App, die Daten dann auch zu veröffentlichen. Diese zweite App holt sich die aktuellen Daten, stellt sie online und triggert das Löschen des Caches, damit ihr auch wirklich die neuen Seiten seht. 

Cache, von Hand gelöscht

Ich habe die »Roboter« hinter den »Freien Denkern« vor Jahren selbst programmiert, und seitdem lief es über Jahre mehr oder weniger stabil. Auf meiner Status-Seite sieht man den ehrlichen technischen Status nicht nur der Website, sondern auch dieser beiden Roboter.

Immer wieder passierte es aber, dass »sich etwas aufhängte«. Dann schriebt ihr mir Mails, dass ich noch bitte nachschauen soll. Das tat ich dann auch, löschte den Cache noch mal von Hand, prüfte das Format und so weiter. (Der »Cache« ist eine Funktion, die Daten »passiv« bereithält, damit sie schneller verfügbar sind und die Seite schneller lädt – doch veraltete Caches sind eines der lästigsten Internet-Probleme.)

Ich kannte aber die wahre Ursache der Probleme: Mein Code war, was man »Spaghetti-Code« nennt, teilweise sehr unschön.

Manchmal richtig

Einige Webhooks waren gehardcoded – teilweise derselbe Webhook an mehreren Stellen! –, nicht alle Webhooks waren up-to-date. (Ein »Webhook« ist eine spezielle, vereinbarte URL, mit deren Hilfe eine im Internet laufende App einen Server über ein Ereignis benachrichtigen kann.)

Auch ganze Funktionen waren de facto gedoppelt – ganz oder zum Teil. Eine Aktualisierung des Codes an nur einer Stelle konnte dazu führen, dass es daraufhin öfter richtig lief, aber nicht immer, und das ist sehr frustrierend.

Es gab seitenlange Methods statt »separation of concerns«. Ich verstand selbst nicht die Logik, wann genau der Cache gelöscht wurde und wann nicht.

Ich hatte mir seit Jahren vorgenommen und also vor mir hergeschoben, den Code aufzuräumen – einen Profi-Programmierer einzustellen wäre absurd teuer gewesen, weit jenseits meines Budgets. Ich hätte es noch ein Jahrzehnt oder so aufgeschoben … wenn sich nicht mal eben die Welt verändert hätte!

Ich lud die Software Windsurf von Codeium herunter. Windsurf ist de facto ein programmierender Assistent, der dir hilft, deinen eigenen Code wahlweise zu schreiben oder zu verbessern.

Mit Hilfe von KI konnte ich den Code hinter den »Freien Denkern« aufräumen. Innerhalb von zwei Tagen – nach den täglichen Essays – hatte ich wichtige Funktionen wie die Aktualisierung des Caches extrahiert und ein sauberes Interface für alle API-Keys, Webhooks und sonstigen Einstellungen aufgesetzt.

Eine geradezu schockierende und lebensverändernde Nützlichkeit von KI beginnt damit, der KI zu sagen: »Bitte gehe durch meinen Code, dann erkläre mir, was ich damit vermutlich tun wollte, und dann schlage Optimierungen vor!«

Wenn ihr also fragt, wie KI euer Leben verändert: Die Freien Denker werden jetzt weit zuverlässiger aktualisiert.

Die KI hat mir Superkräfte gegeben – und ich zahle dafür 10 Euro im Monat.

Dieser konkrete Fall, so klein er auch sein mag, verdeutlicht zwei verwobene KI-relevante Trends für unsere Zukunft:

  1. Wäre ich ein Konzern, der teure Programmierer einstellen kann, hätte ich dies in diesem konkreten Fall eben doch nicht machen müssen. Obwohl der Bedarf an Software-Arbeit steigen mag, könnte der Bedarf an Programmierern sinken.
  2. Die KI half mir, in 2 Tagen umzusetzen, wofür ein Profi vielleicht eine Woche oder mehr gebraucht hätte, auf professionellem Niveau – und ohne KI hätte ich es nicht getan. (Nota bene: Den größten Teil seiner Zeit hätte der Profi vermutlich dafür aufgewendet, überhaupt erst nachzuvollziehen, was der Wegner vor Jahren mit seinem Spaghetti-Code bewerkstelligen wollte.)

Plötzlich anders

Künstliche Intelligenz wird unsere Welt an vielen Stellen »unsichtbar« verändern.

Einige Dinge werden von heute auf morgen anders sein, wie die Dinge der Welt sich seit jeher stets verändern, und wir werden oft nicht wissen, dass es die Intelligenz der Roboter war, durch deren Hilfe sie verändert wurde.

In diesem Fall habe ich euch gesagt, dass es KI war, die mir half, die »Freien Denker« stabiler laufen zu lassen. Doch wenn ihr diesen Artikel nicht gelesen hättet, ginge es euch genauso wie all den vielen Besuchern jener Seite: Ihr hättet einfach festgestellt, dass es besser ist, und ihr hättet nicht weiter darüber nachgedacht.

Ich hätte mir gar keinen Profi-Programmierer leisten können. Durch KI aber konnte ich etwas realisieren, was früher Firmen mit ernstzunehmenden Budgets vorbehalten war, nämlich eine professionelle Code-Revision, welche die Stabilität des Gesamtsystems erhöht.

Bei manchen der technischen Probleme, an denen sich die Roboter hinter den »Freien Denkern« in der Vergangenheit verschluckten, verstehe ich die Ursache bis heute nicht – doch jetzt ist es mir auch egal.

Ich stellte fest: Auch und gerade jene Probleme, die man nicht versteht, verschwinden häufig wie von selbst, wenn man nur das System sauber und nach bewährten Regeln ordnet – und der politische Essayist in mir ahnt, dass darin eine nützliche Metapher zu finden ist.

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenken Sie: Diese Texte (inzwischen 2,297 Essays) und Angebote wie Freie Denker sind nur mit Ihrer regelmäßigen Unterstützung möglich.

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