Wer und was gibt dir das Recht, zu sein, wo du gerade bist? Die Frage klingt etwas schräg, als würde eine offensichtliche Selbstverständlichkeit abgefragt, doch wehe, man denkt darüber nach!
Wenn man Bürger eines Landes ist, hat man ein Recht darauf, sich innerhalb dieses Landes aufzuhalten, so weit sind sich die meisten Menschen einig.
Natürlich darf man sich nicht in jedem Teil des Landes aufhalten. Der Zutritt ist dir etwa überall da verwehrt, wo jemand sein Hausrecht ausübt und dir den Zutritt verwehrt.
Bisweilen ändert sich dein Recht auf Aufenthalt an einem Ort innerhalb eines Tages, von einer Minute auf die andere! Wenn du dich etwa in einem Supermarkt oder bei einer Behörde befindest, die gemäß ihren Öffnungszeiten schließen, genießt du dort in einem Augenblick ein Aufenthaltsrecht – und im nächsten schon nicht mehr!
Oder wenn du bei einem Freund daheim zu Besuch bist, ihr euch aber plötzlich zerstreitet und er dich rauswirft, auch dann könnte es sein, dass dein Recht zum Aufenthalt in seinem Haus plötzlich erloschen ist.
All diese »Rechte« fühlen sich für uns so selbstverständlich an, wir könnten bisweilen vergessen, dass solche »Rechte« wenig mehr als eine abstrakte Übereinkunft der Gesellschaft sind.
Es sind de facto Verhaltensregeln, die als Gesetz und geltendes Recht etabliert wurden. Weil diese Rechte aber rein abstrakt sind, können sie mit einem Handstreich ausgesetzt und abgeschafft werden.
Eine solche Übereinkunft kann zunächst durchaus einseitig sein und sich doch später als allgemeinverbindlich etablieren. Ein Höhlenmensch könnte sein alleiniges »Recht« am Aufenthalt in einer Höhle mit Keulengewalt durchsetzen.
Die »Übereinkunft« besteht zunächst in der Furcht der Übrigen vor der Keule des Beanspruchenden, bis sie sich eben als »Recht« durchsetzt, weil dieses »Recht« anzunehmen eben für ein ruhigeres Zusammenleben sorgt, als wenn man das Aufenthaltsrecht in dieser oder jener Höhle täglich neu verhandeln müsste.
Es kommt zum Punkt, da stellt man fest, dass es von gesellschaftlichem Vorteil wäre, wenn auch jene eine Höhle ihr Eigen nennen können, die dem Stamm andere Qualitäten als besonders kräftiges Keulenschwingen zur Verfügung stellen. Und so nimmt sich der Stamm derer »Rechte« an – die Anfänge des »Rechtsstaats« mit Gesetzen und Gewaltenteilung.
Wie ist es aber mit dem Aufenthaltsrecht in einem Land?
Oder nicht?
Theoretisch würde es sich »natürlich« und also »richtig« anfühlen, wenn jeder Mensch, der in einem Land geboren wird, damit das Aufenthaltsrecht in diesem Land besitzt.
Dann merkt man, dass es Ausnahmen braucht: Wenn etwa Eltern das stärkstmögliche Aufenthaltsrecht in einem bestimmten Land besitzen (sprich: Bürger sind), aber während einer Reise in einem anderen Land ein Kind zur Welt bringen, dann sollte das auf Reisen geborene Kind doch dieselben Rechte wie seine Eltern erhalten, oder nicht?
Die Grenzen eines Landes können »natürlich« verlaufen, etwa entlang eines Flusses, und innerhalb dieser Grenzen kann sich über Jahrhunderte eine eigene Kultur und Geschichte gebildet haben, doch auch dann sind die Grenzen nur willkürlich und zufällig – hätten auch ganz andere sein können und werden es aller Erfahrung nach auch, auf die eine oder die andere Art.
Damit ein Staat funktionieren kann, sollten alle Beteiligten in ausreichendem Maße so tun, als seien die Staatsgrenzen zu jedem gegebenen Zeitpunkt und auch nach jeder Veränderung ewig und de facto gottgegeben – und so, als ob eine Gruppe von Menschen die »Bürger« dieses Staates bildeten, wobei die Mitglieder dieser Gruppe unter anderem ein ganz natürliches Aufenthaltsrecht innerhalb der Grenzen dieses Staates besitzen.
Doch seit es Menschen gibt – und zwar auch Menschen in ihren frühen Entwicklungsstufen –, ziehen einzelne Menschen oder Menschengruppen durch die Welt, von einer Region in die andere, von einem kulturellen Einflussgebiet in ein anderes.
Ich selbst, der Autor dieser Zeilen, stamme aus einer Familie, welche um die Welt zog, immer wieder, und womöglich noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist. Mal zieht man zur Freiheit hin (der Kommunismus war uns zu eng), mal zum heimischen Horizont (der Himmel über Australien war uns zu weit).
Durch moderne Kommunikationsmittel aber und durch das Betreiben gewisser anderer Akteure, scheint sich in Teilen der Welt ein Anspruch auf »globale Freizügigkeit« etabliert zu haben – und zwar ein sehr spezieller Anspruch, der beinhaltet, dass die »Ungläubigen« der Zielländer die Einreisenden voll zu versorgen haben.
Sein dritter Fluchtversuch
Es soll auf Partys bisweilen vorkommen, dass Weiblein oder Männlein flirten und eindeutig zweideutige Andeutungen machen, doch wenn sich ihnen die angeflirtete Person tatsächlich nähert, stoßen sie diese dann doch wieder ab, als wäre alles nur ein Missverständnis – und derjenige, der dem Locken folgte, ein wahrer Übeltäter.
Die Staaten Europas erinnern in diesen Jahren bisweilen an so einen »abstoßenden Flirter«.
Wir lesen aktuell beim deutschen Staatsfunk dies: »In Nordafrika verschleppen von der EU finanzierte Sicherheitskräfte Asylsuchende, die nach Europa wollen.« »Es ist sein dritter Fluchtversuch nach Europa – und auch dieser scheitert.« »Er und die anderen Flüchtlinge werden gefangen genommen, in Busse gezwungen, stundenlang verschleppt und ohne Wasser im Niemandsland an der Grenze zu Algerien ausgesetzt. Wer zurückkomme, werde umgebracht, hätten die tunesischen Sicherheitskräfte gedroht, erinnert sich Francois. Neun Tage irren sie umher, trinken Wasser aus Rinnsalen.« (tagesschau.de, 21.5.2024)
»Die EU« ist kein homogenes, mit nur einer Stimme sprechendes Wesen. Aus der EU werden widersprüchliche Signale nach Afrika gesendet.
Auf der einen Seite versprechen westliche Sozialsysteme die Vollversorgung für jeden, der es bis nach Deutschland schafft – etwa mit der Hilfe von Schleppern und sogenannten Seenotrettern –, andererseits scheint es von der EU direkt oder indirekt initiierte Maßnahmen zu geben, welche die Eingeladenen mit robusten Methoden eben doch draußen halten wollen.
Nicht so wie bisher
Freunde, man könnte sich natürlich über die Vielzüngigkeit und Widersprüchlichkeit der EU-Politik aufregen, doch das könnte man eigentlich jeden Tag und über jede andere Politik auch. Man könnte auch zum wiederholten Mal die Verlogenheit der inflationären Verwendung der Begriffe »Flucht« und »Flüchtling« hervorheben, wenn die von der Schlepperindustrie angeheizte und wirtschaftlich motivierte Migration grundsätzlich als »Flucht« etikettiert wird.
Ich frage mich heute: Nach welchen moralischen Kriterien kann ein Mensch ein moralisches Aufenthaltsrecht in diesem oder jenen Staat beanspruchen?
Sicher, wir haben ein Asylrecht und dazu andere Gesetze (und Gewohnheiten), doch seien wir ehrlich: Manche dieser Ideen und Gewohnheit entstammen einer Zeit, als es noch nicht möglich oder realistisch zu erwarten war, dass Millionen von Menschen mit quasi-industrieller Organisation von einem Kontinent auf den anderen verbracht werden.
Nach Wegwerfen des Passes und minimaler Vorbereitung kann ja ausnahmslos jeder von sich behaupten, »politisch verfolgt« zu sein, vor allem dann, wenn die Prüfer es gar nicht so genau wissen wollen.
(Übrigens: Die weitaus meisten »Rückführungen« abgelehnter Asylsuchender scheitern; siehe dazu aktuell bild.de, 21.5.2024. Der häufigste Grund dafür wiederum ist, dass die Abzuschiebenden nicht an ihrer Wohnanschrift anzutreffen sind. Der zweithäufigste Grund ist das Fehlen von »Passersatzpapieren«. Der dritthäufigste Grund ist, dass das Zielland sie nicht haben möchte.)
Die Idee des Asyls für jeden auch nur potenziell »politisch Verfolgten«, inklusive Vollversorgung auf identischem Komfortniveau mit den Einheimischen – oder immer öfter sogar darüberliegend –, ist ausschließlich im Westen, und selbst da eigentlich nur noch in Deutschland zu finden.
Und also auch tun darf
Wir werden neu verhandeln müssen, und zwar in intellektueller, philosophischer und zugleich maximal ehrlicher Debatte, was das Aufenthaltsrecht eines Menschen an einem Ort begründet, ob dieser Ort nun ein Haus oder ein Land ist.
Wir werden neu und ehrlich festlegen müssen, welche weiteren Rechte ein Aufenthaltsrecht nach sich zieht.
Wir sollten aussprechen, was eine Gesellschaft tun muss und also auch tun darf, wenn ein bestimmtes Aufenthaltsrecht nicht so wie bisher funktionieren kann, ohne dass der Staat langfristig ernsthaft Schaden nimmt.
Ich danke euch, liebe lesende Freunde, dass ihr mir und meinen Gedanken bis hierher gefolgt seid. Ich hoffe, ich war euch auf diese Art ein guter »Gastgeber«. Euer Aufenthaltsrecht hier wird nie ablaufen oder widerrufen werden – und in meinem Herzen seid ihr ohnehin immer daheim!