17.08.2018

Aschenputtel, steh auf aus der Asche!

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Bjørn Tore Økland
Die Deutschen, dieses Aschenputtel-Volk, müssen aufhören, sich zu fragen, was Stiefmutti Merkel antreibt. Ist es nicht offensichtlich, dass die, »die schon länger da sind«, nicht ihre Lieblingskinder sind – nie waren und nie sein werden?!
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Es war einmal – das sind die drei Worte, mit denen Märchen anzufangen haben – es war also einmal ein Mädchen, das wurde Aschenputtel genannt. Ihre Mutter war gestorben und ihr Vater hatte sich eine neue Frau genommen.

Die neue Stiefmutter aber war böse, wie Stiefmütter in Märchen eben so sind (an dieser Stelle eine Entschuldigung an alle tatsächlichen heutigen Stiefmütter, die gewiss die allerliebsten sind), und sie brachte ihre eigenen Töchter aus ihrer alten Ehe in die neue. Die böse Stiefmutter verwöhnte ihre eigenen Töchter sehr, aber zum Aschenputtel war die Stiefmutter stets böse.

Die böse Stiefmutter ordnete an, dass ihre eigenen Töchter in Aschenputtels altem Zimmer schlafen sollten, und das Aschenputtel sollte in der Küche, in der Asche auf dem Boden neben dem Herd schlafen, schutzlos, gedemütigt und ausgeliefert, und deshalb hieß es eben »Aschenputtel«.

Wir haben als Kinder eine Variante dieses Märchens gehört, wenn wir Glück hatten, und unsere Eltern uns noch Märchen vorlasen. Haben wir uns gefragt, warum die böse Stiefmutter eigentlich das arme Aschenputtel so verabscheute?

Bezeichnend in der Geschichte ist, wie die böse Stiefmutter ihre Abneigung gegenüber Aschenputtel ausdrückt. Die Geschichte vom Aschenputtel hat verschiedene Varianten, doch drei Elemente finden wir immer wieder:

  1. Das Aschenputtel muss hart arbeiten, doch erntet nicht die Früchte seiner Arbeit.
  2. Das Aschenputtel wird seiner Privatsphäre und geschützten Räume beraubt, und muss auf der blanken Erde schlafen.
  3. Die böse Stiefmutter und die bösen Stiefschwestern wollen dem Aschenputtel versagen, was das Schicksal ihm an Gutem vorgesehen hatte, etwa den schönen Prinz zu finden.

Wir kennen das Märchen so gut, dass wir vergessen könnten, durch wie viel Leid das Mädchen Aschenputtel gegangen ist. Was tut einem jungen Menschen mehr weh, erst die Mutter zu verlieren, und dann selbst das kleinste Stückchen vom Glück, was überhaupt möglich wäre, auch noch verwehrt zu bekommen?

Schutzlos und exponiert

Wer den Namen »Aschenputtel« hört, der denkt vielleicht an Disneys Film Cinderella (dessen Vorlage »Cendrillon« übrigens lange vor Grimms Aschenputtel aufgeschrieben wurde), an gläserne oder goldene Schuhe, an Tauben und Erbsen und Asche, an Ballkleider und an einen Prinzen, an dessen Seite am Ende, wie es sich gehört, doch noch alles gut wird.

Aschenputtel heißt »Aschenputtel«, weil sie in der Asche neben dem Herd schlafen muss, während ihre Stiefschwestern, die Töchter der bösen Stiefmutter, geschützt in weichen Betten schlafen.

Es ist nicht die harte Arbeit, die Aschenputtel zugemutet wird, welche die Handlungen der Stiefmutter »böse« macht, es ist die Ungerechtigkeit. Die böse Stiefmutter lässt das eine Kind schutzlos und exponiert, das andere Kind wird geschützt und geliebt. Das eine Kind muss arbeiten und doch wird ihm alles genommen, das andere Kind bekommt geschenkt, was das ungeliebte Kind erarbeitet hat.

Widerspruch

Wir hören und lesen Nachrichten aus ganz Deutschland, neue Nachrichten, die es früher nicht so in diesem Maße gab, und die schrecklichsten dieser Nachrichten erinnern uns, wie schutzlos wir geworden sind. Die Deutschen sind das neue Aschenputtel, ungeliebt und ausgenutzt.

Erst gestern waren wir schockiert. Wir lasen von einem jener »jungen Männer«. Er erstach einen Arzt vor den Augen seiner 10-jährigen Tochter. (Meine Tochter ist 11.)

Die alte Nachbarin, die über der Praxis lebte, berichtet:

»Die Tochter des Arztes rief mehrere Male laut: Papa, Papa! – Als die alte Dame die Rollläden hochzieht und auf die Straße blickt, sieht sie schon überall Blaulicht.«
bild.de, 16.8.2018

Ich selbst plane, dieses Jahr noch meiner Tochter ein neues Fahrrad zu kaufen. Das Fahrrad, das sie hat, ist sehr fein und tipptopp, mit Shimano-Schaltung, Altweiß-Lackierung und honigbraunen Ledergriffen, doch es ist ein Straßenfahrrad, und ich wünsche mir, dass sie mitkommt, wenn der Rest der Wegner-Bande mit Mountainbikes über steinige Wege durch die Natur scheppert. Außerdem debattieren Elli und ich, ob der Schwimmkurs oder der Judokurs für die Tochter wichtiger sind, denn für beides ist die Zeit zu knapp, und es verläuft dann doch eine Trennlinie zwischen Fördern und Stressen. Der Sohn (8) will derweil einen zweiten Anlauf mit der Violine unternehmen, die Tochter bleibt beim Klavier. – Das sind unsere Pläne. – Jene Familie hat diese Pläne nicht. Sie hat keinen Vater mehr und der Horror, durch den das Mädchen durchgehen muss, ist jenseits von allem, was ich mir vorstellen kann oder will.

Die Regierung Merkel liefert die Deutschen schutzlos der Gefahr aus. Wenn du nicht einmal mehr zum Arzt gehen kannst, ohne den Tod zu fürchten, wohin kannst du dann noch gehen?

Auch wenn Die Welt versucht, zu beschwichtigen (»Gewalttaten in Arztpraxen hat es in Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach gegeben.«, welt.de, 16.8.2018), so hat die Gewalt heute eine neue Qualität. Auch dieser mutmaßliche Täter kam 2015, er kam aus dem afrikanischen Krisenland Somalia, er war schon früher mit der Polizei aneinandergeraten, auch für ihn waren frühere Auffälligkeiten weitgehend folgenlos geblieben, und jetzt ist eben der 51-jährige Arzt tot, und die Tochter rief noch: »Papa, Papa!«

Nein, es war einst nicht normal, dass »junge Männer« mit langen Messern fuchtelnd und »Allahu Akbar« schreiend durch Dresden liefen (hier: afghanischer Asylbewerber, 23 Jahre alt, wütend, siehe: bild.de, 16.8.2018). Nein, es war einst nicht normal, dass sich Rettungssanitäter mit Schutzwesten gegen Messerangriffe ausrüsteten – Angriffe, die oft gar nicht erst angezeigt werden (siehe rbb24.de, 16.8.2018). Und ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als Terrorhelfer vom Staat verfolgt wurden – heute kämpfen Gerichte darum, sie nach Deutschland zu holen (siehe z.B. bild.de, 15.8.2018).

Stiefkind für ein paar Tage

In einer ätherischen Theorie mögen die Bürger den Körper des Staates bilden und ihr gemeinsamer Wille seine Seele. In der Realität tritt der Staat dem Bürger je nach Tageszeit und Epoche als Wachmann, als Räuber, als überforderter Vater gegenüber – und manchmal eben als kalte Stiefmutter.

Der Staat durchdringt alles, und was er nicht durchdringt, das ist ein gnadenvoll gewährter Freiraum, so wie das Gästezimmer das Eigentum des Hausherrn bleibt, selbst wenn er es seinem Stiefkind für eine Zeit zur Verfügung stellt.

Weil der Staat sich das Recht nimmt, alles zu durchdringen, und sei es »nur« mittels der von ihm festgelegten Ordnung, legt er sich zugleich die mindestens moralische Pflicht auf, diese Ordnung und die Sicherheit darin auch zu schützen, inklusive der gewährten Freiräume. Der Staat beansprucht – und das ist gut so! – das Gewaltmonopol, doch er muss eben auch ein gutes Fundament legen, damit der anständige Bürger überhaupt keinen Anlass sieht, selbst zur Gewalt greifen zu wollen.

In Anlehnung an die Diktion einer gewissen FDJ-Sekretärin ließe sich sagen, dass es zwei Gruppen in Deutschland gibt: Die, die schon länger da sind, und die, die neu da sind. Fragen Sie sich selbst: welche sind das ungeliebte Aschenputtel, das ausgenutzt wird und doch schutzlos bleibt, durchleuchtet und ausgebeutet, und welche Gruppe sind die Lieblingstöchter, die nichts leisten müssen, um die Liebe der Mutti geschenkt zu bekommen. (Ich würde nicht so weit gehen wie die Jugendausgabe des Handelsblatts, die am 12.10.2016 formulierte »Mutti Merkel wurde Mama Afrika«, doch man hat schon Fragen.)

Aschenputtels Stiefschwestern

Was hat die böse Stiefmutter eigentlich gegen das Aschenputtel?

Die Stiefmutter des Aschenputtel-Märchens scheint auf den ersten Blick von recht eindeutigen Motivationen getrieben zu sein. Sie hat ihre eigenen Kinder und die Stieftochter ist ein Konkurrent um die Liebe des Mannes. Man könnte sogar auf die aller-animalischste der Ebenen gehen, und schlicht feststellen, dass die Mutter zuerst ihre eigenen Gene, also Aschenputtels Stiefschwestern, umsorgen möchte, und die leibliche Tochter des Vaters (und Versorgers) zuerst als Konkurrenz um begrenzte Mittel betrachtet wird.

Kürbisse werden zu Kutschen

Wissen Sie, was Aschenputtel nicht tut? Aschenputtel grübelt nicht, was ihre böse Stiefmutter treibt. Sie analysiert nicht, wieso es sie treibt. Sie gehorcht, so lange sie muss, und sie überlegt sich Wege, der Macht der bösen Stiefmutter zu entkommen.

Die Deutschen, dieses Aschenputtel-Volk, müssen aufhören, sich zu fragen, was Stiefmutti Merkel antreibt. Es ist offensichtlich, dass die, »die schon länger da sind«, nicht ihre Lieblingskinder sind, nie waren und nie sein werden.

Im Märchen passieren Wunder, die Aschenputtel aus ihrem Elend befreien. Ballkleider fallen vom Baum, Kürbisse werden zu Kutschen.

Im deutschen Märchen werden keine Wunder passieren.

Aschenputtel, gib auf, um die Liebe der Stiefmutter zu buhlen – du bist nicht ihr Lieblingskind, und du wirst es nie sein.

Aschenputtel, steh auf aus der Asche! Dein Leben kann besser werden, deine Angst weniger und das Gewicht auf deinen Schultern leichter, du musst nur endlich die Stiefmutter abschütteln!

Weiterschreiben, Dushan!

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