Dushan-Wegner

05.04.2019

Ist Höcke allein (noch) ein Grund, die AfD nicht zu wählen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Bild von Irina Iriser
Seit die AfD in den Bundestag einzog, verhielten sich etablierte Parteien immer wieder krass undemokratisch. Der Höcke-Sound ist übel, doch ist das Verhalten der Etablierten wirklich weniger gefährlich?
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Legion heiße ich; denn wir sind viele – so spricht der »unreine Geist«, den Jesus in Markus 5 austreibt. Der Mensch kam ihnen von den Grabhöhlen her entgegen; dort wohnte und schlief er, dort schrie er den ganzen Tag lang und schlug sich selbst mit Steinen, so berichtet uns die Bibel über den Besessenen, dessen »Geist« auf Nachfrage von sich erklärt, er heiße Legion, denn er sei viele.

Der Gequälte war besessen, so heißt es, doch vielleicht war er nur ein Politiker, und das meine ich nicht einmal (nur) böse! – Die Rolle von Politikern ist eine logisch unmögliche: Politiker sollen für uns sprechen, sie sollen konsistent sein, doch sie sollen dabei echt sein, und sie sollen konsistent und echt sein, während sie für Millionen von uns sprechen – ich bin nicht einmal konsistent, wenn ich nur für mich selbst spreche! – »Ich bin Legion, wählt mich!«

Ja, Demokratie ist manchmal etwas gruselig, manchmal hat man das Gefühl, es mit Besessenen zu tun zu haben, und damit Demokratie nicht geradezu angsteinflößend wirkt, ist es wichtig, dass alle Demokraten sich an die Regeln der Demokratie halten.

Nach demokratischen Regeln

Bereits der Name »Alternative für Deutschland« ist eine Provokation. Als wäre Angela Merkel nie ganz in der Demokratie angekommen – erklärte die ehemalige FDJ-Sekretärin ihre politischen Maßnahmen immer wieder im Zentralkomitee-Stil für »alternativlos« (siehe etwa deutschlandfunkkultur.de, 18.1.2011). Die Alternativlosigkeit in ihrem Lauf, hält weder Parlament noch Bundesrat auf. Zum Wesen der Demokratie gehört aber die Erkenntnis, dass es durchaus Alternativen geben muss, eine andere Perspektive, eine andere Lösung, und diese müssen abgewägt und debattiert werden – nach demokratischen Regeln.

Der öffentliche Wahlkampf der AfD muss oft unter Polizeischutz stattfinden, Antifa-Schläger fühlen sich von Politik und Staatsfunk motiviert, AfD-Politiker im Weimar-Stil anzugreifen (siehe etwa tichyseinblick.de, 16.1.2019; faz.net, 16.5.2016: »Morddrohungen sind nichts Ungewöhnliches«).

2017 zog die AfD – trotz einer weitgehend geschlossenen Gegenkampagne durch Staatsfunk und Hauptstadtjournalisten in den Bundestag ein, nachdem sie 2013 den Einzug knapp verpasst hatte.

Der Einzug der AfD in den Bundestag wurde begleitet von einem unmissverständlichen Zeichen der etablierten Parteien, dass sie bereit sind, die Regeln der Demokratie gegen die neue Opposition zurechtzubiegen, immer wieder so, dass es dem Erhalt der etablierten Macht dient, ganz egal welchen Schaden die Demokratie dabei nimmt.

Traditionell eröffnet der Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Bundestags nach einer Bundestagswahl. Als abzusehen war, dass ein AfD-Politiker der an Lebensjahren älteste Parlamentarier sein könnte, definierten kurz vor der Wahl die etablierten Parteien entgegen jahrzehntelanger Praxis kurzerhand um, dass mit »Alterspräsident« nun Dienstältester gemeint sei (siehe etwa achgut.com, 24.3.2017, n-tv.de, 2.6.2017).

Die Eröffnungsrede hielt dann der im November 1940 geborene FDP-Abgeordnete Hermann Otto Solms, gewissermaßen ein »Fake-Alterspräsident« im doppelten Sinne, denn erstens wurde Wilhelm von Gottberg (einst CDU, seit 2016: AfD) bereits im März 1940 geboren und zweitens brachte es Schäuble auf 45 Jahre Parlamentszeit, doch er verzichtete, da er als Parlamentspräsident designiert war. Dass Solms diese »Ehre« annahm, um in seiner Rede zur »Verantwortung für Demokratie« zu mahnen und sich »gegen Ausgrenzung« zu stellen (siehe etwa br.de, 24.20.2017), solcher Zynismus ist fast schon beeindruckend.

Zweck- und damit rechtswidrig

Anfang April 2019 wird gemeldet, dass laut einem Bericht des Bundesrechnungshofs alle Fraktionen, die 2013 im Bundestag vertreten waren, öffentliche Mittel für PR-Zwecke missbrauchten (so etwa welt.de, 3.4.2019).

Über die Fraktionen CDU-CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke heißt es jeweils ähnlich lautend (Unterschied darin, ob »mehrere« oder »einzelne« Fälle):

Die Bundestagsfraktion setzte in (Linke, SPD: »mehreren«, Grüne, CDU-CSU: »einzelnen«) Fällen öffentliche Mittel zweck- und damit rechtswidrig für Parteiaufgaben ein. (bundesrechnungshof.de-Links: CDU, SPD, Grüne, Die Linke)

Besonders die FDP-Fraktion im Wahljahr 2013 kommt in dem Bericht nicht gut weg, und da ist nicht mehr von »einzelnen« oder »mehreren« Fällen die Rede:

Die Bundestagsfraktion setzte in erheblichem Umfang öffentliche Mittel zweck- und damit rechtswidrig für Parteiaufgaben ein. (bundesrechnungshof.de, 11.4.2017)

Wenn sich wieder mal FDP-Politiker moralisch über die AfD erheben, lasse man sich folgende Aussage des Bundesrechnungshofes über die damalige FDP-Fraktion auf der Zunge zergehen:

Der Bundesrechnungshof konnte viele Maßnahmen nicht vollständig prüfen, da wesentliche Unterlagen nicht oder nicht mehr vorhanden waren. Die Bundestagsfraktion hätte diese Unterlagen aufbewahren müssen. Stattdessen hatte sie bereits zu Beginn ihrer Liquidation viele Unterlagen vernichtet. (bundesrechnungshof.de, 11.4.2017)

Wieder einmal gilt: Es ist ein Skandal, dass es kein Skandal ist.

Nach der Geschäftsordnung

2019 steht eine Reihe von Wahlen in Deutschland und auch Europa an. Zentrale Versprechen und Beteuerungen der etablierten Parteien haben sich als tödliche Lügen erwiesen, und es wird befürchtet, dass die AfD weitere Erfolge einfahren wird.

Die schrillsten Populisten der etablierten Parteien verstehen »Demokratie« erschreckend offen nicht mehr als »Vertretung des Wählers nach allen geltenden Regeln« sondern als »Bewahrung etablierter Macht, um jeden Preis«.

Einen Tag nachdem der Bericht des Bundesrechnungshofes herauskam, stand erneut im Bundestag die Wahl einer AfD-Bundestagsvizepräsidentin an.

Nach der Geschäftsordnung des Bundestags steht jeder Fraktion ein Bundestags-Vizepräsident zu – der muss allerdings gewählt werden. Die AfD hatte die als »moderat« geltende Juristin und Mutter Mariana Harder-Kühnel aufgestellt. Zuvor waren schon fünfmal Kandidaten der AfD an den Etablierten gescheitert. Der 77-jährige Albrecht Glaser, so heißt es, wegen seiner Islamkritik. Harder-Kühnel scheiterte zweimal, doch am 4.4.2019 wurde erwartet, dass ihre Wahl doch noch klappt.

Sie klappte nicht.

423 Abgeordnete stimmten mit Nein, 199 mit Ja, 43 enthielten sich (siehe, von mir aus, taz.de, 4.4.2019).

Dieselben Leute, welche die 1983 der SED beigetretene FDJ-Zentralratsmitarbeiterin Petra Pau zur Parlamentsvizepräsidentin wählten und ebenso die hinter Nie-wieder-Deutschland-Bannern marschierende Claudia Roth, weigern sich, einer moderaten Juristin und Mutter dieselbe Ehre zu gewähren – weil sie der AfD angehört, sagen sie.

Man redet von Demokratie, und meint Macht, man redet von Moral und meint Macht, man zeigt mit dem Finger auf den Gegner, doch es zeigen drei Finger zurück.

Weiterhin Steuern zahlen

Demokratie ist ein Interessenausgleich in mehreren Dimensionen (siehe auch »Erdoğan, Europa und die Regeln im Schach«).

Der Politiker hat ein (auch finanzielles!) Interesse an der Macht – der Bürger hat ein Interesse daran, dass seine Wünsche und Perspektiven vertreten werden.

In der Merkel-Ära haben Politiker sich daran gewöhnt, dass man die Deutschen mit Moral-Rhetorik einschüchtern und motivieren kann, auf die politische Vertretung ihrer Interessen zu verzichten. – Die Politik hat den Deal mit dem Bürger einseitig aufgekündigt: Der Bürger soll weiterhin Steuern zahlen und das Politikerleben finanzieren, doch wenn er dafür Schutz und die Vertretung seiner Interessen (und Rechte) als Bürger fordert, wird er als »Nazi« etc. diffamiert und ausgegrenzt.

Die Grünen überzeugen die Bürger, gegen ihre eigenen Interessen die Landschaft mit gefährlichem, vogeltötenden Sondermüll vollzustellen. Die SPD vertritt die Interessen von Kleinstminderheiten in schwierigen Lebensabschnitten, gegen die Interessen der Mehrheit. CDU und CSU vertreten Nordafrika. Die FDP ist sich, fürchte ich, noch immer nicht einig, wen sie vertritt.

Im Prinzip wäre das Erfolgsprinzip der AfD einfach zu erklären: Die AfD verspricht, die Bürger zu vertreten, die sich nicht dahingehend einschüchtern lassen, gegen ihre eigenen Interessen zu wählen.

Doch, es gibt nicht die AfD, es gibt viele AfDs, eine »Legion«, gewissermaßen, oder auch: ein »gäriger Haufen«. Die AfD ist das Sammelbecken derer, die sich nicht von der aus Berlin vorgegebenen »Haltung« einschüchtern ließen – doch das heißt keineswegs, dass alle AfD-Politiker oder gar AfD-Wähler dieselbe Meinung vertreten würden!

AfD ist nicht nur Harder-Kühnel, sondern eben auch Höcke. (An dieser Stelle sei der Text »Bescheidener Weltenlenker« von Dieter Stein empfohlen, siehe jungefreiheit.de, 28.2.2019.)

Wer der AfD eine »reinwürgen« will, der setzt die gesamte Partei mit dem AfD-Thüringen-Sprecher und dortigen Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke gleich – seine Ausführungen zum Deutschsein als »schwülstig« zu bezeichnen wäre noch euphemistisch.

Man hört immer wieder den Satz: »Ich würde die AfD wählen, aber mit Höcke geht das nicht.«

Doch, man muss gerade heute die Frage stellen: Ist das demokratieschädliche, regelbiegende Verhalten der etablierten Parteien weniger schlimm als das Gedröhne eines Björn Höcke?

Der Satz »AfD ist für mich unwählbar, weil Höcke« klingt immer schaler, wenn man ihn implizit fortsetzt mit »aber die anderen Parteien, mit ihrem demokratisch fragwürdigen Gebaren, mit ihren Deals und Ad-Hoc-Regelverbiegungen direkt im Parlament, die sind viel weniger schlimm«.

Ein Gewinn fürs Land

Ein Bonmot unbekannter Quelle besagt, Politiker seien wie Windeln, insofern als sie regelmäßig gewechselt werden sollten, und zwar aus denselben Gründen.

Es war aus mehreren Gründen eine schlechte Idee der Etablierten, die Definition von Alterspräsident von Alter auf Dienstjahre umzubiegen. Zum einen machte man deutlich, dass man zur Ausgrenzung der auch inhaltlichen Opposition bereit ist, die Demokratie zu beschädigen, zum anderen ehrte man das Festkleben an der Macht statt die Weisheit des Alters. Ein lebenserfahrener und (hoffentlich) weiser Mensch, welcher als Politiker dem Volk dient, kann ein Gewinn fürs Land sein; ein Politiker dagegen, dessen Hauptverdienst es ist, sich ein Leben lang in der Politik festgesetzt zu haben, so einer ist eher ein Symptom des Grabens zwischen Eliten und Volk.

Bis diese wieder besessen wirken

Wir sprachen über den Besessenen in Markus 5, der sich Jesus gegenüber als »Legion« zu erkennen gibt. Auch Politiker »sind viele«, denn sie sollen viele von uns vertreten – und wir sind tatsächlich Legion.

Es kann vorkommen, dass Politiker den Abstand zu sich selbst verlieren, und dass sie vergessen, dass ihre Macht immer nur eine ge- und verliehene ist.

Wenn Politiker ihre Macht als Selbstzweck zu betrachten beginnen und die Demokratie als Mittel ihrer Macht, dann sind sie von der Macht besessen.

Jesus heilt den Besessenen, indem er den Geist Legion in eine Herde von zweitausend Säuen fahren lässt, woraufhin die Säue sich ins Meer stürzen und ertrinken.

Die krasse Bildsprache des Heiligen Buches läge mir fern. Ich denke, dass viele Politiker anständige Menschen sein könnten, doch einige sind leider wie besessen von ihrer Macht.

Bei jeder Wahl haben wir als Wähler die Möglichkeit (und die Aufgabe!), die Bessesenen aus den Parlamenten zu treiben und sie mit neuen Kandidaten zu ersetzen – bis diese wieder besessen wirken.

Nachdem Jesus den Besessenen heilt, zieht dieser sich an und ist glücklich, von seinen Dämonen befreit zu sein.

Ich bin guter Dinge, dass auch dieser oder jener Politiker uns Wählern später dankbar sein wird, wenn wir ihm bei den nächsten Wahlen helfen, loszukommen von seiner Besessenheit. Wir wollen wählen, und wir wollen dem Machtbesessenen liebevoll erklären: Du bist Legion, du bist viele, aber du musst es nicht bleiben!

Weiterschreiben, Wegner!

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