Dushan-Wegner

10.04.2018

Der europäische Superstaat wird nicht klappen – aus einem trivialen Grund

von Dushan Wegner, Lesezeit 13 Minuten, Bild von Francisco Moreno
Die Besondersklugen träumen vom europäischen Superstaat, der die Nationen zu lokalen Trachtenvereinen reduziert. Es wird (so) nicht klappen. Hier ist der Grund!
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Wenn ich Sie fragte, was ein typisch deutscher Name sei, was würde Ihnen einfallen? Vielleicht »Hans«, wie im Satz: »Hans, hol den Flammenwerfer!«

Es ließe sich noch weiter fragen, etwa nach den prototypischen Eigenschaften des deutschen Hans. Was trinkt er, was isst er (Brezel mit Eisbein, morgens, mittags und abends), welche Art von Hose trägt er?

Sicher, vieles wäre Klischee, doch das ist nicht verwunderlich: Es sind ja ganz bewusst Klischees, die wir abfragen!

Ähnlich könnten wir für Franzosen fragen (klar: Baguette, und angeblich auch Froschschenkel), für Spanier (Paella und Tortilla), Briten (Fisch & Chips) oder Tschechen (Semmelknödel, Schweinefleisch, Sauerkraut, auf Tschechisch: knedlo-vepřo-zélo – die Männer stehen nachts extra dafür auf).

So belustigt wir über unsere Klischees und nationalen Archetypen sein mögen, es liegt doch wohl ein Fünklein Wahrheit darin. Selbst wenn keine der erwähnten Wahrheiten stimmte, so lässt sich doch kaum bestreiten, dass Nationen so ihre Eigenheiten pflegen.

Fragen wir nun, als Kontrast, nach dem typischen Europäer!

Was isst etwa der »typische« Europäer? Was für einen Namen trägt er typischerweise, welches Getränk schlürft er und was für eine Hose zieht er an?

Realistischerweise würden Sie im Alltag eine Antwort erhalten in der Form »also der Holländer so und der Pole so, et cetera«.

Republik Europa?

Die Brüsseler und Berliner Macher (sowie arme Schlucker, die mit Europa-Fähnchen im Twitter-Namen sich selbst wie Macher fühlen wollen) träumen von der »Republik Europa«, wie sie es selbst nennen, und den »Vereinigten Staaten von Europa«.

In letzter Zeit wird etwa eine Prof. Dr. Ulrike Guérot durch Talkshows und Vorträge herumgereicht. Sie nennt sich selbst eine »Handlungsreisende in Sachen Europa«. Sie tritt beim ZDF, bei der Deutschen Bank, via YouTube bei Jung & Naiv und auch schon mal bei der Evangelischen Stadtakademie auf.

Frau Guérot sagt bemerkenswerte Dinge, etwa dies:

»Der Nationalstaat muss in Europa abgeschafft werden, denn wir wollen ja eine europäische Demokratie, deswegen müssen wir verstehen, ja, dass die Nation nicht der Träger von Identität ist.«
— Ulrike Guérot, via Deutsche Bank und YouTube

Auf ihrer Homepage und bei Wikipedia stand früher, dass Frau Guérot einst Senior Associate bei der Foundation war, also der von George Soros, die auch andere in die öffentliche Debatte eingreifende Player in Deutschland von außen unterstützt, aber zum Beispiel in Israel kritisch gesehen wird. Bei Wikipedia wurde diese Angabe am 12. Juli 2015 getilgt, wie wir in der Versiongeschichte erkennen. Auf ihrer Homepage ulrikeguerot.eu finden wir derzeit (9.4.2018) einen leeren Wartebildschirm, doch früher stand dieselbe Information wohl auch dort, unter der stolzen Unterschrift »Europe is a woman…«, wie wir archivierten Daten entnehmen können. Ich verstehe nicht, wieso diese Angabe verschwand. Es ist doch eigentlich eine Angelegenheit, auf die man stolz sein kann, zugleich ist es natürlich zu bewundern, wenn jemand heute noch solche Bescheidenheit an den Tag legt und sich nicht auf seinen, bzw. ihren Lorbeeren ausruhen möchte.

Ich verstehe zugleich auch, dass und wenn einige Bürger gegen diesen zentralistischen Traum rebellieren. Ich verstehe – ach, ich bin heute so verständnisvoll! – ich verstehe, wenn einige osteuropäische Nationen sich dem westeuropäischen Traum vom Großeuropa versperren. Besonders in Ländern, in denen die älteste Generation noch dabei war, als Deutschland gen Osten auf der Suche nach »Lebensraum« stolperte, ernten die Träume von einem europäischen Monostaat nicht nur Applaus und das deutsche »wir müssen« erntet in östlichen Ländern eher ein »Václav, hol den Flammenwerfer«.

Diese Aufrufe sind nicht erst seit gestern zu hören!

Von Juncker ist jener bemerkenswerte Wahlspruch überliefert, wonach man etwas beschließt, in den Raum stellt und dann, wenn niemand begreift, was passiert ist, dann ist es zu spät und man macht eben weiter.

Während dieses Zitat einigermaßen bekannt ist, ist vielleicht nicht ganz so geläufig, dass es aus einem Text im Magazin Der Spiegel des Jahres 1999 stammt, und dieser Text mit folgenden Zeilen beginnt:

»Im 21. Jahrhundert wächst der europäische Bundesstaat heran. Er wird ein Multikulti-Staatsvolk von wenigstens 440 Millionen Menschen umfassen. Jean-Claude Juncker ist ein pfiffiger Kopf. „Wir beschließen etwas, …« (DER SPIEGEL 52/1999)

Es wurde von Brüssel und seinen Stichwortgebern schon früh und offen mindestens »angedacht«, dass ein europäischer Staat geschaffen werden sollte, und nicht erst seit 1999.

Doch, Moment! Redeten wir nicht eben noch von der Nation? Und was ist mit dem Volk? – »Dem Deutschen Volke« heißt es auf dem Reichstag und »Der Bevölkerung« heißt es auf einem Kunstwerk darin, im nördlichen Lichthof. Der Künstler, Hans Haacke, lebt übrigens in New York. Alles sehr verwirrend.

Staat, Nation, Schicksal

In der Debatte um Europas Einigung fällt auf, wie beliebig und inkonsequent die Begriffe Staat, Nation und Volk durcheinandergeworfen werden. Es ist fast, als ob es nicht wirklich um Differenzierung und argumentatives Vortasten ginge, also ob man gar nicht dazulernen wollte, als ob man bewusst die Begriffe erst verschwimmen und dann verschwinden lassen wollte.

Auch wer der erwähnten Frau Prof. Dr. Guérot zuhört, wie sie große Namen von Locke über Marx bis Hayek fallen lässt, wie sie das Cover des Leviathan als Beleg für ihre Vorstellung des europäischen Superstaats heranzieht, wie sie beständig vom »wir« und von »müssen« spricht, aber (wie Merkel) nonchalant zu erwähnen vergisst, wen genau sie denn mit »wir« meint, etwa im Satz »wir wollen ja die europäische Demokratie«, wer das alles beobachtet und sich für einen Moment weder in die eine noch in die andere Richtung mitreißen lässt, der merkt, dass hier nicht wirklich debattiert wird. Spätestens wenn Guérot die alten Totschlaghits wie »Populisten« herausholt (wer der Selbstauflösung der Staaten zugunsten des Brüsseler Superstaats nicht zustimmt, ist ein solcher), wird deutlich, dass es nicht um gemeinsames Dazulernen und Lösungssuche geht. In der Vision vom Brüsseler Superstaat wird die Nation bestenfalls zum Trachtenverein reduziert. Das Ziel steht fest und steht nicht zur Verhandlung. Es scheint nur noch darum zu gehen, alle Argumentgegner einfach außerhalb des Diskurses zu stellen (»Populisten!«) und die Bevölkerung von der Unausweichlichkeit ihres Schicksals zu überzeugen.

Die Begriffe Nation, Volk und Staat haben zwar jeweils eine reiche Begriffsgeschichte, aber keine allgemein und endgültig anerkannte Definition. Sie scheinen sich auch zu überlappen. Sprecher wechseln nicht selten ansatzlos zwischen Nation und Staat (der Duden lässt es zu, aber der lässt eh zuletzt zu zahlreich zu); zugleich wird das englische »Nation« oft ins Deutsche als »Volk« übersetzt – und im Englischen kommt noch people dazu, was als peoples in den Plural gesetzt werden kann und auch in etwa Volk/Völker bedeutet.

Ich möchte an dieser Stelle effizient(er) vorgehen. Ich verweise auf den recht guten Wikipedia-Artikel zu »Nation« (https://de.wikipedia.org/wiki/Nation) und biete anschließend meine Abtrennung des Nation-Begriffs an. (Randnotiz: Aus Angst vor dem Nationalismus wollen sie die Nation abschaffen; mit anderen Ismen würden sie sich solches niemals trauen.)

Beim Begriff Nation scheint es mir dringend notwendig, getrennt herauszuarbeiten, was er üblicherweise bezeichnet, und warum Menschen davon sprechen.

Eine Nation ist zuerst eine Gruppe von Menschen mit gemeinsamer Geschichte, die sich als Kollektiv empfindet – oder so ähnlich. Wir finden die Idee Nation immer wieder im Kontext von Kulturnation. Wer von einer Nation spricht (anders als etwa von einem Volk), der meint auch immer ein geographisch abgegrenztes Stück Erdoberfläche, aber nicht nur. Eine Nation hat meist eine gemeinsame Sprache, in wenigen Fällen auch mehrere. Eine Nation denkt sich weniger biologisch (anders als etwa das Volk) und man kann in eine Nation einwandern, und doch werden bei einer Nation (das lateinische »natio« heißt u.a. Geborenwerden, siehe auch »nativ« als Fremdwort im Deutschen für heimisch oder angeboren) viele Menschen in und aus dieser Nation geboren sein.

Wir wissen nun, was eine Nation ist (bzw.: was wir meinen, wenn wir das Wort verwenden) – aber wir sagten noch nicht, warum Menschen von ihr reden.

Meine These zum Warum der Nation lautet so: Eine Nation ist die größte Einheit, die ein Mensch als Wir empfinden kann, und mit »Wir« meine ich, ganz wie der Duden, hier ein Kollektiv, dessen Teil ich bin. Damit ein Mensch aber etwas als Wir-Einheit empfinden kann, braucht es gewisse Voraussetzungen wie gemeinsame Werte.

Europa der Schutzlosen

Während die Nation ein emotionales Gebilde und Wunschideal für viele ist, und der Staat ein politisch-pragmatisches Ding, so ist es doch aus praktischen Gründen sinnvoll, wenn Staat und Nation so deckungsgleich wie möglich sind. Je tiefer eine Nation als solche spürbar ist, umso weniger Polizei braucht es, die Ordnung des Staates durchzusetzen. Und andersherum: Wenn die Bürger sich nicht als Nation fühlen, sei es weil sie nicht können (große Gräben in Religion, Ethik, Kultur oder Sprache) oder dürfen (politische Korrektheit, Besatzung), umso mehr staatliche Gewalt braucht es, den Staat vorm Auseinanderbrechen zu bewahren.

Die Nation ist das größte Wir, das ein Mensch empfinden kann (so meine These).

Sogenannte »Vielvölkerstaaten«, die einen Staat aus verschiedenen Nationen schweißen wollen, scheitern regelmäßig – oder haben immer wieder mit inneren Spannungen zu kämpfen.

Ich habe Freunde aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus diversen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Zufälligerweise war meine Familie in exakt den Tagen, als die Slowakei beschloss, sich von Tschechien zu trennen, in der ehemaligen Heimat, der (Noch-) Tschechoslowakei, zu Besuch. Ich erinnere mich gut, was unsere tschechischen und unsere slowakischen Freunde jeweils sagten. (Die Slowaken: »Das wirft uns um Jahre zurück! Was für ein Schwachsinn!« – Die Tschechen: »Wenn sie gehen wollen, sollen sie doch. Was für ein Schwachsinn!« – Es war das erste Mal, dass sich beide Gruppen einig waren, und das klingt nur an der Oberfläche absurd.) – Heute sind sie getrennt und doch beide Mitglieder in der EU. Sie hatten getrennte Wege und angekommen sind sie doch. Aus Tschechien höre ich, dass die Spannungen zwischen den Tschechen und Slowaken nach der Trennung deutlich zurückgegangen sind. Aus Ablehnung des aufgezwungenen Fremden wurde freundschaftlicher Respekt vor dem Nachbarn. Im Fremden, der einem aufgezwungenen wird, sieht man vor allem die Unterschiede. Zum Nachbarn, der ein eigenes Haus hat, kann man in eigenem Tempo erst Freundschaft und dann eine neue, eigene Form von Partnerschaft entwickeln, eine Form, die für beide Parteien funktioniert.

Menschen, die sich als »wir« fühlen, wollen für ihr eigenes Schicksal verantwortlich sein, und sind dafür bereit, selbst schwerwiegende Nachteile in Kauf zu nehmen. Menschen, die sich nicht als »wir« fühlen (dürfen), sind (und fühlen sich) schutzlos und ausgeliefert, und werden versuchen, so bald wie möglich wieder in den Zustand des selbstbestimmten Wir zurückzukehren.

Warum es (so) nicht klappen wird

Dieser Traum der Theoretiker, die Vereinigten Staaten von Europa, kann und wird nicht funktionieren. Zum einen geht er gegen die Natur der Menschen und Nationen in Europa. Und dann ist da noch ein weiterer Grund! Menschen lassen sich ja überzeugen – unter bestimmten Umständen.

Bevor ich zum zweiten Grund der Unmöglichkeit komme, lassen Sie mich Ihnen bitte kurz von der Raumfahrt erzählen!

Wissen Sie, was ein O-Ring ist? (Im Deutschen wird es auch »Null-Ring« genannt.) Ein O-Ring ist ein aus weichem Kunststoff oder Kautschuk hergestellter, einfacher Ring, der als Dichtung zwischen zwei verbundenen rohr-artigen Elementen eingesetzt wird. Wenn Sie jemals einen Gartenschlauch vernünftig angeschlossen haben, dann haben Sie dabei wahrscheinlich einen O-Ring eingesetzt.

Einige meiner Leser werden sich erinnern: Am 28. Januar 1986 explodierte das NASA Space Shuttle Challenger, nur 73 Sekunden nach dem Start. Sieben Menschen starben. Eine Nation (!) war geschockt. – Der Grund für das Desaster war primitiv: Ein paar der eingesetzten O-Ringe waren für den Einsatzzweck ungeeignet. Eigentlich war dies in den unteren Dienstgraden des Raumfahrtbetriebs auch bekannt, aber durch organisatorische Mängel drang die Information nicht an die richtigen Entscheider.

Wir lernen: Auch triviale Gründe können destruktive Konsequenzen haben, vor allem, wenn sie auf ineffiziente Organisations-Strukturen treffen.

Ich glaube nicht, dass dieser Anlauf, Europa zu einem wirklich staatsartigen Gebilde zu einen, gelingen kann.

Nicht, weil es im Prinzip unmöglich wäre. Nicht, weil alles, was man bislang unternommen hätte falsch gewesen wäre! Oh Nein! Ich halte es durchaus für möglich, und ich halte vieles von dem, was bislang unternommen wurde, für durchaus richtig und sinnvoll. – Es ist ein anderer Grund.

Betrachten wir doch ein Beispiel für eine gelungene Integration von Menschen unterschiedlicher Geschichte in einen Staat: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Unter den vielen offensichtlichen Unterschieden zwischen den frühen USA und dem heutigen Europa sehe ich einen kleinen, trivialen Unterschied, der wirken wird wie die O-Ringe bei der Challenger-Katastrophe. Es ist trivial und simpel, es ist banal und unter der Ehre manches Elfenbeinturm-Bewohners. Das hindert es nicht daran, seine Wirkung zu entfalten.

Hier ist, warum die aktuellen Chef-Europäer in ihrem Vorhaben scheitern werden.

Nochmal, es ist ein wirklich einfacher Grund – geradezu schmerzhaft einfach.

Sind Sie bereit?

Okay, lassen Sie mich erklären: Ich lese von den Männern, die die USA gegründet haben, u.a. Washingtion, Jefferson, Franklin. Ich lese von Theodor Herzl, einem der »Erfinder« Israels, und von Ben Gurion, dem Gründer. Mein Großvater hatte daheim ein Relief des Philosophen und tschechoslowakischen Staatsgründers Masaryk. Diese Männer waren belesene Giganten, schon zu Lebzeiten geschätzt und verehrt, von starkem Charakter und mit früher Weisheit.

Und dann betrachten Sie die Leute, die in Berlin und Brüssel den europäischen Superstaat begründen wollen. Mancher bekommt es kaum hin, in gerader Linie zu gehen, geschweige denn zu sprechen. Ihre Formulierungen sind Floskeln, zusammengeklebt von überbezahlten Hilfskräften. Ihre Gedanken sind Stanzen, vorgedacht in weltfremden Thinktanks.

Die Vereinigung Europas wird nicht klappen, weil dem zuständigen Personal alle Weisheit, Bildung und Menschenkenntnis fehlt.

Ja, es ist so einfach.

Ein Staat und eine neue Nation zu bauen aus vielen Völkern, das ist ja keine logische oder prinzipielle Unmöglichkeit.

Es braucht natürlich immer zuerst einen Anlass, und ein solcher könnte ja durchaus gegeben sein, etwa in aktuellen Migrationsbewegungen und der Ausbreitung demokratie-inkompatibler Ideologien nach Europa. Doch, die Brüsseler und Berliner Elite könnte geistig gar nicht schlechter gewappnet sein, um den importierten psycho-politischen Cocktail zu verstehen – oder gar sich ihm in den Weg zu stellen. Diese Herrschaften könnten nicht mal ein Tretboot havariefrei über den Parksee bewegen, geschweige denn die Menschen eines Kontinents motivieren, ihre Heimatstaaten aufzugeben und einen neuen Superstaat zu gründen.

»Es gibt verschiedene Kulturen, aber nur eine Zivilisation, die europäische“, sagte Kemal Atatürk, Gründer der Republik Türkei. Europa hat der Welt so viel gegeben – und hätte noch so viel geben können, in welcher Einigungstiefe auch immer. Ein Blick in manche Hauptstädte Westeuropas lässt den Betrachter daran zweifeln, ob Europa überhaupt noch Zivilisation geben will, und ob es noch die Kraft zum Geben hat. Doch, wenn es könnte, wenn es dies als einheitlicher Staat tun wollte, mit welchem Personal sollte es denn geschehen?

Ob die Großpeinlichkeit Juncker, die Kleinpeinlichkeit Oettinger, die Expeinlichlichkeit Schulz oder der rätselhafte Herr Selmayer – Brüssels Großkopferte könnten gar nicht weiter von Weisheit und Menschenkenntnis angesiedelt sein als diese Figuren. Und, betrachtet man die ach so europabegeisterte Intellektualität, wie etwa jene in ihrem Elfenbeinturmhabitus kaum zu überbietende Politikwissenschaftlerin, dann wird deutlich: diese Leute haben keinen Schimmer davon, was Menschen bewegt, wie wir hier unten ticken.

Früher sagte man, »hast du einen Opa, schick ihn nach Europa«. Jetzt haben wir die Opas nach Brüssel geschickt, damit sie nicht in Berlin oder den Landeshauptstädten abgestaubt werden müssen (gelegentlich kommen sie zurück, um in Wahlkämpfen zu verlieren – ein rätselhaftes Schauspiel), nur irgendwas muss in Brüssel im Trinkwasser aufgelöst worden sein, denn, einmal nach Brüssel abgeschoben, entwickelt Opa dort Visionen vom Heiligen Europäischen Reich bürokratischer Nation.

Brüssel will ein neues Rom werden, doch es setzt an Roms Ende an, bei der Dekadenz, nicht bei der Philosophie, bei der Feigheit, nicht bei der Eroberung. Nein, mit diesem Personal – und besseres ist weiß Gott nicht in Sicht – sollte Europa lieber ein Kontinent der vielen Schweizer Eidgenossenschaften werden. Die Nationen Europas sollen voneinander lernen und einander aushelfen, nicht sich gemeinsam der verwirrten Elite ausliefern.

Ich bin Vater und Europäer. Als Europäer wie auch als Vater halte ich es für meine Pflicht, das Beste für Europa und seine Bürger zu wollen. Sich den Junckers, Schulzens und Selmayers auszuliefern ist weit weg davon, das Beste für Europa zu sein. Die unverschämten und anti-demokratischen Reaktionen auf den Wahlsieg Orbáns etwa eines Jean Asselborn (Außenminister Luxemburg – wofür brauchen die eigentlich einen? – er musste unbedingt von einem »Wertetumor« reden) belegen doch, dass manche in der »Elite« moralisch weit davon entfernt sind, für eine einheitliche zentrale Führung qualifiziert zu sein.

Wir haben noch nicht den einen, unbestreitbar idealen Weg für ein einheitliches Europa gefunden, aber mit solchen Pappkameraden an der Spitze zieht es sich schlecht in neue Schlachten. Politische Zwangsvereinigung ist kein Selbstzweck und gewiss nicht »in-sich-gut«. Bis wir den Weg und die richtigen Leute gefunden haben, lassen Sie uns die Nationen und Regionen stark machen, lassen Sie uns zu Toleranz und Kooperation aufrufen, aber auch zu Selbstbewusstsein und einem neuen Bewusstsein für Recht und Rechtsstaat. Lassen Sie uns aus Respekt vor der Verschiedenheit den Gleichmachern widerstehen und widersprechen. Es ist noch immer unser Europa, das Europa der Menschen, Nationen und Staaten.

Ach ja, eins noch: die Idee eines vereinigten Europa stammt nicht erst aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Bereits im siebzehnten Jahrhundert wurden vom Herzog von Sully seine Überlegungen zur Notwendigkeit einer europäischen Einigung niedergeschrieben (posthum veröffentlicht in 1662). Anlass war damals übrigens der Abwehrkampf gegen das eindringende Osmanische Reich.

Weiterschreiben, Wegner!

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