Dushan-Wegner

05.12.2020

»arrogant« und »extrem affirmativ«

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Valdemaras D.
Wenn Politiker den Staatsfunk kritisieren, dann wird das zwar Applaus finden, ist aber heute viel zu wenig. Sagt und zeigt mir lieber, ihr Helden des unverbindlichen Wortes, was ihr konkret dagegen tut!
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›Uups!‹, denkt sich der Autofahrer, als er das Lenkrad umklammert und die Bremse durchdrückt, als das ABS-Knattern einsetzt und das Heck des Wagens vor ihm sich dennoch viel zu schnell nähert, ›Uups, das wird nicht gut gehen!‹

Womöglich ruft der Autofahrer kurz vorm Auffahrunfall etwas Schärferes als ›Uups!«, und wahrscheinlich formuliert er den Gedanken nicht so ausführlich und wortreich, dafür ist die Zeitspanne ja viel zu kurz, doch der Gedanke selbst ist da: ›Uups! Das wird nicht gut gehen, und ich kann jetzt wenig tun, doch ich will alles versuchen, was sich noch versuchen lässt!‹ – Und so bremst er und hält Spur, bis es endlich (?) »Rumms!« macht.

… aber was?

Wolfgang Kubicki, der erfolgreiche Rechtsanwalt, beredte Talkshowgast und wohl als Abgeordneter einer Splitterpartei auch Bundestagsvizepräsident, wird aktuell in den Medien zitiert, und zwar zu den »Öffentlich-Rechtlichen« (wie in Deutschland der Staatsfunk euphemistisch umschrieben wird).

Der zusammenfassende Einleitungssatz bei welt.de, 4.12.2020: »Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki wirft dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor, vielfach einseitig zu berichten und Ängste zu schüren.«

Herr Kubicki wird mit einer Reihe von klugen Gedanken zu ARD, ZDF & Co. zitiert, diese träten etwa »arrogant« und »extrem affirmativ« auf, was wie eine charmante Umschreibung von »im Gleichschritt mit der Regierung« klingt. (Randnotiz: 2020 ist auch ein Jahr, in welchem täglich die Schamgrenzen fallen. Kollege Reitschuster etwa beschreibt den Fall der wenig demütig wirkenden Frau Demuth (CDU), die an einem Tag als Teil der Roettgen-Kampagne vorgestellt wird und am nächsten stolz ihre Mitarbeit im ARD-Programmbeirat verkündet; siehe reitschuster.de, 5.12.2020.)

Das alles klingt sicher richtig, zu allem kann man mit dem Kopf nicken. Ich will aber auch hier mein bewährtes Motto anwenden, »Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!« (zu welchem es übrigens ganz aktuell ein neues Design gibt!), und ich stelle fest, dass mir eine Zutat fehlt.

Brav in Reih und Glied

Der Vorwurf, der Staatsfunk verbreite Angst, scheint aktuell tatsächlich in Bezug auf das Virus ganz banal richtig zu sein: ARD und ZDF verbreiten Angst vor dem Virus. – Das war aber nicht immer so!

Im Text »Corona-Virus? ›… alle erstmal durchatmen‹!« (13.3.2020) habe ich notiert, wie zu Beginn des Jahres 2020 die deutschen Staatsfunker eine aggressive, geradezu verhöhnende Propagandaschlacht führten gegen alle, die vor dem Virus warnten, sie mit dem üblichen für Abweichler bestimmten Vokabular wie »rechte Verschwörungstheoretiker« herabwürdigten – bis die Regierung ihre Richtung um 180 Grad drehte – und mit ihr natürlich der Staatsfunk. Über Nacht galt man als »rechter Verschwörungstheoretiker«, wenn man exakt das sagte, was gestern noch als einzige legitime Meinung verbreitet wurde.

Der Staatsfunk verbreitet nicht immer Angst vor der Sache – in der Merkel-Ära verbreitet er oft das Gegenteil, nämlich Beschwichtigung. Den Menschen aber Angst zu nehmen, wenn und weil Angstfreiheit der Macht der Mächtigen nutzt, das bedeutet in Konsequenz auch, die Menschen in Gefahr zu bringen. Im April 2018 schrieb ich: »Wer Gefahr nicht sieht, bringt sich in Gefahr – und seine Mitmenschen auch«

Ja, es stimmt schon, dass der Staatsfunk täglich Angst in die Wohnzimmer und also leider auch Herzen der Deutschen pumpt, doch es scheint mir zuerst eine mit Moralpanik betriebene Angst vorm Abweichlertum zu sein, die Angst vor einer konkreten Sache kann akzidentell und zur Verstärkung genutzt werden, muss es aber nicht. Der gehorsame und also »gute« Deutsche – und das ist leider nicht neu – soll das Aus-der-Reihe-Tanzen mehr fürchten als die Gefahr, in welche er brav in Reih und Glied hineinmarschiert.

Sehr andere Tonarten

Die Manipulation der Deutschen durch die sogenannten »Öffentlich Rechtlichen« und die diversen Propaganda-Initiativen der Regierung stellt (nicht nur) meines Erachtens die brennendste Gefahr für die deutsche Demokratie dar: Selbst wenn es nicht der Fall wäre, dass Wahlergebnisse und die Meinung gewählter Abgeordneter vom Kanzleramt aus »begleitet« würden, wäre es mehr als fragwürdig, inwiefern die öffentliche Debatte wirklich eine »demokratische Willensbildung« genannt werden kann, wenn sie von oben reglementiert und von der allgegenwärtigen Angst vor »falscher Meinung« überlagert wird.

Bei aller (vorhersehbaren) Zustimmung, die ein Herr Kubicki für seine Aussagen erhält, frage ich mich doch: Ist das wirklich alles, was er tun kann? Es fühlt sich ein wenig nach dem Stil seiner speziellen Splitterpartei an, die allzu gern Fußnoten anfügt, doch wenn es wirklich groß wird, nicht selten kneift. – Kubicki hatte zunächst gratuliert, als Kemmerich demokratisch gewählt worden war (welt.de, 5.2.2020), doch kurz darauf, als seine Splitterpartei wie auf Geheiß der Gottgleichen ihren Ministerpräsidenten wieder kassierte, schien auch er mit dem Reden vom »beschämenden Vorgang« (cicero.de, 10.2.2020) sehr andere Tonarten anzustimmen. Was ist also der Wert seiner aktuellen Kritik?

Fußnoten in einem Text

Manche Kritik an den sogenannten »Öffentlich Rechtlichen«, gerade von Politikern in exponierter Stellung, klingt mir wie das »Uups!« des Autofahrers, der einsieht, dass man dem Auffahrunfall nicht mehr entgehen wird.

So wichtig und richtig es ist, dass Politiker es anstreichen, was für problematische Dinge im deutschen Staat stattfinden, was den Deutschen angetan wird, warum belassen sie es bei den kritischen Notizen? Wo sind die politischen Taten?!

Wir steuern gefährliche Klippen an, das ist wahr, doch das begreifen wir in den billigen Kabinen schon länger! Manche späte Kritik, die sich heute heldenhaft gibt, wirkt mehr wie zaghafte Fußnoten in einem Text, den andere Mächte schrieben.

Erzählt mir nicht, liebe Politiker, dass das System, dessen Teil ihr direkt oder indirekt seid, unser Schiff in gefährliche Wasser steuert – wir sehen es ja längst selbst, worauf wir zusteuern! – erklärt mir lieber, welches Wunder ihr dem Himmel abzuringen gedenkt, auf dass wir den unausweichlichen Klippen wider alle Erwartung doch noch entgehen.

Weiterschreiben, Wegner!

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