03.07.2018

Warum wir alle Bauchweh haben

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Brunel Johnson
Wir haben alle Bauchweh ob des CDU-CSU-Kompromisses. Das liegt vor allem daran, dass das eigentliche Problem der Merkel-Migrationskrise nicht einmal im Ansatz gestreift wird.
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Leo, gehst du Brötchen holen? – Klar, Papa! – Hier sind 5 Euro, bring mir das Wechselgeld wieder. – Mach ich, Papa!

Leo kommt wieder. Er bringt vier Tafeln Schokolade mit, keine Brötchen und kein Wechselgeld. Wo sind die Brötchen, Leo?, frage ich. Aber Papa, sagt Leo, das ist doch wirkungsgleich!

Die Pointe mit dem Wörtchen »wirkungsgleich« habe ich erfunden, klar, der Rest ist durchaus so ähnlich passiert. Mehrfach. Ich bestelle das eine und erhalte das andere. Es ist noch nicht mal schlecht, was Leo mitbringt anstelle dessen, worum ich eigentlich bat, aber eben etwas anderes! So sind sie, die Kinder – oder die CSU-Vorsitzenden.

A gefordert – B, C und D bekommen

Der Seehofer-Horst hat mit der Merkel-Angela gerungen. Zwei Wochen lang. Wenn er in seinem Ringen die Merkel-Angela gestürzt hätte, dann wären ich, Deutschland und Europa ihm zum Dank verpflichtet gewesen. In Geschichtsbüchern hätte man seiner großen Tat gedacht! Aber Nein, dafür reichte dem bayerischen Löwen der Biss nicht.

Die CSU trat mit einer durchaus vernünftigen Forderung an die Kanzlerin der Schmerzen. Man wolle an Deutschlands Grenzen mindestens die Menschen zurückweisen dürfen, denen schon einmal die Einreise verwehrt worden war. Deutschlands absolute Grenzoffenheit ist rechtlicher und praktischer Irrsinn. Es wäre zu begrüßen gewesen, zumindest die absurdeste Konsequenz des Open-Borders-Extremismus abzustellen.

Seehofer ging also in die Verhandlung mit der Forderung, abgelehnte Asylbewerber nicht mehr ins Land zu lassen. Er riskierte darüber, die Regierung platzen zu lassen. Es hatte seine moralische Berechtigung! Ein Land ohne Grenze ist nicht Land, sondern Beute. – Nach nächtlichen Verhandlungen und sichtbarer Alterung beider Akteure um Jahre innerhalb von Tagen hatten sie einen »Kompromiss«. Man einigte sich darauf, von den 3757 Kilometern deutscher Grenze immerhin auf den 815 Kilometern nach Österreich hin »ein neues Grenzregime« zu errichten und »Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise zu hindern«. (Transkript, siehe z.B. spiegel.de, 2.6.2018)

Wenn jemand über die österreichische Grenze nach Deutschland kommt, dann wird so getan, als ob er nicht eingereist sei, Stichwort »Fiktion der Nichteinreise« – und er wird in ein ein »Transitzentrum« gebracht? Dann wird geprüft, ob vielleicht ein anderes EU-Land für ihn zuständig ist. Und dann wird er dorthin zurückgewiesen – falls dasjenige Land damit einverstanden ist, Stichwort »Verwaltungsabkommen«. Wenn dasjenige Land damit nicht einverstanden ist, dann wird er nach Österreich zurückgewiesen.

Revolution Zurückweisung

Auf eine gewisse, verdrehte und inzwischen total normale Art ist dieser Kompromiss eine Win-Win-Situation:

Seehofer hat »gewonnen«: Seehofer hat Merkel erpresst, die Vokabel »zurückweisen« zu verwenden.

Merkel hat »gewonnen«: Der Seehofer-Merkel-Kompromiss ist mit einem Tor zu vergleichen, an welches links und rechts kein Zaun angrenzt, so dass jeder um das Tor herumgehen kann – aber was für ein imposantes Tor ist es doch!

Merkel hat verloren, sie wurde von Seehofer erpresst – womit sie als erpressbar vorgeführt wurde. Seehofer hat verloren, denn er hat Merkel erpresst – fragen Sie den Ex-FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler, wie es ihm erging, nachdem er Gauck als Bundespräsidenten »vorgeschlagen« hatte. Merkel war politisch brüskiert und Rösler war politisch (endgültig) vorbei.

Die Lücken

Juristische Dokumente sind so lang und kompliziert, weil sie alle Details klären und offene Fragen vermeiden wollen. Man hört manchmal den dummen Vergleich, dass Gott nur zehn Gebote braucht, aber die EU-Bananen-Krümmungs-Verordnung so und so viele Seiten lang sei – dem ist einfach zu entgegnen: Dafür wird es über die EU-Bananen-Krümmungs-Verordnung keine Religionskriege über verschiedene Deutungen geben.

Der »Kompromiss« ist kurz, es sind Leerstellen drin. Es ist nicht alles eindeutig. Es wird Religionskriege geben.

Es ist von »Transitzentren« die Rede. Es bleiben Fragen offen: Wie viele? Wo? Wie schnell gebaut? Was geschieht, bis sie gebaut sind? Geschlossen oder offen?

Es ist von »Verwaltungsabkommen« die Rede, die »wir … abschließen« wollen mit anderen Ländern. Wie stehen die Chancen dafür, wenn die allermeisten Länder auf den Fluchtrouten ihre Abneigung gegen Merkels Welteinladung überdeutlich gemacht haben und selbst auf Merkels »Überredung via deutschem Steuersäckel« nicht mehr anzuspringen scheinen? Wie redlich ist es, zukünftige Abkommen zum zentralen Punkt des Gegenstandes zu machen, wenn es unwahrscheinlich ist, dass diese zustande kommen?

Es geht um die deutsch-österreichische Grenze. Was hindert illegale Migranten daran, einfach zum Beispiel via Tschechien einzureisen? Wenn etwas sie hindern sollte, dann doch tschechische Grenzkontrollen – und wäre das nicht der angeblich zu vermeidende »Domino-Effekt«?

Falls es kein »Verwaltungsabkommen« mit anderen Ländern gibt, soll »an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich« zurückgewiesen werden. Diese Vereinbarung gibt es noch nicht. Was genau soll die Motivation Österreichs sein, eine Vereinbarung zu treffen, die zu chaotischen Zuständen in ihrem eigenen Land führen würde?

Fazit: Der »Kompromiss« zwischen CSU und CDU baut wesentlich auf noch zu schließende Abkommen und Vereinbarungen mit Ländern, die deutlich gemacht haben, dass sie ausdrücklich keine Lust auf solche Abkommen haben.

Der Berg hat gekreißt und ein Transitzentrum geboren. Die Einwanderer werden Trampelpfade finden, um den Berg und alle Transitzentren herum.

Das Problem

Das eigentliche Problem wurde nicht gelöst. Es wurde nicht einmal im Ansatz angegangen.

Erlauben Sie mir, die simple Frage zu stellen: Was waren die »relevanten Strukturen« der Verhandelnden? War es das Wohl des Landes? Eine nachhaltige Migrationspolitik? Eine Eindämmung des Sterbens im Mittelmeer? Bekämpfung der Schlepperei? Sicherheit der deutschen Bürger? Durchsetzung des Rechtsstaats?

Nichts davon. Seehofer wollte Merkel dazu zwingen, auch mal »Zurückweisung« zu sagen – ob es in der Praxis sinnvoll umsetzbar ist oder nicht. Merkel wollte die Grenzen offen halten – und an der Macht bleiben. Sie bleibt an der Macht. Bis die Transitzentren ausgehandelt, geplant und gebaut sind, und bis mit mindestens Wien eine Vereinbarung getroffen ist (mit Kurz, wohlgemerkt!), werden wohl auch alle Grenzen offen bleiben, und selbst danach blieben immer noch die meisten 100% offen. Und, selbst danach, bleibt selbst die Grenze zu Österreich offen für alle, die nicht anderswo registriert wurden – oder deren Registration sich nicht nachweisen lässt.

Die Lösung

Der Kern der Merkelkrise ist das Versprechen, dass jeder, der es nach Deutschland schafft, gratis Kost und Logis erhält. Selbst wenn der »Kompromiss« durchgesetzt würde, dann würde eben der Reiseweg ein wenig länger werden. Wenn die österreichische Grenze zur Einreise wegfiele, hat Deutschland etwa 2900 Kilometer weitere Grenzen. Spätestens seit Anis Amri ist bekannt, dass er über die Schweiz nach Deutschland kam und über Frankreich wieder heraus, siehe z.B. welt.de, 23.12.2016.

Die Überwachung von Grenzen ist ja kein Selbstzweck! Open-Border-Lobbyisten mögen behaupten, wer die Grenzen schließen will, der sei Rassist und wolle zudem masochistisch in Wahrheit an der Grenze auf dem Weg in den Urlaub im Grenzstau stehen. Das ist Unsinn, selbst wenn man wirklich noch in den Urlaub autofährt statt billigfliegt. Die Kritiker der Welteinladung wollen einfach nicht, dass ihre Heimat zum No-Go-Area-Flickenteppich und die Schulen ihrer Kinder zu Krisengebieten werden. Selbst wenn ab jetzt kein einziger Mensch neu illegal nach Deutschland käme, würden sich die aktuellen Probleme durch Familiennachzug vervielfachen. (Wenn selbst Bärtige mit faltigen Gesichtern als »Minderjährige« durchgehen, wie sollen wir den Prüfungen glauben, wer alles wirklich verwandt ist?)

Das Grundproblem der Merkelkrise ist, dass irgendwelche inneren Mächte die deutsche Kanzlerin zu drängen scheinen, die Verantwortung für alles Leid der Welt auf sich zu nehmen – und damit das Leid der Welt nach Deutschland zu ziehen. Merkel handelt wie jemand, der auf dem Rücken der deutschen Bürger ein Erlösersyndrom ausleben möchte. Von vielen ungeklärten Faktoren abhängende, zukünftige »Transitlager« an der einen Grenze zu Österreich werden das nicht lösen.

Noch bevor sich Afrika zu Hunderttausenden aufmachte, Merkels »freundlichem Gesicht« zu folgen und sich auf die tödliche Route nach Europa und Deutschland zu machen, hatte Australien mit ähnlichen Problem zu kämpfen. Auch in Australien musste man erleben, dass die Leichen ertrunkener Migranten an die Strände angeschwemmt wurden. Auch in Australien war die Debatte mit von linken Traumtänzern geprägt, aber eben nicht nur. Die Vernunft setzte sich durch.

Australien setzt heute auf »boat turnbacks« und »immigration detention«, verbunden mit »offshore processing«. Es wird versucht, zu vermeiden, dass Asylbewerber erst einmal »Anker werfen«. Wer nach Australien will, soll keine Motivation und keine Gelegenheit haben, das Land illegal zu betreten. Schon 2015 wurde von Australien aus empfohlen, dass Europa die »stop the boats policy« übernimmt – siehe z.B. theguardian.com, 22.4.2015. Es ist erfolgreich. Die Anzahl der in Australien via Boot ankommenden Migranten geht wieder gegen Null.

Ein hoher EU-Diplomat soll gesagt haben, die CDU-CSU-Vereinbarung sei »die ganz hohe Kunst der Verarsche«. Es ist vor allem eine Übung in Verdrängung der Wirkzusammenhänge. Das ist, warum wir alle Bauchweh haben ob dieses »Kompromisses«.

Merkels Migrationskrise ist ein Motivationsproblem: Menschen werden motiviert, nach Europa und Deutschland zu kommen – gleichzeitig wird ihnen keine Motivation und keine Anleitung gegeben, ihre Probleme selbst und vor Ort zu lösen.

Weiterschreiben, Dushan!

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