Dushan-Wegner

15.07.2019

Ich fürchte die Charismatiker mehr als die Krisen

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Ken Cheung
Eben noch ging es um »Seenotrettung« (sagt nicht »Weiterreise für Schlepperkunden«!), nun also um Massen-Aufnahmen und »Klima-Flüchtlinge«. Nein? Doch! Oh! – Wer hat diesen NGOs den demokratischen Auftrag gegeben? Wer hat Greta, Luisa, Carola gewählt?!
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Es ist uns angeboren, so wie das Atmen angeboren ist, so wie die Freude an der Sonne und die Lust auf Sahnetorte, ja, es ist uns angeboren, und doch sind wir uns dieses Drangs oft nicht bewusst: Wir wollen regiert werden, wir wollen Macht über uns spüren, und wir wollen, dass es eine Macht ist, von der wir zugleich auch spüren, dass es richtig ist, von genau dieser Macht regiert zu werden.

Nicht nur unser Wunsch, regiert zu werden, ist angeboren, sondern auch die Kriterien, wonach wir bestimmen, wem wir die Macht über unser Leben geben, wen wir als legitim empfinden – und das ist, wo die Probleme beginnen.

Die Fähigkeit, seine Mitmenschen auf emotionaler Ebene davon zu überzeugen, einem die Macht zu übertragen, nennt man auch Charisma.

Eigentlich war »Charisma« einst ein nützlicher psychologischer Mechanismus, anhand dessen Menschen bestimmen konnten, wer der geeignete Häuptling für ihren Stamm sein sollte. Wer sich selbstbewusst gab, wer Kämpfermut und Stärke bewies und zur Masse zu sprechen wusste, wer immer eine Antwort wusste und von Moral zu sprechen verstand, dem gaben die Menschen, schon vom Bauchgefühl her, gern den Auftrag, über ihr Leben und ihren Stamm zu bestimmen – ohne weiter mit dem Kopf nachzudenken.

Anders als Gesellschaft und Wissenschaft hat sich die Seele des Menschen seit der Savanne wenig weiterentwickelt. Wir sind Büffeljäger und Beerensammler mit Autos, Bomben und Internet. Wir wollen glauben, dass wir unsere Entscheidungen vernünftig treffen, ob an der Supermarktkasse oder im Wahllokal, doch allzu oft fällt die Entscheidung in den außerrationalen Teilen der Seele, in dem, was man das Bauchgefühl nennt.

Priester und Könige

Wir sind Büffeljäger und Beerensammler in einer Welt mit Autos, Bomben und Internet, und diese Differenz macht uns ausnutzbar und manipulierbar. Gewiefte Köpfe haben gelernt, unsere angeborenen, einst nützlichen Eigenschaften zu deren Vorteil zu nutzen – oft ohne Rücksicht auf die Schäden solcher »Optimierung«.

Ein bekanntes Beispiel: Dem Menschen ist es angeboren, nach Zucker, Fett und Salz zu verlangen – einst waren es zwar wichtige, aber sehr schwierig aufzutreibende Nahrungsbestandteile – also finden sich Zucker, Fett und Salz in viel zu großen Mengen in vielen von Konzernen hergestellten Nahrungsmitteln. Die »Optimierung« von Nahrung auf angeborene Triebe des Menschen hin sichert den Profit – und macht die Menschen krank.

Noch ein Beispiel: Es ist dem Menschen angeboren, von übrigen Stammesmitgliedern gelobt werden zu wollen, und zwar für Eigenschaften und Handlungen, die früher für den Stamm von Nutzen waren. Wenn ein Stammesmitglied besonders biologisch fit war, nutzte das dem ganzen Stamm. Diese angeborene Verkabelung nutzen »Soziale Medien«, wenn sogenannte »Influencer« freizügige Bilder veröffentlichen, auf denen sie ihre sekundären Geschlechtsmerkmale und andere Belege ihrer Tauglichkeit als Fortpflanzungspartner präsentieren, wofür sie von ihrem Publikum durch zustimmende »Likes« belohnt werden. – Es macht die jungen Menschen auf beiden Seiten kaputt und reduziert Kommunikation auf Hintern-Brust-Sixpack-Luxusuhr-Strand und es reduziert den Ausdruck von Emotionen auf Klicks im virtuellen Raum, doch man kann gut Produkt-Werbung dazwischenschalten – und wer fragt schon nach dem Schaden in der Gesellschaft, wenn es in der Kasse klingelt?

Und, schließlich: Schon die Priester und Könige von anno dazumal wussten, dass es unter anderem große Gesten braucht, um das Volk gern gehorsam zu halten, um Charisma zu entwickeln und ihre charismatische Herrschaft zu begründen. Es hat seinen Grund, warum der Thronsaal durchschritten werden muss, um sich dem König zu nähern. – Warum werden Moderatoren und Nachrichtensprecher so großzügig bezahlt – auch und gerade im Staatsfunk? Weil sie, auch mit Hilfe von Schminke und Training, das Charisma entwickeln, die Menschen zu überzeugen, ihnen »vom Bauchgefühl her« zu glauben. – Propagandisten und PR-Psychologen sind in der Lage, wie auf Knopfdruck Charisma zu erzeugen, wenn der Kandidat zumindest ein Minimum an Voraussetzungen mitbringt – und manchmal auch ganz ohne, siehe Merkel – im Zweifelsfall hilft Disziplin (siehe »Talking Points«).

Was es braucht

Wir erleben in der letzten Zeit eine merkwürdige Abfolge von Figuren, die »wie aus dem Nichts« als (mehr oder weniger) charismatische Figuren aufgebaut werden – tendenziell Frauen, tendenziell jung.

Da war etwa die junge Schwedin Greta Thunberg, die augenscheinlich begleitet von professioneller PR-Arbeit (siehe auch »Lache, wenn du dich nicht zu weinen traust«) als eine Art neuer »Heiligen Jungfrau« und de facto zur charismatischen Prophetin aufgebaut wurde. Da ist eine Frau Luisa Neubauer, die man auch als Moderatorin buchen kann. Da ist ein eher feige namenlos auftretender »Rezo« mit einem Medienkonzern im Impressum (siehe »Umweltpanik? Nein, danke!«).

Diese Charismatiker scheinen zu gehen und zu kommen, und sie haben immer wieder die gleiche Botschaft, unterfüttert mit wenig außer Schlagwort-Moral und medial verstärktem Charisma.

Die jüngste Volte im Charismatiker-Zirkus wird um eine Dame namens Carola Rackete gespielt.

Frau Rackete, Geburtsjahr 1988, ist bekannt als Kapitänin eines jener Schiffe, die im Mittelmeer kreuzen, um dort von Schleppern aufs Meer gebrachte Migranten an Bord zu holen und nach Europa bringen. Rackete war auf dem Spiegel-Cover 28/2019, sie wurde vom Staatsfunk interviewt und zitiert (siehe etwa zdf.de, 10.7.2019).

Aktuell hat die BILD-Zeitung ein Interview mit Frau Rackete auf ihrer Homepage, inklusive Video (bild.de, 15.7.2019) – und dieses Interview ist auf der berühmten »Meta-Ebene« extra spannend. Die Fragen stellte der BILD-Reporter Paul Ronzheimer.

Gleich zu Beginn des Interviews wird, beabsichtigt oder nicht, ein Framing gesetzt, ein Deutungsrahmen.

Die ersten beiden Fragen lauten:

Frau Rackete, BILD titelte über Sie: »Verbrecherin oder Vorbild?« Was trifft auf Sie zu?
(…)
Also sehen Sie sich als Vorbild?
(bild.de, 15.7.2019, der erwähnte Titel ist bild.de, 1.7.2019)

Ich sage nicht, dass der BILD-Reporter hier bewusst »Framing« praktiziert, also zielgerichtet einen Deutungsrahmen setzt – ich stelle fest, dass hier das Framing »Vorbild« passiert, und zwar, auch in der allgemeinen Debatte, nicht nur hier. Wer Vorbild sein könnte, der könnte auch charismatische Führungspersönlichkeit sein. Es ist auch die Aufgabe einer Zeitung – erst recht einer selbstbewussten Boulevardzeitung! – die Stimmung im Volk zu spiegeln, und vielleicht ist das eben einen Stimmung – doch warum?

Das Interview nun ist überschrieben mit dem Titel:

»Wir müssen auch Klima-Flüchtlinge aufnehmen!«
(Titel von bild.de, 15.7.2019)

Im Interview selbst findet man diese Forderung in ausformulierter Form:

Der Zusammenbruch des Klimasystems sorgt für Klima-Flüchtlinge, die wir natürlich aufnehmen müssen.
(Carola Rackete in bild.de, 15.7.2019)

»Zusammenbruch« ist die Sprache »charismatischer Situationen«. – Der aufmerksame Leser merkt hier auf und fragt sich: Moment! Ging es bei der Seenotrettung nicht darum, Menschen in Seenot zu helfen? Wann wurde Carola Rackete zur politischen Vertreterin von irgendwem gewählt? Welcher demokratische Prozess – und von Medien verbreitete Moral-Panik ist kein demokratischer Prozess – welche nachvollziehbar strukturierte Debatte brachte Frau Rackete in die Position, von Massenmedien millionenfach verstärkt moralische Forderungen zu stellen?

Die Behauptung, dass es Seenotrettern in Wahrheit nur um die Umsiedelung von Bewohnern Afrikas nach Deutschland geht, wenn es sich ergibt implizit und indirekt mit Schleppern kooperierend, all diese Behauptungen galten als »Verschwörungstheorien« von »Rechten« und »Populisten« – und jetzt wird es von einer »Seenotretterin« in aller Offenheit gefordert, Menschen umzusiedeln, als »Klima-Flüchtlinge«, die »die wir natürlich aufnehmen müssen«.

Wir lesen (und sehen im Video):

Asyl kennt keine Grenze!
(…)
Die, die in Libyen sind, müssen dort sofort raus in ein sicheres Land!
(Carola Rackete in bild.de, 15.7.2019)

Und so weiter, und so fort. Wie schnell die Debatte von Seenotrettung zur gesteuerten Umsiedelung geht!

Frau Rackete bringt einiges mit, was es braucht, um zum Charismatiker aufgebaut zu werden. Ein Team des Staatsfunks hat ihren Einsatz im Mittelmeer entsprechend dokumentiert – Zyniker könnten sagen »glorifiziert« (siehe etwa ard.de, 11.7.2019).

In einem gefühlten Vakuum

Der Soziologe Max Weber beschreibt mit dem Begriff der Charismatischen Herrschaft die Beziehung zwischen einem Charismaträger, dem Herrscher, und dem Charismagläubigen, sprich: dem Volk. Der Soziologe Rainer Lepsius hat Webers Ansatz weitergedacht und zusätzliche Situationen Charismatischer Herrschaft beschrieben.

In einem gefühlten Vakuum sucht das Volk nach einer charismatischen Führungspersönlichkeit, wenn notwendig auch an Vernunft, Demokratie und Rechtsstaat vorbei. Heutige scheinbar wie aus dem Nichts auftretende NGOs, medial angeheizte Klimahysterie und eine allgemeine moralische Panik erzeugen das Gefühl, dass »etwas getan werden muss«. Charismatische Situationen wie die Angst vor dem bevorstehenden Untergang oder der angeblichen Bedrohung des Überlebens lassen das Volk nach Charismatikern rufen. Wenn ein Volk vor dualistische Kampf-Situationen gestellt wird (Kampf gegen Rechts, Kampf gegen Klimawandel), legt es seine demokratische Bildung ab (so es welche hat) und fällt in instinktive Muster zurück.

Sicher, die neuen Instant-Charismatiker haben jeweils eine Laufzeit von wahrscheinlich nur ein paar Wochen oder höchstens Monaten, doch sie vertreten alle ungefähr eine von zwei Stoßrichtungen, nicht selten beide: Von außen betrachtet scheinen die neuen Instant-Charismatiker darauf zu zielen, via Klimahysterie die westliche Wirtschaft zu lähmen und/oder via unbegrenztem Zuzug in westliche Gesellschaften (und Sozialsysteme) eben diese nachhaltig zu beschädigen – und wenn nicht, was ist ihr eigentliches Ziel? Cui bono?

Wir wissen, dass hinter der Finanzierung einiger NGOs ausländische Kräfte stecken. Wir wissen, dass einige Social-Media-Angebote, die anti-westliche politische Richtungen zu fördern scheinen, auch ausländische, nicht-westliche Investoren und Teilhaber ihr eigen nennen. Doch, insgesamt, habe ich keine zufriedenstellende Theorie dazu, warum neue »moralische Charismatiker« aufgebaut werden – das heißt aber nicht, dass es nicht geschieht!

Wenn ich ein Schiff sehe, doch nicht weiß, wer der Kapitän eines Schiffes ist, oder ob das Schiff überhaupt einen Kapitän hat statt auf Autopilot zu fahren, dann ist da noch immer ein Schiff, das sehe ich ja! Der Regen regnet, auch wenn ich nicht weiß, wer ihn befohlen hat – ob jemand ihn befohlen hat. Der Wind bläst, auch wenn ich nicht weiß, warum er bläst, ob jemand eine große Windmaschine bedient, oder ob der Wind ganz von selbst bläst.

Derzeit erscheinen alle paar Wochen neue Charismatiker auf der medialen Bildfläche, und ich weiß nicht, wer sie aufbaut, und ich kann nicht wissen, ob sie überhaupt jemand aufbaut, doch ich sehe, dass sie allesamt in ähnliche Richtung zielen, und dass sie Entscheidungen an demokratischen Prozessen vorbei beeinflussen zu wollen scheinen – ich sehe, dass es geschieht, und ich fürchte, dass es funktionieren könnte.

Seit jeher schon

Es ist uns angeboren, uns nach einer Macht über uns zu sehnen – doch wir sollten es als Demokraten mit demokratischer Bildung und schlichter Vernunft tun. Der Bürger in der Demokratie, so er auch weiter in einer Demokratie leben möchte, sollte seine Mächtigen nicht nur nach angeborenen Instinkten aussuchen, nicht nur danach, was ihm vorgesetzt und via Moral und Panik aufgedrängt wird, sondern zuerst danach, was gut für ihn ist – als Individuum, als Stadt, als Gesellschaft und als Volk.

Wenn Politik, Staatsfunk und teils aus dem Ausland finanzierte NGOs zusammenarbeiten, um die Bürger dahin zu massieren, ihre Vernunft zu ignorieren (»kein Populist sein«) und Charismatikern zu folgen (»wir sind mehr«), dann werden wir die Mehrheit nur schwer vom Gegenteil überzeugen können.

Charismatische Herrschaft ist immer absolut, sie duldet keinen Widerspruch und keine Kritik. Charismaträger und Charismagläubige verlangen beide Unterwerfung unter die charismatische Herrschaft, seit jeher schon.

Es bleibt uns wenig anderes übrig, als für uns selbst zu beschließen, mit der Vernunft statt mit dem Bauch zu entscheiden, wem wir wirklich folgen wollen. – Hütet euch vor den Charismatikern und warnt eure Kinder vor ihnen – und denkt mit eurem eigenen Kopf!

Wer heute selbst denkt, der kann dafür einen hohen Preis zahlen – wer aber heute nicht selbst denkt, der wird dafür morgen einen noch weit höheren Preis zahlen.

Weiterschreiben, Wegner!

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