12.08.2018

Eine Abrissbirne schwingt umher in Europa

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Medena Rosa
Merkel sitzt auf dem Bagger und schwingt die Abrissbirne über Europa. Die Staaten sind panisch damit beschäftigt, ihren Schlägen auszuweichen. Was wird bleiben, wenn man die Dame aus dem Fahrerhaus geleitet?
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Vielleicht kennen Sie Jean Richer nicht, aber jetzt, indem Sie diesen Satz lesen, kennen Sie immerhin schon den Namen, und vom französischen Vornamen können Sie darauf schließen, dass man den Nachnamen wohl auch französisch ausspricht, also ungefähr »rischee«. Herr Rischee, pardon, Herr Richer war ein französischer Astronom im siebzehnten Jahrhundert. Das wissen Sie also jetzt auch.

Herr Richer reiste mehrmals im Auftrag der Wissenschaft in ferne Teile der Welt, und er hatte Pendeluhren dabei. Er stellte fest, dass ein Uhrpendel in Cayenne (Französisch-Guayana), also nahe am Äquator, kürzer eingestellt werden musste als in Paris. Daraus schlussfolgerte er, richtig, dass die Erdanziehung dort ein klein wenig geringer war – und daraus wiederum, ebenfalls richtig, dass die Erde nicht vollkommen rund ist, sondern oben und unten ein klein wenig plattgedrückt. (siehe auch encyclopedia.com)

Wir nennen ein Pendel ein Pendel, weil es pendelt, doch genau genommen ist das Pendeln des Pendels nichts als der bestmögliche Versuch des am Pendel befestigten Gewichts, eine Lage in Einklang mit der Erdanziehung zu bringen, quasi »seine Ordnung« wiederherzustellen. Je stärker die Erdanziehung, um so früher wird das Pendel zur Ruhe kommen – außer natürlich irgendwelche Störenfriede bringen das Pendel vorher wieder aus der Ruhe.

Das Europäische Pendel

Es gibt einen Typus von Intellektuellen, der erst das Haus anzündet und dann über das Feuer jammert. Als Merkel 2015 ihr Kartenhaus der guten Absicht aufbaute, riefen sie »Oha!« und »Höher!«, doch jetzt, wo Karte für Karte zusammenbricht und unter sich die Bürger begräbt, da mutieren die Zündler zu Mahnern und Sorgern. Ein solcher Journalist könnte nun darüber jammern, dass in Schweden demnächst jeder Vierte eine Partei wählen wird, deren Gesichter teilweise von Rechtsaußen kommen (die »Schwedendemokraten«). Sind ein Viertel der Schweden jetzt »Rechte« geworden (also im modernen, negativen Sinn)?

Vielleicht sind auch immer mehr Schweden es einfach nur leid, dass Schießereien so häufig wurden, dass sie nicht einmal mehr in den Nachrichten berichtet werden, und dass in immer mehr Ländern davor gewarnt wird, man möchte bitte keine »schwedischen Verhältnisse« haben. (siehe z.B. politico.eu, 1.1.2018)

Spanien ist auch wieder nicht mehr ganz so begeistert von dem ganzen Merkelprojekt (siehe z.B. tagesschau.de, 11.8.2018) – »Refugees welcome« zu rufen fühlt sich gut an, wenn es dann aber tatsächlich passiert, fühlt sich das unter Umständen ganz anders an. Spanien hat ja eine neue, sozialdemokratische Regierung. Der Regierungschef begann damit, dass er einem NGO-Schiff, das Italien nicht haben wollte, einen Hafen bot. Mehr als nur ein Akt der Nächstenliebe, ein deutliches Signal an die Schlepper: Wir sind hier, bereit an Italiens Stelle zu treten. Zweifellos ein »Merkelmoment«. Die Bürgermeister der betroffenen Städte können es nicht fassen. Die Hafenstadt Algeciras wird schon als neues Lampedusa gehandelt. Und wie zuvor schon an der französisch-italienischen Grenze, macht Frankreich nun auch an der französisch-spanischen Grenze keinen Hehl daraus, ein Dublin-Fan zu sein. Frankreich lehnt aus Spanien kommende und nach Deutschland durchreisende Migranten an der französischen Grenze ab und nimmt teils Zustände in Kauf, die an »Anarchie« erinnern (siehe z.B. welt.de, 11.8.2018).

Italien erlebt Angriffe auf Migranten (siehe z.B. tagesschau.de, 10.8.2018), aber auch Angriffe von Migranten auf Behörden (z.B. euronews, 24.8.2017) – wer die Bilder sieht, denkt unweigerlich an Bürgerkrieg. Kein Wunder, dass Italien das Geschäft der Schlepper nicht fördern will und NGO-Schiffe abweist. Europas Pendel schlägt zurück, und weil es sehr weit zur einen Seite ausgeschlagen war, könnte es sein, dass es erstmal auch in die andere Richtung hier und da weit ausschlägt. Es bräuchte eine starke Kraft in der vernünftigen Mitte, doch wo sollte die herkommen?

Eine Politik, die keine Werte mehr kennt und von Emotionen getrieben wird, kann gar nicht anders, als wild wie ein Pendel im Wind zu schwingen. Europas Pendel schwingt derzeit für manchen Geschmack arg stark, und wer dem großen Pendel im Weg steht, der kann die Stahlkugel gegen den Kopf bekommen, und das will wirklich keiner. Die unkontrollierte Migration ist die Abrissbirne Europas; am Lenkrad des Baggers sitzt Merkel und lässt die Stahlkugel durch Europa fliegen. Die Staaten Europas sind heute ganz wesentlich damit beschäftigt, dem wilden Merkelpendel auszuweichen.

Das Stück Strecke weiter vorne

Merkels Politik war erst nur kurzatmig, inzwischen japst und keucht sie asthmatisch. Ist es das, was »der Wähler« will?

Vertun wir uns nicht: Politik, die auf lange Sicht statt nur kurzfristig reagierend denkt, hat es nicht leicht. Wer dankt denn Schröder für Agenda 2010?

In der Fahrschule lernt der Schüler, beim Autofahren nicht nur auf den jeweils nächsten Meter und das kommende Hindernis zu starren, sondern auf das Ende der Kurve, auf das Stück Strecke weiter vorne, wo er doch eigentlich ankommen will. Wäre der Fahrschüler ein demokratischer Politiker, könnte er antworten: Schön und gut, doch erstmal muss ich gewählt werden, und wie es am Ende der Kurve ist, das kann danach noch ganz anders aussehen.

Es liegt an uns, den Bürgern und Wählern, Politiker zu fordern, die über den Moment hinausdenken, die »einen Plan haben«. Merkel hat schon 2015 implizit zugegeben, dass sie keinen Plan hat.

Jean Richer stellte im siebzehnten Jahrhundert fest, dass die Erdanziehung nicht überall gleich stark ist – und doch es gibt sie überall. Überall auf der Erde versucht das Pendel wieder in seine Mitte zu kommen, und das macht uns manchmal Angst – aus gutem Grund. Dass das Pendel in Europa zurückschwingen will, ist gefährlich, wie jeder Pendelschwung dieser Dimension, aber doch etwas Gutes. Europa hat sich noch nicht abgefunden mit Merkels Abrissbirne! Das Pendel Europa schwingt noch, und das ist ein Zeichen zur Hoffnung, so wie Fieber ein Zeichen ist, dass der Körper noch kämpft!

Das Pendel schwingt nicht, weil es schwingen will, sondern weil es zur Ruhe kommen möchte. Das Pendel Europa will zur Ruhe kommen. Es ist Zeit, die Frau und die Parteien abzuwählen, die es so wild und gefährlich aus seiner stabilen Lage gebracht haben.

Weiterschreiben, Dushan!

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