ESSAY HÖREN
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Was will ich heute lernen? – Sollte das nicht unsere erste Frage des Tages sein? Oder eine unserer ersten Fragen, gleich nach der Frage, wofür wir alles dankbar sind. Von mir aus nach der Bestandsaufnahme, was heute wehtut – und was heute zu tun ist.
Wenn es nach der Werbung ginge, wäre die erste Frage des Tages wohl: Was soll ich heute kaufen?
Wenn es nach Beziehungsratgebern ginge, wäre die erste Frage: Wie zeige ich heute meinem Partner, dass er mir viel bedeutet?
Wenn es aber nach Journalisten, Propagandisten und manch anderen Isten ginge, dann wäre die erste Frage des Tages eine andere, und zwar: Wovor haben wir heute Angst?
Ein neuer Tag, eine neue Angst, seit vielen Tausend Tagen schon.
Angst vor Atomkraft. Angst vor Bildschirmtext. Angst vor Erderwärmung. Angst vor neuer Eiszeit. Angst vor Abweichlern. Angst vorm Terror. Angst vor Virus.
Über und hinter allem aber die mit Milliarden Euro geschürte Angst der Bürger, das Falsche zu sagen, das Falsche zu denken, das Falsche zu fühlen.
»Ich habe keine Angst mehr«, so schrieb ich einst, und ich meinte Angst davor, öffentlich Zwei und Zwei zu addieren, und als Ergebnis frecherweise zu sagen: »Vier!«
Ich stellte mich meiner Angst, und ich beschloss, trotz meiner Angst zu handeln, zu schreiben, schlicht hinzuschauen. Ich redete mir Mut zu.
Angst kann Leben schützen, doch Angst ist nicht das Leben selbst.
Angst, die von Politik und Propaganda geschürt wird, diese Angst kann und also wird sie auch das Leben abwürgen – während sie wohlgemerkt die Taschen manch teurer Taugenichtse anschwellen lässt.
Angst ist eine Warnsirene. Angst kann nützlich sein – doch nur gellende Sirenen um uns herum kreischen zu hören, das frisst die Seele auf, das gebiert den Wahnsinn.
Soll ich mir denn Angst einreden lassen von Gestalten, die in eigener Sache dieselben Ängste ganz demonstrativ eben nicht pflegen?
Dazu, gewissermaßen spiegelverkehrt: Wie soll ich diesen Leuten glauben, wenn sie sich selbst vor bestimmten Gefahren schützen, vor denen Angst zu haben sie doch für unmoralisch erklärt haben?
Ich spüre wieder Angstfreiheit, doch es ist eine andere, eine neue Angstfreiheit – aber eine Freiheit ist es doch.
Diese Angstfreiheit ist nicht Mut. Es ist nicht der Seele fester Entschluss, was heute meine Angst zurückhält.
Es ist eher eine Taubheit. Deren Überdrehen wird zu meiner Angstmüdigkeit.
Man sagt, der Mut sei ein Muskel, der zu trainieren sei. Ich ahne heute, dass auch die Angst wie ein Muskel ist, und meine Angst ist müde. Meine Angst ist erschöpft. Vielleicht sind sogar einige Fasern meiner Angst gerissen.
Ich höre die Ansagen, was und wovor ich mich fürchten soll. Es zieht nicht mehr. Es will sich keine Angst mehr einstellen. Und wenn es ein Fehler ist, dann ist auch das eben so.
Vorsicht, ja. Klugheit sowieso. Und Sorge auch, ohne etwas Sorge wären wir doch arg naiv – doch Angst, Angst geht gerade nicht.
Etwas in mir verweigert sich einfach der morgendlichen Frage, wovor ich heute Angst haben soll.
Meine Frage zum Morgen sei also auch weiterhin: Was werde ich heute lernen?
Und zum Abend will ich dann fragen: Was habe ich heute gelernt?
In diesen Tagen könnte die Antwort wieder lauten: Ich habe offenbar gelernt, keine Angst zu haben.