Was für eine Aufregung! Der Europapark wollte – sarkastisch gesagt – seine Übernachtungsgäste ein Stück unserer Geschichte nacherleben lassen, aber in modernem Kontext. Es wäre de facto ein soziales Experiment, wie wir es sonst eher aus alten Berichten über Sozialversuche an amerikanischen Schulen kennen. (Ein Leser weist mich darauf hin, dass es sich um Übernachtungsgäste handelte, nicht um alle Besucher.)
Der Europapark, so wurde berichtet, präsentierte seine eigene Vision eines Europas der Zukunft. Man wollte Übernachtungsgäste mit farbigen Bändern kennzeichnen und erkennbar machen, ob sie mRNA-injiziert, genesen oder weder-noch sind (auch datenschutzrechtlich spannend).
Jeder Übernachtungsgast sollte anhand eines Stück Stoffs am Körper erkennbar sein, ob dieser de facto zur Klasse der »Reinen« oder »Nicht-ganz-so-Reinen« gehört.
Ein kleinerer Online-Skandal formierte sich, ein Sturm im Twitterglas. Die Führung des Europaparks zuckte wahrscheinlich mit den Schultern, und gab halb-motiviert den Rückzugsbefehl: »Europapark entschuldigt sich für andersfarbige Bändchen für Geimpfte und Ungeimpfte«, so lesen wir aktuell (welt.de, 20.8.2021).
Wohlgemerkt: Man behält auch weiterhin die Praxis bei, nur die »Reinen«, also »Geimpft, Getestet, Genesen«, in den Park zu lassen – die »Unreinen« lässt man gar nicht erst in den Park (so europapark.de, Stand 21.8.2021) – aber man kennzeichnet die »reinen« Übernachtungsgäste immerhin mit einheitlichen Bändern (Stichwort »proof of authorisation«), ohne sie nach »vorbildlich gehorsam« (also mRNA-Injiziert) und »Na ja, okay« (»genesen« oder »nur« getestet; so verstehe ich 20.8.2021).
Man hört’s Zungenschnalzen
Ich meine ja, geradezu ein genüssliches Zungenschnalzen und dazu beißend ironischen Hohn gegen die »Grundrechtespinner« und »Selbstdenknazis« zu hören, wenn die Recken der Führungsgarde des Europaparks Rust uns recht krachend vergewissern, »es seien innerhalb der vergangenen Woche etwa Hundert E-Mails mit Beschwerden eingegangen. Schätzungsweise hätten während dieser Zeit täglich aber etwa 24.000 Menschen den Park nordwestlich von Freiburg besucht (welt.de, 20.8.2021) – wohl nicht alles Übernachtungsgäste.
(Randnotiz: An diesem Fall sehen wir wieder, wie gefährlich es ist, öffentliches Leben in privaten Arealen stattfinden zu lassen, also in von Konzernen betriebenen Parks oder Shopping-Zentren. Ein Konzern ist noch weniger demokratisch kontrolliert als eine Behörde – jeder von privaten Konzernen kontrollierte Ort schränkt die eigentlich von einer Demokratie zu gewährleistenden Freiheiten potentiell weiter ein. Das öffentliche Leben von Konzernen diktieren zu lassen ist mindestens theoretisch dem Faschismus ähnlicher, als das glitzernde Fröhlich-Marketing der Konzerne – und manche spendenfinanzierten Politiker – sich und der Öffentlichkeit eingestehen werden. Jedoch, man seufzt: Der Bürger wird zum Kunden, und »ich habe die AGBs gelesen und bin einverstanden« ist die erste seiner vielen Lebenslügen.)
Perpetuum Mobile des Machtmöglichen
Man könnte ja fragen, ob die Arroganz der Konzerne von der Abgehobenheit der Politik inspiriert ist, oder ob es sich andersherum verhält – wahrscheinlicher aber ist, dass sie einander antreiben, ein Perpetuum Mobile des Machtmöglichen.
Die Älteren unter uns wundern sich ja noch immer, dass in der Politik heute nonchalant weggewischt wird, was früher ein selbstverständlicher Rücktrittsgrund gewesen wäre.
Ob das Unrechtjahr 2015, die idiotische(n) Energiewende(n), die wenig demokratischen Eingriffe in die Thüringenwahl oder aktuell das Totalversagen in Afghanistan: Was früher wahrlich Grund genug für einen Rücktritt der Regierung samt Schimpf und Schande gewesen wäre – und dann für umwühlende Neuwahlen! – das wird heute einfach weggewischt – der milliardenschwere Propagandaapparat hilft sogar dabei, die Kritiker anzugreifen und Wahlen vorab in knochentrockene Tücher zu bringen (und wenn nicht… siehe Thüringen).
In neuerer Zeit erleben wir immer wieder und immer öfter, dass Politiker und wohl auch Unternehmen ihren Kritikern nicht wirklich etwas in der Sache entgegnen, sondern recht offen und wenig verhohlen den (nicht ausnahmslos nur) metaphorischen »Stinkefinger« zeigen.
Dieser neue Stil des Stinkefingers aber, er ist der grausamste, denn er ist »nur« metaphorisch – tatsächlich besteht dieser Stinkefinger darin, uns einen ebenfalls metaphorischen Spiegel hochzuhalten (also den tatsächlichen Spiegel, der uns uns selbst und damit die Wahrheit zeigt, nicht den aus Hamburg).
»Eure Kritik ist egal, völlig egal«, so klingt es – wenn auch fast immer in höflicheren Worten – aus den Unternehmen an die paar »Grundrechtespinner« wie uns, denn »Zigtausende eurer Kollegen machen mit und sie zahlen gern!«
Von niemandem gezwungen
Und doch, und doch: Man ruderte ein klein wenig zurück.
Der »Europapark entschuldigt sich für andersfarbige Bändchen« – am Ende des Tages zählt, was am Ende des Tages in der Kasse bleibt, und da man durchs Nachspielen gewisser sozialer Experimente wohl nicht mehr Geld verdienen wird, lässt man es für den Augenblick bleiben, und beschränkt sich darauf, nur die »Reinen« in den Park zu lassen, ohne diese weiter zu unterteilen.
Ist es Hoffnung, dass sich durchs Lautwerden etwas ändern lässt? Ich weiß es nicht. Ich finde ja, dass man schon deshalb laut werden sollte, um nicht an den ertragenen Lügen zu platzen.
Laut zu werden, wenn Dummheit und Unrecht passieren, das verschafft der eigenen Seele etwas Luft. Und manchmal ändert es ein klein wenig etwas. Und deshalb: Manchmal muss man etwas sagen.
Die vielen Tausend Besucher des Europaparks, die bereit waren, bei deren »Geschichtsexperiment« mitzumachen, sie waren von niemandem gezwungen worden. Die Geschichte lehrt uns zuverlässig, in dieser und in anderen Angelegenheiten: Die meisten werden mitmachen.
Genügt es, selbst eben nicht mitzuspielen? Es ist ein Anfang, und je nach Lebensumständen ist nicht einmal das Nichtmitmachen immer zu akzeptablen Konditionen möglich.
Ja, die meisten werden mitspielen, doch für die anderen gilt, solange es noch irgendwie geht: Manchmal muss man etwas sagen.