Dushan-Wegner

14.01.2023

Doppelmoral an der Abbruchkante

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Wie nennt man Politiker, die im Bundestag für etwas stimmen, vor Ort das dann aber plötzlich total doof finden? Richtig, man nennt sie »Grüne«.
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Psychologische Laien wie ich sagen schon mal »Schizophrenie«, wenn sie eine gespaltene Persönlichkeit meinen, einen Menschen mit mehreren wechselnden Identitäten, oder, in Fachsprache: die »dissoziative Identitätsstörung« – früher verständlicher gesagt: die »multiple Persönlichkeit«.

Statt zu sagen: »Da sind wohl multiple Persönlichkeiten am Werk, und sie widersprechen einander«, rollt es einfach einfacher von der Zunge, wenn man ausruft: »Das ist doch schizophren« – womit wir wohl bei den Nachrichten des Tages wären.

Mami, Papi, oder …

Einige abenteuerlustige Kinder suchen derzeit das Dorf Lützerath zwischen Aachen und Düsseldorf heim. Dort protestieren sie dagegen, dass das Dorf gemäß politischer Beschlüsse für den Kohle-Tagebau abgerissen wird (siehe Wikipedia, Stand 14.1.2023).

Es ist eine sehr bürgerliche Abenteuerlust. Man wird von zahmen Polizisten weggetragen, und wenn man keine Lust aufs Protestieren mehr hat, dann lässt man sich eben von Mami, Papi oder dem Hausfreund im SUV abholen.

Es gehört zur modernen Protestlogik, dass reiche Öko-Aktivistinnen wie Frau Neubauer und sogar Frau Thunberg ebenfalls nach Lützerath fahren (focus.de, Video vom 13.1.2023), und ihr Gesicht samt Pappschild in die Kameras halten. (Darf man sie eigentlich nun die neuen »Pappkamaradinnen« nennen?)

Nun, so weit, so Alltag. Öko-Aktivismus ist ein Business, und jedes Business hat seine üblichen Geschäftsabläufe.

Es verwundert ebenfalls wenig, dass Vertreter der grünen Populisten sich dem Protest-Aktivurlaub anschließen.

Allerdings: Genau diese Maßnahme, gegen die die man da protestiert, wurde am 1. Dezember 2022 im Bundestag abgesegnet (siehe bundestag.de). Das Gesetz heißt »Beschleunigung des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier«, und es wurde auch von den mit-regierenden Grünen im Bundestag angenommen – keine grüne Gegenstimme.

Man könnte meinen, dass dies nicht das erste Mal wäre, dass die Grünen-Basis anderer Meinung ist als die Grünen auf Bundesebene, also die Grünen mit realer Verantwortung.

Jedoch, die Grünen, die in Lützerath mitdemonstrieren, sind nicht (nur?) Grüne auf Ortsverband-Ebene. Wo die Öko-Jetsetterinnen einander das Pappschild in die Hand geben, und wo Kameras das alles ablichten, da zieht es bald auch Bundes-Grüne hin.

Das Grünen-Mitglied Nyke Slawik etwa posiert vor Ort auf der Abbruchkante, in stylischer Öko-Aktivisten-Mode (schicke Wollmütze, senfgelbe Multifunktionsjacke, drapierter Designer-Schal), und dazu heißt es auf Twitter: »Ich habe mich entfremdet. Entfremdet davon, wie manche die Räumung in Lützerath und den Deal mit RWE verteidigen.« (@nyke_slawik, 12.1.2022; archiviert)

Charmant dabei: Slawik ist Mitglied des Deutschen Bundestags und hat wohl am 1. Dezember 2022 mit für eben diese Maßnahme gestimmt!

Ich sehe nur zwei wirklich sinnvolle Möglichkeiten zur Deutung!

Entweder: Grüne hängen ihr politisches Fähnchen mal so und mal so, je nachdem, wie der politische Wind weht. Populisten halt.

Oder: Abgeordnete winken im Bundestag doch eh alles durch, was die Fraktionsleitung ihnen zum Durchwinken vorlegt. Die werden nicht nur nicht fürs Denken bezahlt – die werden fürs Nichtdenken bezahlt – und da merkt man schon mal nicht gleich, was man da durchwinkt.

Ach, ich sagte »Entweder-oder«, doch wir ahnen, dass sehr wohl beides der Fall sein kann, denn es ist fürwahr kein Widerspruch.

Die malerische Funktion

Wenn Parteien wie die Grünen aber einzelne Personen wären, wie würde man deren Verhalten beschreiben?

Wir würden sowas umgangssprachlich womöglich als »schizophren« titulieren, und wir würden damit meinen, dass da multiple, verschiedene Persönlichkeiten wechselnd an den Tag treten.

Doch nein, ich glaube nicht, dass es sich hier um etwas Medizinisches handelt.

Von einem echten Mediziner lernte ich einst diese wichtige Regel: »Wenn du Hufklappern hört, denke ‚Pferd‘, nicht ‚Zebra‘.«

Hier bedeutet das: Man muss nicht Schizophrenie als Erklärung vermuten, wo simple Verlogenheit genügt.

Das Welt- und Selbstbild von Linken ist bekanntlich auf Lügen gebaut, doch ist es wirklich vollumfänglich eine Lüge, wenn weder der Sprecher noch sein Publikum davon ausgehen, dass die Aussagen ganz wahr sind?

Grüne ahnen wohl, dass sie inkongruent auftreten, dass ihre Aussagen, ihre Handlungen, dass die Realität und die Konsequenzen ihrer Politik wenn, dann nur zufällig zusammenpassen.

Jedoch, es kümmert sie nicht. Es muss dennoch nicht Schizophrenie sein, es muss auch nicht korrekter die »dissoziative Identitätsstörung« als Partei sein.

Als einfachere Lösung bietet sich: simple Verlogenheit. Es ist eine Partei, nein, mehr: es ist eine Anti-Haltung, es ist die im orwellschen Gegenteilsinn benannte neue »Haltung«, welche an Worten und Aussagen vor allem deren emotionale und malerische Funktion schätzt.

Auch dies loslassen?

Ja, wir erleben und erleiden die Grünen, ihre Politik und ihre Wähler, und wir rufen aus: »Das ist doch schizophren.«

Aber nein, es ist keine Schizophrenie, kein Zebra. Dieser Gaul ist linksgrüne Doppelmoral, wenn nicht sogar Verlogenheit. Das Auseinanderdriften von Worten und ihrer Bedeutung.

Letztes Jahr schrieb ich »das Buch übers Loslassen von Dushan Wegner«, und auch hier scheint mir Loslassen eine wichtige Lektion zu sein.

Ich arbeite noch immer daran, den Versuch loszulassen, die Worte der Grünen auf Sinnhaftigkeit zu prüfen – für mich sind Worte und ihre Funktion als Bedeutungsträger geradezu heilig – für die ist politische Sprache mehr so Fingermalerei.

Tatsächlich Bedeutung

Sicher, ich versage zu oft darin, meinen Worten die intendierte Bedeutung mitzugeben, doch niemals absichtlich, und hoffentlich nicht fahrlässig.

Ich will mich also weiter darin üben, den Versuch loszulassen, deren Worte zu deuten, als sollten sie tatsächlich Bedeutung tragen; und doch will ich im Bewusstsein behalten, dass auch Worte ohne sichere Bedeutung sehr reale Konsequenzen haben können.

Und, bei allem Loslassen und bei allem Bewusstwerden von Wortbedeutungslosigkeit, will ich für mich doch redlich bemüht sein, Worte auch weiter so heilig zu halten, wie es einem Menschen möglich ist.

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