Dushan-Wegner

11.09.2020

Ich fordere das Ende der Forderungen

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Arno Smit
Rätselhaft: Kein einziger der Funktionäre, die Tausende nach Deutschland holen wollen, nennt dazu seine Privatadresse. – Neue Regel: Wer etwas fordert, dessen Folgen er anderen aufbürdet, ist ein Schwätzer und sollte als solcher behandelt werden.
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Es ist populär, es ist billig und es kann, wenn man den Zeitgeist trifft, sogar profitabel sein – wir reden von Forderungen.

Ich selbst leite ja meine Kinder darin an, durch Freundlichkeit, Klugheit und später hoffentlich professionelle Nützlichkeit aufzufallen. Nicht alle Meinungsprofis, so scheint es, teilen heute solche Werte.

Heute lässt es sich trefflich hervorstechen (und man wird dafür vom verfluchten deutschen Staatsfunk beworben werden), Forderungen zu stellen.

Zu den niedersten Formen der Forderungen zählen auch jene, deren praktische und schmerzhafte Folgen man anderen Menschen aufbürdet – und diese Art von Forderung ist heute nicht selten.

»Ich fordere«, so sagt der reiche Schwätzer, »dass den Armen und Ehrlichen mehr Last aufgebürdet wird!«

Sollte man so naiv/unerfahren/tolldreist sein, frech zurückzufragen, warum der Fordernde selbst nicht diese Last zu schultern gedenkt, dann wird der Fordernde oft sehr schnell sehr unhöflich.

Stets der König

Politiker, Journalisten und auch Wohlfahrts-Funktionäre »fordern« dieser Tage, Tausenden von Kunden afrikanischer Schlepper das letzte Stück der von den Schleppern versprochenen Dienstleistung zu liefern – konkret: den Transport ans geplante Ziel Deutschland, in jenes erstaunlich spendable Land der Gewissensgequälten.

»#WirhabenPlatz« sagt Frau Künast und wohl mit ihr die Grünen-Bundestagsfraktion (@renatekuenast, 10.9.2020/ archiviert). »Deutschland muss handeln«, stimmt Annalena »Kobold« Baerbock von den Grünen ihr zu (welt.de, 9.9.2020). Herr Laschet aus NRW will sogar 1.000 Menschen aufnehmen (ebenda).

Herr Laschet vergaß leider, seine Privatadresse anzugeben (und zu erklären, wie er an Privatwohnungen für 1.000 Bewohner kam). Oder meint er gar nicht seine eigenen Wohnungen? Es ist überhaupt ein merkwürdiger Zufall: So viele Gutmenschen sagen, »wir« hätten Platz, doch alle vergessen sie, ihre Adresse anzugeben, wo denn dieser Platz sei.

(Randnotiz: Herr Reichelt von der BILD-Zeitung steigert sich im Kontext der mutmaßlichen Brandstiftung Moria/Lesbos sogar zur Aussage, der »amerikanische Traum« (bild.de, 10.9.2020) lehre, ein Land sei »immer so gut wie die Chance auf die Zukunft, die es den Schwächsten bietet«. Bei allem Respekt für die psychologisch-theologische Expertise des BILD-Chefs wage ich zu widersprechen: Der amerikanische Traum lehrt, dass eine erbarmungslose calvinistische Arbeitsethik (sprich: wen Gott liebt, der ist erfolgreich – und andersherum! Es paart sich übrigens hervorragend mit dem Konfuzianismus chinesischer Einwanderer) verbunden mit einer sozialen Schwimm-oder-ersaufe-Realität und unternehmensfreundlicher Gesetzgebung die Menschen zu Rund-um-die-Uhr-Arbeit und zugleich zur Kreativität motivieren. Der amerikanische Traum ist auf gleich mehreren Ebenen jeweils ein 180°-Widerspruch zum deutschen All-Inclusive-Toleranz-Paradies, wo der kluge Fleißige der dumme Esel ist – und der laut Fordernde stets der König.)

Von Tiefgarage zu Tiefgarage

Die Forderungen der Profi-Forderer leiden an einer Reihe innerer Brüche. (Etwa: Warum lädt man die ein, die kriminelle Schlepper bezahlten und illegal einreisten, warum belohnt und fördert man damit Kriminalität und illegales Handeln, während man jene Menschen, die sich die Zahlungen an kriminelle Schlepper nicht leisten können oder nicht das Gesetz brechen wollen, genau dafür quasi bestraft?)

Die pragmatischen, logischen und daraus folgend auch ethischen Brüche ihrer Forderungen sind den Fordernden weitgehend gleichgültig, und der Grund ihrer Gleichgültigkeit ist schlicht: Die Forderer gehen wahrscheinlich ganz selbstverständlich nicht davon aus, dass die harten Konsequenzen ihrer Forderungen sie selbst treffen.

»Aus Gutmenschen, die es selbst betrifft, werden schnell Bösmenschen«, so stellte ich im April 2018 fest.

Die Forderungen der lautesten Moralisten sind meist solche, deren anstrengende Konsequenzen sie anderen Menschen auferlegen. Es ist beinahe (aber nur beinahe) zum Schmunzeln, auf jeden Fall aber klingt es 100% »gutmenschlich«, wenn die eine Frau Rackete erst die Kunden der Schlepper auf dem Meer abholt (sie nennt es »Seenotrettung«, glaube ich) und gen Deutschland bringt – und dann im Interview erklärt, sie wolle ebendieses Land verlassen, da es ihr zu voll sei (siehe Essay »Fundamental richtig bei bebender Erde«). So sind sie, die Leute mit den Forderungen.

Wir kennen ja die Öko-Aktivisten, die von anderen den Verzicht aufs Fliegen fordern, aber selbst mal schnell auf eine Eiscreme nach Florida jetten. So ähnlich ist es mit den vielen »Gutmenschen«, die offene Grenzen und die Welteinladung fordern – solange die Eingeladenen dann nur weit genug weg von ihnen selbst wohnen. »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute«.

Gutmenschen sind empört über das Leid, das sie sehen können, doch noch mehr sind sie empört, wenn jemand von ihnen fordert, für die Folgen ihrer Forderungen geradezustehen. Wir erinnern uns an die Bürgen, die für »Flüchtlinge« bürgten, und dann ganz empört waren, als sie auch zahlen sollten. (Natürlich zahlen sie wahrscheinlich nicht, siehe welt.de, 19.2.2020 – wenn es um Migration geht, scheint so manches Recht nicht mehr zu gelten.)

Wenn die fordernden Funktionäre selbst Kinder haben, werden diese oft auf Privatschulen geschickt, weit weg von allen »Brennpunktschulen«. Vor den Partei- und Zeitungspalästen steht starke Security, die Bonzen fahren in dunklen Limousinen von Tiefgarage zu Tiefgarage.

(Noch eine Randnotiz: Geradezu spektakulär paradigmatisch bleibt jener Herr Woelki, siehe etwa welt.de, 1.12.2016, der sich damals selbst stolz als »Gutmensch« titulierte, und dies auch symbolisch bekräftigte, indem er es in Grün (in welcher Farbe sonst?) auf den Boden sprühte – und zwar geschützt hinter hohen Mauern, auf die Kacheln der großzügigen Terrasse des Erzbischöflichen Hauses in Köln (Renovierungskosten: 1,45 Millionen Euro; auf Google Maps können Sie die hohe Mauer um den Garten begutachten, aber auch von oben einen Blick wagen, nur kein Neid!) – Millionen von Euro, eine Parkanlage, eine hohe Mauer und eine ganze Dimension weit weg von den Konsequenzen gutmenschlichen Pharisäertums.)

Von sich fernzuhalten

Wenn Funktionäre sagen »Wir haben Platz«, bedeuten ihre Worte tatsächlich eher: Die Brennpunkte können ruhig noch mehr brennen, die »Partyszene« kann noch mehr »Party machen«, die »jungen Männer« können noch »männlicher« auftreten, und wer sich unwohl fühlt, weil in seinem Stadtteil nicht nur kein Deutsch mehr zu hören ist, sondern er auch noch deutschenfeindlich angegiftet wird, den machen die »Guten« mit ihrer Medienmacht eben als »Rechtsextremen« oder »Faschisten« fertig.

Linksgrüne Funktionäre, welche bereits in Seelenpein und Lebenskrisen verfallen, wenn der Kaschmir ihrer 500-Euro-Pullover nicht weich genug oder der Schaum auf ihrem 5-Euro-Milchkaffee nicht samtig genug ist, bürden den Menschen in den armen Wohngebieten auf, was der Harvard-Wissenschaftler Yascha Mounk in den Tagesthemen erfrischend präzise ein »historisch einzigartiges Experiment« nannte, »und zwar eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln« (achgut.com, 21.2.2018).

Es experimentiert sich gut, es ruft sich einfach »wir haben Platz«, wenn es die anderen sind, an denen experimentiert wird, die »Platz machen« müssen, weil sie wenig Stimme(n) im Parlament haben und keine im Staatsfunk – und weil sie sich keine teuren Anwälte leisten können, um die Konsequenzen der moralischen Forderungen der »Guten« von sich fernzuhalten.

Als solcher behandelt werden

Ein Staatsfunker fordert die Einwanderung und lebenslange Versorgung tausender Kunden krimineller Schlepper? Okay, er möge bitte sein Einkommen verpfänden und eine Sicherheitsleistung hinterlegen, um alle Kosten seiner Forderung zu decken.

Ein Politiker ruft »Wir haben Platz«? Gut, er möge bitte seine private Adresse angeben, wo er Wohnraum anbietet – und zwar 1. in seiner Nachbarschaft (nicht weit weg, wie Gutmenschen es am liebsten mögen), und 2. gratis (nicht für eine extra schmackhafte Miete, wie Politiker es wohl schon mal zu tun pflegen).

Manche Aktivisten fordern die De-Industrialisierung Deutschlands. Andere Aktivisten fordern das Sprengen der deutschen Sozialsysteme. Ich fordere ein Ende der Forderungen.

Kein einziger der Funktionäre, die Tausende nach Deutschland holen wollen, hat seine Privatadresse angegeben. Ich schlage eine neue Regel vor: Wer etwas fordert, dessen Folgen er anderen aufbürdet, ist ein Schwätzer und sollte als solcher behandelt werden.

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