Dushan-Wegner

11.11.2017

Erwachsenwerden als Bürger

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: Georg Emanuel Opiz, »Der Säufer« (1804, also gemeinfrei)
Die Busse am Brandenburger Tor sind nicht nur ein Islamisten-Denkmal. Sie symbolisieren vor allem eine Politik, die nicht weiß, was sie tut.
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Ich kann mich erinnern, als mein Vater mich das erste Mal nicht mehr hochheben konnte – zumindest nicht, ohne seinen Rücken zu gefährden. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal tatsächlich schneller lief als mein Großvater. Ich erinnere mich, als ich einmal eine App auf meinem iPad suchte, und meine klitzekleine Tochter – die damals nicht einmal richtig lesen konnte! – einfach auf den Bildschirm fasste, schnell wischte und das richtige Icon antippte.

Was braucht es, damit ein Mensch »erwachsen« wird? Einen Beruf? Einen Führerschein? Eine eigene Wohnung?

Mindestens ein Teil des Erwachsenwerdens ist die Erkenntnis, dass »die Großen«, zu denen man aufzuschauen gewohnt ist, »auch nur Menschen« sind.

Es gehört zum »politischen Erwachsenwerden«, sich einzugestehen, dass die da oben bei Gelegenheit keine Ahnung haben, was sie eigentlich tun.

Bevor Sie mich der Trivialität zeihen, lassen Sie mich ins Detail gehen!

Autos

Stellen Sie sich vor, ein Ingenieur müsste das Auto nicht nur konstruieren, er müsste die Rechtsabteilung des Konzerns leiten, müsste das Marketing koordinieren und nebenbei noch die Arbeiter am Fließband beaufsichtigen.

So ein Szenario würde schnell scheitern. Der Geisteswissenschaftler, der im Marketing das Auto mit Zeitgeist und Lebensgefühl verbindet, braucht ganz andere Qualifikationen, als der Ingenieur, der am digitalen Reißbrett aus dem Motor noch ein paar Pferdestärken mehr gewinnt. Ohne Ingenieur und Arbeiter hat man keine Autos, ohne Marketing kauft sie niemand – und ohne Juristen und diverse Organisations-Profis versinkt das Unternehmen in Streit und Chaos.

In der Politik ist die Angelegenheit ein wenig anders. Das erklärt einige unserer Probleme.

Politik

Betrachten Sie den prototypischen Karriereweg eines Politikers.

Viele »Große« begannen ihre politische Laufbahn einst in einer der Partei-Vorfeldorganisationen, die sich speziell an Jugendliche richten. Dort lernten sie früh, hinter den Kulissen flexible Mehrheiten für ihre Sache zu schmieden. Sie fanden heraus, wie man die richtigen Ausschuss-Posten besetzt, wann man kandidieren sollte und wann man dem Mitbewerber mit großer Geste und übler Absicht den Vortritt in seinen Untergang lässt. Sie arbeiten sich nach vorne und ziehen den Kreis ihrer politischen Wirkung immer größer.

Je größer der Wirkkreis des Politikers wird, um so schmerzhafter spürt er, dass er ganz verschiedene Aufgaben jonglieren muss. Die Fähigkeiten, die es braucht, in der Partei aufzusteigen, sind andere als die, die es braucht, Wahlen zu gewinnen. (Besonders brutal wird dieses Missverhältnis in den letzten Jahrzehnten in der SPD sichtbar, wo Wahlverlierer noch immer große Karriere machen können. Dauer-Spruch: »Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam«. Im Grunde verhalten sich Schulz und Stegner aber wie »gerettete« Banken: Gewinnen privatisieren, Verluste sozialisieren.)

In der Partei aufzusteigen braucht lange Abende, Hinterzimmer-Deals und überraschend viel Aktenstudium. Wahlen zu gewinnen braucht dagegen Charisma, Talking Points und Medienkompetenz. Wenn ein Politiker in der Partei aufzusteigen und dabei doch Wahlen zu gewinnen versteht, vereint er bereits zwei Fähigkeiten, die sich im »Normalmenschen« schon vom Typ her widersprechen.

Nehmen wir also an, ein Politiker verfügt über eine solche Doppelbegabung. Er steigt in der Partei auf und gewinnt Wahlen. Spätestens dann bräuchte er eigentlich noch eine dritte Fähigkeit: das gute Regieren!

Um in der Partei aufzusteigen genügt Beharrlichkeit. Die haben viele. Um Wahlen zu gewinnen, braucht es Charisma, das haben immer noch einige Leute, siehe (erfolgreiche) Versicherungsvertreter und Schauspieler. Um ein Land gut zu regieren braucht es aber Weisheit, Wissen über die Welt und die persönliche Moraldisziplin eines Heiligen.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Politiker alles drei vereint?

Busse

In Berlin wurde jetzt ein »Mahnmal« aufgestellt. Es handelt sich um drei aufrecht stehende Busse. Es ist die »Replik« dreier senkrecht stehender Busse aus Aleppo. Das Original ist dafür bekannt geworden, dass die Fahne von Ahrar ash-Sham prominent darauf wehte. Ahrar ash-Sham sind Islamisten, allerdings solche, die Assad stürzen wollen – also wohl »gute« Islamisten. Der Generalbundesanwalt stuft die Gruppe als »ausländische terroristische Vereinigung« ein. Und jetzt steht ein auch an sie erinnerndes Mahnmal vorm Brandenburger Tor.

Der »deutsch-syrische« Künstler Manaf Halbouni versichert, das Kunstwerk sei ein Symbol für »Versöhnung«. »Frieden« sowieso. Sonst würde es ja nicht gefördert, möchte man ergänzen. Zuvor stand es in Dresden.

Wahrscheinlich hat kein einziger der fördernden Politiker sich die Website des Künstlers angeschaut. In seiner Kunst fantasiert er schon mal von der Eroberung Europas durch »östliche Mächte«, darunter das Osmanische Reich.

»Kampfkarten verzeichnen die Bewegungen der Truppen und Verbände sowie wichtige militärische Ziele.«
manaf-halbouni.com (Archiv)

Halbouni selbst tritt dort in der Rolle des fiktiven »General Yusef Hadid« auf, geboren »am 25.07.1874. Liwa (Generalmajor), der 6. Armee zur Befreiung Europas.« – Es ist Kunst.

Jetzt stellt er eben drei senkrechte Busse als »Mahnmal für den Frieden« auf. Die einen erinnert das »Mahnmal« an das Original mit der Dschihadisten-Flagge. Die anderen erinnert es an die Terror-Anschläge in Europa, bei denen Lastkraftwagen zum neuen Mordwerkzeug der Islamisten wurden. Meine Assoziation ist nicht »Frieden« – jedenfalls nicht »Frieden« im westlich-säkularen Sinn.

(Was) haben sie dabei gedacht?

Was denken sich die Politiker, die ihn fördern, bei der ganzen Angelegenheit? Sympathisieren sie mit seinen Fantasien? Ist ihnen egal, dass die Busse eben auch und ganz wesentlich für syrische Dschihadisten stehen? Ist ihnen das gar heimlich sympathisch? Ist es wieder der Selbsthass der westlichen Linken? Das Aufstellen eines Dschihadisten-Symbols vis-à-vis des Brandenburger Tores ist im besten Fall eine versehentliche symbolische Unterwerfung. Im schlimmsten Fall eben keine versehentliche.

Auch hier will ich mich an die Regel halten: Gehe nicht von übler Absicht aus, wo Unfähigkeit als Erklärung genügt.

Die Berliner Politik zeigt wieder und wieder: Die Verantwortlichen beherrschten ohne Zweifel die beiden Fähigkeiten a) an entsprechende Kandidaturen, Listenplätze etc. zu kommen, und b) gewählt zu werden. Dass sie auch noch die Kunst des klugen Regierens beherrschten, da müssten Berlin und Deutschland schon sehr glücklich sein. Sind sie nicht.

Sich einzugestehen, dass es keine tiefere Weisheit da oben gibt, gehört zum Erwachsenwerden als mündiger Bürger dazu.

Die Busse von Berlin sind nicht nur Islamisten-Symbol. Vor allem sind die senkrechten Busse eine Mahnung an den Berliner Bürger, sich einzugestehen: »Die da oben« wissen nicht was sie tun.

Weiterschreiben, Wegner!

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