26.03.2019

Das EU-Wahlprogramm von CDU/CSU und die Sehnsucht nach dem Europa-Staat

von Dushan Wegner, Lesezeit 13 Minuten, Bild von Nabil Boukala
Im EU-Wahlprogramm von CDU/CSU wird aggressiv »Europa« und »EU« verwechselt. Ein CSU-Typ will Juncker ablösen, also quasi »EU-Chef« werden. In deren Logik wäre er damit »Europa-Chef«. Ich finde nicht, dass Europa einen Chef braucht, ob deutsch oder nicht.
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Ich erinnere mich an meinen kleinen Schock, als Elli zum ersten Mal die »Kunst aufräumen«-Bücher von Urs Wehrli nach Hause brachte. Was für eine wunderbare Frechheit diese Bücher doch sind!

Sie mögen nun fragen: Wie räumt man bitte Kunst auf? – Gute Frage! – Stellen Sie sich ein Bild von Kandinsky oder Matisse vor, mit all den Farbflächen und geometrischen Formen; schneiden Sie diese Formen heraus (nur als Druck oder im Geist bitte, in echt würde es teuer) und »ordnen« Sie die Stücke nach ihrer Form, ihrer Größe oder ihrer Farbe.

»Kunst aufräumen« ist ein Witz, doch er reiht sich in die edelste aller Witz-Kategorien ein: Jeder Witz greift einen Schmerz in der Differenz zwischen Begriff und Welt auf, doch »Kunst aufräumen« greift einen Schmerz auf, den wir zwar spürten, es aber nicht wussten.

Was ist nun der Schmerz, den das »Aufräumen« der Kunst anspricht? Wir kommen sogleich darauf zurück, doch zuerst, die Nachrichten!

I’d rather be surfing

2019 ist, wieder mal, Wahlkampfjahr. In Deutschland werden später im Jahr einige Landtags- und Kommunalwahlen durchgezogen, doch man wird das Gefühl nicht los, dass die Europawahlen im Mai die Wahlen sind, auf welche einige der Politiker eigentlich Lust haben. Manche der »guten« Politiker wirken wie ein Arbeitnehmer, der die alte Firma aufgegeben und innerlich längst gekündigt hat, und jetzt nur noch pro forma hingeht und sein Gehalt kassiert. Ein beliebter T-Shirt-Spruch lautet »I’d rather be surfing« – »Ich würde jetzt lieber surfen«; dem ein oder anderen Berliner Politiker können wir Ähnliches von der Stirn ablesen: »Ich hätte jetzt lieber einen Versorgungsposten in Brüssel.«

Vor den Posten in Brüssel hat das Schicksal derzeit noch den EU-Wahlkampf gestellt, und da erscheint es mancher Partei als klug, Liebesschwüre an die Brüsseler Bürokratie in die Welt zu brüllen wie liebeskranke Minnesänger mit Lautstärkeproblem.

Noch eine Phrasenschlacht

Zwei der deutschen Merkelparteien, die CDU und die CSU, haben nun ihr »Gemeinsames Europawahlprogramm« vorgelegt. Ich habe den Verdacht, dass dieses Programm nicht wirklich gelesen werden will – genau deshalb habe ich es getan! (Sie können es auf der Website der CSU als PDF-Dokument selbst herunterladen.)

Es wird niemanden überraschen, dass das Dokument eine stromlinienförmige Ansammlung von Phrasen ist, doch Phrasen können wahr oder nichtssagend sein – diese Phrasen aber sind oft genug schrägwahrheitlich. An ihren Phrasen sollt Ihr sie erkennen!

Es ist viel einfacher, die Murmeln den Berg herabkullern zu lassen, als sie unten wieder aufzusammeln. Ich will von den vielen Schrägwahrheiten des CDU-CSU-EU-Wahlkampfpapiers deshalb hier nur einige stellvertretend herausgreifen.

Wer ist der »Chef von Europa«?

Das Dokument trägt den Titel: »Unser Europa macht stark. Für Sicherheit, Frieden und Wohlstand.« – Sehen wir einmal von der plakativen Qualität dieser Phrasen ab; es ist ein Titel, und als solcher darf er mit grobem Pinsel drangehen.

Wie sollen wir das »Unser« deuten? Zynisch interpretiert wäre es eine Aneignung; »Europa gehört der CDU«, quasi. Wohlwollend interpretiert ist es als Begriffs-Angebot gedacht. Doch selbst die wohlwollende Deutung ist verräterisch: Indem die CDU eine eigene Interpretation des Begriffs Europa vorlegt, bestätigt sie unbeabsichtigt, dass es einen anderen, bestehenden Europa-Begriff gibt, welchen sie nun umbiegen will. Man könnte es als Teekessellchen-Spiel lesen: Das Europa, das Sie und ich mit »Europa« meinen – und das Europa, das die CDU meint. Eine andere Interpretation wäre natürlich, dass die CDU hier in ihrer Privatsprache spricht, nach Wittgenstein also ein Sprachspiel betreibt, in dem nur der Sprecher die Bedeutung der Worte kennt (es aber hier dankenswerterweise ausbuchstabiert).

(Randnotiz: »Unser Europa« ist noch immer besser als selbstkarikierende Slogans wie »Europas Chancen nutzen« und »Chancen für Europa durch tolle Ideen!« in »einer Welt voller Veränderungen«, siehe fdp.de – dafür hat der Rest des FDP-Programms mehr Substanz.)

Nicht das »Unser« ist hier das Problem, sondern das andere, ganz selbstverständlich dahingeplätscherte Wort: »Europa«.

Im Mai letzten Jahres bemerkte ich auf Twitter in der dort üblichen Zuspitzung:

Wer »Europa« sagt und »EU« meint, will manipulieren. Politiker, die sowas tun, gehören abgewählt. Journalisten, die sowas tun, sind Lügner und erhalten Journalismusorden. (@dushanwegner, 14.4.2018)

Die Gleichsetzung von Europa und EU ist eine Schrägwahrheit mit Obertönen von Propaganda. Es ist nicht sicher belegt, ob der Homo erectus georgicus vor 1,8 Millionen Jahren bereits Verordnungen zur Bananenkrümmung erließ — es würde einiges erklären. Eine Reihe namhafter Lungenärzte tendiert heute allerdings zur These, dass der Kontinentaldrift mindestens zwei Jahre vor der Gründung der Montanunion stattfand. Europa ist ein Kontinent, auf dem verschiedene Völker und Nationen leben, mit gemeinsamer, aber auch individueller Geschichte, mit ähnlichen, aber auch individuellen Werten – die Europäische Union ist ein Staatenverbund, also eine juristische Angelegenheit, die zwar durchaus nützliche Seiten hat (Förderung von Landwirtschaft in Krisenregionen wie NRW, vorübergehende Versorgung ehemaliger Buchhändler, et cetera), aber eben nicht mit Europa gleichzusetzen ist.

Es ist nervig genug, wenn Politiker in Staatsfunk-Talkshows oder in ihren traurig-bemühten Tweets die EU mit Europa gleichsetzen; wenn deutsche Regierungsparteien diese falsche Gleichsetzung zum Zentrum ihres Wahlkampfs machen, kann man nicht mehr von Versehen reden.

Die Gleichsetzung von EU und Europa ist alles andere als harmlos!

Das Programm spricht von einer »europäischen Idee«, die »Populisten« angeblich zerstören wollen; es ist orwellsch: Die Europa-Idee, welche die CDU vorschwebt, ist die Idee der Eliten, welche die Folgen ihrer »Ideen« nicht ausbaden müssen. Mir würde als die »europäische Idee« eher die Aufklärung einfallen, oder das Christentum; beides Ideen, die vom politischen Handeln der CDU bedroht werden.

Der zäpfchenglatte Manfred Weber von der CSU ist Spitzenkandidat der EVP, und als solcher möchte er den Herrn Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident der EU ablösen, und damit quasi »EU-Chef« werden (siehe auch etwa n-tv.de, 6.11.2018: »Erster deutscher EU-Chef seit 50 Jahren«). In der Logik von CDU-CSU, wonach EU und Europa dasselbe bedeuten, wäre Weber damit Chef von Europa. Ein Witzbold könnte fragen: Okay, dann regiert der EU-Chef eben auch ganz Europa, doch wie will man das beim aktuellen Zustand der Bundeswehr durchsetzen? Will man in der Schweiz, in Norwegen, Russland oder Moldavien gleichzeitig einmarschieren oder doch lieber sukzessive?

Nein, der Chef der EU ist nicht der Chef von Europa – »Chef von Europa wollten« schon ganz andere sein, die Römer etwa – sie sind vorbei, sie sind Antike und Geschichte, und Europa ist noch da.

Europa wird noch hier sein – dann womöglich mit etwas anderer »Leitkultur« – wenn Sie, ich und Herr Juncker längst unseren Ischias in ganz anderen Gefilden auskurieren.

Mensch, Bürger, Gegner

Auf 18 der 26 Seiten inklusive Deckblatt kommt das Wort »Mensch« vor.

Allein auf Seite 3 kommt es sechsmal vor, so heißt es etwa, dass »alle Menschen die Chance auf Teilhabe am Wohlstand« haben sollen (wohlgemerkt: nicht »Bürger«). Man wolle »vielen jungen Menschen neue berufliche Perspektiven« eröffnen. Alle Menschen? Mit oder ohne Obergrenze?

Wenn das Wort »Bürger« im EU-Programm vorkommt, dann sehr oft in einer merkwürdigen, postnationalen Bedeutung. – »Europa schützt seine Bürger«, heißt es, und von »EU-Bürgern« ist die Rede, und so weiter. Wo haben die Deutschen, die Spanier, die Italiener abgestimmt, Bürger eines neuen Staates zu sein?

Mal sieht sich dieses »Europa« den »Menschen« verantwortlich, wenn es also im Geiste der Unterwerfung unter den UN-Migrationspakt alle »Menschen« am Wohlstand teilhaben lassen möchte (da heißt es plötzlich nicht mehr »Bürger«), und der »Bürger« erscheint tendenziell als ein Untertan der EU-Behörden (»Europa der Bürger«, S. 6).

Diverse SPD-Granden haben sich vor einiger Zeit von den sogenannten »Reichsbürgern« inspirieren lassen, und Fake-Ausweis-Grafiken mit einer »Staatsangehörigkeit European« erstellen lassen (mit dabei natürlich die Peinlichpolitiker @HeikoMaas, 18.2.2019 und @MartinSchulz, 18.2.2019); CDU und CSU scheinen von ähnlichem Geist getragen zu sein.

Das Dokument hat zwar sehr klare Tendenzen, wirkt aber nicht vollständig kohärent (auch darin ähnelt es dem UN-Migrationspakt). Das Dokument ließe sich lesen als eines, das »Menschen« (also wer auch immer da ist) und »Bürger« unterscheidet, die letzteren meist als Bürger eines noch zu gründenden Superstaates. (Kann die EU eigentlich EU-Bürger ins Gefängnis werfen lassen?)

An einer Stelle, die »Bürger« und »Menschen« gegen den sonstigen Trend zusammenführt, wirkt das Programm besonders holzschnitzartig:

Bürgernähe: Unser Europa hört auf die Menschen.

Wer sind denn »die Menschen«, auf die hier gehört werden wird?

Auf Seite 2 heißt es:

Wir überlassen unser Europa nicht den Populisten.

Mit »Populisten« sind hier Politiker gemeint, die eine ähnliche Position vertreten, wie Angela Merkel um 2002, wie Helmut Schmidt und wie weitere, die vor zu starker Einwanderung gewarnt haben.

Die Passage auf Seite 2 geht übrigens so weiter:

Um uns, unseren Kindern und Enkeln eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten, ist Europa heute wichtiger denn je …

Der kinderlose Manfred Weber erzählt uns etwas von »Sicherheit und Wohlstand«, was nur gewährleistet werden könne, wenn man jene Politiker bekämpft, welche die Grenzen und das Überleben ihrer Länder schützen wollen.

Wer sich wie Charles de Gaulle ein Europa der Vaterländer wünscht, auf den hört das Europa der CDU nicht. Wer sich wünscht, dass der Staat seine Grenzen schützt, auf den hört das Europa der CDU nicht. Europa hört auf die »Menschen«, doch wer diese Menschen sind, das bleibt unklar – sicher ist aber, dass eine ganze Reihe dieser Menschen dem Europa der CDU als Gegner erscheinen – oder »Dumpfbacken«, wie Manfred Weber meint. (Nachtrag 27.3.2019: Weber macht sehr deutlich, wie wenig er von  demokratischer Fairness hält: Er will EU-kritischen Parteien – er nennt sie »EU-Feinde« – die ihnen zustehenden Gelder streichen, siehe welt.de, 27.3.2019. Ein bayerischer Apparatschik, der für ganz Europa befinden will, was das Gute ist (was seiner Macht dient) und was das Böse (was seine Macht hinterfragt) – ob es das ist, was wir brauchen?)

Im Finale des Dokuments heißt es, wörtlich:

Wir kämpfen gegen diejenigen, die Europa bedrohen.

Wer wird wohl im folgenden Absatz erwähnt werden? Islamisten? Terroristen? Kriminelle Clans? – Nein. Die Leute, die laut CDU und CSU Europa bedrohen, sind linke Umverteiler und rechte »Populisten«. Ich bin nun wirklich kein Freund sozialistischer Phantasien, aber jene, die den Reichen etwas Geld für die Armen nehmen wollen, und jene, welche die Bürger der europäischen Staaten vor importierter Gewalt schützen wollen, sind das wirklich die Gegner, denen sich die tatsächlichen »Bürger« Tag für Tag in den Schulen, auf den Straßen und in den Parks stellen müssen?

Bürger haben Verwandte beerdigen müssen, weil Deutschland durch die Politik der CDU unsicherer geworden ist. Menschen sind fürs Leben traumatisiert, an Leben und an Körper. Wenn in den Nachrichten das Wort »Messer« vorkommt, wissen wir, was drinsteht – doch wer bedroht laut CDU das Europa der CDU? Jene, welche den Reichen etwas wegnehmen wollen – und jene, welche alle schützen wollen.

Das Europa der CDU kämpft gegen die Gegner der CDU  – der deutsche Bürger kämpft derweil mit den Folgen der CDU-Politik.

Selbstüberschätzung und Bürgerferne

Das sogenannte »Europawahlprogramm« von CDU und CSU ist ein Dokument der Selbstüberschätzung.

Es heißt:

Die Europäische Union ist unser Garant … für Sicherheit und Stabilität.

Ich bin nicht sicher, wie man »Sicherheit und Stabilität« erreichen will, aber die Immigration hunderttausender junger, zum guten Teil bildungsferner Männer im wehrfähigen Alter, für welche die Einheimischen nur »Ungläubige« sind, wäre nicht die erste Maßnahme, die mir zur Stabilisierung einfallen würde.

Gerade in den Passagen, an denen sich das Programm als nah an Bürgern und Tradition geben möchte, verrät sich, wie fern diese CDU und CSU doch von eben diesen sind.

Auf Seite 7 heißt es:

Heimat: Unser Europa ist stolz auf seine Städte, Dörfer und Regionen.

Moment – »seine« Städte? Berlin, Madrid, Paris, Warschau, Prag – also nur noch Städte Europas? Dort steht nicht einmal mehr »stolz auf seine Staaten (oder: Länder), Städte und Regionen«; es klingt wie ein neues europäisches Superreich, das keine Staaten, keine Ländern und schon gar keine Nationen kennt, sondern nur noch Regionen, die sich bloß in Dialekt und Käsesorten unterscheiden, kontrolliert und reguliert von Vorgängen auf den mysteriösen Gängen und Fluren des fernen Brüssels.

Es heißt:

Unser Europa ist eine kulturelle Schatzkammer.

Was für eine wohlfeile Phrase! Wie bewahrt man einen Schatz am besten auf? Indem man ihn mit anderen Schätzen zusammenmischt, zum »Multischatzi«, und dann so lange schüttelt, bis jedes Schmuckstück auch die letzte Kante verloren hat? Doch, wenn man in dieser Passage weiterliest, stolpert man darüber, dass man die »Medienplattformen« verschiedener öffentlich-rechtlichen Anstalten innerhalb der EU »vernetzen« will – nach der deutschen Einheitsmeinung die europäische Einheitsmeinung?

Die wohl absurdeste der Passagen aber erscheint gleich zu Beginn:

Europa muss Antworten finden und den Bürgern in einer sich verändernden Welt Gewissheiten und Schutz geben.

Wenn diese Leute »Europa« sagen, meinen sie die Bürokraten in Brüssel – und sich selbst.

Was um alles in der lieben, weiten Welt soll die Funktionäre dieser Parteien qualifizieren »Antworten« zu finden und »Gewissheiten« zu geben?! Man ist ja heutzutage schon froh, wenn die EU-Granden am Morgen zwei gleichfarbige Schuhe anziehen.

Man will, doch was tut man?

Die »Nation« im CDU-CSU-EU-Wahlprogramm taucht mal als maximal negativ auf, in der Feindfigur des »Nationalisten«, und mal als eine Art folkloristischer Geschmacksbeilage – »Regionen und Nationen«, »National- und Staatsbibliotheken«, et cetera.

An einigen Stellen ist von nationalen Schutzstandards und nationalen Parlamenten die Rede, doch es klingt wie etwas, das man eingefügt hat, um die allerletzten noch vorhandenen Kritiker in der CDU zu besänftigen.

Wer einen Menschen verstehen will, muss dessen relevante Strukturen kennen – das gilt für Institutionen und Parteien genauso.

Selbst da, wo das Programm gut klingt (man will »Sozialmissbrauch verhindern«), muss man sich fragen, warum zum Kuckuck so etwas in Brüssel geklärt werden muss. Warum sollte irgend eine Nation bei »Europa« betteln gehen, um zu bitten, ob sie aufhören darf, den Bürgern anderer Ländern gratis Geld auszuzahlen? Freizügigkeit dürfe nicht dafür missbraucht werden, »soziale Sicherungssysteme unseres Landes« auszunutzen – auch da die Frage: Warum muss das in Brüssel beschlossen werden? Das gesamte Programm wirkt, auch und besonders da, wo es gefällig sein will, wie ein Übergangsprogramm hin zum Superstaat Europa. (Die SPD mit ihrem sektenhaften »Europa ist die Antwort« macht sich da gleich komplett ehrlich. Für einige ist Jesus die Antwort, für andere dieser oder jener Prophet, für die SPD ist es Europa – für die CDU, sie ist bloß um 1% verschämter, aber auch das wird sich noch glatthobeln.)

Man will die Außengrenzen Europas schützen, sagt das Programm, sprich: die Innengrenzen der Nationen sollen weitgehend offen bleiben – mit anderen Worten: Ob Deutschland geschützt ist, hängt im Europa der CDU davon ab, ob alle anderen Staaten mitspielen – wenn nicht, dann nicht. Warum Schweden mitentscheidet, wie Italiens, Frankreichs oder eben auch Deutschlands Grenzen geschützt sind, erschließt sich wohl nur erleuchteteren Funktionärskasten.

Das Wahlprogramm der CDU bestärkt nicht gerade das Gefühl, dass Deutschland der CDU oder CSU noch eine »relevante Struktur« ist. Dieses Wahlprogramm klingt nicht wirklich wie das Programm eines deutschen Politikers, der Deutschland innerhalb und gegenüber der EU vertreten will; es klingt wie das Programm von Politikern, die Deutschland innerlich längst überwunden haben, und dies jetzt so genervt wie ungeduldig auch äußerlich durchziehen möchten. Wo das EU-Wahlprogramm von CDU und CSU deutsche Interessen vertritt, scheint es nur nervige Stichpunkte abzuhaken, von einem selbstbewussten, klugen »Germany first« nach erfolgreichem US-Vorbild sind CDU und CSU denkbar weit entfernt.

Wert und Tiefe der Kunst

Was ist es, dass die »Kunst aufräumen«-Bücher so attraktiv macht? Sie sind ja denkbar simpel aufgebaut: Man zeigt das Original-Bild, und gleich daneben die »aufgeräumte« Version, mit allen roten Feldern in einer Gruppe, allen blauen in einer anderen, und die schwarzen Striche nochmal einzeln.

Der witzige Versuch, Kunst »aufzuräumen«, lässt uns als Zuschauer auf angenehm schmerzhafte Art spüren, wie wenig wir die Kunst, die wir bewundern, in Wahrheit begreifen. Indem der »Aufräumer« so grandios scheitert, immer und immer wieder, spüren wir den Wert und die Tiefe der Kunst. Ja, sie schmerzt, diese Differenz zwischen der Tiefe, die wir in der Kunst spüren, und unsere Unfähigkeit, es zu benennen. Indem das »Aufgeräumte« falsch erscheint, begreifen wir erst, was wir alles nicht begreifen.

Auch CDU und CSU wollen Europa aufräumen; sie wollen ordnen, was sie nicht verstehen, und sie wollen beherrschen, was ihnen zu beherrschen nicht zusteht. Wenn der Kunstaufräumer die Kunst aufräumt, tut er das nur gedacht, nur im Buch; das Original bleibt unbeschädigt an der Wand des Museums.

Die CDU sagt wörtlich, dass sie in Europa »ein neues Kapitel« aufschlagen möchte. Die Leute, deren Politik viel Leid und Unsicherheit nach Deutschland brachte, deren Ignoranz den Antisemitismus und die Messergewalt ansteigen ließ, wollen wir, dass sie ganz Europa »aufräumen«? Dieses Kapitel in jenem Buch wird sich nicht ganz so einfach wieder zuschlagen lassen. Das Aufräumen jener Bücher ist uneigentlich, das Aufräumen, das die CDU über Europa bringen will, ist umeigentlich.

Letztens schrieb ich »Hütet euch vor Leuten, die den Planeten ordnen wollen«, und es gilt für Europa nicht minder.

Herr Weber, Herr Juncker und ich haben gemeinsam, dass wir uns nicht anmaßen sollten, die Nationalstaaten überwinden zu wollen, um von Brüssel aus über Europa zu herrschen – der Unterschied ist, dass ich mir dessen bewusst bin.

Weiterschreiben, Dushan!

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