Dushan-Wegner

31.08.2020

Die Faust im Rücken, neue Klugheit

von Dushan Wegner, Lesezeit 10 Minuten, Foto von Gabriel Lamza
Im Propaganda-Stil werden drei Polizisten zu Helden aufgebaut – im Internet sieht man derweil, wie die Polizei eine am Boden liegende Frau in den Rücken schlägt. Es ist nicht gut, was da passiert. Es brennt, angefacht von Propaganda. Was tun?
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Dieser Text hat drei Teile. Im ersten Teil notiere ich den Wahnsinn des Tages, der zweite Teil leitet begründend über, und im dritten Teil schlage ich einen praktischen (nicht: »politischen«) Schritt nach vorn vor.

Teil 1: Der Wahnsinn des Tages

Haben Sie davon gehört, wie der Mob in der Hauptstadt die Institutionen des Staates angriff? Wahrscheinlich ja, doch womöglich reden wir an dieser Stelle dieses Absatzes von einer anderen Stadt – ich rede von Oslo, der Hauptstadt Norwegens. Nachdem in Dänemark jemand wohl einen Koran verbrannt hatte, vielleicht um gegen die seiner falschen Meinung nach potentielle Gewalttätigkeit einiger Menschen eines bestimmten Glaubens zu protestieren, widersprachen ihm einige Menschen ebendieses Glaubens, indem sie in Schweden und Norwegen gewalttätig protestierten und Feuer legten. Es half nicht, dass eine Organisation mit dem Titel »Stop Islamisation of Norway« auf den Straßen demonstrierte – worauf die Angesprochenen eher »kritisch« reagierten.

Sogar die tendenziell stramm linke »Frankfurter Rundschau« berichtet:

Stühle flogen, die Polizei setzte Pfefferspray ein. Nach Angaben norwegischer Medien soll die Lage zeitweise nicht vollständig unter Kontrolle gewesen sein. (fr.de, 30.8.2020)

Was mit »zeitweise nicht vollständig unter Kontrolle« wohl gemeint ist, erfahren wir aus Videoschnipseln in den Sozialen Medien. Linke und Pro-Islamische »junge Männer« greifen aggressiv die norwegische Polizei an und filmen sich selbst stolz dabei (siehe youtube.com). Wir sehen und hören, wie Gruppen junger Männer rufen, dass ihr Gott groß sei, und wie sie derweil die zurückweichende norwegische Polizei vor sich her treiben (@DamienRieu, 30.8.2020). In anderen europäischen Städten wie dem »toleranten« London unter Sadiq Khan (siehe auch »Die Buttermesser können nichts für das, was in den Köpfen ist«) schien man gar nicht erst zu versuchen, die Machtdemonstration der Islamisten zu unterbinden (auch davon gibt es private Videos bei Twitter, etwa @luc_lhl, 30.8.2020).

Ach ja, auch in der deutschen Hauptstadt, dem »Failed State Berlin« wurde demonstriert. Journalisten und von der Regierung co-finanzierte Zeitungen feiern heute drei »Helden-Polizisten«, die angeblich einen riesigen Mob von Rechtsextremisten davon abhielten, den Reichstag zu stürmen und so die Demokratie retteten. Es wirkt wie platte Propaganda bewährter deutscher Schule.

Der »sozialdemokratische Schlossherr« ehrt die »Helden-Polizisten« (bild.de, 31.8.2020). Tatsächlich sind Demonstranten auf die Treppen des Reichstag vorgedrungen wie zuvor etwa die Anti-Atom-Demonstranten (weser-kurier.de, 19.9.2010), und anders als zuvor wohl Greenpeace hatten diese Demonstranten keinen Zugang etwa zum Dach des Gebäudes (rbb24.de, 3.7.2020), wollten nach einigen Bekundungen nur ein paar Fotos von sich selbst knipsen – doch die weiterhin auffällig gleich schaltende politiknahe Hauptstadtpresse stilisierte die nur drei (!) Polizisten zu großen Helden und Verteidigern der Demokratie.

Etwas weniger laut wird von jenem Polizisten berichtet, der laut im Internet kursierenden Video-Aufnahmen einer am Boden liegenden Demonstrantin zwei mal mit der Faust in den Bereich der oberen Wirbelsäule schlägt – die Berliner Polizei scheint die (schreiende) Frau zu dem Zeitpunkt längst unter Kontrolle zu haben (siehe erster Teil von youtube.com, 30.8.2020). Einige Internet-Bewohner mutmaßten, die Berliner Polizei betätige sich doch bloß physiotherapeutisch und renke die zuvor ausgekugelte Schulter der Dame wieder ein. Die Berliner Polizei selbst begründet die Schläge gegen den Rücken so:

Sie kauerte sich anschließend auf den Boden und soll einem Polizisten in den Bauch getreten haben. Als die Beamten sie wegtragen wollten, versuchte sie einer weiteren Dienstkraft in den Arm zu beißen. Da sie sich weiterhin wehrte, schlug ein Beamter ihr mit der Faust auf den Rücken. (berlin.de, 31.8.2020)

Die Polizei stellt sich wohl hintern den Beamten mit der eisernen Faust, wer aber die Bilder der gesamten Szene sieht – oder auch nur die der Schläge – der könnte hinsichtlich der Motivation des Schlagenden eigene Fragen stellen – und vor allem bezüglich unser aller Zukunft! Wenn die Polizei heute einer bereits am Boden liegenden Person gegen die Wirbelsäule schlägt, was dürfen wir bei der nächsten Demo erwarten?

Mancher sagt: Wir müssen uns die Zukunft im Staatsfunk- und Propagandastaat als einen gepanzerten Polizisten vorstellen, der einer schmächtigen Frau in die Wirbelsäule schlägt, wieder und wieder.

Wer damit gesegnet ist, in einem schönen ländlichen Dorf zu wohnen und am Wochenende die Brombeeren in seinem Garten zu zählen, der könnte meinen, dass das alles »weit weg in Berlin« sei, dass ihn das alles nicht betreffe. Ich bin ja selbst ein bekennender Freund des seelischen wie physischen »Innenhofes«, doch wenn in der Hauptstadt ein Feuer aufflammt, das das ganze Land in Flammen legen könnte, sollte man zumindest theoretisch planen, was man tun würde, wenn dem Innenhof die Außenmauern abfackeln sollten.

Teil 2: Mehr als Katharsis

Ich könnte es hier bei der Beschreibung belassen. Es hätte kathartische Wirkung, reinigend, den Schmerz lindernd, indem man ihn ausformuliert. »Gut, dass es jemand sagt!«

Es wäre wohl nicht schlecht, aber es wäre mir nicht genug. Es brennt, doch es ist mir nicht genug, über die Flammen zu klagen.

Es brennt, und es ist mir nicht genug, mitzuschreiben, welche Zimmer und welche Möbelstücke gerade niedergebrannt sind, und welche wohl morgen in Flammen aufgehen.

Im Essay »Wenn alles abgerissen würde, wie würden wir neu bauen?« fragte ich im Dezember 2019, rein hypothetisch, wie wir das, was uns wirklich wichtig ist, neu aufbauen würden.

Im Text »Ein Chip im Hirn für jeden« schrieb ich davon, dass wir zehn mal schneller klüger besser werden müssen, wenn wir die Komplexität der Welt, die der Mensch sich selbst schuf, bewältigen und sogar ein wenig glücklich werden wollen.

Ich will mich heute vorwagen, ich will erste suchende Schritte aus dem brennenden Haus unternehmen. Ich will und werde dabei riskieren, beim Hinausstolpern auf die Nase zu fallen. (Wenn jemand eine bessere Idee hat, möge er sie kundtun und mich überzeugen – ich werde sie gern verbreiten!)

Teil 3: Altneue Technologie

Eine Sache vermisse ich schon jetzt, und der Mangel an etwas anderem weckt in mir einen Hauch von Panik.

Das eine, das ich vermisse: Die alten Werte, Errungenschaften westlicher Zivilisation – all die Dinge, für welche westliche Kultur mal bewundert, mal beneidet und, wenn und weil der Neid den Neider zerfrisst, heute auch mal gehasst wird – all das vermisse ich schon heute, bevor es gänzlich zerstört wurde.

Das andere, das mir Panik bereitet, hat mit dem Fehlen von Klugheit zu tun: Um die Komplexität der von uns selbst geschaffenen Welt zu beherrschen, müssen wir klüger werden, als Gesellschaft wie auch als Einzelne, und zwar nicht um zehn Prozent, sondern ums Zehnfache. Wenn es uns nicht gelingt, sehr schnell sehr viel klüger zu werden, wird der Großteil von uns als willenlose, unglückliche Verfügungsmasse der Wirklich-Mächtigen enden.

Hier ist mein erster, tastender Vorschlag, wie wir beides angehen können, wie wir es zumindest versuchen können, für die Zeit nach diesem großen Brand zu planen!

Wie Chips, nur realistisch

Im Text »Ein Chip im Hirn für jeden« beschrieb ich die Idee, den Menschen einen Chip ins Hirn einzupflanzen, mit dessen Hilfe das Denken der Menschen schneller und effektiver werden könnte. Das größte Problem dieses Vorhabens sind nicht die moralischen Fragen – als moralisch gilt heute ohnehin, was Propaganda und Marketing-Abteilungen der Konzerne als solches festlegen, und man wird schon einen Grund finden, das Nicht-Einsetzen für unmoralisch zu erklären. (Etwa: »Bist du gar ein Nazi und willst deine rechtsradikalen Gedanken verbergen?«)

Das größte Problem der Gehirnchips ist schlicht, dass wir trotz erster Schweine-Experimente technisch noch längst nicht soweit sind – dass wir nicht einmal genau sagen können (oder: wollen?), was mit »soweit« hier gemeint ist.

Jedoch: Es existiert bereits eine Technologie, durch welche Menschen die Effektivität ihres Denkens und Entscheidens, gerade in Angelegenheiten des eigenen Lebens wie auch der Gesellschaft, ums Vielfache erhöhen können. Viele kennen diese Technologie nur noch als Nachklang von billigen Drucken in Geschenkläden und von Zitatbildlein im Internet, doch diese Technologie ist das bewährteste Werkzeug zur Vergrößerung der allgemeinen wie auch persönlichen Klugheit.

System-Entwurf

Hier ist ein erster Entwurf, wie wir sehr-schnell-sehr-viel-klüger (in Lebensdingen) werden könnten.

  1. Wir entdecken die alten Weisheiten neu.
  2. Wir forschen nach und formulieren neu, was sie uns sagen wollen und können.
  3. Wir bringen sie in eine mediale Form, die sie…
    1. leicht zu transportieren macht, und …
    2. leicht verdaulich (sprich: immer wieder neu schnell lernbar).

Ich will mich aufmachen, schon einmal am ersten der Punkte zu meißeln – wir meißeln gewissermaßen an der unsichtbaren, aber harten Mauer zwischen uns und dem Gegenteil-von-Klugheit. Auch das ist, finde ich, konsequent: Vor etwa drei Jahren, im Essay vom 6.8.2017 beauftragte ich den »Schreiber als Mauerspecht und Baumeister«!

Beispiel: Eleanor Roosevelt

Ich greife an dieser Stelle (noch) nicht ins Regal. Um das Ad-hoc-Prinzip zu testen googele ich »wisdom«. Das erste Ergebnis ist goodreads.com/quotes/tag/wisdom.

Ich gehe die Liste der als Zitat codierten Weisheiten durch. Ich nehme gleich die ersten Zitate, und prüfe, ob sie uns »effektiver« denken lassen könnten.

No one can make you feel inferior without your consent.(Eleanor Roosevelt)

Zu Deutsch etwa: »Niemand kann dir ohne deine Zustimmung das Gefühl geben, erniedrigt zu sein.« – Eine top-aktuelle Weisheit!

Es ist heute ein gesellschaftsspaltendes, aber einträgliches Geschäftsmodell, sich benachteiligt, unterdrückt oder eben »erniedrigt« zu fühlen. Der Weisheits-Satz von Eleanor Roosevelt erinnert uns daran, dass zum »sich-erniedrigt-fühlen« nicht selten der »Sich-erniedrigt-Fühlende« seinen Anteil leistet.

Es ist die Effektivität des Denkens, die wir anstreben, nicht (nur) eine wohlig nostalgische Sehnsucht nach vergangenen, klügeren Zeiten (wobei die keinesfalls verkehrt ist, jedoch auch nicht genug). Eine simple Frage: Würden wir als Gesellschaft effektiver oder weniger effektiv denken, wenn wir gemäß alter Weisheit verstünden, dass sich erniedrigt zu fühlen immer auch ein eigener, aktiver Akt ist? Könnte es vielleicht sogar sein, dass diese lähmende und in sich widersprüchliche Debatte, die von den hochbezahlten »Profi-Benachteiligten« mit den extra feinen Uhren täglich neu angeheizt wird, sich weitgehend auflöst, wenn wir Eleanor Roosevelts ewige Weisheit zur Anwendung bringen?

Ja, der erste Weisheitsspruch auf der ersten Seite, die wir bei Google fanden, erfüllt bereits unsere Forderung: Wenn wir diese Weisheit beachten würden, wären wir klüger und würden uns Irrwege des Denkens sparen – ganz ohne »Chip im Kopf«!

Weiter, Weisheit!

Ich will die direkt folgenden drei Zitate auf jener erstgefundenen Weisheits-Website ebenfalls kurz beleuchten, immer auf die eine Testfrage hin: Helfen sie uns, effektiver zu denken, sprich: schneller und klüger zu tauglichen Ergebnissen zu gelangen?

It is better to remain silent at the risk of being thought a fool, than to talk and remove all doubt of it. (Maurice Switzer)

Frei übersetzt: »Es ist besser, zu schweigen, und damit zu riskieren, für einen Dummkopf gehalten zu werden, als zu reden und alle Zweifel daran zu beseitigen.«

Wäre unsere Debatte denn nicht effektiver, wenn wir vor jeder Aussage prüfen würden, ob das, was wir sagen, auch wirklich begründbar ist? (Wobei diese alte Weisheit voraussetzt, dass es gesellschaftlich geächtet ist, Dummes zu sagen.)

The fool doth think he is wise, but the wise man knows himself to be a fool. (William Shakespeare)

Frei übersetzt: »Der Dumme hält sich für weise, aber der weise Mann weiß, dass er ein Dummkopf ist.«

Die Frage bleibt weiterhin: Wie können wir effektiver denken, schneller und richtiger? Stellen wir uns vor, dass die Köpfe, die allabendlich in den Talkshows des Staatsfunks reden, sich ihrer Fehlbarkeit bewusst wären – und dass kein Zuschauer es hinnehmen würde, Menschen zuzuhören, die offensichtlich Dummköpfe sind, welche sich bloß für sehr weise halten! – Wow, wir würden auf einen Schlag ums Vielfache klüger und denk-effektiver werden!

Whenever you find yourself on the side of the majority, it is time to reform (or pause and reflect). (Mark Twain)

Frei übersetzt: »Wann immer du dich auf der Seite der Mehrheit wiederfindest, ist es Zeit für Veränderung (oder Innehalten und Nachdenken).«

Wir wollen hier Effektivität des Denkens durch Anwendung alter Weisheit erreichen – und diese konkrete Weisheit lässt uns (so wir sie denn applizieren) so schnell klüger werden wie kaum eine andere: Wenn du feststellst, dass deine Meinung der Meinung der Masse entspricht, erinnere dich an die vielen Male in der Geschichte, in welcher die Masse so gründlich wie gefährlich falsch lag – dann lege eine Pause ein und überprüfe deine Meinung! Das ist effektives Denken!

Sehr schnell sehr viel

»Das Haus brennt – lasst uns das Neue planen!«, so schrieb ich im März, zu Beginn der Corona-Krise. Ich will es nicht beim Aufruf belassen, ich will im Allerkleinsten mit dem Neubau beginnen.

Wir alle sehen die Gefahr und unser Bauchgefühl drängt uns, »jetzt schnell was tun«. Jedoch: Ohne Weisheit und besseres Denken wird kaum etwas, was wir als nächstes tun, gelingen können.

Lasst uns wieder weise werden, und alle weiteren Schritte werden sich daraus ergeben. (Selbst wenn unser Eindruck heute falsch ist, und wenn die Welt in Wahrheit eigentlich in Ordnung ist und auf guten, klugen Gleisen steht, selbst dann hätte unsere übergroße Vorsicht bloß dazu geführt, dass wir etwas Weisheit lernten.)

Wir werden klüger werden müssen, sehr schnell sehr viel klüger! Ich denke, dass es möglich ist – nicht einfach, nicht selbstverständlich – aber möglich.

Weiterschreiben, Wegner!

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