Dushan-Wegner

14.12.2019

Wenn alles abgerissen würde, wie würden wir neu bauen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Neven Krcmarek
Nehmen wir rein hypothetisch an, Deutschland würde von den Eliten vollends zerdeppert. Es würde gelten, unsere wichtigsten Werte irgendwohin zu retten. Welche Werte, abstrakten Güter und guten Gewohnheiten sollten wir (auf)bewahren? Wie?
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In der japanischen Präfektur Mie (三重県) findet sich der Shinto-Schrein Ise-jingū, das höchste Heiligtum seiner Art in Japan.

Jedes Jahr pilgern Millionen Japaner zum Ise-jingū, dabei sind die Hauptschreine für die Öffentlichkeit gar nicht zugänglich. Wer nicht Priester ist und die wichtigen Rituale zu vollziehen hat, der darf den Hauptschrein nur aus der Entfernung betrachten. (Der Ise-jingū-Schrein hat eine schön gemachte Website mit Bildern und Videos, auch auf Englisch: isejingu.or.jp)

Eine ganz besondere Eigenschaft des Ise-jingū ist, dass er etwa 1.300 Jahre alt ist – oder 2.000 Jahre, so sagen heilige Legenden – und zugleich nicht älter als 20 Jahre!

Was wie ein Paradoxon oder wie ein mit Worten jonglierendes Rätsel klingt, hat eine einfache und einmalige Erklärung: Der Schrein wird alle 20 Jahre zerlegt und aus frischem Holz neu gebaut. Der letzte Neubau samt zeremonieller Neu-Einweihung geschah 2013 (siehe etwa greenshinto.com), der nächste steht damit für 2033 an.

Die Tradition des ewigen Abreißens und erneuten Aufbauens hält (wie so vieles in Japan und in manchen Religionen sowieso) eine Reihe von lebens-philosophischen Lehren bereit – und er ist praktisch!

Eine Fußball-Weisheit adaptierend ließe sich auch für Ise-jingū sagen: Nach dem Neubau ist vor dem Neubau. Wenn der Schrein fertig neu aufgebaut wurde, kann man bald schon anfangen, den nächsten Neubau zu planen, die für Holz benötigten Bäume müssen sowieso immer angebaut und gepflegt werden, und die Handwerker müssen ihre Künste aktuell halten. (Obgleich jeder einzelne Handwerker »nur« an weit weniger als einer Handvoll von Neubauten des Ise-jingū-Schreins beteiligt ist, bewahrt diese Tradition die entsprechenden Künste seit vielen Jahrhunderten.)

Im Rahmen des Neubaus wird manches gereinigt und repariert, dann mit Sorgfalt und von Riten begleitet zum neuen Ort (nach nebenan) transportiert, neu aufgestellt und eingeweiht. – Man muss kein Japaner sein, um die symbolische Kraft dieser Tradition zu spüren!

Tagesprotokoll

Ein Besucher im Irrenhaus wird, sobald er den ersten Schrecken überwunden hat, nicht toben und lachen ob der Verhaltensweisen, die er sieht – so die Anwesenden nicht sediert und ruhiggestellt sind, dann würde er eher vor allem traurig sein – der Besucher wird bald die Sachlichkeit eines Arztes kopieren, und er wird beobachten und protokollieren, was ihm an »irren« Verhaltensweisen begegnet. Wenn einer vom Weltende predigt, wenn einer brüllt, die Kanadier hörten uns alle ab, oder wenn ein anderer nur im Sternzeichen der Jungfrau hergestellten Käse essen will, dann empfiehlt es sich, nicht selbst irre zu werden ob solchen Verhaltens, sondern zu protokollieren, wie ein Forscher es protokollieren würde – und mit einem derart ruhigen und doch aufmerksamen Geist wollen auch wir die Nachrichten des Tages zu Protokoll bringen.

Die Menge des zu listenden Irrsinns gebietet eine kursorische Herangehensweise. In Dresden wurde eine »Diebesbande« im »Asylheim« gefasst (bild.de, 13.12.2019) – was die jungen Herren den Bürgern nahmen, das war, unter anderem, wertvolles Gold. Nun, es sei zu Protokoll gebracht. Herr Feldmann, Bürgermeister von Frankfurt, fällt schon mal durch seine populistischen und aus demokratischer Sicht fragwürdigen Aktionen gegen die AfD auf – und wie so oft findet sich auch hier ein zweites Thema hinterm Lärm: Einige Zeitgenossen fragen sich noch immer, wodurch seine Gattin so eine feine Versorgung von der sogenannten »Arbeiterwohlfahrt« verdient hat (siehe etwa welt.de, 12.12.2019). In Hannover sucht man mit Kamera-Aufnahmen nach drei Stadtbahn-Schlägern – das Ereignis geschah wohlgemerkt im Mai – gut Ding will Weile haben (bild.de, 13.12.2019) – hiermit protokolliert. Weiter, fürs Protokoll: In Leipzig greifen Linksextreme die Polizei an (bild.de, 13.12.2019). Der demotivierende Griff der Staaten und angeblichen »Währungshüter« auf das Vermögen der Bürger und insbesondere der Sparer, wird immer dreister, und wir lernen neue Begriffe wie »Finanzielle Repression« (focus.de, 13.12.2019).

Und schließlich, eine andere Art der Repression. Vom BKA (siehe »Hass-Postings und Löwenzahn«) bis Staatsfunk (siehe tagesschau.de, 13.12.2019, 20:00-Uhr-Ausgabe, ab ca. Minute 15) scheint man sich darauf geeinigt zu haben, mit Hilfe des fragwürdigen Ausdrucks »Hass und Hetze« die Äußerung negativer Emotion in den Bereich des Verbotenen zu rücken. Die Vokabeln werden wild durcheinander geworfen. »Hasskriminalität und Rechtsextremismus« werden da genannt (tagesschau.de, 13.12.2019, 14:20-Uhr-Ausgabe, ca. ab 6:30) – während wohlgemerkt Linksextremisten auf Polizisten einprügeln. Während der Bürger eingeschüchtert wird, ja keine negative Emotion zu äußern weil sonst die Polizei vor seiner Türe stehen kann, werden gleichzeitig Programme wie »grüne Hausnummern« verteilt, um Bürger auszuzeichnen, die besonders brav »auf Linie« sind. Ach, würde Deutschland von China lieber die klugen Dinge lernen, etwa die Fokussierung auf Forschung und künstliche Intelligenz – statt dessen übernimmt man einige problematische Aspekte wie Einschüchterung und Überwachung der geäußerten Meinungen.

Nun, wir sind Protokollanten, und wir wollen gewissenhafte Protokollanten sein, doch auch unser Magen kann nur so und so viel auf einmal verdauen – genug des Protokolls für heute. Der Zug fährt, und wir sehen ja, wohin die Schienen weisen. Wird es gut enden? Ich habe Zweifel, aber ich bin ja auch ein Ketzer – und dass ich die Hoffnung nicht aufgebe, das ist zuerst ein fester Entschluss, nicht der Schluss aufs wahrscheinlichste Ergebnis.

Was würden wir mitnehmen?

Stellen wir uns einmal vor, unsere Kultur hätte einen zentralen Tempel – und sei es ein abstrakter Tempel – oder sie wäre ein Tempel. Nehmen wir weiter an, dieser Tempel würde alle 20 Jahre abgerissen und neu aufgebaut. Was würden wir mitnehmen? Welche heiligen Dinge, materielle oder abstrakte, würden wir retten wollen, würden wir reinigen, an einen neuen Ort bringen und dort auf die eine oder andere Weise »einweihen«?

Nahmen wir an, dass der deutsche Staatsfunk die Bürger weiter stur auf Linie hält und dass kein demokratischer Befreiungsschlag wie in den USA oder Großbritannien passiert – wie würden wir das, was wir an Deutschland schätzten, neu aufbauen können, sei es in Deutschland oder anderswo?

Einst wurde Deutschland zum Monster, heute ist es zum Negativ-Beispiel geworden, doch es gab ja auch Zeiten, als Deutschland der Welt etwas geben konnte (außer Geldgeschenken auf Pump). Es gibt Wertvolles, das Deutschland einst besaß und in seinen Archiven und Herzen noch immer besitzt – wir hatten Philosophie und Literatur, wir hatten Mut, Fleiß und andere Tugenden, an guten Tagen lag sogar etwas Weisheit in den Gewohnheiten und Werten, nach denen wir unseren Alltag organisierten. Diese Werte sind ja nicht verschwunden, nur weil die sogenannten »Eliten« sie verachten und verschmähen! Viele von uns stehen noch immer früh auf, der ehrlichen Arbeit wegen. Viele von uns leiten noch immer Kinder zum Lesen von Büchern an und zum selbstständigem Denken! Jeder einzelne von Ihnen, der diesen Text bis hierhin gelesen hat, schätzt die Arbeit an geschriebenen Worten, die das Gehirn zum Mit-Denken zwingen, statt sich einfach nur von Glotze und Staatsfunk berieseln und so betäuben zu lassen.

Übung für den Geist

Unsere Werte sind noch nicht tot – wir sind noch nicht tot – doch wenn »die da oben« den Tempel unserer Werte abreißen und abbrennen sollten – wüssten wir denn, wie wir ihn wieder aufbauen? Haben wir einen Plan, welche Stücke wir retten, hinübertragen und neu weihen wollen?

Ich selbst arbeite mich seit Jahren daran ab, mich und meine Leser darauf einzuschwören, zu erforschen und zu verstehen, was uns selbst wirklich wichtig ist, unsere »relevanten Strukturen«, und für mich selbst weiß ich es ja auch, doch könnten wir das auch für das Land insgesamt definieren, für ein Volk und eine Kultur? Klar, ein paar wichtige Namen zu nennen, das kann jeder (und ja, auch der Österreicher Mozart und der Tscheche Kafka gehören dazu), doch wenn wir einen Wertekatalog benennen sollten, welche Werte wären es? – Etwas geht kaputt in Deutschland. Vieles ist schon verloren, doch was schreiben wir auf die Vermisstenmeldung?

Der Ise-jingū-Schrein wird alle 20 Jahre neu gebaut, und die Verantwortlichen wissen genau, welche Teile wohin kommen, was neu aus Holz geschnitzt werden muss und wie. – Es könnte heute an der Zeit sein, nicht nur den neuen deutschen Irrsinn zu protokollieren, sondern auch und zuerst die Werte, das Wertvolle, ja: das Heilige aufzulisten

Was ist uns wichtig, wonach könnten wir wieder aufbauen, was Eliten und linksgrüner Wahn zerstören? Es kann nützlich sein, Buch darüber zu führen, was heute verloren geht, und sei es als lockernde Übung für den Geist. Ein beweglicher Geist, das ist eine nützliche Eigenschaft, in jeder Kultur – auch wenn man in manchen Kulturen die Beweglichkeit seines Geistes nur vorsichtig öffentlich kundtun sollte – in China etwa, oder in Deutschland.

Deutschlands Werte versinken im Matsch von Beliebigkeit, Empörung und selbstgewählter Dummheit. Die Handwerker von Ise-jingū wissen zu jedem Teil nicht nur, an welche Stelle es gehört, sondern auch welche Funktion es dort erfüllt und dann auch, wie es neu nach alten Vorgaben anzufertigen ist. Ach, wie leichtfertig werfen wir alte Werte und bewährte Erkenntnis fort, weil unsere Klugen zu dumm und ungebildet sind, die jeweilige Funktion zu verstehen! (Oder weil es denen in ihrer Gier, Arroganz und Selbstberauschtheit schlicht egal ist, was die Folgen ihres Handelns sind.)

Wenig ist so praktisch wie eine gute Theorie, und also frage ich: Wenn wir das Herz Deutschlands, die Werte und guten Gewohnheiten, den »Tempel«, wenn Sie so wollen, neu aufbauen müssten, wie würden wir es anstellen – theoretisch? Es ist wichtig, zu wissen, was uns wichtig ist, und zwar bevor es ganz praktisch weg ist.

Weiterschreiben, Wegner!

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