Wir wollen unsere Kinder erziehen, wir wollen dass sie lernen und wachsen, und wenn wir etwas Glück und viel Durchhaltevermögen haben, dann lernen wir mit ihnen. Ein Reflex, den alle in unserer Familie gelernt hatten, war das schnelle Festhalten des auf-den-Schoß-hüpfenden Jungen.
Wenn Leo in den Raum titscht und irgendein Familienmitglied in einem Sessel sitzt, sei dies Uroma, Oma, Opa, Elli oder ich, dann springt der Herr Sohn wie ein aufgedrehtes Automaton seiner Zielperson auf den Schoß, und das ist der Moment, wo der Leo-Griff zur Anwendung kommen muss. Wenn Leo anfliegt und dir auf den Schoß springt, musst du schnell zugreifen und ihn festhalten, damit er dir von lauter Schwung nicht auf der anderen Seite wieder herunterfällt.
Nostalgie und Liebe
Eltern zu sein ist keine einförmige Tätigkeit. Das Leben des Kindes durchläuft Phasen, das Leben der Eltern nicht minder. Es fängt lange vor der Geburt an, spätestens ab der ersten Ahnung und dem Schwangerschaftstest, über die Ankündigung gegenüber den zukünftigen Eltern, Onkeln und sonstigen Anverwandten, bis hin zu den Trainings im Geburtshaus, dem Kauf eines Babybett-Bastelsets beim Möbelschweden bis zum Tapezieren des künftigen Kinderzimmers.
Ich erinnere mich an ernsthafte Debatten mit Elli, ob unsere Kinder auch Laufen und Sprechen lernen würden – heute laufen sie umher wie Pinscher auf doppeltem Espresso, und sie blubbern den lieben Tag lang, in vier verschiedenen Sprachen.
Man sagt, das Alter um drei bis vier Jahre sei »magisch«, und da ist viel Wahres dran. Das Kind kann dann bereits laufen und wir erkennen erste Gedanken. Man erkennt, wie ein zweifellos niedliches, aber doch vor allem biologisches Wesen jeden Tag neue menschliche Eigenschaften annimmt. Das Kind hat spürbaren Spaß am Laufen, so oft es auch hinfallen mag. Das Kind entwickelt ersten Humor und beginnt, uns, die »Großen«, nicht nur zu ärgern, sondern auch zu necken. Indem wir dem kleinen Lebewesen bei seiner lustigen Menschwerdung zuschauen, können wir gar nicht anders, als uns selbst in der Frucht unserer Lenden zu erkennen. Unser Tapsen mag eleganter sein, mit Höflichkeit und guten Sitten überformt, unser Schritt mag sicherer wirken, doch wir tapsen genauso täglich neu ins Leben, nur ist das Kind unverfälscht und fröhlich dabei. Unsere Nostalgie, unser Schmerz ob des Verlustes unserer eigenen Kindheit, die rohe und unschuldige Schönheit der tapsenden Schritte des Kindes, all das verbindet sich in Vater und Mutter zu einer Liebe, die nur in Metaphern und Andeutungen beschrieben werden kann, wie der Duft einer bestimmten Blume oder die Wärme der Sonne auf einer fernen Insel.
Es ist nicht als Vorwurf gemeint, doch es ist auch der Widerspruch zu jeder Leugnung einer simplen Tatsache: Wer keine eigenen Kinder hat, wer das Menschwerden des eigenen Säuglings nicht kennt, der ist ein anderer Mensch als einer, der es durchlebte – und auch durchlitt.
Geknuddeltwerden und träumen
Unser Sohn ist gerade erst, diesen Sommer, neun Jahre alt geworden. – Jedes Kinderalter hat seinen eigenen Zauber, und bei Jungen ist das Alter von etwa sieben bis neun Jahren ebenfalls ein ganz eigenes mit ganz eigenen Eigenschaften.
Mit acht Jahren will der Junge noch immer knuddeln, doch er interessiert sich zugleich auch für Jungensachen. Leo macht Pläne, was er im Leben werden möchte – aktuell Mathematiker oder Ingenieur – doch er sammelt noch Steinchen im Park und baut aus Lego fliegende Weltraum-Auto-Wohnmobile – und wehe, man vergisst, am Abend mit ihm zu kuscheln, ihm eine Geschichte oder zwei vorzulesen, und ihm zu versichern, dass alles gut ist, dass alles gut wird, dass wir auf ihn aufpassen werden.
Geknuddelt werden und zugleich schon große Träume haben, ach, wünschen wir uns nicht ein Leben lang dahin zurück?
Dass sie groß werden
Am Frankfurter Hauptbahnhof wurde heute ein achtjähriger Junge vor den ICE gestoßen – er ist tot. Laut Presseberichten wurde ein Verdächtiger verhaftet, er soll aus Eritrea stammen (siehe etwa bild.de, 29.7.2019). – Frau Merkel, die ich »die Zerstörerin« nenne, diese Frau, die nicht weiß, wie es ist, ein Kind aufzuziehen, sie ist derweil mit dem Bundespolizeihubschrauber in den Urlaub abgehoben (bild.de, 29.7.2019) – wenn ich nie wieder von dieser Person und ihren Kofferträgern hören müsste, dann wäre mein Leben darum nicht ärmer, wahrlich nicht.
Mein Leben – ich schäme mich nicht dafür – dreht sich um das Wohl meiner Familie und meiner Freunde, meines Landes und meines Volkes – so schwierig das für einen sein mag, der auch nur einmal seine Heimat verließ – kurz, um das Wohl der Menschen und Orte, die mich mittragen, und die ich zu tragen mir zur Lebensaufgabe gemacht habe.
Wir wollen unsere Kinder erziehen, und wir wollen, dass sie lernen und wachsen, und vor allem, dass sie groß werden. Die professionellen Gutmenschen und Haltungspromis, gewissensleicht, kinderlos, und doch meist zu reich, um mit dem Pöbel am Bahnsteig zu stehen, sie kennen nicht, sie wissen nicht, und vor allem, sie fühlen nicht, wie es ist, meine Angst um seine Kinder zu haben.
Als der ICE in Frankfurt den achtjährigen Jungen überfuhr, so berichten Zeugen, haben viele Menschen aufgeschrien (siehe etwa bild.de, 29.7.2019). Ich schreie mit. Die Mutter wird nie mehr spüren, wie es ist, den Jungen festzuhalten, wenn er auf ihren Schoß springt, damit er nicht zur anderen Seite wieder herunterfällt. Den Griff, mit dem sie ihren Jungen festhielt, damit er ihr nicht von den Knien fällt, seine Kindheit und all die Hoffnungen, die sie für ihn hatte, das alles wird sie nicht vergessen, solange sie lebt.