Dushan-Wegner

13.01.2017

Instrumentalisieren

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten
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Es gibt Worte, deren eigentliche Bedeutung an der Bedeutung eines anderen Wortes hängt. Ein solches Wort ist »instrumentalisieren«.

Wer ein Thema »instrumentalisiert«, der missbraucht es für seine eigenen Machtpläne. Ein »Missbrauch« aber ist ein »unangemessener« Gebrauch. Was nun ist »angemessen«? Spätestens hier wird es gefühlig. Angemessen ist, was sich angemessen anfühlt. – In manchen Teilen der Welt fühlt es sich den Bürgern »angemessen« an, eine Frau zu steinigen, weil sie vergewaltigt wurde. In Deutschland scheint es manchem Richter in gewissen Fällen angemessen, selbst einen Totschläger (»auf Bewährung«) frei laufen zu lassen. Was »angemessen« scheint, ist von vielen Faktoren abhängig, endet aber stets, auch vor Gericht, im Bereich des Gefühls.

»Instrumentalisieren« ist heute ein politischer Kampfbegriff. Eine Partei wirft einer anderen Partei vor, eine Katastrophe oder das Leid von Menschen zu »instrumentalisieren«.

Nun haben wir in der Politik eine besondere Situation. Es ist im Aufgabenbereich der Parteien, Lösung für Krisen anzubieten. Kluge Menschen werden bereits Lösungen anbieten für Probleme, die sich erst abzeichnen. Es kann passieren, dass viele Jahre lang niemand auf diese Leute hört. Dann tritt eben die Katastrophe ein, vor der gewarnt wurde. Der Warner springt auf, und sagt: »Ich habe euch doch gewarnt! Lasst uns wenigstens jetzt die notwendigen Gegen-Maßnahmen einleiten!«

Die anderen Parteien stehen natürlich doof da. Sie haben viele Jahre lang bestritten, dass passieren könnte, was gerade passiert ist. Sie müssen dem bestätigten Warner den Wind aus den Segeln nehmen. Also bezweifeln sie die Reinheit seiner Intention. Sie sagen, der Warner missbrauche das, wovor er warnte, um seine Macht auszubauen.

Doch dieser Vorwurf kann ans Antidemokratische grenzen. Es ist Teil des demokratischen Ideals, dass derjenige gewählt wird, der die besseren Konzepte für die Gesellschaft vorlegt. Und »bessere Konzepte« bedeutet eben auch treffsichere Vorhersagen über mögliche Gefahren – plus Vorschläge, wie ihnen zu begegnen sei. Der Vorwurf der Instrumentalisierung könnte also angreifen, dass ein Demokrat tut, was sein demokratischer Job ist.

Nehmen wir etwa an, dass eine Partei lange vor den Gefahren der Atomkraft warnte. Dann passiert eine Atomkatastrophe. Die Partei sagt darauf hin: »Sehen Sie, es ist passiert, wovor wir warnten! Wählen Sie uns, und wir tun in Zukunft etwas dagegen.« – Hat diese Partei die Katastrophe »instrumentalisiert« oder hat sie schlicht ihren demokratischen Job getan?

Oder nehmen wir an, dass eine Partei lange vor den Folgen einer völlig offenen Asylpolitik warnte. Dann passiert ein Terroranschlag, durch einen Menschen, der die offene Asylpolitik ausgenutzt hatte. Die Partei sagt darauf hin: »Sehen Sie, es ist passiert, wovor wir warnten! Wählen Sie uns, und wir tun in Zukunft etwas dagegen.« – Hat diese Partei das Leid »instrumentalisiert« oder hat sie schlicht ihren demokratischen Job getan?

So, wie das Wort »instrumentalisieren« heute genutzt wird, muss man festhalten: »X instrumentalisiert« ist gelegentlich Code für: »Die Voraussage von X stimmte – und das passt uns gar nicht!«

Vielleicht kann ein Instrumentalisierungs-Test helfen: Würde die vorgeschlagene Reaktion wirklich das Problem lösen? Würden etwa Zensur-Maßnahmen tatsächlich das Fake-News-Problem lösen (und gibt es das Problem wie beschrieben überhaupt?!) – oder wird hier nur ein Thema emotional hochgejazzt, um eine Agenda durchzudrücken?

Faustregel: Wenn die Lösung zum Thema passt, ist es schlicht demokratische Politik und der Vorwurf der Instrumentalisierung ist schlicht falsch. Wenn aber die Lösung das Thema gar nicht gelöst hätte, könnte es sich tatsächlich um Instrumentalisierung handeln.

Weiterschreiben, Wegner!

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