Es war das Jahr 1980, und mitten im Sommer veröffentlichte die Band Joy Division den Song Love Will Tear Us Apart.
Über den Namen der Band selbst darf man schmunzeln. Wörtlich übersetzt heißt er »Abteilung für Freude«.
Der Song-Titel lautet aber übersetzt: Liebe wird uns auseinanderreißen.
Millionen Menschen sangen mit, und wer heute bei YouTube noch mal reinhört, wird zum Gesang auch das vom Synthesizer gespielte Motiv (das »Riff«) wiedererkennen.
Der sonstige Text des Liedes ist nicht weiter bemerkenswert, doch die wieder und wieder wiederholte Titelzeile bleibt hängen: Liebe wird uns auseinanderreißen!
Diese Behauptung, Liebe könne (und würde daher) Menschen auseinanderreißen, lässt mich an jene Kategorie von Aussagen denken, die ich im Talkingpoints-Buch als Heiligen Widerspruch beschreibe.
Ein Heiliger Widerspruch ist eine Aussage, die dadurch autoritativ und vertrauenswürdig klingt, dass sie selbstbewusst einen offensichtlichen Widerspruch vorträgt. Dies erinnert an jene scheinbaren Widersprüche in Religionen, wo es etwa heißt, Jesus sei »ganz Gott und ganz Mensch«.
Weil solche Widersprüche in Religionen tatsächliche tiefe Wahrheit enthalten, soll dies auch für den Heiligen Widerspruch nahegelegt werden. Beispiele in der Politik sind etwa »Überholen ohne aufzuholen« oder »Einheit durch Vielfalt«.
Es klingt wie ein Heiliger Widerspruch, wenn es heißt, Liebe würde uns auseinanderreißen. Doch tatsächlich ist er so heilig nicht, er ist einfach nur ein Widerspruch – und er ist falsch.
Nein, liebe Freunde, es ist nicht Liebe, die uns auseinanderreißt.
Was uns sowohl in unseren privaten Beziehungen als auch in der Gesellschaft auseinanderreißt, sind durchaus innere Beweggründe, aber ganz andere als Liebe!
Nicht unsere Liebe, sondern unsere Laster reißen uns auseinander. Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei und vor allem: Trägheit.
Der Westen ist das kulturelle Fundament der gesamten modernen Welt, und dieses Fundament wird heute aktiv zerstört. Familien, Tradition, Industrie, die Kunst des Denkens, das Durchwobensein der Gesellschaft mit Kultur, Werten und Güte – all das wird zerstört. Ich bin jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie die Gesellschaften des Westens es aktiv fördern, feiern und finanzieren, wenn und dass sie aktiv zerstört werden. Und wer den Westen verteidigen will, zum Wohl der ganzen Welt, der ist es, der von den Suizidalen verfolgt und bestraft wird.
Warum aber lassen die Bürger das zu? Warum sind wir so zerrissen? Die Antwort ist leider einfach: Weil uns die Liebe fehlt, in mancherlei Hinsicht. Doch hier rede ich von dem Mangel an Liebe zu unserem greifbaren wie auch unserem geistigen Zuhause.
Frage Geschiedene, wie ihr Zerbrechen begann: Die Ehekrise begann gewiss nicht mit einem Zuviel an Liebe, aber auch nicht mit Hass. Sondern mit Trägheit und Gleichgültigkeit – zumindest gegenüber dem Ehepartner.
Ein Zuwenig an Liebe und ein Zuviel an Trägheit – das ist es, was unser Land zerreißt, warum wir auseinanderdriften.
Nicht nur die Trägheit im Handeln. Auch und besonders die Trägheit im Denken. Der Mangel an Mut, das Offensichtliche und Absehbare zu Ende zu denken. Linien zu Ende zeichnen. Die Arbeit des Propheten zu tun, in privaten wie auch in öffentlichen Belangen.
Nicht ein Zuviel an Liebe ist unser Problem. Ach, entgegen täglicher Propaganda ist auch nicht ein Zuviel an »Hass« unser Problem. (Zum »Hass« siehe auch den Essay vom 21.3.2018.)
Wir driften als Gesellschaft auseinander, weil wir wie die Gemeinde Laodizea in der Offenbarung sind:
> Ich kenne deine Taten: Du bist weder kalt noch heiß. Ach, wärst du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, werde ich dich aus meinem Mund ausspeien. (Offenbarung 3:15-16)
Wir sind lauwarm, deshalb driften wir auseinander, deshalb werden wir auseinandergerissen, werden irrelevant – werden geschmacklos wie ein alter Kaugummi, den man ausspuckt.
»Ja, schön und gut«, sagst du, »doch wie soll ich diese Leute lieben, diese Gesellschaft. Wie soll ich mich für dieses Land auch nur wieder erwärmen?«
Paulus hat einen Rat:
>Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. (1 Korinther 13:4)
Ich weiß nicht, ob der Westen und unser Land wieder zusammenwachsen kann. Doch wenn wir eine Chance haben, beginnt sie damit, dass wir neu lernen zu lieben, dass wir neuen Mut zur Liebe entwickeln. Vaterlandsliebe, vielleicht sogar Menschenliebe! Und Liebe beginnt, so sagt der Apostel, mit Langmut und Güte.
Und wenn das nicht geht? Wenn du einfach keine Langmut mehr für dein Land übrig hast, keine Güte für deine Mitmenschen?
Dann mach dich ehrlich.
Es ist das Jahr 2025. Es erscheint mir ratsam, ehrlich zu sagen, was und wen wir überhaupt lieben wollen.
Und wen nicht.
Und was die ehrlichen Konsequenzen daraus sind.