29.03.2025

Lügen ist bald illegal (für dich, nicht für Politiker)

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Was schaust du so, Junge?«
Die Koalition der Schande will Lügen verbieten. Nein, nicht die Lügen der Politiker, die bleiben legal. Verboten wird, was der Medienaufsicht (= deutsches Wahrheitsministerium) widerspricht. »Unsere Demokratie« wird eine spektakulär dämliche Diktatur.
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Die kommende Koalition der Schande, so wird aktuell gemeldet, will das Lügen verbieten.

Wörtlich klingt der Wahnsinn so:

> Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. (vorläufiger Koalitionsvertrag, zitiert nach bild de, 27.3.2025)

Das bewusste Verbreiten falscher Tatsachenbehauptungen solle also illegal werden. Was eine richtige Tatsachenbehauptung ist, das soll eine zentrale Stelle entscheiden, so lesen wir. Angeblich soll sie politikfern sein. Vermutlich so politikfern wie ARD und ZDF. Man seufzt.

Diese Stelle aber, angesiedelt bei der Medienaufsicht, soll entscheiden, was Wahrheit ist und was nicht. Ein Wahrheitsministerium eben.

Und Gerichte werden dann wohl entscheiden, ob du dir dessen bewusst warst, dass es keine von den Behörden genehmigte Wahrheit war, die du verbreitet hast. Ich gehe davon aus, dass die lachenden Staatsanwälte von Göttingen wissen werden, welche Richter dem frechen Bürger besonders häufig böse Absicht attestieren.

Der zentrale psychologische Trick und zugleich der verheerendste Irrtum von Ideologien besteht darin, einen ethischen Wert und ein hehres Ziel, die bislang dem Einzelnen zur Prüfung seines Redens und Handelns dienten, zu einen real zu erzielenden Zustand zu erklären – und diesen dann erzwingen zu wollen.

Ein Beispiel ist die Gerechtigkeit: Wer etwa einen Kuchen an seine Kinder verteilt, der will dabei möglichst gerecht vorgehen.

Doch schon da stellen sich Fragen: Verteilt er ein gleich großes Stück an jede Person? Oder verteilt er gemäß der jeweiligen Körpergröße oder dem Alter, wie er es sonst beim Essen täte? Würde er, wenn ein Kind krank ist, auch die Medizin gleich an alle Kinder verteilen, um gerecht vorzugehen?

Gerechtigkeit ist ein Wert, und die Anwendung dieses Wertes ist Gegenstand ewiger Debatten – und muss es auch bleiben! Eine Ideologie, die festlegen will, was Gerechtigkeit ist und was nicht, will aber die Bedeutung des Wortes verändern, den Begriff austauschen.

Beim Begriff Wahrheit verhält es sich ähnlich, aber noch drastischer. Hinsichtlich der Gerechtigkeit ließe sich ja noch ein Zustand vorstellen (theoretisch, nicht praktisch), bei dem sich alle Beteiligten darauf einigen, dass sich dieser Zustand gerecht genug anfühlt. Hinsichtlich der Wahrheit ist Vergleichbares schlicht logisch unmöglich.

Der Begriff Wahrheit bezeichnet (nach der am weitesten akzeptierten Erklärung) eine Korrespondenz zwischen Aussagen und der Realität. Simpel formuliert: Ein Satz ist wahr, wenn die Realität so ist, wie der Satz es behauptet.

Das klingt plausibel genug, doch es zeigt in der praktischen Anwendung einen verflixten Haken: Wenn ich einen Satz sage, und jemand bewertet, ob dieser Satz wahr oder falsch ist, dann ist auch diese Bewertung wiederum nur ein Satz!

Wie kann ich wissen, dass der zweite Satz, wonach mein erster Satz richtig oder falsch ist, seinerseits wahr ist?

Wir bräuchten einen dritten Satz über die Wahrheit des zweiten Satzes, der die Wahrheit des ersten Satzes bewertete und so weiter, ad infinitum.

Könnten wir eine Prüfung der Wahrheit anwenden, die außerhalb aller Sätze liegt?

Eine seit Urzeiten bewährte Methode bei der Suche nach Wahrheit besteht darin, sich die Angelegenheit einfach mal selbst anzuschauen. Der Satz etwa, wonach meine rechte Hand über fünf Finger verfügt, erscheint mir als wahr genug, wenn ich nachschaue, nachzähle und es zu stimmen scheint. (Doch auch da könnte ich irren, und dieser Irrtum könnte sogar aktiv herbeigeführt sein, zu therapeutischen Zwecken, siehe Spiegeltherapie.)

Wenn ich nicht selbst nachsehen kann, brauche ich externe Faktoren, um zu prüfen, ob ich die Wahrheit eines Satzes für den Augenblick annehmen kann.

Die zwei häufigsten Fragen zur Bestimmung ausreichend begründeter Wahrheit sind: Passt die neue Aussage zu den anderen Sätzen, die ich für wahr halte? Und: Vertraue ich der Person, die diese Aussage trifft?

Kein Satz kann jemals als absolut wahr bestätigt werden. Um aber im Alltag handlungsfähig zu bleiben, müssen wir unsere Sätze und Annahmen zumindest so weit absichern, dass sie der Wahrheit ähnlich genug sind.

Und doch bleibt es dabei: Die definitive Wahrheit einer Aussage ist logisch nicht feststellbar.

Uns aber dessen bewusst zu sein, dass kein Satz definitiv wahr ist, ist Voraussetzung für menschlichen Fortschritt. Wo Sätze als absolut wahr gelten können, findet kein intellektueller Fortschritt statt – er kann nicht stattfinden.

Doch die Koalition der Schande will nun, nach Vorbild von Orwells 1984, von einer Behörde bestimmen lassen, was wahr ist und was nicht.

Das deutsche Wahrheitsministerium soll bei der Medienaufsicht angesiedelt sein. Und wer als Bürger eine Aussage verbreitet, die von der Medienaufsicht für unwahr erklärt wird, soll nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sein – sondern wird sich strafbar machen. Wer für die Verbreitung staatlich nicht genehmigter Wahrheit verurteilt wird, wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, und seine Familie wird Steuern auf den dabei anfallenden CO₂-Ausstoß zahlen müssen.

Wir leben in Zeiten, in denen die Politik bald wöchentlich bei großen, folgenreichen Lügen erwischt wird. Doch die von der Politik eingesetzte Medienaufsicht soll entscheiden, was für den Bürger als Wahrheit zu gelten hat.

Der Staat soll die finale Autorität darüber sein, was der Bürger für wahr zu halten und damit als Grundlage seines Handelns anzunehmen hat. Wir ahnen aber, welche Art von »Wahrheit« die Behörden des Propagandastaates bestimmen werden.

Ideologien und Diktaturen bereiten den Menschen die Hölle auf Erden, wenn sie versuchen, die Menschen in eine Utopie zu zwingen, die aufgrund der Natur des Menschen und der Eigenschaften der Welt schlicht nicht möglich ist.

Deutschland bereitet sich eine neue, sehr spezielle Hölle, wenn es das Denken und Reden zwingen will, innerhalb einer von der Medienaufsicht festgelegten »Wahrheit« stattzufinden.

Auch bei dieser Maßnahme müssen wir wieder feststellen: Dass das Land zur Diktatur wird, ist noch nicht einmal Deutschlands größtes Problem heute, sondern dass diese neue Diktatur namens »unsere Demokratie« so bemerkenswert dämlich ist – und damit selbstzerstörerisch.

»To thine own self be true«, schreibt Shakespeare, und er meint es halb ironisch. Dir selbst gegenüber sei wahrhaftig, ja. Und bald wirst du der einzige sein, dem gegenüber du offen, wahr und frei reden kannst. Übe dich also zumindest darin!

Ist es aber nicht tragisch, wie viele unserer Mitmenschen schon heute darin versagen, zumindest sich selbst gegenüber die ganze Wahrheit auszusprechen?

Weiterschreiben, Wegner!

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