Dushan-Wegner

30.06.2020

Der Macheten-Mann und die Unmöglichkeit des Möglichen

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Captureson Photography
Polizei sucht Macheten-Mann – gähn. Das ist halt »neues Normal«. Was etwas wehtut: All dies müsste nicht sein, nicht so! Ein klügeres Deutschland ist nur EINE politische Entscheidung entfernt – warum fühlt es sich so unerreichbar an?!
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Es waren einmal drei Männer, und ein Freund sagte zum anderen: »Erzähle uns von unserem Auftrag damals, als wir den Berg hinauf marschierten!«, und der Zweite fragte zurück: »Schon wieder?«, und der Erste sagte: »Ja, wir wollen es nicht vergessen!«, und der Dritte nickte und bestätigte: »Nein, wir wollen es nicht vergessen!«

»Es war einmal«, setzte der Zweite also zu berichten an, »es war einmal, als wir noch jung waren, und als wir in Río Muni stationiert waren, in Niefang am Ufer des Benito, da wurde uns befohlen, ein Lager auf dem Gipfel des Berges zu errichten, und also brachen wir auf.«

Der Zweite pausierte, also setzt der Erste für ihn ein: »Man hätte uns warnen sollen!«

Der Dritte übernahm: »Wir hätten die geknickten Äste auf dem Boden lesen sollen!«

Der Zweite nickte, und er berichtete weiter: »Wir waren den halben Tag marschiert, und es war heiß, die Sonne brannte aus ihrem Zenit auf uns, und wir bemerkten die Äste nicht. Und dann krachte es und der Vierte fiel in die Fallgrube, und wir sprangen zu ihm, an den Rand der Grube, und beinahe wären wir selbst in die Grube zu ihm gefallen, doch wir fielen nicht.«

»Wir sahen–«, setzte der Erste an, und brach gleich wieder ab.

»Der Vierte war–«, setzte der Dritte an, doch auch er verlor die Worte, noch ehe er sie fand.

»Wir schauten«, sagte der Zweite, »in die Grube, und wir sahen den Vierten, aufgespießt auf angespitzten Holzspeeren. Und wir sahen ihm noch in die Augen, und wir hörten noch seinen Atem rasseln, dann gingen er und das Leben getrennte Wege, und schließlich auch wir, noch mit dem Leben an unserer Seite.«

»Wir marschierten weiter«, sagte der Erste.

»Wir marschierten weiter«, sagte der Dritte.

»Wir marschierten weiter«, sagte der Zweite, »und wir gerieten in die Sümpfe.«

»Der fünfte von uns versank«, sagte der Erste.

»Was für eine Ungerechtigkeit«, sagte der Dritte, »der Fünfte war der einzige Vater von uns gewesen, damals.«

»Die Sümpfe«, sagte der Zweite, »die Sümpfe machten die Frau des Fünften zur Witwe – und seinen Sohn zum halben Waisen.«

»Wir marschierten weiter«, sagten sie, gemeinsam, wie Sänger eines Terzetts, das einst ein Quintett gewesen war. Es war nicht das erste Mal, dass sie die Geschichte ihres Marsches hörten, dass sie ihre Geschichte einander erzählten und miteinander ergänzten.

»Wir marschierten weiter«, sagte der Zweite, »und wir gerieten unter die Schlangen!«

»Das war unklug von uns, damals«, sagte der Erste.

»Das war dumm«, sagte der Dritte.

»Immerhin überlebten wir die Schlangen«, sagte der Zweite, »mit geschwollenen Beinen und Schmerzen, dass man sich die Füße abhacken wollte.«

»Immerhin überlebten wir«, sagten sie, und: »Wir marschierten weiter.«

»Und wir kamen an«, sagte der Zweite, »doch auf halber Höhe des Berges war unsere Kraft erschöpft, und die Beine zu geschwollen und unsere Trauer zu groß, und so brachen wir den Aufstieg ab, und wir machten Rast, und wir errichteten den Ausguck, und wir schauten hinab, und was sahen wir?«

Der Erste schwieg, und der Dritte schwieg, und sie wollten, dass der Zweite es sagte, also sagte er es, während sie den Atem anhielten, wie jedes der vielen Male zuvor, als sie die Geschichte berichtet hatten, und der Zweite schloss so: »Wir saßen da, auf halber Höhe des Berges. Wir blickten zurück, und wir sahen den Weg, der zu unserem Scheitern geführt hatte, und was sahen wir noch?«

Wieder schwiegen der Erste und der Dritte, und ihr Schweigen war Teil des Rituals, notwendiger Teil des Erzählens ihrer Erzählung.

Der Zweite führte die Geschichte nun ihrem Schluss entgegen, zu ihrer Auflösung, zur halben Befriedigung, und er sprach für all drei: »Wir erkannten, dass neben unserem Weg immer ein weiterer, ein sicherer Weg gelegen war. Wir hätten nicht den Vierten in der Fallgrube zurücklassen müssen, wären wir nur kurz vorher abgebogen. Wir hätten nicht den Fünften in den Sümpfen zurücklassen müssen, wenn wir nur vorher abgebogen wären. Und wir hätten nicht unter die Schlangen geraten müssen, wenn wir nur kurz zuvor abgebogen wären und die Brücke genommen hätten.«

»Und warum bogen wir nicht ab?«

»Weil wir es nicht besser wussten.«

»Und was ist die Lehre?«, fragte der Zweite.

»Zu jeder Zeit–«, setzte der Erste an, doch er brach die Erklärung ab, obgleich er die Lehre durchaus kannte.

»Zu jeder Zeit war der Erfolg–«, setzte der Dritte an, doch auch er unterbrach die Erhellung, obgleich auch ihm die Lehre durchaus geläufig war.

Der Zweite aber atmete ein, und sie hörten sehr genau auf seine Worte, als er ihnen die Regel sagte, welche da lautete: »Zu jedem Zeitpunkt unseres Marsches war der Erfolg nur eine einzige richtige Entscheidung entfernt.«

Die Waffen des Stichs

Genug erzählt – es stehen die Nachrichten an, und heute ist es so wichtig wie selten, das Datum über die Nachricht zu schreiben. Bei mehr-als-nur-einem Leser klingelt es ja bereits, und man merkt dann doch durchaus, dass die Klingen von heute ganz ähnlich wie die Klingen von gestern klingen. – Klingeling!

In Essen sucht die Polizei, nach einem »Macheten-Mann« (so sagt es bild.de, 29.6.2020). Man nennt den Macheten-Mann nicht deshalb »Macheten-Mann«, weil er so gut Macheten schmieden kann – nein, er ist, soweit wir wissen, kein Macheten-Schmied – wir nennen den Macheten-Mann den »Macheten-Mann«, weil er in einer Debatten-Runde zwischen Syrern und Libanesen seinem Debatten-Partner einen mit der Machete überbriet.

Zu den Waffen des Wortes gesellten sich die Waffen des Stichs sowie die des Hiebs, und wenn mein sarkastischer Reim dir, lieber Leser, hier als fies erschien, dann bitte ich: Vergib’s! (Ich kann auch anders – ich will’s aber nicht.)

Bescheidenes Leuchtfeuer

Nicht die Nachricht allein ist heute die Nachricht, sondern dass wir die gleiche Nachricht wieder und wieder und wieder hören – wohlgemerkt: die gleiche, nicht die selbe.

Früher, wenn einfach so ein »Macheten-Mann« die Machete geschwungen hätte, dann hätte es auf der Titelseite unserer Zeitungen gestanden und wir hätten noch Wochen später darüber gesprochen – heute schafft es eine solche Meldung kaum noch an die Spitze unseres Social-Media-Feeds, so häufig und so sehr »neues Normal« ist es geworden.

Dass die Meldung kaum noch eine Meldung wert ist, dass ist die eine »Meta-Ebene« dieses Gemeldeten – lassen Sie uns eine weitere Ebene hinaufsteigen. Eine weitere Deutungs- und Bedeutungsdimension erscheint mir geradezu schillernd, da sie in uns drei verschiedene, teils gegensätzliche Emotionen weckt!

Dass es passiert, das ist die Meldung. Dass es so oft passiert, dass ist die Meta-Meldung. Die Meta-Meta-Meldung jedoch ist: Eine bessere Welt ist nur eine Entscheidung weit entfernt. – Es rührt in uns die Sentimentalität nach der Zeit, als Politiker für und nicht gegen das Volk handelten. Es schürt in uns Wut über die rätselhafte Verschlossenheit des Klügeren. Es legt in unsere Herzen die Sehnsucht nach jener unmöglichen möglichen Welt, in welcher die Politik sich an Recht und Anstand hält.

Wenn deutsche Politik auch nur ein Zehntel der Energie, die sie einsetzt, um Deutschland zu schaden, zum Wohle des Volkes einsetzte, wäre Deutschland nah am Paradies und dazu ein bescheidenes Leuchtfeuer für die Nationen des Planeten – so ist Deutschland der betrunkene Zecher, dem jeder mal in die Taschen greifen darf.

Es wäre genau eine Entscheidung weit entfernt, das Recht durchzusetzen, sei es an Grenzen, in Innenstädten oder gegenüber Schleppern und ihren Kunden. Es wäre genau eine Entscheidung weit entfernt, unsäglichen Propaganda-Kampagnen wie die des Familienministeriums einzustellen. Es wäre genau eine Entscheidung weit entfernt, die ausländische Finanzierung diverser hoch gefährlicher NGOs offenzulegen – statt noch die spalterische Hetze mit Steuergeldern zu fördern. Es wäre genau eine politische Entscheidung weit entfernt, den verfluchten Staatsfunk zusammenzustreichen, um der erstickenden Demokratie etwas Raum zum Atmen zu geben.

Sind die Bremer besonders dumm?

Wir werden einander später von diesen Tagen berichten. Wir werden nicht deshalb davon reden, weil wir nicht dabei gewesen wären – wir sind dabei, und sei es als unwilliger Teil und Teilnehmer dieser Ereignisse – wir werden hierüber reden, wenn und weil uns wehmütige Sehnsucht nach der vergebenen Möglichkeit ergreifen wird. Wir werden auch von jenen Phänomenen reden, die zugleich wie Symptom und wie Ursache wirken. – Beispiel: Das Bundesland Bremen gilt als grün-rote Hochburg. Warum? Sind Bremer Kinder wirklich dümmer? Es widerstrebt mir, es zu glauben, doch ich sehe auch: Die Bremer Abiturienten schnitten bei den Matheprüfungen dermaßen schlecht ab, dass die SPD-Bildungssenatorin einfach alle Noten um 2 Punkte anheben lässt (so welt.de, 30.6.2020) – vergangenes Jahr wurden sie immerhin um 1 Punkt angehoben. Eine klügere Welt ist auch heute immer nur eine Entscheidung weit entfernt, auch und gerade im von SPD, SED und Superdumm regierten Bremen.

Jemand sagte mir einmal: »Wer zum Betteln zu unfreundlich ist und für die Trickbetrügerei zu dumm, der geht eben in die Politik.« – Gänzlich rätselhaft, was er damit gemeint haben könnte.

Zu jeder Zeit

»Man hätte uns warnen sollen!«, so werden die Leute rufen, wie es Kaspar in jener Geschichte tat. Hätten sie denn gehört? (Wir wissen es – wir warnen ja.)

Dass es geschieht, ist ärgerlich, um es höflich zu sagen. Dass es zu jeder Zeit die Möglichkeit gab, uns für einen anderen Weg zu entscheiden, dass wird manchen sentimentschweren Seufzer hervorlocken.

Eine klügere Welt ist immer nur eine Entscheidung weit entfernt. Und wenn wir als Gruppe und Gemeinschaft noch nicht stark genug sind, die kluge Entscheidung zu treffen, dann obliegt es uns im Einzelnen: Ein klügeres Leben ist immer nur eine Entscheidung weit entfernt.

Weiterschreiben, Wegner!

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