Treffen sich zwei Steinzeitmenschen. Sagt der eine: »Ugh, lass uns bereden, wie wir bessere Faustkeile meißeln können!« – Sagt der andere: »Gut, aber lass uns keinem davon erzählen, dass wir uns treffen, die verstehen das ja eh nicht!«
Falls es so passierte, damals, als wir noch die Höhlenwände vollkritzelten statt des Internets, als wir noch unter Lebensgefahr die Büffel und Mammuts jagten (dafür immerhin keine Steuern zahlten), falls und wenn sich damals zwei oder drei Männer zusammenfanden, und falls sie es im Namen eines höheren Geheimnisses auf geheime Weise taten, falls sie also untereinander einen Bund schlossen, einen Bund fürs Leben (Was damals ohnehin nicht allzu viele Jahrzehnte waren), dann hätte man, so man Deutsch sprach, diese Vereinigung einen »geheimen Bund« nennen können – kurz: einen Geheimbund.
In China – in der Qing-Dynastie – hatten sie die Gelaohui. In Japan die Shishi. In Deutschland die Rosenkreuzer und die Illuminaten. Das Christentum begann als Geheimbund, angeblich mit dem Ichthys-Fisch als geheimem Erkennungszeichen, und innerhalb des Christentums soll es, wie die Dan-Brown-Fans wissen, wiederum Vereinigungen geben, die man »Geheimbund« nennen könnte, etwa den bekannten und geheimnisvollen Opus Dei. In nicht wenigen Ländern, in denen wir heute noch die Wurzeln des modernen Westens ausmachen, wirk(t)en die Freimaurer (manche sagen, jene wirken noch heute). In Italien hatten sie Propaganda Due und aus den USA hört man, dass einige der Männer (siehe Wikipedia), die öffentlich einander wütend den Schädel einzuschlagen scheinen, sich außerhalb der Öffentlichkeit treffen, um sich über Schädel, Knochen und Karrieremöglichkeiten zu unterhalten.
Die Absichten, warum Männer sich zum Geheimbund zusammenschließen – es sind ja zumeist Männer – mögen verschiedene sein. Einige Geheimbündler verfolgen die edle und aufrichtige Absicht, an sich und ihrem Charakter zu arbeiten, zu meißeln gewissermaßen, den rohen Stein zu behauen wie der Steinmetz den unförmigen Felsen zum nützlichen Eckstein schlägt. Andere Geheimbündler streben Macht und Geld an, und dies auf Weisen, bei denen das öffentliche Licht mehr stört als hilft. (Und, nach aller Erfahrung ob des Menschen Menschlichkeit, wird es wohl auch jene geben, die sich einem solchen Bund anschließen, weil mit ihren Büchern allein zu sein sie langweilt, weil solcher Männer Seele lieber Bruder unter Brüdern wäre als immer nur allein zwischen Schriftstücken und Schreibgerät.)
Eine nicht-unwichtige Funktion von Geheimgesellschaften war es einst (ist sie es noch heute?), wichtige Ideen und Fähigkeit zu bewahren, weiterzugeben und weiterzuentwickeln, wichtige, ewige Gedanken und Fähigkeiten, die nicht taugen für die »bunte Menge, bei deren Anblick uns der Geist entflieht« (Goethe) – etwa die Humanität. Bekannt ist, dass die Gründung der USA von den Werten der Freimaurer geprägt gewesen sein soll. Lange vor den Freimaurern (seit dem 16. Jahrhundert) aber suchten und bewahrten die Pythagoreer (ca. 6. Jahrhundert vor Christus) mathematisches Geheimwissen.
Die Welt und unsere Geschichte sind reich an Geheimbünden – während einige davon recht deutlich auf wenig mehr als ihren Vorteil bedacht sind, hat es sich eine gar nicht geringe Zahl dieser ach-so-mächtigen Männerbünde nach eigener Aussage und Überzeugung zur Aufgabe erklärt, die Welt besser zu machen – wenn sie nicht sogar zu erleuchten. Warum haben wir den Eindruck, dass die Welt eher den Bach runtergeht?
Von den Prototypen
Jeden Tag schreiben Sie, liebe Leser, mir E-Mails – und ich gebe mein Bestes, Ihnen so häufig wie möglich auch zu antworten. Einige von Ihnen weisen mich auf Themen hin. Manche sagen schlicht ›Dankeschön‹ dafür, dass ich Ihnen/ihnen helfe, am Irrsinn nicht selbst irre zu werden.
Und dann gibt es noch jene E-Mails, die mich auffordern, nicht nur zu schreiben, sondern etwas zu tun.
Sicherlich, ich könnte hier eine kritische Augenbraue heben – metaphorisch gesprochen, denn realiter vermag ich immer nur beide Augenbrauen gleichzeitig zu heben, anders als Elli… – eine kritische metaphorische Augenbraue hebend könnte ich also zurückfragen (darauf achtend, möglichst wenig an Stolz und Ehre verletzt zu klingen), ob Schreiben denn nicht unter »etwas zu tun« fällt.
Aber nein – gegen den heutigen Zeitgeist will ich (wie es sich doch gehört!) das »principle of charity« anwenden (zu jenem Prinzip siehe auch die Essays vom 17.10.2017 und vom 25.2.2018). Ich will versuchen, zuerst konstruktiv und, so präzise wie mir möglich, die Information zu ergänzen, welche jenen Aufforderungen gelegentlich fehlt: Was ist das »etwas«, das ich »tun« soll?
Nun, ein weiteres sprachphilosophisches Prinzip ist jenes von den Prototypen: Für die meisten Begriffe, die wir in unserem Kopf so herumtragen, halten wir auch prototypische Eigenschaften parat. Ein prototypischer Tisch etwa verfügt über eine rechteckige Platte und vier Beine – ungeachtet anderer Tischtypen wie eines runden Esstisches mit Mittelsäule oder des Klapptischleins im Flugzeug.
Wenn ich aufgefordert werde, »etwas zu tun«, was ist der Prototyp für Antworten auf diese Frage, fürs politische »Etwas-Tun«?
Weit, weit, weit schwerer
Wer heute politisch »was tun« will, der wird prototypisch »in die Politik« gehen. Wer »etwas bewegen will«, der könnte versucht sein, einer Partei beizutreten oder sogar gleich eine neue Partei zu gründen.
Ich will gern sagen, warum ich nicht selbst in die Politik eintreten will, während ich jenen dankbar bin, die ihre Zeit (und ihre Nerven!) im Räderwerk der Demokratie opfern.
Ja, die deutsche Demokratie (und nicht nur die deutsche!) leidet an Mängeln, doch ich sehe die erschreckend kleine Zahl konsequent nichtlinker Politiker nicht als den ärgsten und für unsere Schwierigkeiten ursächlichsten Mangel.
Falls Sie an dieser Stelle den Verdacht hegen, ich setzte zum »Wähler-Bashing« an (Motto: »das Problem ist, dass die Wähler falsch wählen«), darf ich Ihnen versichern: Mein Vorwurf an die Wählerschaft ist weit, weit, weit schwerer als »nur« dass sie »falsch wählen«.
An der Weißen Substanz
2017 schrieb ich den Essay »Scrollende Wracks sind keine Leser«, und darin:
Wer längere Texte liest, verkabelt sein Gehirn neu. Das ist keine abstrakte Weisheit, das ist wissenschaftlich belegt. So haben etwa Timothy Keller und Marcel Just von der Carnegie Mellon University in 2009 herausgefunden, dass intensiver Leseunterricht bei Kindern das Gehirn anregt, neue Weiße Substanz aufzubauen. Schäden an der Weißen Substanz sind übrigens eine der Ursachen für „kognitive Beeinträchtung“ im Alter.
Man könnte ja als Laie fast schon vermuten, dass so wie jede dauerhafte körperliche Tätigkeit (und natürlich deren Ausbleiben) die Muskeln und auch die Knochen auf eine jeweils zu erwartende Art formt, ebenso jede regelmäßige, wiederholte und intensive geistige Tätigkeit das Gehirn auf ihre jeweils spezifische Art formt.
Als die Sozialen Medien zum Massenphänomen wurden, warnten Psychologen, dass Online-Plattformen wie Facebook nicht nur suchtartige Hormonausschüttungsmuster im Gehirn triggern könnten, sondern dass durch die Benutzung der Sozialen Medien das Gehirn des Benutzers selbst verändert wird.
Heute hört man die Warnungen vor der Veränderung des menschlichen Gehirns durch Benutzung der Sozialen Medien weniger laut – doch das liegt keineswegs daran, dass diese Warnungen weniger relevant oder aktuell geworden wären. Wenn ein Ertrinkender nicht mehr mit den Armen winkt und nicht mehr um Hilfe schreit, bedeutet das nicht zwingend, dass er nicht mehr ertrinkt – vielleicht bedeutet sein Verstummen, dass es bald schon zu spät für ihn sein könnte.
Psychology Today schrieb 2017 einen ausführlichen wissenschaftlich argumentierenden Text mit dem Titel »Soziale Medien sind schädlich für dein Gehirn und deine Beziehungen – Twitter und Facebook: Wo Zigaretten hingingen, um nicht zu sterben« (psychologytoday.com, 20.10.2017, meine Übersetzung). Nach vielen Details zu Gehirnfunktionen im Bezug auf Soziale Medien heißt es in den letzten Absätzen: »Yes, humans are in trouble, and we need to fix it, but how?«, zu Deutsch etwa: »Ja, die Menschen haben ein Problem, und wir sollten es lösen, aber wie?«
Das Denken der Menschen hat sich verändert. Halb im Spaß und ganz polemisch wird der Milliardär und Facebook-Chef Mark Zuckerberg als »größter Drogendealer aller Zeiten« betitelt – er verkauft – im Prinzip ähnlich wie jeder andere echte Drogendealer auch, den »kleinen Glücksk(l)ick« zwischendurch. (Allerdings ist Drogenherstellung auch »nur« eine Wissenschaft, und keine geheime, und ich prophezeie, dass das chinesische »TikTok« nur das erste von vielen Online-Produkten ist, das die »westliche Psyche« besser versteht und also zu kontrollieren weiß als viele entsprechende Produkte westlicher Firmen.)
Woran liegt es, dass heute kaum noch öffentliche Debatte möglich ist, dass Menschen zu Millionen gegen ihren eigenen Vorteil wählen, dass die Moralpanik und andere psychische Fehlleistungen von Außenseiter-Freakfällen zum gesellschaftlichen Normalzustand wurden?»
Das Denken eines nicht-geringen Teils der Menschen hat sich verändert – Neurowissenschaftler sagen: die Gehirne selbst haben sich verändert. Millionen von Bürgern nehmen die Welt nur noch durch den dauererregten Dopamin-Schleier der Sozialen Medien wahr (unterbrochen nicht von Fenstern der Klarheit, sondern höchstens durch erschöpfungsbedingte Abstumpfung) – und die »klassischen« Medien, so sie in Zahlen erfolgreicher sind (oder: sein wollen), nutzen die Erregungsmechanismen der Klickdreck-Gesellschaft für ihr Geschäft.
Soziale Medien verdienen ihre Milliarden basierend auf einem simplen Prinzip: Man belohnt den Menschen mit Lob und Likes, der opfert dafür seine Aufmerksamkeit. Soziale Medien erziehen Menschen dazu, unentwegt nach schneller Anerkennung zu suchen. Erwachsene lachen über Jugendliche, die für ein paar Likes ihr Leben riskieren – und dann riskieren sie die Zukunft des Landes, indem sie so wählen, dass die Propaganda sie dafür loben würde.
Die Demokratie setzt voraus, dass Menschen in der Lage sind, einigermaßen informiert und klar denkend zu wählen, wer sie in und gegenüber der Regierung vertreten soll.
Was bedeutet Demokratie in einer Zeit, wenn das menschliche Gehirn von Social-Media-Konzernen und ihren Psychologen »umprogrammiert« wurde?
Im Oktober 2018 schrieb ich vom »Vorabend der Idiokratie« – es ist nun zwei Jahre später und der neue Tag ist angebrochen.
Was würde es denn nutzen, zehn »konsequenzbewusste« Parteien zu gründen und hundert »durchdachte« Petitionen zu starten, wenn 50+x Prozent der Wähler ihre Wahlentscheidung durch einen Denkvorgang treffen, der von der Sucht nach dem schnellen positiven Feedback bestimmt ist? Wie appelliert man an Ratio, Verantwortung und Überlebenswillen, wenn die Gehirne der Menschen dahingehend verändert wurden, für das schnelle »Like« – sei es von den Mitmenschen oder von der Propaganda – großen und größtmöglichen Schaden für sich, ihre Familie und ihr Land hinzunehmen?
Um den Faktor Hundert
Wenn ich heute »etwas tun« würde, was über das Schreiben hinausginge, wäre es vielleicht die – selbstredend geheime! – Gründung eines Geheimvereins, der sich ganz den Gedanken des »die Realität Anerkennens« verschreibt.
Es wirkt heute wie ein höhnender Akt orwellscher Verdrehung, wenn der als »Relotius-Magazin« bekannte Spiegel zynisch den Spruch »Sagen, was ist.« hochhält. Doch nur weil die Mächtigen und ihre willigen Helfer etwas Wahres und Wichtiges orwellsch ins Gegenteil verdrehen, wird der erste Sinn ja nicht falsch, nicht unwichtig!
Wenn ich mehr tun würde, als »nur zu schreiben«, würde ich nicht in die Politik gehen. Ich würde vielleicht eher einen Geheimbund ins Leben rufen, der sich zum Leitmotiv erklärt: »Denken, was ist.« – Dazu vielleicht noch: »Erwarten, was wahrscheinlich sein wird. Handeln, so dass sich Ordnung ergibt.« (Und mit »Ordnung« meine ich natürlich die Ordnung der relevanten Strukturen, klar.)
Das Denken der Menschen ist heute ein anderes als noch vor ein oder gar zwei Jahrzehnten. Zu viele von uns sind nicht mehr frei. Was ist denn die Freiheit des einzelnen wert, wenn er nicht den Mut aufbringt, der Wahrheit, wie sie ist, mit offenem Visier zu begegnen? Das Benennen der Realität und das Bedenken der Konsequenzen sind nicht mehrheitsfähig – man beachte, wie sie das potentiell lebensrettende Vorbringen von Bedenken verschmähen!
Das Fundament der Demokratie zerbricht, namentlich die stille Prämisse, wonach Menschen in der Gruppe zu ihrem eigenen Wohl entscheiden werden – zu entscheiden befähigt sind. Soziale Medien, der Staatsfunk, vom Staat co-finanzierte Zeitungen und ungezählte Propaganda-NGOS trainieren täglich die Menschen darin, ihr Denken auf empörte Trigger-Reaktionen und die ewige Suche nach Anerkennung (»Likes«) aus dem System heraus zu reduzieren.
»Kennt ihr diese Gespräche, die sich anfühlen als müsstet ihr Meerschweinchen Tricks beibringen?«, fragte jüngst eine Politikerin der umbenannten SED (@juliaschramm, 12.8.2020), und unbesehen des Sprechers erscheint es mir als präzises Bild für den Versuch, die von Social Media, Smartphones und medial angeheizter Dauer-Erregung buchstäblich geprägten Gehirne für ruhige Vernunft, für durchdachte Verantwortung und fürs Bedenken der wahrscheinlichen Konsequenzen zu gewinnen.
Ich stelle nicht (mehr) die Frage, ob wir durch eine weitere Parteigründung, eine weitere Petition oder eine weitere Demonstration doch noch die entscheidende Mehrheit aufrütteln können. (Allerdings: Ich bin kein Linker. Ich bin mir sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ich falsch liegen könnte, und also bin ich so froh wie glücklich, dass einige es anders sehen und durchaus auf die Straße gehen, Initiativen starten und den Kurs des Schiffes drehen wollen, während dieses bereits an den Felsen schrammt und das Knirschen uns fast taub werden lässt.)
Ich unterscheide zwischen erstens dem, was ich mir wünsche, was aber gegeben die Realität von an Unmöglichkeit grenzender Unwahrscheinlichkeit ist, und logischerweise dann zweitens jenen Szenarien, die auch denkmöglich und zumindest nicht absurd unwahrscheinlich sind, und drittens einer Untergruppe des Zweiten, nämlich jenen Szenarien und Ausgängen, die nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert sind.
Ich würde mir wünschen, da ich die Menschen mag, dass der Staatsfunk abgeschafft wird, Propaganda-NGOs eingehegt werden (wie es etwa in Israel versucht wird, was natürlich »die üblichen Verdächtigen« stört, siehe etwa un.org, theguardian.com), Kinder und Jugendliche wieder im kritischen Denken statt in suizidaler Ideologie geschult werden – all das darf ich mir wünschen, doch sowenig wie dein persönlicher Lebensentwurf einen baldigen Lottogewinn beinhalten sollte, so wenig sollte dein soziales Engagement von einem so günstigen wie gründlichen Wunder ausgehen.
Wer den Aufstieg auf einen Berg plant, der sollte sicherstellen, dass er der Held eines ihm gutgesonnenen Märchens ist, bevor er »und dann kommt ein Drache und fliegt mich hinauf« in seine Reisepläne einbaut.
Ich erwarte, dass Staatsfunk, Propaganda-NGOs und Schulen für einige Zeit so weiter machen, wie sie derzeit handeln – und also plane ich innerhalb des wahrscheinlich Möglichen.
Die Frage erscheint mir nicht (mehr) zu sein, ob wir durch noch eine politische Initiative und noch einen Vorstoß endlich die an Geist und Gehirn sich selbst entfremdete Mehrheit bewegen, wieder für sich statt gegen sich zu wählen, der Vernunft und dem Gewissen zu folgen, statt darum zu betteln, dass die Mächtigen ihnen übers Köpfchen streicheln.
Kann und wird es uns gelingen, wenn auch nur in Enklaven, die Kunst des realistischen Denkens westlich-antiker Tradition zu bewahren – und vielleicht sogar weiterzuentwickeln? Europa wird heute »chinafit« gemacht. Sollte es gewissen Kräften gelingen, den US-Präsidenten Trump aus dem Amt zu heben (etwa indem man die Städte plündert und in Brand setzt, implizit aber verspricht, erst dann vom Terror abzulassen, wenn der demokratisch gewählte Trump entfernt wurde) und dann Chinas Lieblingskandidaten, den greisen Biden und seine »spannende« Vize ins Amt zu hieven, dann ist davon auszugehen, dass auch die USA »chinafit« gemacht werden (siehe auch Essay vom 12.8.2020). China kauft ja ohnehin bereits wichtige Teile Afrikas auf, direkt wie indirekt (forbes.com, 4.5.2020: »What China Wants From Africa? Everything«).
Ich schätze und respektiere jeden, der es hofft und von dieser seiner Hoffnung getrieben es dann auch unternimmt, durch eine weitere Initiative die deutsche Debatte wieder auf die Pfade der Vernunft zu lenken – ich fürchte nur, dass er um den Faktor Hundert zu klein denkt.
»Wir sind soviel und du stehst allein.«
Ich bin kein Fan von dunklen Anzügen und geheimen Handzeichen. Über Rituale lese ich sehr gern und lerne viel daraus – doch vom morgendlichen Kaffee und dem Spaziergang nach geschriebenem Text abgesehen sind mir praktische Rituale eher fremd (wenn ich auch natürlich, als es vor Corona noch Schulbetrieb gab, die elterlichen Rituale des Schuljahres pflichtbewusst absolvierte). Nein, ich bin kein Material für Geheimbünde – auch weil ich es mir zu Beruf und Aufgabe erklärt habe, meine Gedanken ganz un-geheim mit der Welt zu teilen.
Doch wenn ich »etwas tun würde«, das »mehr als nur schreiben« ist, dann wäre es wohl – vielleicht auch »nicht nur im Spaß« – einen neuen Geheimbund zu gründen, der das bewahrt, was uns an alter Weisheit und praktischer Klugheit heute zwischen den Fingern zerrinnt.
Es bleibt dabei: »Es gibt kein Leben im Konjunktiv«. Die Formulierung »dann würde ich einen Geheimbund gründen« bedeutet, dass ich es eben nicht tue.
»Treffen sich zwei Steinzeitmenschen« – ich frage mich, was Steinzeitmenschen, die uns heute sehen würden, von uns sagen würden? Sicher, sie würden unsere piepsenden, leuchtenden und unsichtbar verbundenen Werkzeuge bewundern – doch was würden sie dazu sagen, dass wir in unserem Geist ihnen immer ähnlicher werden? Wären sie enttäuscht, wie wenig weise wir in den Jahrtausenden wurden?
Nein, ich gründe keinen Geheimbund. Ich schreibe, »nur«. Vielleicht ist es auch gar nicht notwendig, dass ich einen neuen Geheimbund gründe – ich oder jemand anderes.
Ein weiteres Mal (siehe auch Essay »Alte Familie, neue Familie«) klingen mir Goethes Worte im Ohr, als er sich mit der Zeder verglich:
»Uns ist wohl«, sagte ein brüderlich gleicher Tannenwald zur Zeder. »Wir sind soviel und du stehst allein.« »Ich habe auch Brüder«, sagte die Zeder, »wenngleich nicht auf diesem Berge.«