Jemand sagt dir: »Ach, du mit deiner Nostalgie! Du lebst im Gestern, in der Vergangenheit. Lass los, denn heute ist heute.«

Wenn einer so etwas Dummes zu dir sagt, darfst du ihm antworten: »Du bist ein potenzieller Mörder. Schande auf dich und deinen aussterbenden Stamm!«

Warum darfst, nein musst du so antworten? Lass es mich schnell erklären – beginnend mit einer kurzen Geschichte.

Nostalgia, oder Heimwehe

Der Begriff Nostalgie wurde im 17. Jahrhundert etabliert und sollte das Heimweh von Soldaten beschreiben – als medizinisches Leiden. (Link: »Dissertatio medica de nostalgia, oder Heimwehe« von Johannes Hofer, Basel 1688: PDF-Download)

»Nostalgie« ist zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern νόστος (nóstos) und ἄλγος (álgos), und die bedeuten »Rückkehr« und »Schmerz«.

Nostalgie ist der schmerzhafte Wunsch, zurückzukehren, heimzukehren, jene Umstände wieder herzustellen, an denen die Dinge noch in Ordnung waren.

Ähnlich wie Coca-Cola, Gin Tonic und Schokolade, wurde die Nostalgie schon bald nach ihrer Erfindung auch außerhalb der Medizin sehr populär.

Was ist der Nutzen?

Die Frage ist aber: Warum bedauert der Mensch dieses oder jenes? Was ist der Nutzen der Nostalgie?

Nun, wir ahnen natürlich die Antwort: Die Neigung zu Bedauern und Nostalgie ist uns offensichtlich angeboren. Ähnlich wie etwa die Befähigung zur Wut, die Lust an der Lust und natürlich spontaner Heißhunger aufs saftige Steak.

Angeboren zu sein, das bedeutet natürlich wiederum: Evolutio vult. Die Evolution will es so.

Und das bedeutet: Stämme mit dieser Mutation vermehrten sich zahlreicher und nachhaltiger.

Inwiefern war es aber für den Stamm und seine Genetik von Vorteil, dass der Mensch Bedauern und Nostalgie empfindet?

Auf der Suche nach Retro

Jede Aussage zum Nutzen der Nostalgie ist natürlich spekulativ. Die Evolution ist ein Prinzip, wie die Umlaufbahnen der Planeten, die Regeln der Schwerkraft und die Veränderung von Bauchumfang und schwerkraftrelevanter Masse durch Schokolade. Prinzipien lassen sich nicht befragen. Prinzipien lassen sich bloß als Thesen formulieren und dann durch Beobachtung vorläufig (!) bestätigen – oder natürlich falsifizieren, Popper sei Dank.

Frischauf also, lasst uns Thesen formulieren!

Nostalgie ist evolutionär nützlich, indem sie soziale Bindungen der Mitglieder einer genetischen Gruppe zu ebendieser stärkt. Stammesmitglieder empfanden bei Trennung von der Gruppe eine Sehnsucht, zu dieser Gruppe zurückzukehren.

Nostalgie ist nützlich, weil sie uns dabei hilft, retrospektiv die Muster zu erkennen, die zum Überleben der Gruppe führen.

In nostalgischen Momenten malen wir Vergangenheit bekanntlich schon mal »in Rosa«. Doch das ist ein buchstäblich überlebenswichtiger kognitiver Filtermechanismus!

Nostalgie-Kritiker werfen der Nostalgie vor, dass sie sich vorwiegend an das vergangene Schöne erinnert, doch das ist eine nützliche Angelegenheit.

Nostalgie erinnert uns daran, was gut war, damit wir die Gegenwart wieder gut machen können. Nostalgie erinnert uns an die Zeit und den Ort, an welchem die Dinge in Ordnung waren – damit wir wieder neu Ordnung schaffen können.

Wider die Mörder der Hoffnung

Wenn dir jemand sagt, du seist ein Nostalgiker, ein Schwärmer, ein Ewiggestriger gar, dann sage ihm: »Pass auf, dass man dich nicht einen Mörder nennt. Mörder schöner Erinnerungen. Mörder der kollektiven Klugheit. Mörder der Hoffnung.«

Der evolutionäre Nutzen und das menschlich Schöne an der Nostalgie gehen Hand in Hand. Ich sage: Mehr Nostalgie wagen!

Nostalgie erinnert uns daran, welche Ordnung der Dinge funktioniert, welche Ordnung uns so etwas wie Glück und Überleben beschert.

Nostalgie gibt uns Hoffnung. Die Nostalgie sagt: Weil es einmal gut war, kann es wieder gut werden.