Ich habe eine Theorie: In Berlin teilen sich die ganzen Ministerien, Verbände und Vereine einen einzigen Twitter-Praktikanten. Nennen wir ihn: »Praktikant X«. So wie Batman des Nachts die Verbrecher Gothams zur Strecke bringt, so kämpft Praktikant X zur dunklen Stunde gegen den Kapitalismus, einen ausgebrannten VW-Polo nach dem anderen. Tagsüber aber – irgendwie muss man ja seine Rechnungen bezahlen, so lange zumindest, bis der Kapitalismus überwunden ist – postet Praktikant X im Namen von Ministerien und Verbänden auf Twitter, Facebook & Co, und zwar überall dasselbe. Anders kann ich mir manche Social-Media-Phänomene nicht erklären.
In den letzten Monaten hat Praktikant X ein neues Lieblings-Thema: Hatespeech. Egal ob Praktikant X gerade für’s Innenministerium oder den Bundesverband deutscher Karnickelzüchter postet, »Hatespeech« ist der große Hammer, mit dem er all die sozialen Nägel in die Wand hauen möchte. »Hatespeech«, das Tourette-Syndrom des Praktikanten X.
Es fing alles damit an, dass der Justizminister gerade keine Zeit hatte, selbst zu twittern (»ich bin ja so verliebt, mach du mal das mit dem Twitter, tschü-hüß«) und seinen Account an Praktikant X übergab. Der aber schmiss erstmal eine Party und lud mal eben Facebook, Twitter und irgendwelche Ex-Stasi-Leute ein. Abgefahren, sag ich euch!
Praktikant X scheint, muss man leider sagen, einigermaßen verwirrt zu sein. Er kämpft gegen etwas, das gar nicht definiert ist. Aber er droht ständig mit dem Strafgesetzbuch. Man könnte fast meinen, Praktikant X will die Leute nur einschüchtern.
Praktikant X guckt gerne Filme. Er ist nicht besonders kreativ in seiner Filmauswahl, eher so mainstream. Also ist er Starwars-Fan. Allerdings natürlich ein Starwars-Fan mit Hatespeech-Tourette.
Es ist ja nicht so, dass Praktikant X unbelesen wäre. Er hat zum Beispiel auch »1984« gelesen. Von Orwell. Nur hatte während der Lektüre der Praktikant X schon die Legalisierung gewisser Kräuter vorweggenommen und »1984« als Anleitung missverstanden. Kann ja passieren. Am nächsten Tag twitterte Praktikant X fürs Innenministerium prompt diese Perle.
Praktikant X hat Erfolg. Immer mehr Behörden nutzen seine Dienste. Letzte Woche hat Praktikant X einen besonderen Coup gelandet: Er arbeitet jetzt für die Polizei Hamburg! Und auch als Twitter-Profi der hanseatischen Ordnungshüter singt er seinen einen Schlager: Hatespeech, alles Hatespeech. Er initiierte dort, natürlich, eine Anti-Hatespeech-Kampagne. Er forderte die Bürger auf, alles anzuzeigen, was ihnen als allzu hasserfüllte Rede vorkam.
Die Bürger waren irritiert. Sie dachten, da spräche die Polizei, nicht Praktikant X. Prompt fielen Worte wie »Meinungspolizei«. Und auch unanständige Worte, wie »Meinungsfreiheit«. Das stellte Praktikant X im Namen der Hamburger Polizei klar.
Der denkende Teil des Internets war mehr als irritiert. Insider fragten sich: Hatte Praktikant X wieder mal 1984 gespielt?
Am nächsten Tag musste die Hamburger Polizei sich dann entschuldigen. Sie sagte es in anderen Worten, aber dahinter war die Botschaft: Sorry, das waren nicht wirklich wir, das war Praktikant X.
Liebe Ministerien, Polizeibehörden, Verbände: Schicken Sie Praktikant X zurück nach Hause in die Rigaer Straße. Sie tun sich und dem Ruf der deutschen Behörden keinen Gefallen mit ihm. Fangen Sie doch bitte wieder an, selbst zu denken – und zu twittern. Die vielen hart arbeitenden Angestellten und Beamten in Ihrer Behörde (sowie der Sie finanzierende Steuerzahler) haben etwas Besseres als Praktikanten X verdient.