Dushan-Wegner

11.08.2018

Wäre eine CDU-Linke-Koalition mit den Werten der CDU vereinbar?

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Anna
Aus der CDU hört man die Phantasie einer möglichen »CDU-SED-Koalition«. Es wäre nur konsequent! Was für Werte hat die CDU denn noch, außer blankem Machterhalt? Kohl versprach die geistig-moralische Wende, Merkel brachte das geistig-moralische Ende.
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Am 22. August 1961 warf Ida Siekmann (58) ihr Bettzeug aus dem Fenster der Wohnung im dritten Stockwerk. Ida hoffte, das würde ihre Landung auf dem Bürgersteig ein wenig dämpfen. Nur wenige Straßen weiter lebte Idas Schwester. Idas Haus stand im Osten Berlins, an der Grenze. Am Tag zuvor hatte das SED-Regime die West-Haustür ihres Wohnhauses zumauern lassen. Sie sprang. Das Bettzeug dämpfte nicht, nicht genug. Ida starb noch auf der Fahrt ins West-Krankenhaus. Es sollten noch 100 weitere Menschen sterben beim Versuch, aus dem deutschen Realsozialismus zu fliehen. 1962 legte Willy Brandt mit Robert F. Kennedy einen Kranz am Ort ihres Sprungs nieder. (mehr Info: chronik-der-mauer.de) – Heute koaliert die Partei Willy Brandts mit der Partei, deren Machtstreben für den Tod Ida Siekmanns verantwortlich war.

Spaßpopulistische Verwalterin?

Die SPD koaliert nicht nur mit der mehrfach umbenannten SED (aktuell heißt sie »Die Linke«), die Menschen an der Mauer erschießen, foltern und aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen ließ. Auch die CDU koaliert mit der SPD, im Bund fast schon gewohnheitsmäßig.

Im August 2018 hat der CDU-Politiker und Ministerpräsident Daniel Günther (45) in einem Interview gesagt:

»Wenn Wahlergebnisse es nicht hergeben sollten, dass gegen die Linke eine Koalition gebildet wird, muss trotzdem eine handlungsfähige Regierung gebildet werden. Da muss die CDU pragmatisch sein.« (rp-online.de, 11.8.2018)

Die Linke, die noch immer Fidel Castro feiert, die als einzige Partei nicht für die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten stimmte (taz.de, 19.1.2018) und deren Leute schon mal mit antisemitischen Äußerungen auffallen (siehe z.B. juedische-allgemeine.de, 18.10.2017), mit der Linken, die von Böswilligen als spaßpopulistische Verwalterin der SED-Milliarden bezeichnet werden könnte (natürlich ganz zu Unrecht, denn mit Unrecht hat die SED nichts zu tun) – mit dieser Linken könnte ein CDU-Ministerpräsident koalieren.

Bitter konsequent

Knapp zweieinhalb Jahrzehnte nach der Rote-Socken-Kampagne der CDU hätte eine CDU-SED-Koalition eine bittere Konsequenz. Merkels CDU wird von manchen Bürgern inzwischen als Partei ohne Prinzipien bezeichnet, außer zweien: Merkels Machterhalt und Schwächung Deutschlands zugunsten anderer Länder. Man ist müde und rechnet schon damit, dass jede einzelne von Merkels Entscheidungen ihre Macht stärken und/oder Deutschland schwächen wird. Schuldenübernahme für andere Länder, Energiewendewende, Grenzöffnung, et cetera. Die Bürgerlichen und Marktwirtschaftler, einst das schlagende Herz der CDU, fühlen sich unter Merkel als ungeliebte Randgruppe im eigenen (politischen) Zuhause – und der Wähler merkt das.

Merkels größtes Hindernis bei der Durchsetzung von Macht und Deutschlandschwächung sind Menschen, die ihr aus prinzipiellen Gründen widersprechen. Die Regierung lässt sie für viele Millionen Euro in teuren Kampagnen als »Populisten« diffamieren und fasst sie im Gerede von »Hass« mit tatsächlich bösen Leuten zusammen.

Eine CDU-SED-Koalition wäre konsequent, denn sie würde dokumentieren, was viele schon jetzt bitter anklagen: dass die Merkel-CDU eine Partei ohne Prinzipien ist.

Nebenbei: Vielleicht liegt genau hier die Chance für die neue Sammelbewegung um Sahra Wagenknecht. Die Sehnsucht nach Politikern mit Werten (statt dem wechselhaften, populistischen Appell ans Gefühl) ist in Deutschland 2018 geradezu mit Händen zu greifen. Es gibt sicher viele Bürger in Deutschland, die sich nach einer linken Partei sehnen, welche tatsächlich für den »kleinen Mann« da ist (ja, den aus Deutschland) – der SPD-Konzern hat sich aus dem sozialdemokratischen Markt schon länger verabschiedet. Sogar wenn man selbst nicht links ist, so ist bereits der Anschein von Prinzipien für den dürstenden Wähler attraktiv.

Gefährliches Fahrwasser

Eine Zahl von Bürgern hat sich über solche Spekulation aus der CDU empört. Einige Kommentatoren wiesen darauf hin, dass es keine offizielle CDU-Meinung war. Es gab aber auch keinen Skandal, keine Rücktrittsforderung. Es hatte mehr den Anschein eines Testballons. Selbst wenn es zurückgewiesen wird, so ist der Gedanke jetzt in der Blutbahn öffentlicher Meinung. Beim zweiten Mal wird die Zurückweisung weniger heftig werden. Beim dritten Mal wird man darüber nachdenken. Wie viel die Worte und Zusagen von CDU-Politikern in Merkelzeiten wert sind, konnte der Bürger bei der »Eurorettung« live erleben.

Viele Bürger ahnen, dass solche Äußerungen wie ein Testballon wirken, und diese Ahnung macht sie wütend. Von der Merkel-CDU ausgehend findet eine Werteverschiebung statt, über die nicht diskutiert wurde, welche bislang geltende Prinzipien auf den Kopf stellt, und die das Land in gefährliches Fahrwasser brachte. Kohl wollte die geistig-moralische Wende, Merkel brachte das geistig-moralische Ende. Ist der Wert erst genug verschoben, so ist es von der Auflösung des Werts nicht zu unterscheiden.

Besonders wenn eine zerstörerische Handlung über lange Zeit zielgerichtet betrieben wird, ist es schwer, zu sagen, ob Absicht oder partielle Blindheit dahinterstecken. (Dass ein Auto nach links driftet, kann daran liegen, dass der Fahrer tatsächlich lieber links fährt, oder daran, dass die Steuerung nicht funktioniert und der Fahrer das nicht merkt – für die Autoinsassen und die übrigen Autofahrer macht es wenig Unterschied!)

Heute werden, bewusst oder unbewusst, die Konzepte Wert und (moralisches) Gefühl verwechselt, und zwar so konsequent, dass Menschen ihre Empörung (ein Gefühl) und ihre Euphorie (auch ein Gefühl) tatsächlich für Werte halten.

Es fühlt sich gut an, am Bahnhof mit Teddy in der Hand den jungen Männern »Willkommen!« zuzurufen, also hält man es für einen Wert (vergleiche Merkels »freundliches Gesicht zeigen«). Es fühlt sich schlecht an, wenn ein Mensch eine andere politische Meinung vertritt, also erklärt man es für einen Wert, solche Meinung zu verbieten.

Ein Gefühl ist eine Wallung von Neuronen und Hormonen. Einen Wert zu vertreten bedeutet dagegen, angeben zu können welche relevante Strukturen einem über den Moment hinaus wichtig sind. Propagandisten werden nervös, wenn sie auf Bürger mit Werten treffen, denn ein Bürger mit Werten handelt nach diesen, auch wenn die Politik-PR sie ihm emotional zu vergällen versucht.

Wenn man Demokratie und Rechtsstaat als Leitwerte sieht, dann ergibt der Gedanke an eine CDU-SED-Koalition überhaupt keinen Sinn. Wenn man allerdings Gefühle wie »Wäre es nicht schön, wenn wir alle uns verstehen würden?« für Werte hält, dann kann man auch als Christliche Demokratische Union mit jenen koalieren, die Wolf Biermann im Bundestag die »Drachenbrut« nannte.

Die Werte Ida Siekmanns, des ersten Maueropfers, waren eindeutig: Sie war 58 Jahre alt und sie wollte in die Freiheit. Sie riskierte, und verlor, ihr Leben für die Freiheit.

Hat die CDU noch Werte außer ihrer Macht – und ist Macht überhaupt ein eigenständiger Wert? Eine CDU, die keine Werte mehr außer ihrer eigenen Macht kennt, die könnte tatsächlich auch gleich mit der SED koalieren.

Nebenbei, doch in diesem Zusammenhang: Vielleicht liegt genau hier die große Chance für die neue Sammelbewegung um Frau Wagenknecht. Es gibt sicher viele in Deutschland, die sich nach einer echten linken Partei sehnen, ohne die geschichtliche Vorbelastung der umbenannten SED, zumal die SPD als sozialdemokratische Partei praktisch weggefallen ist. Vor allem hat der Markt für Politiker, die glaubwürdig Werte angeben können, noch eine Reihe von freien Nischen, auch über Wagenknecht hinaus.

Papierschiff auf dem Parksee

Jeder Politiker muss Kompromisse schließen, das ist das Wesen der Demokratie, doch es gibt eine Grenze zwischen Kompromiss und Prinzipienlosigkeit. Der prinzipienlose Politiker spricht heute die und morgen andere Gefühle an – und in der Praxis führt das dazu, dass das Land dieselben Schlangenlinien beschreibt, welche Gefühle nun einmal beschreiben.

Der prinzipienlose Politiker wird von Gefühlen sprechen, wo Werte und Richtung gefragt sind – und an seiner Politik erkennen wir, dass hinter dem Gerede nichts außer der Gier nach Macht steht. Der Politiker ohne Prinzipien, und mit ihm das Land, wird von den Stürmen des Tages getrieben wie ein Papierschiff auf dem Parksee.

Es liegt an uns, den Bürgern, uns nicht irre und kirre machen zu lassen von emotionalen Lautsprechern, die »Zeichen setzen« und anderes propagandistisches Zeug treiben, sondern die Politiker abklopfen als hinge unsere Zukunft davon ab.

Der Politiker mit Werten kann angeben, was seine Werte sind, doch er müsste es nicht, denn die Bürger können an seinen Handlungen erkennen, was seine Werte sind und welches Fundament ihn trägt. Die Regierung sorgt für Regeln und Richter, für Straßen und Lichter, doch am Bürger ist es, die Werte und Prinzipien der Politiker zu kontrollieren.

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