Warum nur kam er zurück? Er war doch der Höhle und deren Ketten entflohen. Hatte er denn nicht die Welt gesehen, nicht die Dinge, die sie seinen Augen und Sinnen bot? Den Himmel nicht, nicht das Licht? Er kam zurück, zu denen, die er wohl für seine Freunde hielt.
Ich rede von – Sie ahnen es – Platons Höhlengleichnis. In »Der Staat« (griechisch: Πολιτεία/ Politeia), im siebten Buch, lässt Platon seinen Lehrer Sokrates ein Gleichnis von der menschlichen Erkenntnis erzählen.
Die Handlung, schnell skizziert: Menschen werden in einer Höhle gefangen gehalten. Sie sind auf eine solche Weise angekettet, dass sie immerzu auf eine ihnen gegenüber liegende Wand starren müssen. Hinter ihnen brennt ein Feuer und vorm Feuer ist eine Brücke, über welche immerzu Gegenstände getragen werden. Dank des Feuers werfen die Gegenstände ihre Schatten auf die Wand, und diese Schatten sind alles, was die Gefangenen von der Welt sehen und wissen.
Nun wird einer der Gefangenen befreit und gelangt an die Oberfläche. Zunächst ist er vom Licht geblendet, doch schon bald sieht er die Welt, wie sie ist, samt aller Vasen und Blumen und anderer schöner Dinge.
Das Gleichnis fragt, was passieren würde, wenn so einer, der das Licht gesehen hatte, zurückkehrte in seine Höhle. Zuerst würden seine Augen nichts sehen, denn seine Augen sind die Dunkelheit nicht mehr gewohnt, so wie sie zuvor vom Licht geblendet wurden. Wenn es dann aber daran geht, wieder Schatten zu begutachten, würde er gar nicht anders können, als die Schatten zu analysieren und den anderen Höhlenbewohnern erklären zu wollen, was da wirklich zu sehen ist.
Würden die Höhlenbewohner ihm danken? Würden sie ihm zuhören, weil er höhere Erkenntnis mit und in sich trägt? Würden sie seine Weisheit nutzen, um sich, auf die eine oder andere Art, ihrer Fesseln zu entledigen?
Das ist nicht, was Platon (bzw. Sokrates) als realistische Reaktion sieht. Eher dies:
Und wenn er wieder in der Begutachtung jener Schatten wetteifern sollte mit denen, die immer dort gefangen gewesen, während es ihm noch vor den Augen flimmert, ehe er sie wieder dazu einrichtet, und das möchte keine kleine Zeit seines Aufenthalts dauern, würde man ihn nicht auslachen und von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen und es lohne nicht, daß man auch nur versuche hinaufzukommen; sondern man müsse jeden, der sie lösen und hinaufbringen wollte, wenn man seiner nur habhaft werden und ihn umbringen könnte, auch wirklich umbringen? – Platon, Der Staat, Buch 7
Die Gefangenen würden ihm keineswegs danken – im Gegenteil! Die Immer-nur-Gefesselten würden ihn auslachen. Sie würden ihn töten wollen, selbst wenn das mit ihren Ketten kaum möglich ist. War es naiv von ihm gewesen, zu seinen ehemaligen Mit-Gefangenen zurückzukehren? Was hatte er damit erreichen wollen? Warum nur kam er zurück?
»Wir bringen euch um, wir stechen euch ab«
In der Nacht vom Samstag, den 25. August 2018, auf den kommenden Sonntag hat (nach aktuellem Erkenntnisstand) eine Gruppe junger Syrer den Club »Frosch« in Frankfurt/Oder angegriffen.
Die Berliner Morgenpost schreibt:
Zwei Syrer hatten laut übereinstimmenden Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst im Club Streit mit Partygästen begonnen, vor allem mit einem Deutschen waren sie aneinandergeraten. »Die Männer haben angefangen, feiernde Gäste zu provozieren und zu bedrängen«, sagte Clubbetreiber Dirk Schöbe der Berliner Morgenpost. Laut Oberstaatsanwalt Ulrich Scherding riefen die Männer: »Wir sind Araber, wir töten euch alle.« (…) Laut Staatsanwaltschaft drohten die Männer draußen vor dem Club stehenden Besuchern: »Wir bringen euch um, wir stechen euch ab.« Sie riefen laut Oberstaatsanwalt Scherding auch »Allahu akbar« (Gott ist groß).
– morgenpost.de, 31.8.2018
Laut Staatsanwaltschaft waren die Angreifer syrische Flüchtlinge. Auf den ersten Blick könnte man sagen: Aha, wieder die Leute, welche die deutsche Propaganda 2015 als dringend notwendige Fachkräfte, Ärzte und Ingenieure verkauft hatte. – Dies festzustellen wäre wohl nicht ganz falsch, doch es wäre auch nicht vollständig richtig.
Eine weitere Passage aus dem Bericht:
»Im Vorraum waren Menschen in Panik«, so Schöbe. »Von außen hämmerte ein Syrer gegen die Tür, rief um Hilfe. Es war einer der normalen Partygäste. Wir haben die Tür noch mal geöffnet und ihn reingezerrt.«
– morgenpost.de, 31.8.2018
Es ist nicht unwichtig, dass Syrer sowohl unter den »ganz normal Feiernden« als auch unter den Angreifern waren. Es war also nicht (nur) ein Angriff von Syrern auf Deutsche, es war ein Angriff von Männern, die sich als Araber und Muslime identifizieren, auf Menschen, die wie in deutscher Kultur (noch) üblich »einfach so« feierten.
Was feiert man denn, wenn man »anlasslos« feiert? Die These scheint wenig kontrovers zu sein, dass man beim Einfach-so-Feiern das Leben selbst feiert. Man feiert, dass man jung ist (im Zweifelsfall tut man so, als sei man es…) – man feiert, dass man am Leben ist. Ich definiere ja Freiheit als Zufriedenheit ob der zur Verfügung stehenden (Lebens-) Möglichkeiten, insofern ist das Feiern ohne Anlass eine Feier der Freiheit selbst.
»They hate our freedom«
Am 20. September 2001, neun Tage nach »9/11«, hielt der damalige US-Präsident George W. Bush vor dem Kongress der Vereinigten Staaten die entscheidende Rede seiner Präsidentschaft. Die Rede enthielt mehrere Passagen, die ins globale Gedächtnis eingingen, darunter diese:
They hate our freedoms — our freedom of religion, our freedom of speech, our freedom to vote and assemble and disagree with each other.
– George W. Bush, 20.9.2001
Übersetzung: »Sie hassen unsere Freiheiten – unsere Religionsfreiheit, unsere Redefreiheit, unsere Freiheit zu wählen und uns zu versammeln und verschiedener Meinung zu sein.«
Selbstverständlich wurde George W. Bush von Linken viel für diese Erklärung gescholten. Es wurde sogar vorgebracht, »sie« (sprich: Extremisten aus der muslimischen Welt) würden »uns« deshalb hassen, weil westliche Truppen in deren Ländern intervenieren, et cetera – Linke erklären Hass durch Fremde mit allem, außer mit dem Hass selbst.
Heute ahnen wir: George W. Bush lag (ein Stückweit) richtig.
Gutmenschen schreiben Schuld an allem Übel den »alten weißen Männern« zu (außer wenn diese, wie z.B. Marx, den Kapitalismus hassen, während sie den Wohlstand abgreifen, den der möglich macht). Eventuelle Aggression derer, »die noch nicht so lange da sind«, sieht der Gutmensch darin begründet, dass man denen mit zu wenig »freundlichem Gesicht« begegnet sei.
Willkommenskultur ist der beste Schutz vor Terroristen.
– Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen)
Wenn Gutmenschen recht hätten, und Aggression von Menschen aus archaischen Kulturen immer nur eine Reaktion auf Unfreundlichkeit wäre, dann müssten in Ungarn täglich entsprechende Anschläge passieren, während die Integration in Deutschland einem einzigen großen Multikulti-Stadtteilfest gleicht – das ist nicht ganz der Fall.
Es ist bezeichnend, dass ein guter Teil der Gewalttäter und Attentäter aus archaischen Kulturkreisen das, wogegen sie wüten, zuvor selbst genutzt und genossen hatten, doch vermutlich am Widerspruch zwischen ihrer Prägung und ihrer Sehnsucht nach Freiheit zerbrachen. Mohammed Atta (9/11) studierte erfolgreich in Deutschland, seine Mit-Terroristen vergnügten sich in Las Vegas. Omar Mateen vom Orlando-Anschlag (2016) hatte wahrscheinlich selbst den Club besucht, in dem er das Massaker verübte. Was für Terroristen gilt, scheint immer wieder auch für »einfache« Angreifer zu gelten: Einige der jungen Männer zerbrechen am Widerspruch zwischen kultureller Prägung und eigener Sehnsucht nach Freiheit.
Erkämpft und erarbeitet
Der Westen hat sich Freiheiten erkämpft und erarbeitet, die im Widerspruch zu Kernaspekten importierter archaischen Kulturen stehen. Der Westen muss sich die Frage stellen, ob er die Freiheit drangibt oder verteidigt.
Linksgrüne haben sich eindeutig entschieden: Sie wollen sich unterwerfen. Aus ihrer ethischen Perspektive ist es logisch. Gutmenschen sind radikale Gesinnungsethiker. Das heißt, dass jenes ihnen als ethisch richtig erscheint, was das erste, spontane Bauchgefühl hergibt, ohne Rücksicht auf Implikationen, Widersprüche oder Konsequenzen. Man kämpfte jahrzehntelang für den Tierschutz, weil auch Tiere eine Form von Bewusstsein haben, doch heimlich möchte man von Fundamentalisten geliebt werden (die ewige Suche der Linken nach starken Vaterfiguren), also wirft man Tierschutz und Tierrechte über Bord, verteidigt Schächtung und gratuliert etwa zum Opferfest (@die_gruenen, 21.8.2018). Man kämpfte jahrzehntelang für die Rechte von Frauen, doch wenn es darum geht, den »jungen Männern« zu gefallen, wischt man Frauenrechte mit einem Handstreich weg – und wer heute noch dieselben Frauenrechte verteidigt wie damals, wie etwa Alice Schwarzer, gilt bald als »Pegida-Versteherin« oder als »Applaus von Rechts bekommend«, was beides de facto »Ketzer« bedeutet und einer öffentlichen Bannung aus der Debatte gleichkommt (siehe z.B. taz.de, 7.1.2015, uebermedien.de, 2.7.2018).
Die Freiheit steht unter Beschuss von Leuten, die Freiheit nicht aushalten können und sie also auch niemandem sonst gönnen. Sie tragen ihre eigenen inneren Kämpfe in den Westen – der Westen aber kämpft selbst mit einer Identitätskrise, und so unterwirft er sich.
Die Syrer, die den Club angriffen, und damit auch ihre feiernden Landsleute, griffen die Freiheit selbst an, die Freude am Leben, den Mut, einfach nur mal »ganz selbst« zu sein, seine Widersprüche und sein Menschsein zu feiern.
Die Angreifer riefen, so wird berichtet, »Wir sind Araber« und »Allahu Akbar«. So wie Netzfeministinnen sich aus ihrer inneren Zerrissenheit in plakative Labels flüchten, von denen aus sie alle Andersdenkenden angreifen, so fliehen sich diese jungen Herren in Identitäten, von denen aus sie diejenigen angreifen, die sich Freiheiten nehmen, zu denen sich die Angreifer selbst nicht trauen.
Indem Gutmenschen leugnen, dass es einem bestimmten Kulturkreis immer wieder schwerfällt, mit westlichen Freiheiten klarzukommen, tun sie denen, die den Sprung eben doch schaffen, folgenreiches Unrecht.
Ich sehe mutige Menschen aus jenem Kulturkreis, die sich aus den alten Zwängen befreit haben – und ich sehe Gutmenschen, die diese Mutigen bar jeder eigenen Kompetenz angehen, weil sie die linksgrüne Ideologie mit nichts als Fakten und eigener Erfahrung angreifen.
Die Dialoge verlaufen etwa so:
Insider (aus Kulturkreis X): »Kulturkreis X hat Eigenschaften, die mit westlicher Demokratie nicht vereinbar sind.«
Gutmensch (null Ahnung von Kulturkreis X): »Wer etwas über X sagt, das nicht positiv ist, der ist ein Rechter und gehört zum Verstummen gebracht.«
Die syrische Gesellschaft selbst ist, wie sich unschwer am dort herrschenden Bürgerkrieg erkennen lässt, gründlich zerrissen, auch zwischen westlich geprägten Bürgern und religiösen Fundamentalisten (nicht immer zwei verschiedene Menschen). Vor wenigen Jahren noch war etwa Damaskus eine Kultur- und Partystadt. Jetzt liegt die Stadt in Trümmern. Indem Deutschland in blauäugiger Gutgläubigkeit alle hereinlässt und vermischt, Verfolgte wie Verfolger, importiert es diese Zerrissenheit und ihre Manifestationen.
Freiheit und Unfreiheit sind im Krieg, und wer den Krieg leugnet, wie Gutmenschen es tun, der kämpft implizit für die Unfreiheit und gegen die Freiheit. Gutmenschen sind heute die effektivsten Feinde der Freiheit – es hat seinen Grund, warum so viele Kommunisten und Linke unter ihnen sind.
Bezug zur Analogie
Warum wollten Platons Gefangene den Rückkehrer töten? Wohl aus ähnlichem Grund, aus dem auch innerlich zerrissene Menschen aus archaischen Kulturräumen selbst ihre eigenen Landsleute angreifen, wenn diese die Freiheit des Westens genießen.
Platons Höhlengleichnis ist eine Metapher über die Genese von Ideen und Begriffen – doch dass die Angeketteten den, der frei war, töten wollen würden, das war eine treffende Vorhersage. Die Gefangenen konnten die Wahrheit über die Begriffe nicht ertragen, nicht die vielen Möglichkeiten aushalten, die ihnen eine freie Ideenschau schenken würde. Die Feinde der Freiheit greifen den Westen an, weil sie große Angst davor haben, in sich selbst hineinzublicken und sich zu fragen: Wer bin ich wirklich? Was will ich wirklich? Was macht mir wirklich Freude und was hindert mich, sie mir zu gönnen? Oder, in unseren Begriffen formuliert: Was sind unsere Relevanten Strukturen?
Bei Platons Höhlengleichnis stellt sich eine ganze Reihe an Fragen. Die eine war, warum sie den, der die Ideen geschaut hat, bitteschön töten wollen. Eine weitere interessante Frage wäre, wer es war, der sie gefesselt hat, so dass sie immer nur die Schatten schauen können.
Die Menschen, die in eine Ideologie geboren werden, ob sie die nun von dogmatischen Religionsgelehrten oder linksgrünen Pädagogen eingetrichtert bekommen, werden als Kinder gedanklich an das jeweilige Gedankenkonstrukt gebunden. Es ist dem gefesselten Menschen angeboren, sich von seinen Fesseln befreien zu wollen, doch manchmal braucht er etwas Hilfe – der Sinn von Fesseln ist es ja, dem Einzelnen die Selbstbefreiung recht schwer zu machen. Mit den Fesseln des Geistes ist es nicht unähnlich.
Bei der Befreiung von Metallketten kann der Mensch sich an den Handgelenken verletzen, bis auf den blutigen Knochen. Bei der Befreiung von den Ideologieketten kann und wird der Mensch auch Wunden an seiner Seele davontragen. Gutmenschen unterwerfen sich den Ideologen, die Menschen in Ketten legen – und beschimpfen jene, die sich von ihren Ketten lösen.
Die Freiheit des Westens ist unter Beschuss. Die Gutmenschen schlagen sich verblendet und liebesbedürftig auf die Seite der Unfreiheit und Ideologie. Der Rest von uns, die Realisten, Demokraten und Verantwortungsethiker, sollten umso lauter bekennen, dass wir auf der Seite der Freiheit stehen.