Letztens »spielten« einige Nachbarskinder »Schule«. Die Kinder saßen in der Mitte des Hofes zusammen und spielten, »als ob« sie in der Schule wären. Es war gar herzallerliebst!
Eine Zweitklässlerin (so schätze ich mal) hatte drei Vorschulkinder um sich versammelt und brachte ihnen die Grundrechenarten bei. Mein Herz schmolz.
Ich wollte lächelnd weitergehen, mit frischer Hoffnung für künftige Generationen im alten Vaterherz, da passierte etwas Bemerkenswertes:
Die »Lehrerin« dieses Spieles rief, weiter in ihrer Rolle als Lehrerin, eines der »Schulkinder« an die improvisierte Tafel, auf dass dieses Kinder seinerseits »Lehrerin spielen« möge – weiterhin aber in der Rolle des Schulkindes! Die Kinder spielten eine Schulklasse, die eine Schulklasse spielt.
Filmfreunde denken hier vermutlich an den Film Inception und an die Idee eines Traums innerhalb eines Traums innerhalb eines Traums und so weiter.
Und Philosophen denken hier natürlich an verschiedene Theorien rund um »Simulation«, also die Möglichkeit, dass die Realität, wie wir sie wahrnehmen, nur eine Simulation ist. (Und Filmfreunde denken hier natürlich ebenso an »Matrix«.)
»Die richtige Welt«
Die spielenden Kinder simulierten die »richtige« Welt der Schule. Und innerhalb dieser Simulation konstruierten sie eine weitere Simulation.
Die Schule aber hielten sie für »die richtige Welt« – geradezu niedlich.
Natürlich ist die Schule nur eine Vorbereitung auf »die richtige Welt«, eine kindgerechte Simulation. Projekte und Gruppenarbeiten simulieren die Kooperation, wie sie in Unternehmen notwendig ist. Referate simulieren das Sprechen vor Teams. Textaufgaben simulieren das Lösen komplexer Probleme.
Doch wer glaubt wirklich, dass die Arbeit in Unternehmen, Behörden oder freien Berufen später »die richtige Welt« sein wird?
Wir könnten hier natürlich eine nächste Ebene diskutieren. Wir könnten fragen, ob es eine andere gesellschaftliche Realität hinter der Realität in Firmen und Arbeitsplätzen gibt, und natürlich würden wir bald wie Verschwörungstheoretiker klingen.
Mit eigenen Sinnen
Wir ersparen uns hier theoretische und doch nicht trivial zu widerlegende Beobachtungen, wonach alles, was wir für unsere Wahrnehmung der Realität halten, uns tatsächlich nur von unserem Gehirn vorgespielt wird, strukturell lose basiert auf unseren Sinnesdaten und Erinnerungen – was du »mit deinen Augen siehst«, ist tatsächlich nur die Simulation, die dein Gehirn dir aufgrund der von den Augen gelieferten Sinnesdaten konstruiert.
Du lebst in einer Simulation und kennst kein anderes Leben als diese Simulation. Die Physiker mögen theoretisch näher an diese Realität herankommen als andere Wissenschaften, doch auch ihnen fehlt die Fähigkeit, die von ihnen postulierte Realität mit eigenen Sinnen zu erfassen.
Nein, der Mensch kann nicht der Simulation entkommen. Alles ist Simulation, Simulation innerhalb von Simulation. Alles Lernen ist Übung in den internen Regeln einer jeweiligen Simulationsebene. Die Näherung an eine »Wahrheit«, vor allem nach dem »wahren Leben«, ist bestenfalls das Hinabsteigen durch Simulationsebenen.
Ganz praktisch
Ich würde ja gern mit euch über alltägliche Politik sprechen, über Entwicklungen der Gesellschaft, ob als Essay oder als Video. Doch ich werde zunehmend ratlos, über welche Ebene der Simulation ich reden sollte.
Wir lebten in einer Demokratie, so sagt man mir, und wir fördern die Demokratie in anderen Staaten. Doch wehe, jemand erkennt Risse in der Demokratie, will die Risse weiter aufreißen und Licht hindurchscheinen lassen.
Beispiel: In Georgien, einem Land mit einer Grenze zu Russland, wurde ein Gesetz erlassen, welches es eigentlich in jeder Demokratie der Welt geben sollte: »NGOs«, die mehr als 20 Prozent ihres Einkommens aus dem Ausland erhalten, müssen sich als »ausländische Agenten« registrieren (theguardian.com, 15.5.2024).
»NGO« steht für »Non governmental organisation« und soll implizieren, dass diese Organisationen den »wahren Willen des Volkes« repräsentieren. Man heftet sich auch gern das Etikett »Zivilgesellschaft« an. Doch wäre dies wahr, brauchte es diese Organisationen in Demokratien nicht.
Tatsächlich erinnern aus dem Ausland finanzierte NGOs an eine neue Form der Kriegsführung.
Statt mit Panzern einzumarschieren und den Regierungssitz zu stürmen, finanziert man etwa »Farbrevolutionen«, welche den Anschein geben, der Coup sei der Wille des Volkes.
Statt die Kinder eines Volkes zu töten oder gar mit Chemikalien im Trinkwasser die Reproduktionsfähigkeit der Bevölkerung zu schwächen, wird mit NGOs eine Gehirnwäsche betrieben, die aktive Kernfamilien beschädigt, eine Abneigung gegenüber Nachwuchs in jugendliche Gehirne einpflanzt oder mit Illusionen wie »Selbstverwirklichung« die Reproduktionszahl unter das Erhaltungsminimum von 2,1 Kindern pro statistischer Frau senkt. »Selbstverwirklichung« und »Gendertheorie« klingt so viel moralischer als Massenmord und chemische Kastration.
Exakt wie es zu erwarten war, ließen offenbar aus dem Ausland finanzierte NGOs Tausende Demonstranten zu Protesten gegen das NGO-Transparenzgesetz aufmarschieren.
Wenn Georgien »seinen« aktiven NGOs die Offenlegung ihrer ausländischen Finanzierung aufzwingt, drohen die USA mit einer Einstellung ihrer Förderung. Einige EU-Abgeordnete drohen, die EU-Beitrittsverhandlungen abzubrechen.
Das Gesetz selbst wurde demokratisch mit den Stimmen von 84 der 150 georgischen Abgeordneten verabschiedet (aljazeera.com, 15.5.2024), wenn es wohl auch zu Tumulten bei der Abstimmung kam.
Zu den Gegnern des Gesetzes zählen die aus dem Ausland finanzierten NGOs selbst und natürlich Akteure im Westen, die schon mal händeschüttelnd etwa mit einem George Soros fotografiert werden. Zu den Befürwortern des Gesetzes zählen Leute, die fürchten, dass Georgien durch die Manipulation der US-Akteure und ihrer NGO-Marionetten »zu einer zweiten Ukraine« werden könnte (siehe etwa responsiblestatecraft.org, 14.5.2024).
Westliche Politiker mit unklarem diesbezüglichen Auftrag erklären schon mal Tbilisi (Georgiens Hauptstadt) zur wahren Hauptstadt Europas (@tomdabassmann, 17.5.2024)? Hofft er, direkt vor Russlands Haustür einen Konflikt anzuheizen und zumindest so in die Geschichtsbücher einzugehen?
Bloß die Ahnung
Freunde, ich will gar nicht erst diskutieren, ob es moralisch gerechtfertigt ist, wenn westliche NGOs ihr Konzept von »Demokratie« bis an die russische Grenze tragen.
Ich will schon eher meine Verwunderung darüber festhalten, dass westliche Politiker durch Georgiens Straßen in Richtung Parlament marschieren, um ein demokratisch beschlossenes Gesetz zurücknehmen zu lassen (@pawelwargan, 17.5.2024). Ein Gesetz, das Transparenz in den Einfluss westlicher Propaganda- und Manipulationsvereine bringen soll.
NGO-Propaganda nennt das Gesetz zur NGO-Transparenz ein »Russland-Gesetz«. Damit könnte technisch gemeint sein, dass Russland ein ähnliches Gesetz hat. Oder dass, wenn man westliche NGOs zur Transparenz zwingt, man praktisch schon Teil von Russland ist. Oder »Russland« gilt in internationaler Diplomatie inzwischen als allgemeine Negativ-Vokabel für alles, was man irgendwie doof findet, so wie »Nazi« in Deutschland (aber nicht in der Ukraine, höre ich).
Auch noch recht lange
Ich kann mir nicht der Ahnung verwehren, dass manches, was wir »Demokratie« nennen, mehr eine »Demokratiesimulation« ist – und dass eine Demokratiesimulation schon mal durch eine andere Demokratiesimulation ersetzt werden kann.
Ach, ich wünsche mir die Unschuld der Kindertage zurück, als wir dachten, dass unser Als-ob-Spiel das einzige solche Spiel wäre.
Tatsächlich, so scheint es, leben wir in einer Simulation in einer Simulation in einer Simulation.
Wir können nicht wirklich aufwachen, wir können nur die Ebenen der Simulation wechseln.
Und so dürfen wir einander heute natürlich Zufriedenheit und Gesundheit wünschen, und das darf dann so klingen: Mögest du in einer Simulation leben, die dich auch glücklich macht – und mögen die Kinder auch noch recht lange spielen, als ob sie in der Schule wären, also ob sie Kinder wären, als ob wir alle noch Hoffnung hätten.