Stell dir vor, du bist auf einer Geschäftsreise. Du bist allein in der Fremde. Du bist der Fremde. Doch du hast einen Auftrag – oder so glaubst du.
Und dann: Jemand von deiner Firma ruft dich an. Ein Schock, ein hartes Erwachen: Der Zweck deiner Reise hat sich erübrigt.
Wie reagierst du? Wie geht es dir dann?
Du könntest dich ärgern. Wild schimpfen, laut fluchen: »Meine Reise? Sinnlos! Meine Zeit? Verschwendet.«
Ach, lasst uns den Einsatz erhöhen: Es stellt sich heraus, dass deine Reise überhaupt nie einen Zweck hatte – zumindest keinen äußeren Zweck.
Der Chef deiner Firma ist seit einiger Zeit verschollen. Erst jetzt fällt dir auf: Du hast den Chef nie persönlich getroffen. Du warst abgelenkt von Kleinigkeiten, vom Alltag. Die Befehle des Chefs wurden dir immer nur von Dritten übermittelt.
Nicht selten waren Widersprüche in den Anordnungen. Ja, sie standen im Widerspruch zur Realität selbst.
Ach, es war dir doch aufgefallen. Du wolltest es aber nicht wahrhaben. Jetzt kannst du es nicht mehr leugnen. Bis eben warst du auf einer Geschäftsreise unterwegs, jetzt bist du nur noch »unterwegs«.
Findest du dich ab? Wie findest du dich ab?
Du könntest ja die Vorstellung loslassen, dass deine Reise einen Zweck haben muss. Genauer: einen Zweck, der dir von außen vorgegeben wird. Du bist ein »Geschäftsreisender auf Geschäftsreise ohne Zweck«. Doch du darfst deiner Reise einen Zweck geben. Du kannst dir selbst einen Auftrag erteilen.
Es ist nicht zu leugnen: Ich rede hier von der »Geschäftsreise ohne Geschäft« als Metapher fürs Leben.
Nicht jeder, aber so mancher Mensch gerät an den Punkt in seinem Leben, dass er sich fragt: warum das alles?
Diese Geschäftsreise ist so mühsam. Wofür die Mühe?
Ich spüre den Wunsch, dass all der Schweiß einen Zweck hat. Meine Schmerzen müssen doch einen Sinn haben. Und mein Spaß, mein Lachen, die Freude, die wir an guten Tagen empfinden, haben die denn kein Gewicht über den Moment hinaus?
Dieser Geschäftsreisende will nicht die Sinnlosigkeit seiner Reise hinnehmen. Also muss er seiner Reise selbst einen Sinn verleihen. Einen Zweck. Ein Ziel.
Der Reisende könnte seine Reise zum Bildungsurlaub erklären. Der Zweck wäre erfüllt, wenn er auf angenehme Weise klüger wurde. Er könnte Badeferien machen, mit der Entspannung als Zweck und Ziel. Er könnte sich eine kulinarische Entdeckungstour durchs Leben gönnen – man lebt ja nur einmal.
Oder er könnte den Menschen um ihn her mit seinen Fragen auf die Nerven gehen. Mehr über die Menschen lernen. Das Kennenlernen des Mitmenschen als eigener Zweck.
Könnte, könnte, könnte – wir haben hier recht häufig »könnte« gesagt.
»Könnte«, das ist Konjunktiv. Der Modus Irrealis. Es gibt aber kein Leben im Konjunktiv – also gibt es im Konjunktiv weder Zweck noch Sinn.
Ich sage dem Geschäftsreisenden: Kein externer Faktor wird deiner geschäftslosen Geschäftsreise einen Zweck geben – oder deinem Leben einen Sinn.
Wenn du willst, dass diese Reise einen Zweck hat, musst du ihn selbst bestimmen.
Dein Sinn und dein Zweck müssen nicht laut und spektakulär sein. Das Ergebnis deiner Geschäftsreise muss nicht die Erde aus den Angeln heben. Ach, die Welt wackelt auch so schon genug, zu viele Leute hebeln an ihr herum.
Gib dir einen kleinen, aber wertvollen Zweck. Prüfe deinen Zweck täglich. Prüfe, dass es ein Zweck ist, der das Leben seiner Tage wert macht. Stell sicher, dass du selbst es warst, der dir diesen Auftrag erteilte.
Wir sind Reisende. Wir haben nicht gewählt, diese Reise anzutreten. Und wir haben nur wenig Einfluss darauf, wann man uns wieder von dieser Reise abberufen wird.
Doch eines dürfen wir, eines können wir, und also sollen wir es auch tun: Wir können festlegen, was der Zweck unserer Reise ist.