Dushan-Wegner

05.11.2018

Was braut sich da zusammen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Animation: Autor, mit Foto von Max LaRochelle
Ein Polizeichef wird für klugen Rat angepampt. Maaßen wird fürs Aussprechen der Wahrheit fertiggemacht. Ex-Verfassungsgericht-Chef warnt, dass Deutschland die eigenen Gesetze ignoriert. Was braut sich da zusammen?
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Es wäre ein Verlust; nein, halt, lassen Sie es mich genauer sagen, präziser, gewissenhafter, minutiöser: Es wäre ein traurigkeitsbehaftetes Abwesenheitsereignis!

Ja, es wäre zum Mäusemelken und zum Haareraufen sowieso, wenn uns die Fähigkeit zur Wortkomposition verloren ginge!

Hach, was können das, die und der Deutsche doch für wortwitzsprühende Wortkombinationskleinkunstwerke produzieren, mit nichts als Buchstaben und Begriffen (und vielen freien Zeilen)!

Eine Gattung von Wortbausätzen finde ich derzeit besonders reizvoll: Wortbildungen mit »Ereignis«.

Was ein Ereignis ist, das klingt greif-, überschau- und beherrschbar. »Da wurde halt wieder einer erstochen«, klingt wie No-Go-Zone, doch »Tötungsereignis«, das hat seine Ordnung, da sind Aktenzeichen, Vorgangsnummer und Sachbearbeiter zugeteilt, noch bevor das Blut getrocknet ist.

Ein weiteres Wort mit Ereignisanteil ist »Starkwindereignis«. Sie ahnen es: ein Starkwindereignis ist schlicht ein Sturm.

Ein handelsüblicher Wind (schnelle Bewegung von Gasen, wie etwa Luft) entsteht, wenn in einer Region ein höherer Druck herrscht als in einer anderen; solche lokalen Unterschiede können durch Sonneneinstrahlung entstehen, aber auch durch chemische Nebenvorgänge bei der Phaseolus-Digestion.

Wenn der Wind besonders stark ist, können wir mit den Worten stark und Wind eine Art von Wortlego spielen und den stürmischen Wind zum Starkwind erklären. Und weil Stürme uns Angst machen, und weil was uns Angst macht, schnell ein Aktenzeichen braucht, weil dann fürchten wir uns gleich viel weniger, und weil Stürme nicht nur im Raum passieren, sondern auch in der Zeit, weil dem allem so ist, ist ein Sturm eben ein Starkwindereignis.

Sturmtheorie

Das heutige politische Klima bietet mehr Sturm und weniger Sonnenstunden als ohnehin schon. Politiknachrichten waren nie nur eitel Sonnenschein, wahrlich nicht, doch die Lage ist heute qualitativ anders als etwa noch vor zehn oder zwanzig Jahren.

Bis spätestens 2014 konnte ein Bürger ohne in Illusionen zu schwelgen die Hoffnung hegen, dass das Morgen besser wird, dass es seinen Kindern besser gehen wird, dass Staat und Regierung ihr Bestes geben, dass es der heutigen Generation von Bürgern gut gehen wird und der nächsten Generation noch besser. Seit 2015 haben täglich mehr Bürger das Gefühl, dass sie für ihre Regierung zwar weiterhin erster Finanzier, aber lange nicht mehr erste Priorität sind. In der deutschen Debattenlage sind, um die Wettermetapher aufzugreifen, Gebiete mit verschiedenem politischen »Luftdruck« entstanden.

In SPD- und Grünen-nahen Gruppen geht Moral vor Realität. Bei AfD und Teilen von CDU und FDP geht Überleben vor moralisches Pathos. Die Unterschiede schaffen unterschiedliche Luftdruckgebiete und die umherfliegenden Anschuldigungen sind von einem Sturm nicht zu unterscheiden.

Kein Vollkasko

Der Polizeichef von Freiburg, Bernhard Rotzinger, hat einige Dinge gesagt, die auf den ersten Blick den großen Sturm weiter anzufachen schienen, doch wirklich nur auf den ersten, unreflektierten Blick.

In einem Interview, das er gab, nachdem die Grünen-Hochburg Freiburg aufgrund der Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen durch »junge Männer« dann doch etwas verunsichert war, sagte er:

Wir müssen uns klarmachen, dass in einer offenen Gesellschaft nicht jedes Delikt zu verhindern ist. (…) Wir können den Bürgern keine Vollkaskoversicherung bieten. Einen Ratschlag habe ich aber: Macht euch nicht wehrlos mit Alkohol oder Drogen. (spiegel.de, 2.11.2018).

Einige Internet-Bürger regten sich auf: Wie kann er sagen, dass die Bürger sich »nicht wehrlos machen sollen« – damit gibt er den Opfern die Schuld!

Man griff ihn in den Sozialen Medien an, doch warum eigentlich? Hatte er den Opfern die Schuld gegeben? Einige sagten: Ja, so gut wie. Ich sage: Nein. – Wenn ich Ihnen rate, die Tür zu verschließen, bevor Sie in den Urlaub fahren, gebe ich Ihnen die Schuld am Einbruch?

Der kleine Internetprotest (ich lasse mal die Namen weg – der Sturmgebiete ist genug), diese kleine Windhose im Social-Media-Glas, sie ist bezeichnend: Zwei unterschiedliche Luftdruckgebiete, zwei Gewichtungen von Moral und Erwartung. Der Polizeichef hatte nicht gesagt, dass so ein Zustand wünschenswert wäre, und er hatte nicht gesagt, dass Frauen selbst schuld wären, wenn kulturelle Missverständnisse sie fürs Leben traumatisiert zurücklassen. Rotzinger hatte gesagt, was Frauen tun können, um das statistische Risiko des Missbrauchtwerdens zu senken, und niemand würde die Richtigkeit seiner Worte bestreiten! Wer besoffen die Kontrolle über sich verliert, der wird häufiger zum Opfer werden – seit jeher schon. Das Stürmchen entstand durch den Luftdruckunterschied zwischen dem verantwortlichen Realismus des Polizeichefs und dem realitätsfremden Idealismus seiner Kritiker. Wer trug die Schuld am Sturm? – Anders gefragt: Wer trägt die Schuld daran, dass der Wind weht?

Linksextreme Elemente

Im Text »Berliner Inquisition, Maaßen und die Scheiterhaufen des Wahrheitssystems« beschrieb und kommentierte ich, wie der Chef des Verfassungsschutzes von den Eliten fertiggemacht wird, weil er sich weigert, ihre Version der Wahrheit zu bestätigen.

Heute wurde bekannt, dass Maaßen schlussendlich doch in den vorzeitigen Ruhestand entlassen wird. Der Anlass ist eine Rede, deren Manuskript zum Beispiel bei juergenfritz.com zu lesen ist – daraus ein Auszug:

Ich habe bereits viel an deutscher Medienmanipulation und russischer Desinformation erlebt. Dass aber Politiker und Medien »Hetzjagden« frei erfinden oder zumindest ungeprüft diese Falschinformation verbreiten, war für mich eine neue Qualität von Falschberichterstattung in Deutschland.

Maaßen ist von Berufs wegen einer der bestinformierten Menschen in Deutschland. Er wird für seine klaren Worte angegriffen von Leuten mit dem moralischen Standing eines SPD-Funktionärs und dem intellektuellen Tiefgang eines Berliner Klickdreck-Journalisten.

Ähnlich wie in meinem Text zum UN-Migrationspakt fordere ich auf: Lesen Sie es selbst! Vergleichen Sie die ruhigen, abgeklärten Worte des Herrn Maaßen mit der schäumenden, rasenden, panischen Wut seiner Gegner. Auf der einen Seite ist ein Mann, der weiß, dass er unglaublich viel verlieren wird, wenn er die Wahrheit sagt – auf der anderen Seite diverse Versager mit Parteibuch und/oder Presseausweis, die eben krähen, was alle krähen, die auch nächste Woche noch Zeilengeld kassieren wollen.

Zwischen Maaßen und seinen Gegnern tobt ein Sturm, und wie so oft bei heftigem Wind liegt die Ursache in unterschiedlichen Klimazonen, metaphorisch gesprochen. Maaßen hat einen eher »gottlosen« Wahrheitsbegriff: Wahrheit ist für ihn, was tatsächlich passiert ist. Linke Postdemokraten haben einen »gläubigen« Wahrheitsbegriff: Wahrheit ist für Linke (und die NGOs hinter vielen von ihnen), was das aktuelle Dogma als Wahrheit vorgibt. Maaßens großes Vergehen war, einen Beleg für das zu fordern, was Merkel, SPD und Journalisten behaupten – als ob im Mittelalter ein Ketzer verlangt hätte, dass der Papst die Existenz Gottes und die Jungfräulichkeit der Gottesmutter belegt. Glaub, Ketzer, oder geh in Ruhestand!

Wahrheit als »das, was passiert ist«, und Wahrheit als »das, was im TV gepredigt wird«, das sind zwei sehr unterschiedliche Klimazonen, die uns noch manchen Sturm bescheren werden.

Maaßen wurde nun fallengelassen, berichtet z.B. welt.de, 5.11.2018, von Seehofer, dem bayerischen Löwen, der oft zum Angriff springt, doch es bislang jedes Mal schaffte, in der Luft zu wenden und da, wo er zuvor war, brav zu landen und als Bettvorleger linker Mächte liegenzubleiben.

Zwei Randbemerkungen: 1. Ich glaube nicht, dass Maaßen nicht wusste, was die Konsequenz seiner Worte sein würde. 2. Im Kontext des fragwürdigen UN-Migrationspakts und zukünftiger Debatten rund um »Resettlement« etc. könnte interessant sein, zu wissen, nicht nur dass Maaßen promovierte, sondern auch worüber. Der Titel seiner Doktorarbeit ist »Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht« – man darf wissen: Das letzte Kapitel Maaßen ist noch lange nicht geschrieben.

Rechtsstaat erodiert

Es ist mehr als nützlich, dass die alten weißen Männer (und gelegentlich auch alte weiße Damen) hinter NGOs, Stiftungen und anderen außerdemokratischen Propagandainstrumenten ihren Aktivisten und Journalisten eine debile Abneigung gegen »alte weiße Männer« einimpfen.

Der Erfolg des Westens ist ganz wesentlich die Leistung weißer Männer, die eben irgendwann alt wurden. Auch indem man Millennials einbläut, »alte weiße Männer« seien zu hassen und zu ignorieren, macht man diese armen Seelen dümmer als sie ohnehin sind, und man macht sie abhängig von der täglichen Dosis Empörung, die sie sich wie Drohnen fortwährend via Smartphone und Filterblase ins Hirn aufladen lassen.

Ein »alter weißer Mann«, dessen Worte in weniger dämlichen Zeiten wie Donnerhall durch die Republik klingen würden, ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier.

Papier findet aktuell mehr als deutliche Worte zum Zustand des Rechtsstaats Deutschland:

Insbesondere beim Umgang mit Flüchtlingen sei deutsches und europäisches Recht »über Jahre nicht wirklich umgesetzt worden und wird noch immer nicht durchgesetzt«. Noch immer sei »in beträchtlichem Maße illegale Zuwanderung nach Deutschland zu verzeichnen«, so der ehemalige Gerichtspräsident. (welt.de, 5.11.2018)

Es sind drastische Worte! Auch hier gilt: Der Skandal ist, dass es kein Skandal ist! Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts wirft dem Staat vor, sich nicht an die eigenen Gesetze zu halten. Das Vertrauen der Bürger in ihren Staat erodiert, so stellt er fest – und in der Ära von Haltungsjournalisten und Postdemokraten geht es unter, als wäre es nur eine weitere Forumsmeldung.

Die Kritik von Hans-Jürgen Papier am Zustand des Rechtsstaats sollte eigentlich einen lauten, wilden Sturm auslösen – man spürt aber kaum ein Lüftchen. Es ist, als ob man sich damit schon abgefunden hätte, dass er Recht hat (und wenn man erstmal Maaßen abgesägt hat, wird man sich auch mit ihm »abfinden«).

Fazit

Wir haben von drei Männern gesprochen, deren Äußerungen einen Sturm auslösten – oder auslösen sollten, aber es nicht taten.

Ein Wind weist auf mögliche Luftdruckunterschiede hin, ein Sturm sowieso. Die Metapher mag dramatisch und damit tief klingen, vielleicht sogar wahr. Doch, vergessen wir nicht, wofür diese Unterschiede stehen: Es geht um große Unterschiede, um einen Riss, um Konflikte, die selbst wiederum Potential für weitere Konflikte bergen.

Wo Sturm ist, da ist gefährlicher Unterschied. Menschen werden nie ganz den Drang aufgeben, die Wahrheit zu sagen. Menschen werden (hoffentlich) nie den Wunsch verlieren, zu überleben und ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Solange in Berlin die Lüge zur Wahrheit erklärt wird und der Selbsthass zu Patriotismus, so lange wird es immer wieder und immer mehr Stürme geben.

Postscriptum

Wir haben diesen Text mit Gedanken zur Sprache begonnen, doch eine Erörterung bin ich Ihnen noch schuldig. Lassen Sie mich noch ergänzen: Das erwähnte Wort »Phaseolus« ist lateinisch für die europäische Gartenbohne. Sie dürfen jetzt im Text weiter oben nachsehen, in welchem Kontext das Wort stand. Ich finde, auch in stürmischen Zeiten, wenn die Segel flattern und die Gischt uns ins Gesicht peitscht, sollten wir das Schmunzeln nicht vergessen – woraus auch immer die bewegten Luftmassen komponiert sind.

 

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