Vor etwas über einem Jahr schrieb ich, auf Initiative eines größeren deutschen Mediums hin (sie hatten mein Buch gelesen), einen Text über die aktuelle amerikanische Politik. Über Trump. Der Text wurde dann doch abgelehnt. Es sei schon eh zu viel über Trump geschrieben worden.
Im Januar 2016 war Trump für Linke (und damit den Großteil der Journalisten) noch immer eher ein kulturelles Phänomen denn ein ernsthafter Kandidat. (Damals war er ja nicht mal durch die Nominierung durch.) Also schrieb ich diesen Artikel. Journalisten nahmen Trump schon damals nicht wirklich ernst. Ich sah das anders.
Dieser Text erschien schließlich ein Jahr später, am 20. Januar 2017, bei Tichys Einblick.
Trump ist in deinem Kopf
Im Sommer ist Burlington, Vermont, ein liebenswürdiges Städtchen mit See, Promenaden und Cafés. Es hat nur 42.000 Einwohner, und so machen die University of Vermont und ein paar Colleges aus Burlington eine »Studentenstadt«.
Am 7. Januar 2016 aber ist es kalt in Burlington, minus 10 Grad Celsius, und Donald Trump hat sich zum Wahlkampf angemeldet.
Die Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidaten halten die US-Republikaner in Atem. Die besten Umfragewerte unter den GOP-Kandidaten hat Trump. Er führt auch im wichtigen Staat New Hampshire, wo am 7. Januar viele seiner Mitbewerber unterwegs sind. Er selbst wird im Nachbarstaat Vermont sprechen.
Trumps Team hat eine Halle buchen lassen, die 1.400 Menschen fasst. Sie haben 20.000 »Eintrittskarten« verteilt. Die Studenten sind traditionell eher keine Freunde rechtspopulärer Kandidaten. Man erwartet Proteste. Der Polizeichef von Burlington sagt: Würde eine Rockband so etwas tun, würden wir das Konzert ver-bieten. Es ist aber keine Rockband, es ist Trump.
Trump eröffnet mit ausgiebigem Lob auf die Luft von Vermont, die er besonders gern atmet. Er sagt, dass draußen weitere 20.000 Leute warten und 15 Blöcke weit Schlange stehen. Die Anwesenden, sagt Trump, dürfen sich glücklich schätzen, da zu sein. Viel Applaus.
Nach etwa der Hälfte der Rede setzen Proteste und Buh-Rufe ein. Wie auf Bestellung. Trump macht eine Pause und fixiert die Übeltäter. Ganz ruhig nimmt er die Wut entgegen, macht sich lustig: »Das war ein sehr milder Protest!« Der Lärm ebbt ab. Eine Viertelstunde später setzen die Proteste wieder ein. Diesmal weist Trump die Security an: »Nehmt sie raus!« Ans Publikum sagt er: »Ist das nicht aufregender? Du gehst zur Hillary-Clinton-Veranstaltung… laaangweilig. Du gehst zu Jeb Bush, und du schläfst ein.« Die Menge johlt. Und dann, zur Security, welche die Protester in die Kälte abführen will, sagt Trump: »Konfisziert ihre Mäntel!«
Es ist vorstellbar, dass es Donald Trump sein wird, der gegen Hillary Clinton antritt. Trump ist ein Meister der psychologisch wirksamen Sprachfragmente. Viele seiner Sätze sind »viral«. Aussagen wie »ich werde Muslimen die Einreise in die USA verbieten« oder »ich werde eine Mauer zu Mexiko bauen und Mexiko wird sie bezahlen«, teilen sich geradezu von selbst. Seine Gedanken beeinflussen dich, ob du willst oder nicht. Trumps Talkingpoints sind, einmal gehört, für immer in dei-nem Kopf. Trump ist wie ein Rockstar oder eine religiöse Figur. Er wirkt auf animalischer und doch zutiefst menschlicher Ebene. Niemand kann Trump erleben und emotional gleichgültig bleiben.
Wer aber Donald Trumps Erfolge allein auf seine laute, grelle Sprache oder seinen unverhohlenen Populismus zurückführt, der fällt ebenfalls auf ihn herein. Hinter aller Lautstärke verbergen sich zwei alte, bewährte Muster. Trump baut sich selbst auf nach jenem Heldenreise-Prinzip, das James Joyce den »Monomythos« nannte und würzt es mit einer postreligiösen Heilslehre.
Die »Heldenreise« ist ein Erzählmuster, das vor allem die Praktiker des Literatur- und Filmprinzips täglich anwenden. Wir finden es in den Mythen aller Weltteile. Die Bibel beschreibt Jesus nach diesem Muster. George Lucas ließ Luke Skywalker diese Heldenreise antreten. Und Donald Trump formt eben Donald Trump zum »Heros in tausend Gestalten«. (So der Titel des Schlüsselwerks von Joseph Campbell, 1949.) Wer Trumps Wirkung auf die Gedanken seiner Anhänger verstehen will, muss Trumps Erzählung verstehen.
Jede Heldenreise beginnt mit einer Berufung. Jesus wurde bei seiner Taufe durch die Stimme aus dem Himmel berufen. Neo aus den Matrix-Filmen wurde zuerst via Chat-Nachricht berufen, dann via Handy, dann persönlich. Der Held ist interessanter, wenn er sich zunächst seinem Auftrag verweigert. Trump wollte schon früher in der Politik Einfluss nehmen, aber nicht selbst aktiv werden. 2008 stützte er McCain. Es half nichts. 2012 stützte er Mitt Romney. Es half wieder nichts. Trump sieht Amerika in einem desolaten, hilflosen Zustand, und das ist seine Berufung. 2016 muss Donald Trump selbst aufbrechen. Nicht Trump ging zum Kampf, der Kampf kam zu ihm.
Jede Heldenreise braucht einen Aufbruch. Donald Trumps inszenierter »Aufbruch« passierte am 16. Juni 2015. Im »Trump Tower« fuhr er in einem ikonischen Moment eine einfache Rolltreppe herunter. Sein Publikum wartete schon vor der Bühne. Seine Frau war an seiner Seite. Auf den Lautsprechern war Rockmusik. Trump erzählt immer wieder von diesem Aufbruchsmoment, als er die Rolltreppe herunterfuhr, seine Kandidatur anzukündigen. Trump erzählt von der Gänsehaut und von der Aufregung, die seine Frau Melania und er teilten. Die wiederholte Erzählung ist notwendig. Kein Held ohne Aufbruch. Die Szene ist schon jetzt Teil der Trump-Legende. Die Simpsons parodierten sie kurz darauf, mit Homer, der hinter Trump fährt und von dessen Haaren gefressen wird. TV-Sender drehen Interviews mit der Rolltreppe als Hintergrund. New-York-Touristen berichten von erhabenen Gefühlen, die einen bei der Fahrt auf dieser Rolltreppe ergreifen sollen.
Trumps Auftrag ist es, sagt er, Amerika »wieder groß zu machen«. Wie alle Helden hat auch Trump, laut Trump, tausend übelwillige, korrupte, lügende Gegner. Trump schreit den Sendern in die Kameras, während diese ihn live in die Haushalte übertragen, wie sehr er sie verachtet. In Trumps Erzählung sind die Medien seine ersten Gegner. Oder die »Schwächlinge« in der Obama-Regierung, das wechselt. Er braucht sie nicht, sagt er. Die Politiker nicht – er kann sie ja via Spende kaufen – und die Medien nicht. Sein Twitter-Account @realDonaldTrump sei wie sein eigener TV-Kanal. Wie wenn einem die New York Times gehörte, nur ohne die Gerichtsverfahren. Obama rief noch »Yes, we can«. Trump schreit »Hell, yes, I can!«
Jesus hat Wunder getan und auch Trumps Heilserzählung, obgleich postreligiös, enthält Wunder. Trump berichtet von der Eislaufbahn im New Yorker Central Park, die 1980 zur Renovierung geschlossen wurde und nicht wieder eröffnet werden konnte, bis er, Trump, sich 1986 endlich ihrer annahm. Erst ihm gelang es, die Eisbahn wieder zu eröffnen. So wie der Eisbahn will er Amerika wieder zu Größe verhelfen.
Die Heilslehre wie der Populismus haben gemeinsam, dass sie »die Wahrheit« für sich beanspruchen. Trump wird nicht müde, zu betonen, dass er Medien und Politiker für schlimmste Lügner hält. Dabei benutzt er Pejorative, die den konserva-tiven Republikanern die christliche Schamesröte ins Gesicht treiben. Trump lacht: »Die Welt zerbricht und die machen sich Sorgen um meinen Ton!« Und er sieht sich verfolgt, weil er den Mut zur Wahrheit aufbringt. Man vergleiche Jesus, der sagte: »Nun aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit gesagt hat, wie ich sie von Gott gehört habe.«
Ähnlich wie Jesus oder der Josef des Alten Testaments erzählt auch Trump ganz selbstverständlich von seiner eigenen Größe. »Ich und der Vater sind eins«, sagt Jesus. Trump sagt: »Sorry, Verlierer und Hasser, aber mein IQ ist einer der höchsten und ihr wisst es alle.« Die Bibel erzählt von den Menschenmassen, die Jesus folgten, um ihn reden zu hören. Donald Trump erzählt in jeder Rede über den Erfolg seiner bisherigen Events.
Doch das alles wäre nichts ohne das »eine, große Versprechen«. Buddha versprach Befreiung aus dem Kreislauf des Lebens. Jesus versprach das Himmelreich. Trump verspricht, Amerika »wieder großartig zu machen« – »make America great again«.
Während Trump so durch Amerika donnert, rätseln Polit-Strategen, wie er sich endlich entzaubern ließe.
Jeb Bush etwa lässt plakatieren: »Donald Trump is unhinged«, frei übersetzt: »Trump ist verwirrt«, oder »aus den Angeln«. Trump antwortet, milde lächelnd, Jeb Bush habe »low energy« – wenig Energie. Im Kampf um den Job als Verteidiger der freien Welt ist es gar nicht so schlimm, selbst ein wenig »aus den Angeln« zu sein. Wie sonst soll man es mit ISIS aufnehmen? Mit UN-Diplomatie? Der Vorwurf der »low energy« aber ist tödlich. Jeb Bush piekst mit dem Zahnstocher und Trump kracht mit der Panzerfaust zurück.
Es bringt auch wenig, Trump anzukreiden, wenn seine Fakten mal nicht stimmen. Seine Gegnerin war Außenministerin, also Chef-Diplomatin. Es schließt sich aus, »Diplomat« zu sein und immer die Wahrheit gesagt zu haben. Und Trump kann sich jederzeit auf den Eifer des Gefechts und auf »das eigentlich Wichtige« berufen.
Wer Trumps Wirkung angehen will, darf nicht Fakten checken, darf nicht seinen Stil kritisieren und auf keinen Fall sollte man gegen Trump protestieren, siehe Burlington.
Wer Trump angehen will, muss den Mythos brechen. Seinen Gegnern muss es gelingen, ihn als Feigling, als Schwächling dastehen zu lassen, als kleinlichen Planer oder als Langeweiler. Es wird nicht einfach, doch die Demokraten werden es versuchen müssen. Und wenn das alles nicht gelingt, dann wird nur helfen, Trump die Kameras und Mikrofone abzudrehen.
Soweit mein Text aus dem Januar 2016. (Und ja, der letzte Satz war natürlich als Provokation gedacht.)
Ich stehe zu jedem einzelnen Punkt. Auch zu dem, dass Trumps Methoden (im Vor- und Hauptwahlkampf) teils rabiat populistisch waren. Den Linken ist es nicht gelungen, Trumps Messias-Image genügend anzukratzen. Sie haben bis zuletzt nicht verstanden, wie eng Trumps Image und das Selbstbild des Amerikaner außerhalb der linken Hochburgen ist. Und eben jene Medien, die ihn offen verhindern wollten, wie etwa CNN, gaben ihm ununterbrochen ein Mikrofon.
Ich selbst hätte Trump gewählt. Das sagte ich kurz vor der Wahl und ich bleibe dabei. Ich bin vorsichtig optimistisch. Entgegen mancher Vorzeichen gilt noch immer die Regel, dass das Amt den Menschen formt.
Ich wünsche dem 45-ten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika eine ruhige Hand und guten Erfolg. Nach den merkwürdigen Obama-Jahren haben die Amerikaner einen pragmatischen Präsidenten mit durchdachteren Prioritäten verdient. Und die Welt kann eine handelnde USA mit klarem moralischen Kompass weiß Gott gebrauchen.