Dushan-Wegner

08.04.2018

Verwirrung und Terror sind verschiedene Dinge

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Evan Kirby
Gewisse Meinungsmacher tun so, als wären mörderische psychische Verwirrung und Terror dasselbe. Das ist falsch und gefährlich. Das eine ist unvermeidbar, aber begrenzt, das andere kann sich wild ausbreiten – wenn wir es zulassen.
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Das Amen in der Kirche mag heute nur bedingt sicher sein – dem Zeitgeist geschuldet würde man sich heute ja nur begrenzt darüber wundern, wenn ein anderes Schlusswort zur Anwendung käme – doch auf andere, profane Rituale ist mehr denn je Verlass: Wenn wieder ein Anschlag passiert, welcher einmal nicht motiviert ist von einer allzu feurigen Auslegung der heiligen Schriften jener Religion, an der es nichts zur kritisieren gibt, dann wird Merkels digitale Landsmannschaft den konservativen und kritischen Stimmen stantepede vorwerfen, nicht laut genug zu sein.

»Warum sind die Hetzer diesmal so still?«, heißt es dann, und: »Aha, wo bleibt euer Generalverdacht jetzt, verfluchte Rechtspopulisten?«

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland und fleißiger Twitterer mit zuweilen charmant eigenwilliger Interpretation argumentativer Redlichkeit, schrieb etwa zum Anschlag von Münster:

»Deutsche Täter sind psychisch gestört – muslimische »islamistische«Terroristen?? Mit diesem seit 9/11 unsäglichen Doppelstandard-Diskurs brauchen wir uns nicht wundern, warum Islamphobie stets weiter steigt. Betreiben damit ind. das Geschäft der Extremisten&Terroristen #Münster« (@aimanMazyek, 8.4.2018, unverändert übernommen)

Ignorieren wir einmal das plumpe Lagerdenken solcher Äußerungen. Ignorieren wir auch die Ignoranz von Argumentation, die sich in mancher Beschimpfung manifestiert. Was einige Meinungsmacher als Echtheit und Herzblut verkaufen, wirkt bei näherem Hinsehen mehr wie Hilflosigkeit. Der Kaiser ist nackt, doch er hofft, durch wütendes Handwedeln davon abzulenken.

Betrachten wir, frei von Lagerdenken und sonstiger unnötiger Beklommenheit, an dieser Stelle einmal den Unterschied zwischen den Konzepten »geistig verwirrter Einzeltäter« (kurz: »Verwirrter«) und »Terrorist«!

Zunächst betrachten wir den Verwirrten, der manchmal auch »psychisch gestört« genannt wird.

Es wird immer Menschen geben, deren Hirn und Denken aus gesellschaftlicher Sicht auf eher kontraproduktive Weise verschaltet sind. Als der liebe Gott jene schuf, hat er beim Hormoncocktail etwas durcheinander gebracht, ein paar Anschlüsse falsch herum angebracht oder einfach Teile vergessen. Die politische Korrektheit will ja jeden Zusammenhang zwischen Körper (wozu die Beschaffenheit des Gehirns gehört) und Verhalten leugnen, doch diese Mechanismen greifen, auch wenn man es nicht sagen darf. Und wenn diese Leute nicht rechtzeitig durch Tabletten oder Stahltüren gesichert werden, ist es statistisch wahrscheinlich, dass einige von ihnen durchdrehen.

Es sind arme, gequälte Seelen – mit besserer Betreuung wären sie vielleicht Vorstandsvorsitzender oder große Künstler geworden. Sie sind sehr gefährlich. Aber – und hier kommt das große Aber: Aber sie werden immer eine kleine Minderheit bleiben. Die menschliche Rasse hätte es nicht so weit gebracht, wenn mehr als nur eine ganz geringe Minderheit von solcher innerer Beschaffenheit gewesen wären. (Man könnte sogar spekulieren, dass die Entwicklung der Menschheit insgesamt solcher extremer Charaktere in homöopathischer Dosis geradezu bedarf, aber eben nur in klitzekleiner Dosis, und bitte allesamt zum produktivem statt destruktiven Ausleben ihrer Triebe angeleitet.)

Wir können es nicht ändern und es wird immer eine kleine Minderheit bleiben, also richten wir uns nach dem Gebet, das Franziskus von Assisi zugeschrieben wird, aber wohl älter ist, Gott möge bitte die Kraft geben, zu ändern, was man ändern kann, zu ertragen, was man nicht ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Bei den »Verwirrten« üben wir uns in der Kunst, zu ertragen, was sich nicht ändern lässt.

Nun lassen Sie uns einen Blick auf den Terroristen werfen; genauer: auf die Terror-Idee hinter seiner Tat.

Ein Terrorist ist jemand, der Gewalt und Einschüchterung zum Erreichen politischer oder gesellschaftlicher Ziele einsetzt. Die Rote-Armee-Fraktion waren Terroristen, die »Real Irish Republican Army« auch. Andere Terroristen haben es bis zur anerkannten politischen Macht geschafft, etwa Fidel Castro – und einer, Jassir Arafat, immerhin zum Friedensnobelpreis.

Der Islamische Staat (»IS«) setzt Gewalt und Einschüchterung ein, um Macht zu erlangen und eine Gesellschaftsform nach seiner Interpretation der Sharia zu errichten. Es ist Terror, denn es versucht, gesellschaftliche Änderung mittels Angst zu erzielen.

Die SA der Hitler-Zeit betrieb in diesem Sinne ebenfalls Terror; ihr Spiel war der »Straßenterror«. Uniformierte SA-Schläger jagten der Bevölkerung aktive Angst ein, »terrorisierten« sie also im Wortsinn.

Wir könnten ein bekanntes Sprichwort abwandeln, indem wir sagen: Des einen Terrorist ist des anderen Aktivist. Die heutige sogenannte »Antifa« wird in Methodik und Gewaltbereitschaft dem Straßenterror der SA immer ähnlicher, doch ihr Terror wird als »Demonstration« oder »Aktivismus« verharmlost – sie hat Sympathisanten und Unterstützer vor allem in der SPD, bei den Grünen und in den Redaktionen einiger deutscher Leitmedien, inklusive den Abendnachrichten des staatsnahen Fernsehens.

Terror hat immer eine Idee. Terror hat eine Vorstellung davon, wie die anderen Menschen zu leben haben – oder zumindest davon, was an ihrer Art zu leben falsch ist.

Terror muss nicht unbedingt von einer Gruppe organisiert und begangen worden sein. Wir kennen ja nicht nur die »selbstradikalisierten« IS-Kämpfer. Der norwegische Terrorist Anders Breivik, der 77 meist junge Menschen tötete, hinterließ ein konfuses Manifest mit (sehr euphemistisch ausgedrückt) »Kritik und Theorie« zur Gesellschaft. Die Psychologen streiten, ob Breivik zum Zeitpunkt seiner Tat zurechnungsfähig war oder nicht; einige reden von »paranoider Schizophrenie« bei ihm, andere lehnen das rundum ab, auch weil es als in irgendeiner Form strafmildernd gedeutet werden könnte. Mir scheint, dass es keine Rolle spielt, ob Breivik meinte, zum Tempelritterorden zu gehören und nächster Herrscher von Norwegen zu sein. Es scheint sicher, dass sein Morden im Zusammenhang mit Wünschen nach gesellschaftlicher Veränderung einhergeht – und sollte damit, meine ich, als Terror eingestuft werden.

Aus Erstens und Zweitens: der Unterschied zwischen Terror und Verwirrung ist der Wille, durch die Verbreitung von Angst eine gesellschaftliche Veränderung erzielen zu wollen, und sei es nur, das »Zeichen-Setzen«, eine Veränderung im Bewusstsein.

Timo Lokoschat von der Bild-Zeitung antwortete dem erwähnten Mazyek via Zitat-Tweet: »Ganz einfacher Unterschied, Herr Mazyek: Der Täter von #Münster beruft sich nicht auf Bibel und Christentum und sieht sich auch nicht als Teil einer religiösen Welteroberung.« (@Lokoschat, 8.4.2018)

Morde aus einer Ideologie heraus machen uns aus gutem Grund viel mehr Angst als Morde aus dem Wahnsinn heraus; genau genommen aus zwei wichtigen Gründen.

Zuerst ist der Mord aus einer Ideologie heraus prinzipiell vermeidbar.

Vor gerade mal zwei Wochen wurde in Frankreich die 85-jährige Mireille Knoll in ihrer Wohnung ermordet (siehe z.B. bild.de). Den Holocaust hatte sie überlebt, den neuen und doch alten Terror nicht.

Warum erschütterte die Tat uns so? Weil eine 85-Jährige gestorben ist? Jein. Ein Alterstod mit 85 wäre für sich keine Tragödie, so traurig der Verlust für die Angehörigen zweifelsohne ist. Hier geht es um etwas ganz anderes. Vom Horror, den sie in ihren letzten Minuten erlebte, einmal abgesehen: Sie starb, weil Menschen aus einem bestimmten Kontext besonders häufig Juden hassen. Sie starb, weil ein Mensch die Aufrufe, Juden zu töten, missverstand als Aufrufe, Juden zu töten. Sie starb auch, meinen manche, weil höhere Mächte den nach Europa importierten Terror in Kauf nehmen und kleinreden.

Als wäre all dies nicht schrecklich genug, kommt noch Gefährlicheres dazu: Terror basiert auf einer Idee, nicht auf einer biologischen Fehlschaltung. Terror kann man theoretisch unbegrenzt skalieren (bis alle tot oder unterworfen sind).

Eine Terror-Idee kann nur einen Menschen ergreifen – oder eine Million; Klischee-Psychopathie basiert (sehr vereinfacht gesagt) auf einer Fehlverschaltung, deren Aufkommen ein Limit hat. Es ist kaum realistisch denkbar, dass plötzlich 50% der Bevölkerung biologisch bedingt zu gefährlichen Psychopathen werden – Terror-Ideen dagegen haben in der Geschichte immer wieder weite Teile der Bevölkerung ergriffen. Von Stalins großem Terror wird berichtet, dass ein guter Teil der Denunziation nicht von den Apparatschiks, sondern von einfachen Bürgern kam. Terror-Ideen lassen sich wie Viren verbreiten, heute via Internet schneller denn je.

Es soll auf Deutschlands Schulhöfen vorgekommen sein, dass Kinder einander Videos von Enthauptungen zeigten. Sie erleben Grusel und Machtgefühle. Sie nehmen Terror-Ideen auf und pflanzen sie fort. Ideologisch begründeter Terror ist eine Idee, bevor er zur Tat wird. Meist nutzt diese Idee andere Ideen als Träger, mit deren Hilfe es sich ausbreitet. Ideen, die andersdenkende Menschen abwerten, etwa die Spielarten des Kommunismus, »eignen« sich scheinbar besonders gut zur Ausbreitung von Terror-Ideen. – Auf der anderen Seite ist es nicht bekannt, dass Psychopathen mit defekten Gehirnen andere, gesunde Menschen mit Gehirndefekten »anstecken« (außerhalb etwa von Zombie-Filmen, wo die Ausbreitung des Hirndefekts als Metapher für die Ausbreitung gefährlicher Meme, also Gedankeninhalte, dient).

Mit Psychopathen werden wir als Gesellschaft leben müssen, wir tun es schon seit Jahrtausenden. Mit Terror-Ideen können und müssen wir nicht (unbedingt) leben. Wenn Politiker sagen, dass wir mit dem Terror leben »müssen«, sagen sie doppelt die Unwahrheit: Erstens heißt Terror wörtlich »Angst« und es ist Teil des Wesens von Angst (wie auch des Hungers), dass man mit ihr nicht leben kann, sondern dass sie alles (normale) Leben unterbricht. Zum anderen gibt es ja durchaus Staaten, die sich entschieden haben, die Ausbreitung von Terror-Ideen zu bekämpfen und darin durchaus Erfolge erzielen. Es ist ja nicht so, dass alle Länder in Europa gleich schlimm vom Terror betroffen wären. Wo Terror-Ideen sich verbreiten, sterben Menschen, und zwar nicht »nur« einige, sondern bald Tausende oder sogar Millionen.

Während ich dies schreibe, wird berichtet, dass die Polizei einen Terror-Anschlag auf den Berliner Halb-Marathon verhindern konnte. Vier Männer wurden festgenommen. Einer der Verdächtigen, schreibt die Bild-Zeitung, soll zum Umfeld des Weihnachtsmarkt-Mörders Anis Amri gehören.

Die Behörden des Westens tun ihr Bestes, mit polizeilichen Mitteln gegen eine Idee zu kämpfen. Jene aber, welche die Existenz von sich ausbreitenden Terror-Ideen leugnen, helfen diesen Ideen (unbeabsichtigt) bei der Ausbreitung. Mit Psychopathen müssen wir leben. Ob wir allerdings mit dem Terror leben wollen oder gar »müssen«, diese Frage – so hoffe ich – ist noch nicht abschließend beantwortet.

Weiterschreiben, Wegner!

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