Dushan-Wegner

24.01.2021

Wie Fünfzehnjährige, mit Fünfzig

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Ray Hennessy
»… dann haben Sie das volle Recht zu sagen, dieses Land wird von Idioten regiert«, wird Miloš Zeman zitiert. Eine schüchterne Frage: Wenn es tatsächlich so wäre, was wäre anders als heute? Und was würde das konkret für den Einzelnen bedeuten?
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»Ein Kind, wenn es fünf Jahre alt ist«, so erklärte einmal Rabbi Noah Weinberg – und ich paraphrasiere hier frei aus dem Gedächtnis, »es lernt bald zu lesen und schreiben, manche Kinder lernen auch vielleicht schon etwas früher, und das Kind lernt die wichtigsten Wörter unserer Sprache.«

»Bald wird es die ersten Regeln der Mathematik lernen und erste Fakten der Wissenschaft, und die Erwachsenen sind guter Dinge und freuen sich über jeden neuen kleinen Lernerfolg des fünfjährigen Kindes, so wie sie sich eben noch über die ersten Schritte freuten.«

Und weiter: »Stellen wir uns aber vor, dass wir dasselbe Kind ein Jahrzehnt später treffen, wenn es dann fünfzehn Jahre alt ist, und dass es dann auf demselben Stand der geistigen Entwicklung steht wie mit fünf Jahren. Dass es noch immer mit dem Lesen und Schreiben ringt, dass es noch immer kurz vor der Entdeckung der ersten Fakten der Wissenschaft steht. Wir hätten es mit einer menschlichen Tragödie zu tun! – Wie verhält es sich aber mit Erwachsenen? Wie ist es bei Erwachsenen, wenn sie zwar zehn Jahre älter werden, aber geistig noch immer dieselben sind? Wäre das nicht ebenso eine Tragödie?«

Es ist ein Gedanke, der mich, seit ich ihn selbst vor Jahrzehnten hörte, nicht loslässt. (Es erinnert mich auch an Brechts »Herr K.«, der von einem Bekannten mit der gewiss freundlich gemeinten Aussage begrüßt wird, er habe sich gar nicht verändert, woraufhin Herr K. mit »Oh!« antwortet und erbleicht.)

Ich selbst versuche ja, heute zumindest nicht blöder zu sein, als ich es gestern war. Doch – wenn ich so frei sein darf – ich erlaube mir auch etwa bei jenen, die über uns herrschen, die Frage des kleinen Beobachters, wie es sich mit deren innerem Reifeprozess verhält.

Wir haben es uns angewöhnt, darüber zu schmunzeln – wir erwarten es ja inzwischen geradezu – dass und wenn gerade deutsche Politiker bei ihren öffentlichen Äußerungen wie kleine Kinder stammeln, dass und wenn ihre Sätze konfus und unvollständig sind.

Meine Zweifel werden größer, ob es richtig ist, das peinliche sprachliche Unvermögen, die infantile Kausalitätsblindheit und die kindartige, auf Macht und Moneten reduzierte Denkweise mancher unserer sogenannten »Eliten« weiterhin schmunzelnd als persönliche Eigenarten abzutun.

Würden Sie als Arbeitgeber einen Bewerber einstellen, der keinen geraden, belastbaren Satz zu bilden vermag? Würden Sie sich als Angestellter denn einen solchen Bewerber zum Kollegen, Zuarbeiter oder Vorgesetzten wünschen?

Es scheint ein immer wesentlicheres Problem Deutschlands wie auch der EU zu sein, dass wir von Leuten regiert werden, die sich zwar trefflich aufs Erlangen und Halten ihrer Macht verstehen, doch es ist eine partielle und hochspezialisierte Begabung, denn in ihrer moralischen und geistigen Entwicklung scheinen manche von ihnen auf dem geistigen Niveau von Fünfzehnjährigen festzustecken (und dazu nicht wirklich gut erzogenen Fünfzehnjährigen, wenn ich das als Vater anmerken darf).

Wir werden von Menschen regiert, die es im mythischen »richtigen Leben« aufgrund ihres Mangels an geistiger Reife wohl nicht einmal ins mittlere Management eines mittelständisches Betriebs schaffen würden.

Es ist kein Zufall, dass sich (wahrlich nicht nur) die junge Generation im Staatsfunk jener Partei verbunden fühlt, deren Markenzeichen die pubertäre, ahnungslose Überheblichkeit ist.

Unsere Politiker und sogenannten Intellektuellen wirken, als befänden sie sich mit 50 Jahren auf dem selben geistigen Stand, auf dem sie mit 15 Jahren waren. Das ist weit mehr als eine Polemik, das ist im Persönlichen eine Tragödie – und wenn es das Schicksal der Gesellschaft bestimmt, dann wird daraus eine Tragödie von ganz eigener Dimension.

Der ehemalige tschechische Präsident Miloš Zeman wird gern damit zitiert, dass wenn eine bestimmte Faktenlage gegeben ist, man das Recht habe, zu sagen, jenes Land würde »von Idioten regiert«.

Solche Aussagen als Teil politischer Rhetorik sind aller Erfahrung nach zuerst eine Aufforderung zum Handeln – was jedoch, wenn wir diese Aussagen nicht als Imperativ betrachten, sondern als schlichten, beschreibenden Indikativ?

Wenn jemand sagt, wir würden »von Idioten regiert«, so ist die vermutliche Absicht seines Redeaktes – neben dem emotional notwendigen Dampfablassen – der starke Wunsch, die Regierenden mögen sich doch bitte zusammenreißen und wieder kluge Politik machen.

Was aber, wenn es eine schlichte Sachstandsbeschreibung wäre?

Dann, ja dann, wäre die Konsequenz für den einzelnen recht offensichtlich: Wenn die da oben dümmer werden, müssen wir hier unten klüger werden – und zwar dringend.

Die erste Aufgabe des klugen Bürgers aber ist es, in der Kunst des eigenen Überlebens mindestens so geschickt zu werden, wie die da oben geschickt in der Kunst des Machterhalts sind.

Werdet klüger, Bürger, denn die da oben werden es nicht!

Weiterschreiben, Wegner!

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