Die Welpen balgen miteinander, in ihrer großen Kiste. Sie beißen einander in die Ohren, ziehen ihre Kollegen am Fell und manchmal probieren sie sogar, was ihre Zähne am Bein ihrer Brüder und Schwestern anrichten können.
Die Welpen kämpfen mit- und gegeneinander, und dann versöhnen sie sich wieder, und dann bekommen sie ihre Milch, und dann gehen sie schlafen, und dann beginnt ein neuer Tag mit neuen lustigen Kabbeleien.
Die Welpen denken, dass es für immer so weiter gehen wird – die Welpen irren.
Über der Kiste, in welcher die Welpen spielen, steht der Hundezüchter. Er beobachtet die Welpen, wie sie einander beißen, wie sie ihre Kraft beweisen, und er macht sich so seine eigenen Gedanken.
Wenn die Zeit gekommen ist, ohne dass die Welpen es ahnen, hebt der Züchter die Welpen einzeln aus dem Kreis ihrer Geschwister heraus. Einen Welpen nach dem anderen verkauft er.
»Der Bemitleidenswerte! Die zu Beklagende!«, so denken die Welpen, wenn wieder mal einer von ihnen herausgehoben wird und nicht mehr wiederkommt. Die Welpen irren, denn die Welpen, die der Züchter heraushob, das sind die Glücklichen. Die Welpen, die übrigbleiben – ach, reden wir nicht darüber!
Und doch, mit Verlaub
So manche Meldung in den Nachrichten wirkt auf mich heute, als würden sich kleine Welpen kabbeln – und einige von ihnen scheinen vergessen zu haben, dass sie längst nicht mehr Welpen sind.
Dem Welt.de-Blogger mit dem Kunstnamen »Don Alphonso« ist es gelungen, den Streit um eine denunzierende Staatsfunk-Sendung zu seinem Streit zu machen (welt.de, 29.7.2020), indem er die wohl linksextremen Verbindungen der Staatsfunker bzw. ihrer als »Experten« präsentierten linken Aktivistin selbst darlegt, und so sich selbst zum Angriffsobjekt linken Zorns macht. Ausgangspunkt war eine Kampagne des Staatsfunks gegen einen Offizier, der online etwas Nicht-Linkes mit einem »Like« versehen hatte (siehe auch tichyseinblick.de, 29.7.2020). Es sorgt für viel Aufregung in der Online-Welt – und wenig überraschend springen im Mafia-Familien-Stil die Kollegen der Staatsfunk-Aktivistin bei. Wenn es nach Recht und Anstand ginge, müssten diese nach ihren eigenen Maßstäben wohl selbst als »linksextrem« zu bezeichnenden Staatsfunkerinnen umgehend gekündigt werden (vergleiche @Ralf_Hoecker, 30.7.2020) – es geht anders zu. Die Aufregung ist groß – und doch, mit Verlaub, es wirkt auf mich wie ein Welpenkampf, wenn auch mit echtem Schaden, den der verfluchte Staatsfunk da anrichtet.
Andere Meldungen sind von gewichtigerer Natur. Die USA kündigen an, jetzt aber wirklich 12.000 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen (tagesschau.de, 30.7.2020) – also etwa ein Drittel, längst nicht »alle« (vergleiche nzz.ch, 30.7.2020). Als Teil des offiziellen Grundes wird angegeben, Deutschland erfülle seine 2%-Verpflichtung nicht (es geht um eine NATO-Staaten-Selbstverpflichtung, 2% seines Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung zu investieren). Trumps Argumentation ist: Wenn Deutschland sich nicht schützen will, aber Energiemilliarden an Putin überweist, warum sollten die Amerikaner das Land schützen? (@realDonaldTrump, 30.7.2020) – Einige vermuten, dass ein wenig verletzte Ehre mit hineinspielt. Sollen die USA wirklich ein Land schützen, wo mit den Diktatoren und Theokraten geschmust und gekuschelt wird, man aber ununterbrochen üblen Hass über den demokratisch gewählten Präsidenten der USA auskippt? – Andere weisen darauf hin, dass Deutschland als Truppenstandort für die USA vor allem strategisch wichtig ist, weit über Deutschland hinaus. – Linke Verschwörungsstheoretiker sagen, Trump würde Deutschland schwächen und Putin stärken. Realisten weisen darauf hin, dass einige Truppen näher an Russland verlegt werden. – Ich vermute, dass eine Stärkung der US-Position gegenüber China durch strategische Truppen-Verlagerung eine Rolle spielen könnte (es bleibt bemerkenswert, dass die USA praktisch beliebig ihre Truppen in der Welt umher schieben, wie Schachfiguren) – und definitiv eine Abneigung gegenüber Merkel hegen, und das kann man ja niemandem verübeln. So oder so oder so – es fühlt sich an wie das Gerangel von Hundewelpen, allerdings riesengroßen Hundewelpen, deren Macht sich über Länder und Armeen erstreckt.
Ach ja, und dann wäre da noch die kleine Kleinigkeit, die deutsche Wirtschaft, die das ganze Welpengerangel finanzieren soll. Das deutsche Bruttosozialprodukt, so hören wir, bricht aktuell um über 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein (bild.de, 30.7.2020). Ursache ist wohl der Lockdown wegen des China-Virus. Im nächsten Jahr soll es aber hoffentlich weitergehen – natürlich nur, wenn nicht die nächste Dringlichkeit auf den Plan tritt. Wobei auch dann die deutschen Bürgschaften weiter gelten. Die Welpen balgen sich, während das Fundament unterm Hundezwinger wegbricht. Wer bürgt eigentlich für Deutschland, wenn Deutschland für alle anderen bürgt? Und, vor allem: Was will man noch alles finanzieren und verbürgen, wenn der nächste und übernächste Virus sich ausbreitet? Die Berge sind hoch, die zu besteigen wir uns vorgenommen haben – und wir ahnen, dass dahinter noch steilere Berge liegen werden.
Nicht jede Rauferei
Nicht alle unserer dringenden Probleme sind unwichtig (das mit dem Einbruch der Wirtschaft ist ziemlich wichtig). Nicht alle unserer Raufereien sind folgenlos (dass Deutschland militärstrategisch heruntergestuft wird, das ist nicht banal). Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass unsere Großkopferten an all das herangehen wie tapsige Welpen, die einander ins Ohr beißen und an der Pfote zwicken, und selbst nicht so recht wissen, warum sie es tun.
Ich bin ein wenig der Raufereien müde. Ich bin viel zu klein, um diese riesigen Welpen auseinander zu halten. Wie soll ich denn die Weltmächte davon abhalten, aufeinander loszugehen? Wie soll ich denn die Staatsfunker davon abhalten, einzelne Bürger herauszupicken und fertigzumachen? Wie soll ich eine Wirtschaft reparieren, die selbst in guten Zeiten nicht bereit war, über den Tellerrand des Unmittelbaren hinaus zu denken, die selbst bei wirtschaftlichem Sonnenschein nicht mit dem auskam, was die Bürger erarbeitet hatten?
Alle ihre Kabbeleien
Die Welpen balgen sich, und dann werden sie gefüttert, und dann gehen sie schlafen, und dann kommt der neue Tag, und dann nochmal – und dann reicht von oben eine Macht herab, die alle die Kabbeleien der Welpen unwichtig werden lässt.
Wie wichtig werden denn die Kabbeleien dieser oder jener Staatsfunker in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren sein? Oder ein kleiner Wirtschaftsabschwung? – Die Verlegung von Militär, das gestehe ich gern zu, das könnte sich als wichtig erweisen, aber auch ein Drittel weniger Soldaten in der Zeit von Cyber- und Drohnenkriegen ist vielleicht mehr symbolisch denn tatsächlich relevant. Wir werden wider Willen zu Spielbällen derer Kabbeleien, und wir fragen uns, wohin diese Spielbälle, wohin wir rollen werden.
Aus dem Welpenspiel
Ich schreibe diesen Text gegen Ende des Monats Juli 2020 – mitten in einem sehr ungewöhnlichen Jahr.
2020 ist ein Jahr, in dem uns keine einzige Sekunde lang vergönnt war, durchzuschnaufen und zu sagen: »Es ist ja doch alles gut!«
Auf der neu einzuführenden Skala merkwürdiger Jahre wird 2020 bereits jetzt eine Spitzenposition einnehmen. Ein Beispiel: Die US-Regierung veröffentlichte (bzw. bestätigte vorhandene) Videos von UFOs, also Flugobjekten, von denen sie nicht weiß, woher sie stammen (was natürlich kein Beweis dafür ist, dass sie außerirdischen Ursprungs sind, aber dennoch… – siehe etwa popularmechanics.com, 26.7.2020) – und es wurde bekannt, dass man auch weiter Ausschau nach UFOs halten wird – und niemanden überrascht es mehr, niemanden schockt es, niemand ist aufgeregt. In den USA versuchen die Anti-Trump-Kräfte einen alten, gebrechlichen und verwirrten Mann an die Macht zu heben (vermutlich um ihn bald durch einen radikal links-globalistischen Vize zu ersetzen) – während alte weiße Milliardäre eine marxistische Schwarzenbewegung dafür bezahlen, im Namen eines anti-weißen Rassismus das Land in Unruhe zu stürzen.
2020 ist das ungewöhnlichste Jahr seit vielen Jahrzehnten – selbst die Wendejahre und das Jahr, als Bush gegen den Irak loszog, erscheinen im Vergleich »normal«.
Und doch, bei aller monströser Kuriosität, auch 2020 ist »nur« ein Jahr. Manche maximale Aufregung von heute wird uns in wenigen Jahren – vielleicht weit früher als wir jetzt ahnen – wie die niedlichen Raufereien kleiner, unschuldiger Welpen erscheinen.
Die Großen wie die Kleinen balgen sich wie halbblinde Welpen, und sie sehen allesamt nicht, dass bald eine große Hand sie herausheben könnte, um ihnen ganz neues Schicksal zuzuteilen. Unser Welpenschutz ist bald vorbei – wir sind ja schon lange keine Welpen mehr!
Während ich diesen Essay redigiere, erreicht uns vom US-Präsidenten Trump der Vorschlag (@realDonaldTrump, 30.7.2020), aufgrund des China-Virus die nächste Wahl zu verschieben, bis es sicher möglich ist, wie gewohnt wählen zu lassen. Trumps Begründung ist, dass eine reine Briefwahl sehr betrugsanfällig ist, was bei der moralischen Flexibilität gerade des Anti-Trump-Lagers natürlich eine legitime Sorge ist – dass Trumps Werte aktuell nicht-so-super sind wird für Trump auch nicht dagegen sprechen. 2020 wird noch ein sehr, sehr spannendes Jahr werden.
Jede Sekunde kommt nur einmal – auch für uns. Alle 60 Minuten ist eine Stunde unseres Lebens vorbei. Selten war es so kompliziert wie heute, das Dringende vom Wichtigen zu unterscheiden – selten war es wichtiger.
Überall schreit, brüllt und zischt es auf uns ein: »Rege dich hierüber auf!«, »Empöre dich über jenes!«, »Protestiere heute dafür und morgen dagegen!« und »Erschrecke!«
Ich schlage bescheiden vor, dass wir das Gegenteil prüfen.
Wenn alle sich balgen wie kleine Welpen, beruhigt euch, tut einen Schritt zurück. Was heute wie die allerwichtigste Aufregung erscheint, das kann morgen schon wie die lächerliche Balgerei kleiner Kinder erscheinen.
Tretet einen Schritt zurück, atmet durch, und schaut nach oben, ob da eine Hand ist, welche die Welpen aus dem Welpenspiel herausgreift.
Vor allem aber: Atmet durch! – Es wird noch viel wilder werden.