Dushan-Wegner

22.05.2019

Zwei Deutschlande

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Flash Alexander
Die einen werden von Vogelgesang geweckt, trinken Bio-Kaffee und fahren Justus-Jonas in den Waldkindergarten. Die anderen wachen auf, weil nebenan das SEK bei irakischen Rockern anklopft. Zwei Deutschlande, und die, die Glück hatten, nennen sich »gut«.
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Guten Morgen, auf welcher Seite des großen deutschen Bettes sind Sie aufgewacht? – Sind Sie in einem dieser edlen Viertel und Stadtteile zum Vogelgesang aufgewacht, auf einer Insel der Guten und Glückseligen?

Haben Sie Ihr Kind mit dem Hybrid-SUV zum Waldkindergarten gebracht, wo der kleine Justus mit Julius, Marie und Lina spielen wird? Sind Sie zum morgendlichen Yoga-Termin weitergefahren oder zum Friseur-Termin, um die ersten grauen Härchen noch eine Zeit lang hinter hippem Bio-Henna zu verstecken?

Um Ihre Weltoffenheit zu zeigen, werden Sie heute beim Italiener essen gehen, später werden Sie Bio-Wein aus Spanien kaufen und die Goji-Beeren aus Tibet (zu Deutsch heißen die übrigens »Gemeiner Bocksdorn«, aber das klingt nicht ganz so »weltoffen«).

Später treffen sich Ihre Kinder zum Spieltermin mit Sarah, Ben und Jean-Lucas, während Sie selbst sich mit deren Eltern über den Urlaub unterhalten, über den Umweltschutz, Geldanlagen, Politik und dann auch – leider notwendig – über diese schlimmen, intoleranten Nazis. Am Abend gönnen Sie sich noch etwas wohlverdiente Entspannung in Ihrem geerbten Haus-im-Grünen mit dem neuen Eichenboden aus der Parkettmanufaktur.

Sie informieren sich vorm Schlafengehen via Nachrichten im Gute-Menschen-Fernsehen. Vielleicht schauen Sie den Spielfilm über die Sorgen einer »Persönlichen Einkäuferin« (»Personal Shopper«, ARTE, 22.5.2019, 20:15) oder Sie schauen im ZDF diese Trödelshow (»Bares für Rares«, ZDF, 22.5.2019, 20:15), und Sie fragen sich dabei (und machen eine Notiz in Ihr ledergebundenes Notizbuch), ob man diese alten Orden von Opa nicht auch an irgendeinen Sammler verkaufen könnte, aber bitte diskret – überhaupt ist Diskretion wichtig, wenn man auf der guten Seite des deutschen Bettes aufwacht.

Essbare Wachsmalstifte

Und dann gibt es die anderen Bürger, die nicht auf der guten Seite des deutschen Bettes aufwachen.

Wer im Ruhrgebiet oder am Rhein wohnt, dem konnte es etwa heute passieren, dass er nicht von Vogelgezwitscher geweckt wurde, sondern vom Einsatz des SEK in der Nachbarschaft:

Zeitgleich um 5 Uhr schlagen schwer bewaffnete Beamte mehrerer Spezialeinsatzkommandos zu. Razzia! Sie rammen Türen auf, überraschen Verdächtige im Schlaf. Mehr als 500 Einsatzkräfte stürmen noch vor dem Morgengrauen 43 Häuser in elf Städten in Nordrhein-Westfalen. Im Visier der Fahnder: die irakische Rocker-Organisation »Al-Salam-313«. (bild.de, 22.5.2019)

Selbst wenn die Guten und Gerechten in ihrer Plastik-Welt aus Naturleinen und simplen Phrasen nicht sehen, was sie nicht sehen wollen (und in der allabendlichen Propaganda auch nicht sehen können): Die jungen Herren, die von den Behörden einer näheren Überprüfung unterzogen wurden, sie lebten in denselben Straßen und Stadtteilen wie unbescholtene Menschen, die »schon länger da sind«, die sich aber trotz täglicher Arbeit weder Waldkindergarten noch Hybrid-SUV leisten können.

Die Projektgruppe, welche heute in den frühen Morgenstunden kontrolliert wurde, nennt sich »Krieger Muhammeds«. Die Guten in den guten Häusern, bekommen solche Details nicht mit, wollen sie nicht mitbekommen – wer hat für solche Kleinigkeiten denn Zeit, zwischen dem Ballett-Unterricht für Justus-Jan-Jonas und der Sensorischen Integrationstherapie für Marie-Magda-Mila?

Das Symbol der Rocker-Gruppe, die am Morgen näher untersucht wurde, ist eine Friedenstaube. Die Grünenwähler wird das freuen – schön, dass da mal einer ein Zeichen für den Frieden setzt! Mancher Anwohner – und wohl auch die Behörden – könnte den geradezu hetzerischen Verdacht bekommen, dass der »Frieden«, der hier gemeint ist, ein anderer ist als der Frieden, den sich Jana-Julia im Luxuskindergarten mit ihren essbaren Wachsmalstiften ausmalt.

Zweiwochenglück

Wer auf der falschen Seite des großen deutschen Bettes aufwacht, wer Sonderangebots-Käse kauft statt »Bio-Mondscheinkäse« (»an dafür besonders günstigen Licht-Blütetagen und Wärme-Fruchttagen gekäst« – nein, das ist kein Scherz), der erlebt ein anderes Deutschland als die Guten und Gerechten.

Eine Schlagzeile aus 2017:

Bundestagswahl 2017: Die Ergebnisse in den Revier-Städten im Überblick – AfD fast überall zweistellig (derwesten.de, 24.9.2017)

Die Guten leben in einer Traumwelt, die sich in ihrer Pseudo-Weltoffenheit gefällt, die jedoch so wenig real ist, wie das Zweiwochenglück eines Cluburlaubs, wenn frau sich freizügig am abgesperrten Strand in der Sonne fläzt, ihren All-Inclusive-Cocktail schlürfend, während einige hundert Meter weiter Frauen für »unzüchtige« Kleidung ins Gefängnis geworfen werden.

Die schöne und ach-so-tolerante Fake-Welt der moralischen Elite wird nur dadurch möglich, dass sie die tatsächlichen Folgen ihrer Lügenethik in die bodenständigen Regionen Deutschlands auslagern. (Sollten entgegen aller Erwartung die Konsequenzen ihrer Lügenmoral dann doch vor deren Haustür zu gelangen drohen, werden schon mal die teuren Anwälte aufgefahren – der Beispiele sind genug, man kann ja unter Stichworten wie »Nobelviertel« nachschauen – und wenn es dann doch passiert, dann oft unter strikten und einschränkenden Bedingungen, von denen die Bürger in den bodenständigen Teilen Deutschlands nicht einmal träumen können, ob sie aus ihrem Traum von dem SEK in der Nachbarschaft geweckt würden oder nicht.)

Kunst der Porzellanmalerei

Das Bett sei der Himmel der Armen, so sagt ein Sprichwort, doch mancher, der auf der guten Seite des Bettes aufwacht, bereitet gerade durch seine Blindheit dem Armen die Hölle des Tages.

Böses zu bewirken ist nicht gut, kein Zweifel, doch je älter ich werde, umso mehr stelle ich fest, dass ich vor dem Bösen, der klaren Blickes das Böse anstellt, ein wenig mehr Respekt verspüre, als vor dem Denkfaulen, der das Böse in guter Absicht bewirkt.

Der Gutmensch schwärmt mit seinem Mündlein von der Kunst der Porzellanmalerei, während das fette Gesäß seiner aufgequollenen Selbstgerechtigkeit das Geschirr von den Regalen schmeißt.

Schlaf, ewig ruhig

Wählen zu dürfen ist nicht selbstverständlich; historisch nicht und global auch nicht.

Ich halte es nicht für gesetzt, dass das Wahlrecht auch in Deutschland und Europa erhalten bleibt – es wird ja schon jetzt in Deutschland vom »gesunden Volksempfinden« de facto toleriert, dass die Opposition angegriffen wird, ihre Plakate zerstört und ihre Kandidaten samt Familie bedroht. Wie weit ist der Weg von der schleichenden Quasi-Kriminalisierung abweichender Meinung zu vorausgefüllten Wahlzetteln?

Noch kann der Wähler wählen, noch können wir wählen. Die, die auf der guten Seite des Bettes aufwachen, sie werden ohnehin wählen gehen, und sie werden diejenigen wählen, die ihnen bestätigen, dass sie die Guten sind. Wer aber wird für die auf der falschen Seite sprechen, die jeden Morgen auf der bösen Seite des Bettes aufwachen und der Realität ins Auge blicken, die Armen, die Besorgten, die Vergessenen?

Wenn du auf der bösen Seite des Bettes aufwachst, kämpfe für dein Recht, etwas vom inneren und äußeren Frieden der Guten abhaben zu dürfen! Die Guten bürden dir die Folgen ihres Gutseins auf, und wenn du dich beklagst, nennen sie dich einen Bösen.

Du aber, der du das Glück hast, auf der guten Seite des Bettes aufzuwachen, sei dein Glück nun geerbt oder selbst verdient, meinst du wirklich, dass dein Schlaf ewig ruhig bleiben wird, wenn du den Armen und den Manipulierten all die Folgen und Kosten deiner Lügen und deiner Moral aufbürdest? So hoch wie du die Mauern um dein Gewissen hochgezogen hast, so hohe Mauern um dein Haus erlaubt dir keine Bauverordnung. Ob dein Gewissen noch lebt und atmet, oder ob du es mit deinem Gold und Geld längst in Übersee weggeschlossen hast, schon aus Selbstbewahrung solltest du an jene denken, welche Morgen für Morgen auf der bösen Seite des Bettes aufwachen.

Betrachtet den Pfad, auf dem sich Deutschland und Europa bewegen, und zieht die Linie weiter, in die wahrscheinliche Zukunft. Stellt euch eine einfache Frage: Soll es so weitergehen? Kann es so weitergehen? – Wählt entsprechend.

Weiterschreiben, Wegner!

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