Dushan-Wegner

01.03.2018

2018, 1984 und die einfachen Wahrheiten

von Dushan Wegner, Lesezeit 14 Minuten, Bild von Nathaniel Shuman
In verrückten Zeiten braucht es Mut, selbst die einfachen Wahrheiten auszusprechen. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wo meine Heimat ist. Egal, was sie in Zeitungen und Fernsehen brüllen: Ich weiß, dass zwei plus zwei gleich vier ist – und ich sage es auch!
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Wilfried Schmidt schaute gar nicht mehr aus dem Fenster. Ein Plakat klebte an der Hausfront gegenüber, das wusste er auch so. »Hass ist keine Meinung!« hieß es darauf. Unten auf Höhe der Straße flatterte ein anderes, an einer Ecke eingerissenes Plakat unruhig im Wind und ließ nur das Wort »NoHateSpeech« bald verdeckt, bald unverdeckt erscheinen. In der Ferne glitt ein Helikopter zwischen den Dächern herunter, brummte einen Augenblick wie eine Schmeißfliege und zog dann in einem Bogen wieder ab. Es war die Polizeistreife, die den Leuten in die Fenster schaute. Die Streifen waren jedoch nicht schlimm. Zu fürchten war nur die Gedankenpolizei.

Jedes von Wilfried verursachte Geräusch wurde von einem Smart-Home-Gerät registriert. Wilfried hatte sich aussuchen können, von welchem Konzern er es gekauft hatte. Wilfried hätte es gar nicht kaufen müssen, doch wer will sich schon verdächtig machen?

Es bestand natürlich keine Möglichkeit festzustellen, ob man in einem gegebenen Augenblick gerade überwacht wurde. Wie oft und nach welchem System die Gedankenpolizei sich in einen Privatapparat einschaltete, das blieb der Mutmaßung überlassen. Es wurde sowieso alles aufgezeichnet. Selbst wenn sie heute einen Fall von Hatespeech übersahen, oder wenn sie eine Person sowieso dranbekommen wollten, konnten in der Zukunft feinere Filter und künstliche Intelligenz den falschen Gedanken auch nachträglich finden. Wenn man etwa einen unbequemen Politiker angreifen wollte, stach man der Presse irgendeine E-Mail durch, welche dieser vor vielen Jahren privat geschrieben haben sollte. Oder einen Satz, den er angeblich vor vielen Jahren einmal nachts an der Bar als unvorsichtige Erwiderung auf eine Provokation gesagt hatte. Wen man fertigmachen wollte, bei dem fand sich immer etwas, das als »Hass« oder eine der Hass-Unterkategorien zu deuten war. Wer der Regierung und der offiziellen Linie treu diente, der durfte auch ganz offen und jeden Tag tatsächlich Hass ausüben. Für Hass und Lügen gegen Andersdenkende gab es Orden, Geld aus den Propaganda-Kassen und manchmal sogar eine eigene Sendung im Staatsfunk. Wer dagegen von der Linie abwich, in dessen aufgezeichneter Vergangenheit wurde so lange gewühlt, bis man vermeintlichen »Hass« fand. Die Glaubwürdigkeit der Belege wurde nicht von technischen Experten bestätigt, sondern von Moralisten mit »Haltung«. Wahr war, was »Haltung« bewies.

Man musste in der Annahme leben, und man stellte sich tatsächlich instinktiv darauf ein, dass jeder Satz, den man sagte oder schrieb, jedes Posting, das man teilte, von Haltungs-Experten mitgehört und auf »Hatespeech« ausgewertet wurde.

Einen Kilometer entfernt ragte das Anti-FakeNews-Ministerium, Wilfrieds Arbeitsstätte, wuchtig und weiß über …

Sie haben es längst gemerkt. Ich habe Auszüge aus dem ersten Kapitel des Romans 1984 in das Jahr 2018 übersetzt. Ich habe Winston Smith in Wilfried Schmidt umbenannt, aus dem Televizor den Smart-Home-Lautsprecher gemacht, und aus »Der Große Bruder sieht dich!« wurde »Hass ist keine Meinung!« – es ist erstaunlich überschaubar, wie wenig es braucht, um 1984 in das neue Zeitalter zu übertragen. Die Speicherung und Möglichkeit nachträglicher Auswertung, die hatte auch Orwell nicht geahnt, die müssen wir ergänzen.

Wie viele Finger, Winston?

Seit einiger Zeit hört man immer wieder den Spruch: »1984 war nicht als Anleitung gedacht!« – Der Spruch soll zur Mahnung dienen, das Staatswesen nicht einmal in die Nähe jenes romangewordenen Albtraums geraten zu lassen.

Doch, es passierten Merkel und die SPD, ARD und ZDF, und wir sehen, was passiert, und wir sehen, dass es passiert, und wir können nicht glauben, was wir sehen, und dem, was passiert, ist es ganz egal, ob wir es glauben oder nicht.

Ich will, in den beiläufigen Wahnsinn hinein, eine einfache Übung vorturnen. Ich übernehme in den folgenden Absätzen einige Punkte des Abschnitts »Methoden der Machtausübung« im 1984-Eintrag der Wikipedia. Und ich schreibe übers Heute.

Kontrolle der Vergangenheit

Sie haben begonnen, die Geschichte umzuschreiben. Die Tagesschau etwa berichtete jüngst, dass der erste Brite dunkelhäutig wares stimmt wohl nicht. Linke berufen sich auf Geschwister Scholl, deuten sie also zu Linken um, geschichtlich kaum zu halten. Beim Thema Ehe für Alle berufen sie sich auf den konservativen Rabbiner Jesus und in Sachen Toleranz auf den »Judenkritiker« Lutheres ist absurd. Die Umschreibung der Geschichte greift folgerichtig auch in die Gegenwart. Sie zeigen kulleräugige Kinderlein, während die Realität junge Männer im wehrfähigen Alter zeigt. Sie manipulieren Video-Aufnahmen missliebiger Politiker. (Sie geben ihre Unwahrheiten später ja manchmal sogar zu, aber erst nachdem die Verzerrung längst gewirkt hat, und z.B. die Regierung ihre Maßnahme entsprechend durchführen konnte.) Ja, die neue Geschichtsschreibung greift sogar in die Zukunft! Sie zeigen absurde Schreckensfilmchen, produziert von der Filmfirma, die einst Propaganda für Hitler produzierte und auch heute beste Beziehungen zur großen Politik hat. Sie schreiben eine Geschichte, eine Gegenwart und eine Zukunft, die ihre Macht stützen. Wahrheit ist, was der Macht dient.

Doppeldenk

Im schönen neuen Deutschland gibt es zwei Realitäten: Die eine, die in den Straßen und auf den Plätzen passiert – und die andere, die man zu glauben, zu sehen und zu berichten verpflichtet ist, so man einen Fuß auf den Boden bekommen möchte.

O’Brien hob seine linke Hand hoch, den Handrücken Winston zugekehrt, den Daumen versteckt und die vier Finger ausgestreckt. »Wie viele Finger halte ich empor, Winston?«
»Vier.«
»Und wenn die Partei sagt, es seien nicht vier, sondern fünf – wie viele sind es dann?«
»Vier.«
Das Wort endete mit einem Schmerzensschrei.
George Orwell, 1984

Ich kenne persönlich Lehrkräfte (die heute ja zunehmend in der Praxis zu Sozialarbeitern werden), die an der Differenz zwischen der Realität, die sie erleben, und dem, was gesagt werden darf, innerlich zerbrechen. Ich erhalte fast täglich Schreiben von Lesern, die über ihre Unfähigkeit verzweifeln, die alternativen Fakten aus ARD und ZDF zu übernehmen, und so von ihren innerlich flexiblen Bekannten und sogar Familien isoliert werden. Nicht alle Menschen sind mit dem gleichen Grad an innerer Biegsamkeit geboren.

»Wie viele Finger, Winston?«
»Vier! Hören Sie auf, hören Sie auf! Nicht mehr weiter! Vier!«
»Wie viele Finger, Winston?«
»Fünf! Fünf! Fünf!«
»Nein, Winston, das hat keinen Zweck. Sie lügen. Sie glauben noch immer, es seien vier. Wie viele Finger, bitte?«
»Vier! Fünf! Vier! Was Sie wollen. Nur hören Sie auf, hören Sie auf mit der Quälerei!«
George Orwell, 1984

In Orwells 1984 wurde Winston Smith gefoltert, weil es ihm nicht gelang, vier Finger für fünf Finger zu halten. Wenn die Partei sagte, Zwei plus Zwei sei Fünf, dann hatte der Bürger das zu glauben. Heute hat der Bürger zu glauben, dass nur weil X zu Y führt, es noch lange nicht ausgemacht ist, dass X und Y zusammenhängen – und wer aus einer offensichtlichen Verursachung einen Zusammenhang folgert, der wird gesellschaftlich isoliert. Wir leben Doppeldenk. Einige Bürger gehen daran kaputt, aber längst nicht alle. Es erklärt gewisse Ereignisse der Geschichte, wie erstaunlich leicht sich erstaunlich viele Deutsche auch heute im Doppeldenk einrichten. Die aber, die Doppeldenk nicht erlernen können, so wie ein gänzlich Unmusikalischer nie das Geigespielen erlernen wird, die werden isoliert, die verstummen, wenn es ihnen nicht gelingt, rechtzeitig andere Unbiegsame zu finden.

Hasswoche

Im Roman 1984 wird der Hass auf den politischen Gegner aktiv als Teil der Propaganda eingesetzt. Die Veranstaltungen dazu heißen »Hasswoche« und »Zwei-Minuten-Hass«.

Die heutige Regierung versucht beim Hass ein interessantes Kunststück. Einerseits wird das Wort »Hass« erst umgedeutet als Kritik an der Regierungslinie. Anschließend wird die Parole »Hass ist keine Meinung« ausgegeben. Das Handeln der Regierung gilt per se als gut, also ist Kritik daran böse und Hass – und außerhalb des gesetzlichen Schutzes von Meinung. Andererseits wird von Politikern und staatstragenden Journalisten der tatsächliche, konventionelle Hass auf Abweichler und Regierungskritiker als Teil täglicher politischer und publizistischer Arbeit eingesetzt.

Comedians wie Jan Böhmermann oder Oliver Welke verhöhnen vor Millionenpublikum die Opposition. Ein Shahak Shapira bedient sich im Hass-Kampf gegen Abweichler schon mal der Sprache der Nationalsozialisten – und bekommt jetzt eine Sendung beim Staatsfunk. Der Hass auf Abweichler ist lukrativ, denn bei ARD und ZDF ist jede Woche eine Hasswoche.

Unperson

Früher riefen sie, das Private sei politisch, und es war revolutionär. Andersherum aber, also wenn das Politische ins Private greift, wird es schnell zur Oppression. Die SPD will die »Lufthoheit über den Kinderbetten«. (Der Politiker, der so Schreckliches sagte, wird jetzt wohl Vize-Kanzler und Finanzminister.) Die Kanzlerin lässt die Psychologie der Bürger erfragen und informiert sich über »Nudging«, also die subtile Verhaltensmanipulation. (Der Neusprech-Ausdruck für psychologische Manipulations-Studien durch die Regierung ist tatsächlich »wirksam regieren«.) Das Familienministerium investiert dreistellige Millionenbeträge in Propaganda gegen Abweichler. Wer aber seine Gedanken nicht der offiziellen Wahrheit anpassen kann, der gilt bald als »Unperson« – im Neusprech: »Nazi«.

In Schulen werden Kinder aufgehetzt gegen ihre Eltern, wenn diese das Falsche wählen. Die Wahrheit wird frei interpretiert (mir wurde z.B. berichtet, wie eine Lehrerin sagte, die Opposition wolle alle Ausländer abschieben, und dann fragte, wer in der Klasse alles ein Ausländer sei), Kinder glauben ja alles. Das Politische wird persönlich. Linke, linientreue Publikationen beschreiben Eltern, die »das Falsche« wählen, als wären sie Feinde. (Beispiele: Süddeutsche, Bento, Vice) – Nicht nur Freundschaften, sogar Familien zerbrechen, wenn Einzelne aus Gewissensgründen schlicht nicht in der Lage sind, die richtige »Haltung« anzunehmen.

Ältere Menschen und Rentner, die nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, den »Doppeldenk« zu praktizieren (man wird im Alter unflexibel, in den Gelenken wie im Gewissen), werden gesellschaftlich isoliert, werden zu »Unpersonen«. Wer nicht glauben will, oder kann, was ARD und ZDF behaupten, der kann sein soziales Netz verlieren. Menschen stellen sich ernsthaft die Frage, ob sie ebenfalls lügen sollen, um nicht am Ende ohne soziale Kontakte und als »Nazi« dazustehen. Was aber ist Kommunikation wert, von der man selbst weiß, dass sie gelogen ist?

Selbst wer auch nur Sorgen hat, der gilt der Propaganda als Unperson. In Dresden oder Cottbus demonstrieren Tausende von Menschen, besorgten Menschen, doch sie werden von der Propaganda ignoriert, und wenn sich ihre Wahrnehmung gar nicht vermeiden lässt, dann dämonisiert, denn wer Sorgen hat bezüglich der Folgen des Regierungshandelns, der ist »Nazi«, und »Nazi« bedeutet heute »Unperson«, also einer, der seine Steuern und die Rundfunk-Zwangsgebühr zu zahlen und ansonsten die Klappe zu halten hat – sonst kommt die Antifa vorbei und erinnert ihn daran, dass er eine »Unperson« ist.

Neusprech

In Orwells 1984 wie in Merkels 2018 wird eine neue Sprache erfunden, teils mit neuen Worten, teils mit Umdeutung der alten Worte. Man versucht offen, wichtigen Worten eine neue Bedeutung zu geben, die teils der bisherigen komplett widerspricht.

  • »Heimat« soll neuerdings von Grenzen und Ort losgelöst werden und eine Ideologie der Entgrenzung und Globalisierung bedeuten, etwa bei Maas. Heimat soll kein Ort mehr sein, sondern die neuen, von Regierung und regierungsnahen Medien vorgegebenen »Werte«, sprich: eine Ideologie. Die (versuchte) Umdeutung von »Heimat«, weg von »Ort, an dem ich daheim bin” zu »Ideologie, an die ich glaube” ist ein Musterbeispiel von Neusprech (»Newspeak«).
  • »Volk« wird umgedeutet auf alle im Land anwesenden Personen. (Zitat Schäuble: »Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung«) Der Spruch »Wir sind das Volk!« wird zu »Nazi« erklärt, denn er beinhaltet logisch, dass auch jemand nicht »das Volk« sein könnte. Wenig fürchten Ideologen so sehr wie das individuelle Selbstbewusstsein ihrer Untertanen.
  • »Bürger«, mit der edelste Begriff, den die Demokratie anzubieten hat, wird umgedeutet und entwertet zu »die, die schon länger da sind« (Merkel). Ideologen sehen den Menschen als beliebig formbare Masse, nicht als »freien Bürger«, der die Regierung ein- und wieder absetzt.
  • Hass auf Deutschland wird zu »Patriotismus« umgedeutet (z.B. ließe sich Gabriels Einordnung bzgl. Yücel so verstehen). Es ist blanker Neusprech.
  • »Haltung«, also persönliches Rückgrat auch gegen die Obrigkeit, wird im hundertprozentigen Neusprech umgedeutet als Unterstützung der Regierungslinie, also das präzise Gegenteil von Haltung im bisherigen Verständnis. Heute wird als einer mit »Haltung« gepriesen, wer die Parteilinie stützt und die Opposition verachtet.
  • Man nennt Demonstrationen »bunt«, meint damit in der Realität aber vermummte Antifa-Schläger in einheitlich schwarzen Uniformen oder komplett monokulturelle Stadtteile. Auch »bunt« ist ein Neusprech-Wort, welches das Gegenteil seiner alten Bedeutung trägt. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort »Diversität«, welches das Gegenteil seiner alten Bedeutung transportiert. Einst standen diese Wörter für Vielfalt, doch heute meint es in der Praxis gedankliche und zunehmend auch andere Gleichförmigkeit, für welche z.B. ein »Diversity-Officer« zuständig ist.
  • Die Regierung finanziert politische PR, die ganz offiziell »Hass ist keine Meinung« verbreiten lässt – und nimmt damit Gefühle starker Abneigung aus dem Spektrum rechtlich geschützter Meinung heraus. Die Behauptung, Hass sei keine Meinung, ist zwar juristisch Unfug, doch wenn es um »die gute Sache« geht, wird der Rechtsstaat immer mehr zum symbolischen Wert denn zum unverrückbaren Fundament. »Hass ist keine Meinung« ist Neusprech und Doppeldenk zugleich.

Gedankenverbrechen

Die Propaganda in 1984 und die Propaganda in 2018 wollen beide »Gedankenverbrechen« ahnden und verhindern.

Die Sprache geht den Gedanken voraus, und die Gedanken münden wieder in Sprache. Deshalb ist die Sprache der Ort, wo die Kontrolle und Ahndung der Gedankenverbrechen ansetzt. Deshalb macht das NetzDG die Abschaltung von Sprache an den Gerichten vorbei möglich. Deshalb werden via Propaganda-Kampagnen legale, aber die Regierung störende Meinungen als Nicht-Meinung diffamiert.

Man will den Deutschen, aber von Deutschland auch etwa den Polen, den Tschechen oder den Ungarn einbläuen, dass sie kein Recht haben, über die Bevölkerung ihrer Heimat selbst zu bestimmen.

Der Begriff »Heimat« in seiner bisherigen Bedeutung (die eben auch Grenze und Selbstbestimmung enthält) wird als »Nazi« verunglimpft und via Neusprech durch einen künstlichen neuen Begriff der entgrenzten Heimat als globalisierungskompatible Ideologie ersetzt. Wer sich solchem Neusprech verweigert, wer zu solchem Doppeldenk nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, der hat sich eines Gedankenverbrechens schuldig gemacht und gilt bald als Unperson, welche nur noch theoretisch die Menschenwürde nach Art. 1 GG beanspruchen kann. Sein Besitz kann jederzeit von der Antifa angezündet werden, seine Angst wird mit einem »Mimimi!« verhöhnt, seine Familie kann von »Künstlern« eingeschüchtert werden (unterm Applaus des Staatsfunks), seine Arbeitsstelle und seine Konten können gekündigt werden. Wenn ein Gedankenverbrecher zur Unperson erklärt wird, gibt es keinen Aufschrei und wenig Protest; die Angst ist groß, bei Protest gegen das Unrecht selbst der Gedankenverbrechen bezichtigt zu werden. Du bist frei, zu denken was du willst – aber das Falsche zu denken und es auch zu äußern ist eben ein Verbrechen.

Was macht denn den Menschen aus?

Die Regierung verhehlt ja gar nicht, dass sie die Bürger in ihrem Sinne umerziehen will. All diese Maßnahmen zielen aber de facto (ich schreibe niemandem Absicht zu, aber durchaus Wirkung und Richtung) auf denselben Fluchtpunkt: Das Individuelle mit seinen Rechten wird ausgelöscht, Bürger zu sein wird reduziert auf ein Pflichtenbündel.

Was macht denn den Menschen aus? Etwa: Seine Herkunft. Sich aber auf seine Herkunft positiv zu beziehen, das gilt schon als böse. Dann: seine Talente. Oh, ganz gefährlich! Die Idee, dass eine Fähigkeit angeboren sein könnte, ist ebenfalls problematisch. Aber auch: Seine Arbeit, sein Beruf und sein Besitz. Alles problematische Kategorien, denn wer die Früchte seiner Arbeit auch genießen möchte, statt sie für die großen Pläne der Regierung aufzugeben, der ist darin verdächtig. Besitz ist sowieso verdächtig! Die neuen Ideologen schwärmen immer wieder von Enteignung für die »gute Sache«.

Ich bin mir ehrlich nicht sicher, was jene »wollen«. Wir sehen aber, worauf es hinzielt. Es zielt auf die Zerstörung der Individualität. Die Regierung ist mit dem Volk nicht zufrieden, also schafft sie sich ein neues.

Einfache Wahrheiten

Gegen Propaganda helfen keine Argumente. Jene wissen ja, dass es falsch ist, was sie tun – es ist ihnen egal. Glauben Sie wirklich, dass ein SPD-Politiker, der eines Tages bei irgendeinem lupenreinen Demokraten unterkommen will, heute noch irgendwelche Skrupel hat? Haben Sie den Eindruck, dass denen ihr eigenes Wort irgendwas bedeutet? Was geht im Kopf und Gewissen eines CDU-Delegierten vor, der offen über die verheerenden Folgen von Merkel Politik spricht, und dann doch sein Bürokraten-Ärmchen hebt, um Merkel im Amt zu bestätigen? Es ist eine bemerkenswerte innere Spaltung, die ich auch mit viel Phantasie nicht nachvollziehen kann.

Nein, wenn jene ansetzen, unsere Individualität zu zerstören, scheint mir die erste Gegenwehr eine sehr private.

Stellen wir uns die Fragen, die sie verbieten oder uminterpretieren wollen! – Wer bin ich? Sie wollen verbiegen, was ich mit »Heimat« meine – doch weiß ich überhaupt selbst, was mir Heimat ist? Ein Mensch mit Haltung, so scheint es, ist einer, der den Journalisten mehr glaubt als den eigenen Augen. Will ich diese Haltung haben? Sie verändern, gar nicht still oder heimlich, was Bürger zu sein bedeutet – doch weiß ich überhaupt selbst, was Bürger zu sein für mich erfordert? Sie wollen verbiegen, was ich gut finde und was böse, doch könnte ich erklären, jenseits des Bauchgefühls, was ich mit Gut und Böse meine?

Wir könnten nachgeben, wir könnten uns zu verbiegen suchen, doch gerade daran könnten wir verrückt werden. Das Erkenne dich selbst! der Griechen wird von philosophischer Spielerei zur inneren Überlebensfrage. Erkenne dich selbst, sonst wirst Du wahnsinnig werden!

Stellen wir also die einfachen Fragen, täglich neu, täglich tiefer. Wer bin ich? Was ist meine Heimat? Was sehe ich, wenn ich aus dem Haus gehe? Was ist die Folge wovon?

In verrückten Zeiten braucht es den Mut, selbst die einfachen Wahrheiten auszusprechen. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wo meine Heimat ist. Ich weiß, dass ich zwei Hände habe. Ich sehe, was ich sehe, wenn ich aus dem Haus gehe. Selbst wenn sie im Fernsehen den ganzen Tag lang »Fünf! Fünf! Fünf!« brüllen, so weiß ich doch, dass Zwei plus Zwei gleich Vier ist, und – verdammt noch mal! – ich sage es auch!

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