Dushan-Wegner

17.01.2023

Alle zwei Tage

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
Manche Leute lieben es zu fliegen, nur um mal offline zu gehen. Ich verstehe das! Wäre es aber nicht billiger, einfach nur so offline statt auch noch in die Luft zu gehen? (Diesen Essay gibt es übrigens auch auf Englisch!)
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Ein Leser erzählte mir kürzlich, dass er das Fliegen in Flugzeugen liebt, weil er da Ruhe hat. Weder Boss noch Kunden können ihn erreichen. Keine Nachrichten und keine Meldungen von Freunden. Endlich kann er in Ruhe ein Buch lesen und ansonsten die Wolken vorbeiziehen sehen.

Ich stimmte ihm sowas von zu – meine Erfahrung ist ähnlich! Selbst bei all dem Ärger, der heute mit Fliegen einhergeht – außer Sie sind superreich und fliegen mit dem Privatflugzeug zu einem Meeting über Klimawandel  – sogar mit all dem Ärger, fühlt sich das Abschalten und Offline-Gehen für viele von uns noch immer wie Freiheit an.

Irgendwas stimmt da nicht!

Muss ich wirklich viel Geld bezahlen, muss ich das Sicherheitstheater und die Flugzeugsitze ertragen, muss ich an einen Ort fliegen, an welchem ich vielleicht gar nicht sein will, nur um offline zu gehen, und mich so einfach ein bisschen frei zu fühlen?

Das ist doch, als würde man sich die Zähne bohren lassen, nur um den Zahnarzt zu treffen oder etwas menschlichen Kontakt zu spüren. Nun, vielleicht gibt es Menschen, die aus Verzweiflung sogar das tun.

Jeden siebten Tag

Die jüdische Religion hat der Welt die Idee gebracht, jeden siebten Tag loszulassen, abzuschalten, offline zu gehen, auf Deutsch nennen wir es »Sabbat«, oder wie meine jüdischen Freunde sagen: »Schabbes«.

Orthodoxe Juden lassen tatsächlich einmal pro Woche ihre elektronischen Geräte los, einschließlich ihrer Smartphones.

Wir wissen, dass Smartphones, soziale Medien und der 24-Stunden-Nachrichtenzyklus unser Gehirn in einem konstanten Dopaminrausch halten, im Grunde sind wir high und süchtig wie Junkies.

Was aber ist die häufigste Lüge von Süchtigen? Richtig, es ist: »Ich könnte jederzeit loslassen.«

Einmal in der Woche sagen orthodoxe Juden: »Natürlich könnte ich loslassen, wenn ich wollte. Aber um sicherzugehen, tue ich es jetzt wirklich.«

Man könnte sagen, dass Juden das wöchentliche Dopaminfasten erfunden haben, Tausende von Jahren bevor die Idee in Mode kam.

Sollten wir jetzt alle unsere elektronischen Geräte einmal pro Woche ausschalten?

Nun, vielleicht wäre es eine gute Idee.

Lassen Sie mich aber eine weniger radikale und zugleich noch radikalere Idee vorschlagen!

Bis zu diesem Zeitpunkt

Wir könnten Folgendes versuchen: Lassen Sie uns jeden zweiten Tag die Nachrichten ignorieren.

Bis zu diesem Zeitpunkt in unserem Leben haben Sie und ich wahrscheinlich jeden Tag die Nachrichten verfolgt, mit den seltenen und so wertvollen Ausnahmen.

Es ist allgemein bekannt, dass schlechte Nachrichten »gute« Nachrichten sind: »gut« für das Nachrichten-Business – auf Englisch: »Bad news is good news«.

Was bedeutet: Unser Gehirn ist so verkabelt, dass es ganz automatisch auf Gefahren und alles Negative achtet. Für die Natur ist es viel wichtiger, uns am Leben zu erhalten, als uns glücklich zu sehen.

Wir würden nichts Wichtiges verpassen, wenn wir jeden zweiten Tag die Nachrichten überspringen.

Ich sage nicht E-Mails oder Telefon grundsätzlich abschalten, denn die brauchen wir, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.

Aber Neuigkeiten. Skandale. Abendnachrichten. All die Meldungen über Politik, die wir »Fake News« nennen können, auch wenn technisch jedes Wort wahr wäre. Der »Fake«-Teil ist die implizite Behauptung, dass man sich jetzt und täglich darum kümmern muss.

Ich will es versuchen. Ich weiß nicht, wie lange ich es durchziehe. Vielleicht für eine Woche, vielleicht ein Leben lang, wahrscheinlich eine Zeitspanne dazwischen.

Jeden zweiten Tag will ich versuchen, meinen Blick von Politik und Skandalen abzuwenden, und meine Aufmerksamkeit dem zuzuwenden, was mir noch wichtiger ist – darunter alte Weisheiten und Fragen zu dem, was den Menschen wirklich ausmacht.

Etwas an diesem Plan ist beängstigend. Ich werde nicht leugnen, dass ich nervös bin ob dieser Idee.

Aber wovor habe ich da Angst, was macht mich da nervös? Ist es bloß die Furcht, »etwas zu verpassen«?

Da ist noch etwas, auf einer ganz anderen Ebene.

Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, Mut ist die Kraft, seine Angst zu überwinden – doch dafür muss man den gefürchteten Widerstand benennen können!

Ich stelle mir also vor, jeden zweiten Tag die Nachrichten zu überspringen, und eine Frage kriecht hoch, die mich spürbar nervös werden lässt, die mir geradezu Angst einflößt, und diese Frage lautet: Was wird sein und welche Konsequenzen werde ich ziehen, wenn sich herausstellen sollte, dass ich mich an Tagen ohne Nachrichten glücklicher fühle?


Übrigens: Zu diesem Essay gibt es auch eine englische Version! Der Titel ist »Every two days«.

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