Dushan-Wegner

13.12.2021

Beruf, Berufswahl und Zufriedenheit

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von P A
»Was soll ich werden?«, so fragt der Jugendliche (und der Mensch im Umbruch), oder später dann: »Ich bin unhappy im Job, was soll ich tun?« – Es gibt eine Antwort, und sie hat mit den im Job gelösten Problemen zu tun.
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Ich erinnere mich noch gut, wie ich selbst darüber nachdachte, was ich im Leben werden wollte. Meine Entscheidung führte erst zu einem Studium der Theologie, dann nach einigen Jahren in der »New Economy« und einem Abstecher beim TV, schließlich zum Studium der Philosophie. Als vorläufig und vielleicht auch endgültig letzte Verwandlung wurde ich dann das, als was ich mich heute deute: Ihr treuer Essayist.

Ich schreibe Texte, die Sie mal mehr interessieren, mal weniger. Ich notiere, was mich an jedem mir gegebenen Tag bewegt. Was aber bewegt mich, darüber zu schreiben, was mich bewegt?

Was trieb mich damals zu genau jenen Entscheidungen? Was treibt mich heute an den Schreibtisch, Morgen für Morgen für Morgen?


Was treibt irgendeinen Menschen, der seine Arbeit nicht »nur fürs Geld« tut, zu eben dieser Arbeit?

Es ergäben sich ja bald weitere Fragen: Was kann den Menschen langfristig treiben? Wovon sollen wir uns treiben lassen?

Diese Fragen stellen sich mir dieser Tage aus aktuellem Anlasse sehr konkret.

»Was soll ich werden?«, so beginnt unsere Tochter in diesen Monaten zu fragen.

Ja, alle Eltern kennen das gut: Man hat noch nicht ganz das Event ihrer Geburt verdaut, und schon fragen sich die uns wichtigsten Menschen, was sie beruflich unternehmen sollen. Die Zeiten eilen, und wir hecheln mit.


Nun, ich hätte meinen selbstgewählten Beruf als de facto freischaffender Philosoph wohl gründlich verfehlt, wenn ich dem Tochterschatz nicht bei der Suche nach einer eigenen Antwort helfen könnte, was sie werden soll!

An der Formulierung meiner Aufgabe (» bei der Suche nach einer eigenen Antwort helfen«) erkennen Sie ja bereits, dass ich die Frage nicht direkt beantworten will, kann oder sollte, und also auch nicht werde.

Jedoch, es erschiene mir als reichlich armselig, wenn ich diese Frage im Stil eines Scharlatans einfach nur zurückstellte (»Was willst du denn wirklich werden?«), ich sollte etwas Handfestes vorlegen können.

Ich habe es mir nicht einfach gemacht. Ich habe diverse Ansätze studiert, habe mich mit Büchern und diversen Lehren konsultiert.

Ich meine, eine methodische Antwort gefunden zu haben, die präzise genug ist, um hilfreich zu sein.

Was ich hier als Antwort vorlege, ist nicht »von mir«, es ist das vorläufige Ergebnis meines Grübelns und Suchens in dieser Angelegenheit.

Nein, die Kernaussagen des folgenden Inhalts sind nicht »von mir«, nicht »meine Erfindung«, höchstens meine Zusammenstellung. Vor allem aber wähle und wage ich, unter allen möglichen Antworten – und es sind ja wahrlich viele Antworten möglich – genau diese eine Antwort vorzulegen, und dadurch wird sie zu meiner. (Wenn ich Sie frage, was Drei mal Drei ergibt, dann antworten Sie »Neun«, und es ist Ihre Antwort, obgleich Sie gewiss nicht die Zahl Neun erfunden haben.)

Ich will nicht nur eine der möglichen Antworten auswählen und zu meiner erklären, ich gehe noch einen Schritt und will mutig sein, und ich will Ihnen mein Ergebnis zur Bewertung vorlegen!


Wenn man Menschen fragt, was ihr Traumberuf ist, wonach wählen sie aus? Und wenn Menschen dann real einen Job auswählen, nach welchen Kriterien treffen sie in der Praxis wirklich ihre Wahl?

Manche wählen ihren Traumberuf nach dem öffentlichen Ansehen eines Berufs aus – oder gar nach der Darstellung des Berufs in Filmen.

Später wählt man einen Beruf vielleicht danach aus, was schlicht möglich ist und kurzfristig das Konto aus den roten Zahlen bringt. Und wenn einem wirklich gar nichts anderes einfällt, dann wählt man einen der Berufe, die man oft um sich sieht.

(Es ist tragisch, dass nicht wenige Lehramtsstudenten ganz offensichtlich nur deshalb den Lehrerberuf anpeilen, weil Lehrer der einzige Beruf ist, in welchem sie bislang einen Erwachsenen erlebten.)


Geld oder Ansehen sind jeweils wichtige Aspekte der Berufswahl, kein Zweifel, wenn auch für verschiedene Menschen in jeweils verschiedenem Grad.

Das Image eines Berufs allein nutzt dir im Alltag der meisten Berufe aber relativ wenig. Wenn du als angehender Arzt mit den Symptomen eines Schwerkranken zu tun hast, wenn es stinkt und eitert, und das erst der fünfte von fünfzig Patienten heute ist, dann braucht es mehr als nur »Image«, um dich dranzuhalten.

Jedoch, auch das Geld allein genügt einem Menschen mit Seele und Gewissen nicht, um ihn über Jahre motiviert zu halten. Dein Leben besteht nicht aus Geld, sondern aus Minuten und Stunden, aus Tagen und Jahren. In Redaktionen und anderen Berliner Fluren finden wir zwar nicht wenige Figuren, welche die Reste ihres Gewissens und auch ihre tägliche Lebenszeit gegen monatliche Silberlinge eintauschen, doch will man eine dieser Gestalten sein?


Auf die Frage, was man beruflich werden soll, antworte ich heute zurück: Mit welchem Problem beschäftigst du dich gern? Welchem Problem kannst du dir vorstellen, dich die nächsten Jahrzehnte oder sogar den Rest deines irdischen Lebens zu widmen?

Die Frage nach einer potentiellen Berufswahl als Arzt ist nicht zuerst die Frage, ob man das Einkommen oder Ansehen eines Arztes anstrebt, nicht einmal ob man Menschen helfen möchte, sondern ob man sich auf absehbare Zeit auf das Problemfeld »der menschliche Körper und seine Krankheiten« konzentrieren will – eingeleitet mit einem harten Studium eben dieses Problems.

Du solltest nicht Unternehmer werden, nur weil du viel Geld verdienen willst, sondern weil es dich täglich aufs Neue zufrieden machen kann, Kunden zu begeistern, für diese Kunden neue Produkte zu entwickeln, und dazu Mitarbeiter anzuleiten, welche die entwickelten Produkte für die gewonnenen Kunden zuverlässig her- und bereitstellen.

Und so weiter, und so fort: So attraktiv oder honorig die Früchte und Folgen deiner Arbeit sein mögen, langfristig wirst du nur dann zufrieden sein, wenn du dich fürs Problem begeisterst.

Deshalb sind Praktika ja so wichtig, und sollten dringend vor der Berufswahl absolviert werden: Das Wesen eines Berufs ist nicht das Image und nicht das Einkommen, sondern die Art der Probleme, mit denen man sich täglich beschäftigt.

(Nebenbei: Deshalb ist das Personal der Politikerkaste ein solches kollektives Elend! Das tatsächliche Problem des Politikerberufs ist das Überleben von Sitzungen bis spät in die Nacht, das Strippenziehen in der Partei, und dazu die Pflege von Beziehungen zu Lobbyisten und ihren Propaganda-Outlets, die ironisch-euphemistisch »Zivilgesellschaft« genannt werden. All das braucht wenig Sachkunde bezüglich des Problems, das laut Türschild und Titel gelöst werden sollte.)


Wenn also jemand, zum Beispiel meine Tochter, mich fragt, was er oder sie »im Leben werden« soll, dann antworte ich: Finde heraus, mit welchem Problemgebiet du dir vorstellen kannst, dich mindestens die nächsten zehn Jahre deines Lebens zu beschäftigen.

Wenn dich ein echtes Problemgebiet begeistert, also ein Problem, das echte Menschen (oder Unternehmen…) langfristig und ernsthaft beschäftigt, dann stehen die Chancen gut, dass du nicht nur dranbleibst, sondern dass du sogar täglich mehr Freude an deinem Beruf empfindest, und zu all dem auch noch, quasi nebenbei, komfortabel davon leben kannst.


Ich hörte von einem Menschen, der hat in den letzten beiden Jahren wohl ganz gut Geld verdient. Sein Berufsfeld ist die Forschung an Impfstoffen.

Die Motivation zur Berufswahl war aber nicht das mögliche Geld, da wären andere Berufsfelder damals viel plausibler gewesen. Diesem Menschen standen allerdings auch nicht alle Berufe offen – wessen Körper von Kinderlähmung gezeichnet ist, dem verschließt sich eine Reihe von Berufen, etwa der des Arztes im Krankenhenhaus, oder des Handelsreisenden, et cetera – doch die Motivation, sich mit den Fragen rund um Impfungen allein der Fragen wegen zu beschäftigen, die kann denkbar groß sein, wenn es täglich die eigene Geschichte betrifft.

Dass jetzt im Zug einer Pandemie etwas Geld »oben drauf« kam, das war diesem Menschen ein willkommener Bonus – er hat und hätte den Job aber auch mit »normalem« Gehalt gemacht, der für ihn interessanten Probleme wegen.


Die Frage nach der Berufszufriedenheit ist in Wahrheit die Frage danach, ob man Spaß daran hat, die im Job tatsächlich behandelten Probleme zu lösen.

Vielleicht liegt hier auch eine Möglichkeit, mit einem Beruf klarzukommen, in den man eher so hineinrutschte: Formulier für dich selbst neu, was das eigentliche Problemfeld deines Berufs ist, und dann versuche, zum Experten für genau ein Teilgebiet dieses Problemfelds zu werden. Wenn das Problem dir Spaß macht, dann lassen sich ein Stück weit sogar schlechtes Gehalt und doofe Kollegen ertragen.


Ich schreibe diese Essays, weil es mir Freude bereitet, über diese Themen nachzudenken. Natürlich ist es wichtig und notwendig, von seiner Problemlösung seine Rechnungen bezahlen zu können (zum Beispiel durch Ihren Leserbeitrag…), doch wenn du halbwegs »normal« bist, dann ist ein Problem, das dich fasziniert, wahrscheinlich auch eines, das andere Menschen quält – und damit eines, für dessen Linderung sie gern bezahlen werden.


Indem ich darüber nachdachte, wie ich meiner Tochter »philosophisch« bei der Wahl des angepeilten Berufs helfen kann, lernte ich natürlich selbst über Leben und Menschsein dazu.

»Alles Leben ist Problemlösen«, so sagte Karl Popper (ich zitierte es in einer kurzen Notiz vom September 2021), und die Lehre daraus ist: Ich mag über meine Probleme schimpfen, ich mag von des Tages Arbeit am Abend ordentlich müde sein, doch tatsächlich ist es das Lösen von wichtigen und interessanten Problemen, dass mir so etwas wie ein Gefühl von Zufriedenheit oder sogar Sinn geben kann.

»Was soll ich werden?«, so fragt meine Tochter, und ich frage zurück: Welche Probleme willst du lösen? Welche Fragen zu erforschen bereitet dir heute schon große Freude?

Mich selbst aber frage ich am Morgen: »Ob heute wohl ein guter Tag werden wird? Was soll ich mit diesem Tag anstellen?«

Ich antworte mir selbst: »Welches Problem will ich heute lösen? Welche Frage will ich heute erforschen?«


Wir wünschen uns manchmal ein Leben ohne Probleme, doch es ist wohl einer jeder Wünsche, deren Erfüllung den Menschen wider Erwarten reichlich unglücklich machen würde.

Liebe Leser, ich wünsche Ihnen also nicht ein Leben »ohne Probleme«, nicht mal einen einzigen Tag.

Ich wünsche Ihnen nicht ein Leben ohne Probleme – ich wünsche Ihnen gute, wertvolle und wichtige Probleme!

Weiterschreiben, Wegner!

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