Dushan-Wegner

06.02.2022

Blut und Wörter

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Marius Matuschzik
Wer sich informiert und Risiken abwägt, und sich dann gegen eine Impfung entscheidet, er wird seinen Grund haben. Wer sich impfen lässt, um auf Reisen zu gehen und ins Restaurant zu dürfen, auch. Es sind aber unterschiedliche Arten von Gründen.
Telegram
Facebook
𝕏 (Twitter)
WhatsApp

Das Haus brennt, die Mauern schwelen und das Dach steht in Flammen, und doch brennt diese Hütte nun schon so lange, dass mir das Feuer bald langweilig wird. Ich bin es leid, doch es ist meiner nicht leid. Was gibt’s Neues?

Gewisse Angelegenheiten können als Thema sehr brennend und sehr aktuell sein, während und obwohl wir ihrer schon lange überdrüssig sind. Ein solches Thema ist die Debatte um die leidige mRNA-Impfung – und über die Pflicht zu dieser.

Eigentlich sind ja alle Positionen geklärt, alle großen Fragen sind beantwortet. Manche Propaganda-These wurde als Unwahrheit enttarnt. Etwa die, dass das Virus auf keinen Fall aus dem Labor kommen kann. Oder dass jeder »mit« Corona Verstorbene auch »an« Corona starb. Oder dass die Impfung die Verbreitung stoppen wird. Et cetera.


Wir wollen nicht mehr über Dinge nachdenken, die unser Leben nicht besser machen. Wir wollen nicht unsere Lebenszeit in die Erörterung kreisförmiger Fragestellungen investieren, doch die Zeiten scheinen uns zu zwingen.

Wie Millionen anderer Menschen auch beteilige ich mich an der öffentlichen Debatte, indem ich meine Gedanken öffentlich tweete und blogge – und wenn ich auch lieber über alte Weisheitslehren oder philosophische Implikationen moderner Technologie nachdenke, so bewegt mein simpler Alltag mich dazu, auch über das eine große Megathema zu grübeln, dieses »Feuer auf dem Dach«, der Versuch von Pharmakonzernen und deren politische Freundeskreis, die ganze Welt zum mRNA-Impfabo zu zwingen.

Ich genieße gewissen bescheidenen »Erfolg« mit meinen ausformulierten Mitschriften (dazu im Folgenden mehr), doch dieser Tage »explodierte« ein bestimmter Tweet in eine Größenordnung, die sonst eher Rockstars beschert ist.

Der Inhalt jenes Tweets war eine einfache, direkte Beobachtung:

Jeder einzelne Impfskeptiker, den ich kenne, hat lange und gründlich gegrübelt, hat sich informiert und Risiken abgewogen.

Die weitaus meisten Geimpften, die ich kenne, wollen exakt null darüber nachdenken – sie haben es getan, um frei reisen oder ins Restaurant gehen zu dürfen. (@dushanwegner, 5.2.2022; am 6.2. um Mittag über 1.400 Retweets)

Es war eine private Notiz, nur eben öffentlich – und ungezählte Bürger schreiben mir, sinngemäß: »Genauso erlebe ich das!«


Auch nach Jahren noch bin ich jedes Mal auf Neue ein wenig »geschockt«, wenn ein Text »abgeht«. Ich grübele über den Erfolg aber mehr nach als über dessen Ausbleiben. Ein Text, sei er 15.000 Zeichen oder nur einen Tweet lang, der keinen interessiert, zeigt eben nur, dass es meine Gedanken waren. Ein geradezu »explodierender« Text jedoch zeigt, dass ich da auf etwas gestoßen sein muss, was sehr viele weitere Menschen so ähnlich bewegt.

Ich will verstehen, was gutes Schreiben eben gut macht – und wohl auch erfolgreich – um »die Menschen«, derer Teil ich doch bin, besser zu verstehen.

Die Hütte brennt, und sie brennt schon so lange, dass es uns bald langweilig wird. Von Zeit zu Zeit aber gelingt es eben doch, die Insassen der Hütte aufzuschrecken. Wir können die Menschen verstehen, indem wir verstehen, was es war, das sie aufschrecken ließ.


Dies habe übers Schreiben gelernt: Damit Menschen dein Schreiben freiwillig lesen, damit sie sich gern aufschrecken lassen, musst du den Willen und auch die Fähigkeit zu Zweierlei mitbringen.

Erstens: Du sollst an deiner Sprache feilen. Deine Wörter dürfen nicht verloren auf der leeren Seite herumstehen – sie sollen tanzen, aber nach sinnvollem Rhythmus, die Sätze sollen klingen und vibrieren, bis es auch in des Lesers Herzen eine Saite zum Klingen bringt!

Es muss den Leser von einem Satz zum nächsten treiben, selbst und gerade dann, wenn er (noch?) nicht versteht, was du da sagst!

Jedoch, eine Rhythmus-wo-man-mit-muss-Sprache allein ist zu wenig. Schöne Wörter zu setzen, das beherrschen auch einige der Tagelöhner bei  den Konzernmedien (wenn auch nicht mehr so viele wie früher – heute scheinen sich da mehr Was-mit-Medien-Existenzen zu verdingen). Gefeilte Sprache allein ist wie das Plastikessen, das sie als hübsche Imitation in die Fenster japanischer Restaurants stellen: zweifellos hübsch und vielleicht sogar einladend, aber weder sättigend noch bekömmlich.

Zu den schönen Worten braucht es noch einen zweiten Willen, eine weitere geschäftsmäßige Gewohnheit. In dramatisch poetischen Worten lautet diese zweite Notwendigkeit der nichtüberflüssigen Texte: »Schreiben ist einfach – du musst nur deine Ader öffnen und bluten.«

Die Herkunft dieses Bonmots von Schreiben als täglichem, öffentlichem Aderlass ist unsicher (siehe quoteinvestigator.com, 14.9.2011). Es ist seit jeher ein Zeichen universeller Wahrheit, wenn einem Satz viele verschiedene große Namen als Urheber zugeschrieben werden – in diesem Fall von Nietzsche bis Hemingway.

Weniger blutig gesagt: Schreiben bedeutet, seine ehrlichsten Gedanken so lange zu behauen, bis sie die Form angenehm zu lesender Absätze aufweisen.

Ein Schreiben aber, das mehr produziert als Seitenfüllung, mehr als pseudo-relevante Lorem-Ipsum-Alternative, mehr als Kaugummi für Nachrichtenleser, die eigentlich weder Nachrichten noch die Tätigkeit des Lesens mögen, ein solches Schreiben muss offenlegen, welche Hoffnungen und welche Ängste den Autor wirklich quälen – ja, auch Hoffnungen können uns gründlich quälen, und wer noch nicht von seinen Hoffnungen gequält wurde, der sollte sich bessere Hoffnungen zulegen.

Zu viele Schreibende aber verweigern sich Einem oder Beidem: Sie nehmen nicht die Mühe auf sich, an ihrer Sprache zu feilen. Und selbst wenn sie ihre Sprache hübsch machen sollten, so sind sie zu faul für die größere Mühe, nämlich die Selbsterforschung in der großen Frage: Was ist es, das mir wirklich wehtut.


Zwei der blödesten Propaganda-Begriffe sind heute »Impfgegner« und »Coronaleugner«.

Nicht wenige der mir bekannten sogenannten »Impfgegner« oder »Impfskeptiker« sind weit gründlicher durchgeimpft als so mancher geboosterte Spontan-Fanatiker, der in den sozialen Medien die drei Spritzen (💉 💉 💉) zur Beschreibung seiner Identität angibt, und gar nicht mitbekommt, wie gruselig das ist.

Und dann: Nicht wenige jener, die von den Propagandisten in den Redaktionen als »Coronaleugner« verleumdet werden, haben bereits vor Corona gewarnt, als Politik und Propaganda sie genau dafür zu »rechten Verschwörungstheoretikern« erklärten (siehe dazu den Essay vom 13.3.2020).

Ich bin Freund der Wissenschaft (wenn sie denn wissenschaftlich vorgeht) und ich bin ein nervöser Geist, der schon aus tief eingepflanzter Sorge um seine Familie unentwegt den Horizont nach Gefahren absucht. Ich würde wirklich, wirklich, wirklich gern dem glauben, was die Autoritäten im TV und die vielen Gerngehorsamen sagen, doch es fällt mir zu schwer.

Zu vieles von dem, wovon ich lernte, dass man daran einen Lügner, einen Schwätzer oder einen Mitläufer erkennt, wird in denen sichtbar, die sich heute »die Mehrheit« nennen – während diejenigen, die heute von Politik und Propaganda als »böse« markiert werden, auffällig viele jener Eigenschaften aufweisen, wovon man mich einst im (ja, staatlichen) Schulunterricht überzeugte, dass es gute Eigenschaften seien, wie eigenes Denken, furchtloses Hinterfragen und die Suche nach neuen Antworten, wo die gegebenen Antworten unbefriedigend sind.


Vielleicht haben die Impfskeptiker ja tatsächlich unrecht, und vielleicht liegen die Geimpften komplett richtig – logisch denkmöglich ist es ja durchaus. (Hinweis dazu aber: Wer dereinst nach zwölf Gentechnik-Boostern keine Kraft mehr für den dreizehnten hat, könnte sich plötzlich genauso als »Ungeimpfter«, »Impfgegner«, »Schwurbel-Nazi« und »Quasi-Staatsfeind« wiederfinden, wie wenn er sich von vornherein verweigert hätte.)

Anders als gewisse Zeitgenossen bin ich mir keineswegs darin sicher, in irgendwas absolut richtig zu liegen. Doch ich kann zugleich »nicht nicht sehen«, dass jene, welche heute von Staatswegen »richtig« liegen, verdächtig viele Unsinn-Marker aufweisen.

Das Haus steht in Flammen, und es steht schon so lange in Flammen, dass auch die Langeweile ihren eigenen Schwelbrand bildet. Wir sind innerlich mit mancher Debatte fertig, doch diese ist mit uns noch nicht fertig – zumindest in Deutschland nicht.

Ich teile meine Sorgen mit Ihnen, liebe Leser; nach jener dramatischen Redeweise gesagt: Ich öffne meine Adern und blute vor Ihnen, in Subjekt, Prädikat und Objekt. Tausende lesen es, Hunderte antworten mir. Da Sie es oft öffentlich tun, erfahren wir voneinander, und sind weniger allein.

Das Haus brennt, die Debatten sind widersinnig, die Flammen stehen auf dem Dach und vor lauter Rauch sehen wir die Zukunft nur schemenhaft, doch immerhin weiß ich … – doch immerhin wissen wir, dass wir nicht allein sind, und das ist den täglichen Aderlass wert.

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen – so schön, dass Sie hier sind! Essays wie dieser (inzwischen 1,831) sind nur mit Ihrer freiwilligen Unterstützung möglich.

Wählen Sie bitte selbst:

Jahresbeitrag(entspr. 1€ pro Woche) 52€

Augen zu … und auf!

Auf /liste/ finden Sie alle Essays, oder lesen Sie einen zufälligen Essay:

Mit Freunden teilen

Telegram
Reddit
Facebook
WhatsApp
𝕏 (Twitter)
E-Mail

Wegner, als Buch

alle Bücher /buecher/ →

Blut und Wörter

Darf ich Ihnen mailen, wenn es einen neuen Text hier gibt?
(Via Mailchimp, gratis und jederzeit mit 1 Klick abbestellbar – probieren Sie es einfach aus!)