Dushan-Wegner

04.08.2021

China vs. »Spirituelles Opium«

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Denys Nevozhai
Deutschland geht zur »Stagflation« über, also Inflation bei gleichzeitiger Stagnation – dafür boomt es in China wieder. Aber, hey, immerhin sind wir weiterhin unangefochtener Moral-Weltmeister!
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Die zuletzt mit schwer linker Schlagseite durchs Meer der Mediengeschichte dümpelnde FAZ hat dieser Tage eine ganzseitige Anzeige der Chinesischen Kommunistischen Partei veröffentlicht (bei pro-medienmagazin.de, 30.7.2021 ist ein Ausschnitt abgebildet).

Die Anzeige kommt im Layout wie ein Artikel mit Textspalten daher. Wir lesen kluge Worte wie: »Die Kommunistische Partei Chinas ist nach Meinung des britischen Politikwissenschaftlers Martin Jacques wohl die erfolgreichste Partei der Welt im letzten Jahrhundert gewesen.«

Ja, man könnte es Fällen gegenüberstellen, in denen dieselbe FAZ das eine oder andere Inserat der deutschen Opposition abgelehnt haben soll. Und doch, man könnte es als Randnotiz deuten, als Kuriosum am Rande unseres Weges zur Rolle als Chinas Kolonie. – Da ist eine andere Meldung, die mir heute noch schärfer ins Auge sticht.

»China first«?

Was ereiferten sich doch die (immer wieder auffällig chinakompatiblen) »Toleranten« in Redaktionen und Parteien – auch hier, in Europa – über den letzten demokratisch gewählten US-Präsidenten, Donald J. Trump, als dieser »America First« erklärte und China die Stirn bieten wollte! Nun, mir fehlt aktuell die globale Wut auf China ob des »Dokument 551« (siehe reuters.com, 2.8.2021 – die Anordnung wurde im Mai dieses Jahres erlassen).

Ab sofort sollen einige wichtige Technologien von chinesischen Unternehmen nur noch in China selbst gekauft werden. Was Trump mit dem für Demokratien (leider?) notwendigen (und/oder üblichen) Getöse versuchte, setzt China für sich einfach mal still und eher diskret um.

Für Nationen gilt Ähnliches wie für die Zukunft von Familien und auch einzelnen Menschen: Die Zukunft gehört dem, dessen relevante Strukturen klar und klug geordnet sind. – Und doch, so folgenreich diese Meldung vom »China first«, es ist noch nicht die eine Meldung aus China, die mich heute beschäftigt.

»Stagflation«

Es ist wichtig, ein Leben lang zu lernen und neue Idee zu verstehen. Eine politische Klasse, die mancher von uns lieber im Gefängnis als in Amt und Würde sähe, beschert uns immer wieder die Möglichkeit, Wörter neu zu entdecken, die bislang eher Wirtschaftswissenschaftlern vorbehalten waren – und so lernen wir heute das eigentlich aus den 1970-ern stammende Wort »Stagflation«.

»Stagflation« (siehe Wikipedia) beschreibt die Situation, dass die Inflation steigt – die Dinge werden teurer – die wirtschaftliche Entwicklung aber stagniert. Genau das ist, was sich in Deutschland aktuell abzeichnet.

Die Chefökonomin der WeLT warnt unzweideutig:

Die Gefahr einer Stagflation ist ernst. Falls es nicht bald gelingt, die fatale Wachstumsschwäche zu überwinden, droht sich die akute Konjunkturkrise zu einer chronischen Depression auszuweiten. Dann hätte sich Deutschland selbst verschuldet vom Post-Corona-Boom abgekoppelt, der längst schon in den USA, China und anderen Schwellenländern in vollem Gang ist. (Dorothea Siems in welt.de, 3.8.2021(€))

In beiden Ländern, in China wie auch in Deutschland, sind Bürger einem gewissen Grad staatlicher Propaganda ausgesetzt. In beiden Ländern sind Demonstrationen gegen die Regierung eher ungern gesehen. In beiden Ländern wird »Wahrheit« von einer kleinen, bürokratischen Elite festgelegt.

Neben der schieren Größe und Bevölkerungszahl und der in Deutschland durch Propaganda und Bildungsstau ermatteten Zukunftsfreude unterscheidet Deutschland jedoch von China (und den meisten anderen Ländern dieses Planeten), dass sich in Deutschland die umfassende Propaganda gegen den Erfolg des eigenen Landes richtet (und »Erfolg« vom wirtschaftlichen Erfolg, Sicherheit und allgemeinen Wohlstand zu »moralischem Erfolg« umdefinieren will).

Und doch, die Krisenmeldungen von drohender »Stagflation« waren absehbar. Der Erfolg eines Landes wird von seiner kulturellen DNA geprägt, den nationalen »relevanten Strukturen«, und eine »Stagflation« wäre die wenig überraschende erste Konsequenz der Nationalsuizid-Propaganda. – Meine eigentliche Meldung des Tages (ob aus China oder anderswo) ist noch immer eine andere, nämlich…

Elektronische Drogen

Es kommt nicht häufig vor, dass ein chinesisches Staatsmedium kulturelle Phänomene in China selbst offen kritisiert. Ende Juli/Anfang August 2021, so wird berichtet (etwa von bbc.com, 2.8.2021) sollen chinesische Staatsmedien im Bezug auf Online-Spiele von »elektronischen Drogen« und »spirituellem Opium« gesprochen haben. (Ich sage »sollen … haben«, denn inzwischen wurden die entsprechenden Online-Texte wohl heruntergenommen, siehe zeenews.india.com, 4.8.2021, straitstimes.com, 4.8.2021, und es werden wieder die wirtschaftlichen Aussichten elektronischer Unterhaltung gepriesen, siehe etwa en.ce.cn, 3.8.2021.)

Die neue Rede vom »spirituellen Opium« ließ die Aktien wichtiger Gaming-Anbieter wie Tencent fallen (shine.cn, 3.8.2021, forex.com, 3.8.2021). An der Börse von Hong Kong steht Tencent aktuell (4.8.2021, 10:00 GMT) mit 456,80 Hongkong-Dollar um 17,55% niedriger als noch vor einem Monat.

Das Stichwort »spirituelles Opium« ist nicht neu (wir finden es etwa in kultur-wissenschaftlichen Publikationen von 2020). Es ist auch nicht das erste Mal, dass Chinas Regierung zu entsprechenden Maßnahmen greift. Neu ist allerdings, dass man der chinesischen Regierung den Warnschuss glaubt.

Das chinesische Staatsmedium »China Economic Information Daily« wird zitiert:

Keine Industrie und kein Sport kann erfolgreich sein, indem sie eine ganze Generation auslöscht.
(China Economic Information Daily, meine Übertragung aus dem Englischen, zitiert nach Bloomberg.com, via YouTube; das Zitat ist vielfach via Google auffindbar)

Online-Gaming-Firmen wollen es nun technisch ermöglichen, das Online-Spielen für Kinder drastisch zu reduzieren. Tencent erwägt, etwa via Gesichtsscan zu prüfen, ob Kinder spielen, und deren Spielzeit zu limitieren, oder für Kinder unter 12 Jahren das Online-Spielen ganz zu sperren (siehe etwa time.com, 3.8.2021).

Und wir?

Ich frage mich: Hätte Deutschland die Kraft, Kindern etwa das Online-Spielen zu verbieten? Hätte es die Motivation?

Die erste realistischste Antwort scheint mir zu sein: In Deutschland ist Online-Gaming-Sucht nicht in allen Schichten gleich vertreten. Der kulturell und politisch dominierenden Schicht aber könnte der Lebenserfolg von Kindern sozial schwächerer Schichten – die von der Kulturlinken ja offen verachtet werden – kaum egaler sein. Die Kinder der tonangebenden »Guten« besuchen Privatschulen mit Waldspielplatz, am Nachmittag gehen sie Reiten, Golfen und zum – jetzt wird es extra ironisch – Chinesisch-Unterricht. Die Zukunft der Kinder einfacher sozialer Schichten interessieren die »Guten« genau gar nicht (die sind im Zweifelsfall eh »besorgt« und damit »nazi« und also »super pfui«).

Kinder sind für die »Guten« wenig mehr als Petrischale ihrer Toleranz-Experimente. Nein, ich betrachte es nicht als realistisch, dass irgendwer in Deutschland die politische Kraft aufbringt – oder auch nur im Ansatz die technisch-kulturelle Kompetenz – Kinder durch ernsthafte staatliche Intervention vom Online-Gaming abzuhalten. (Und was hätte er dann anzubieten? Wollen Politiker, die nichteinmal hinbekommen, ein Buch plagiatfrei schreiben zu lassen – geschweige denn, es selbst zu schreiben – den Kindern des Landes empfehlen, was, wie und mit welchem Ziel sie lernen sollen?)

Es ist ja nicht so, dass Deutschland nicht prinzipiell gewillt wäre, von Staats wegen in die Erziehung von Kindern einzugreifen. Der große Unterschied etwa zu China ist, mit welchem Zweck und zu welchem Ziel man Kinder »steuert«!

Eine Phalanx von deutschen Propaganda-Vereinen (teils aus dem Ausland finanziert) liefert (den oft ohnehin ideologisch strammen) Lehrern (und Journalisten) die Vorlagen, um das Denken von Kindern (und nach geistiger Anleitung dürstenden Erwachsenen) im Sinne linksglobalistischer, und also national-suizidaler Ideologie zu formen.

Man ist bereit, bei der Umsetzung der neuen Ideologie sogar eine bestimmte Zahl von Kindern zu opfern, etwa wenn sie pubertierende Mädchen indoktrinieren, Vorsicht gegenüber »jungen Männern« walten zu lassen sei »rechts« und »nazi«, was immer wieder zu Leid führt (siehe »Seid’s ihr völlig deppert?!« von 2018) – aber eben bei den Kindern einfacher Leute, nicht bei den Kindern der »Guten« selbst (siehe Essay vom 02.08.2018: »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute«).

Wie sollte er auch?

China nimmt die Suchtfaktoren des Online-Gamings zur Kenntnis – und will, dass Kinder lieber lernen, diese von künstlicher Intelligenz unterstützten Drogen für die Kinder anderer Länder zu programmieren. Ich habe erhebliche Zweifel, dass die selbst im Bundestag wie süchtig an ihren Smartphones klebenden deutschen Talkshow-Sesselbeschwerer überhaupt verstehen, worum es geht. (In Deutschland ist man derweil stolz wie Apfelkuchen, dass die Regierung für ihre viel-zu-vielen teuren Websites – irgendwie müssen die Kumpels in den Agenturen ja mit Steuergeld versorgt werden – jetzt eine übergreifende Suchfunktion hat! Wow! netzpolitik.org, 3.8.2021 dazu: »Dorothee Bärs intelligente Suchmaschine ist leider ziemlich doof«.)

Deutschland gleitet in eine Art der »Zukunftsanarchie« hinein. Die Vergangenheit wurde  vergessen, die Gegenwart wird eher so palliativ verwaltet – und die Zukunft ist eine weiße Karte, und ohnehin von wenig Interesse für eine ethisch leere (und oft selbst kinderlose) Politikerklasse, deren Planungshorizont der Zeitpunkt ist, ab dem sie von der frühen Politikerrente samt der üblichen Zusatzverdienste komfortabel auskommen können.

Ob Chinas Ambitionen in Sachen künstlicher Intelligenz (siehe Essay vom 2.4.2019) oder aktuell der Vorstoß zur Eindämmung der Suchtfaktoren digitaler Drogen, die Lehre muss für den einzelnen Bürger im Westen sein, selbst in eigener Sache zu handeln, wo die intellektuell abgehalfterten Maskendealer und Plagiatoren einfach nicht intellektuell oder auch nur moralisch in der Lage sind, klug Verantwortung zu übernehmen.

Frucht und Folge

Nein, der deutsche Staat wird deine Kinder nicht vor dem digitalen Heroin des Online-Gaming schützen. Der deutsche Staat wird deine Kinder nicht vor der Irrelevanz einer beruflichen Qualifikation schützen. Der deutsche Staat wird ganz bestimmt nicht garantieren, dass deine Kinder einen sinngebenden Arbeitsplatz finden, oder gar dass sie die fachliche wie auch geistige Qualifikation besitzen, ein Unternehmen zu führen – wie sollte er auch?

Ich glaube an die Hoffnung, die dem eigenen Handeln entstammt. Gerade heute, gerade für Eltern in Zeiten digitaler Drogen und anderer Verführungen, folgt daraus doch: Jede Hoffnung, die du für dich und deine Kinder (berechtigt) hegen möchtest, kann und wird nur die Frucht und Folge deiner Handlungen sein.

Ähnlich poetisch, doch knapper gesagt: Du willst Hoffnung haben? Niemand, kein Fremder wird sie dir geben. Schaffe dir selbst einen Grund, der stark genug ist, deine Hoffnung zu tragen!

Weiterschreiben, Wegner!

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