Dushan-Wegner

09.02.2019

Den Vernünftigen fehlt »das große Gefühl« – das ist ein Problem

von Dushan Wegner, Lesezeit 10 Minuten, Bild von Irina Iriser
Von Refugees Welcome bis Greta-Fieber – Linke und NGOs verbreiten ihre Ideologie durch postfaktische Emotionen – es ist dringend Zeit, dass Vernunftaffine lernen, die Emotionalität der Fakten und Zusammenhänge zu sehen … und zu formulieren!
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Wofür lernen wir denn, wofür gehen wir zur Schule? Um aufs Leben vorbereitet zu sein, und auf gewisse Weise auch, um uns selbst zu erkennen?

Als ich zur Schule ging, da lasen wir die Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir vertrauten den Nachrichten am Abend im Fernsehen, und wer es sich leisten konnte, der abonnierte (und genoss!) die FAZ, denn dahinter steckte bekanntlich stets ein kluger Kopf. Man kaufte am Montag (!) den Spiegel und als ich selbst schon groß war, kaufte ich auch mal am Donnerstag die Zeit, doch lieber besuchte ich eines der Kölner Cafés, wo diese und andere Periodika auslagen und bis heute ausliegen (sehr zu empfehlen: Museumsfrühstück im MAK). All diese Werkzeuge des Bürgerwerdens und Bürgerseins halfen damals, mich selbst zu erkennen – zumindest als Bürger.

Ich hörte zu, wie meine Eltern vor der Wahl besprachen, was sie wählen würden, und ich erinnere mich, wie ich das erste Mal in einer Grundschule von Hürth (Vorort von Köln) wählen ging.

Diese Fragmente und Aspekte, die Bildung in demokratischen Angelegenheiten, das Informiertsein über das aktuelle Geschehen im eigenen Land und in der Welt, die zumindest passive Beteiligung an intellektueller Debatte, und dann natürlich das eigene Ankreuzen eines Kandidaten und einer Partei im Wahllokal, all das formt zusammen etwas, das man Demokratiekompetenz nennen könnte, doch ich würde es weiterziehen als nur diesen einen Begriff.

Schreiben, Lesen, …

Der Fisch hat keinen Begriff von Wasser und er versteht auch nicht, wie wichtig das Schwimmen ist. Der im Westen aufgewachsene Mensch, vor allem der unreflektiert-emotionale, sieht und versteht oft nicht, wie viele Denkweisen er tatsächlich kennt, beherrscht und erfolgreich einsetzt – einsetzen muss – um auch nur einen Tag in der Gesellschaft skandalfrei zu bestehen. Zu der Kompetenz in demokratischen Angelegenheiten kommen ja weitere, wie etwa die Medienkompetenz und die Kompetenz in Kulturtechniken wie Schreiben, Lesen oder schlicht die Morgentoilette.

(Dass ein Mensch sich einiger seiner wichtigsten Kompetenzen nicht bewusst ist, ist ganz wesentliche Voraussetzung gutmenschlicher Multikulti-Phantasien – man geht davon aus, dass auch jeder Fremde genauso tickt wie man selbst – ein oft unangenehmer und bei Gelegenheit tödlicher Fehler.)

Da wir uns unserer Kulturtechniken und Kompetenzen oft nicht bewusst sind, könnten wir Gefahr laufen, gar nicht zu bemerken, dass und wenn uns neue Techniken und Kompetenzen fehlen. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie sich den Mund fusselig argumentieren, bis zur Erschöpfung, und doch genausogut gegen einen Wand anschreien könnten? Es ist möglich, dass Ihnen eine wichtige Demokratie- und Kulturtechnik fehlt.

Doch welche?

Die Quellen unserer Gewissheit bröckeln als solche dahin. Von der Bundeszentrale für politische Bildung, die schon mal Experten auftreten lässt, die auch für die Amadeu-Antonio-Stiftung auftraten (siehe z.B. bpb.de, 2015), bis hin zum Relotius-Blatt Der Spiegel – was uns einst klüger machte, das sollte man heute klugerweise wohl lieber meiden.

Die Zeiten haben sich geändert, und es bräuchte neue Techniken, neue Quellen, neue Denkweisen – doch welche?

Abbild und Mitmensch

Jede Technologie und jede Technik sind eine Reaktion oder zumindest ein Abbild zu und von Ereignissen und Eigenschaften der Welt, selbst und gerade, wenn sie proaktiv in diese hineingreifen! Die Mathematik bildet Tatsachen der Welt ab, wie etwa dass zwei Äpfel plus zwei Äpfel stets vier Äpfel ergeben, egal was sie in der Zeitung schreiben; auch ganz weiche Kulturtechniken wie die blanke Höflichkeit oder die Schrift vermitteln zwischen realen Tatsachen wie der Beschaffenheit unseres Gehirns und der Gegebenheit unserer Mitmenschen.

Dass die Welt insgesamt und – unter anderem – ganz besonders die öffentliche moralische und politische Debatte sich verändert haben, dass wird kaum jemand bestreiten, ganz egal, ob er konservativ, liberal oder irregeleitet ist (ja, das war ein Scherz, also ein Zusammenführen von Wahrheit, Schmerz und Verfremdung).

Die Welt und die Debatte sind heute anders als die vor 10, 20 oder 30 Jahren – doch haben wir passende neue Demokratie- und Kulturtechniken entwickelt?

Gratisgeld für alle!

Wer vor einem Jahrzehnt ins Koma gefallen wäre und heute aufwachte, der könnte anhand der politischen Debatte meinen, sich in einem Psycho-Experiment wiederzufinden. Die öffentliche Debatte und Politiker-Äußerungen ähneln immer mehr einem dauernden Strom emotionaler Trigger statt kohärenter Argumente. Statt zu argumentieren, werden emotional wirksame Sinnfragmente in die Debatte geschossen, ununterbrochen.

Es braucht einen neuen Begriff, der über Populismus hinausgeht. Populismus ist unangemessene Vereinfachung von Problemen oder Lösungen; wie aber nennt man es, wenn das Geäußerte nicht einmal mehr vereinfacht sondern schlicht inkohärent ist, wenn es keinen zuverlässigen Bezug zur Realität hat und gar nicht erst versucht, insgesamt einen Sinn zu ergeben, und sei es auch nur ein stark vereinfachter? (Offene Grenzen! Kohleausstieg! Freie Migration! Gratisgeld für alle! Toleranz für archaische Kulturen und LGBTQ! Existenzrecht für Israel! Kohleausstieg! Kuscheln mit Iran! Etc. pp.)

Für Liberale, Konservative und überhaupt alle von uns, die eine produktive Korrespondenz von Sprache und Welt zu schätzen wissen, wird der emotionale Nonsens-Strom, der heute konventionelle Debatte zu ersetzen droht, zugleich wie eine Lächerlichkeit und wie eine kaum zu überwindende Hürde wirken. – Einst haben Politiker wie Strauß oder Wehner ihre Argumente in der Sache bei Bedarf mit Emotion und Auf-den-Tisch-Hauen farbig untermalt, doch das hat sich heute um 180 Grad gedreht: Politiker, gerade bei SPD und Grünen – und davon inspiriert auch mal die von der CDU oder sogar der FDP (etwa Lambsdorff bei der Migrationspakt-Debatte) – produzieren einen Strom emotionaler Triggerwörter, bei denen es heute die Fakten zu sein scheinen, die nach Bedarf und Belieben eingestreut werden, um die Emotionen zu bekräftigen.

Ausgelacht …

Es ist verständlich, wenn der charakterlich stabile Bürger sich von der heutigen fakten- und zusammenhangsfreien Hysterie lachend und/oder angeekelt zurückzieht – doch damit zieht er sich eben aus der Debatte insgesamt zurück.

»Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du« – mit diesen Worten zitieren auch Linke den US-Gewerkschafter Nicholas Klein, und meinen, sie würden Gandhi zitieren, und in der Sache liegen sie ja (zu oft) richtig – allerdings fragt man zu selten, ob der Grund, warum man erst ignoriert, dann ausgelacht und dann bekämpft wurde, nicht schlicht der war, dass man erstens schreiend inkompetent und zweitens genau deshalb gefährlich für die Allgemeinheit ist.

Wenn man für sein Anliegen erst ignoriert, dann ausgelacht und schließlich bekämpft wird, dann kann das auch daran liegen, dass das Anliegen sehr dumm und in seiner Dummheit gefährlich ist. Ausgelacht zu werden allein ist noch keine Auszeichnung, sonst könnten wir auch gleich Dorftrottel und Trunkenbolde zu Ministern erklären – die Vernunftnahen tun sich und der Welt keinen Gefallen, es immer nur beim Auslachen der Hysterischen zu belassen.

Nur emotional

Die neue Nervosität in einigen deutschen Städten, die schleichende Deindustrialisierung und andere »gute« Experimente müssen endlich die vernunftaffinen Kräfte motivieren, ihren Bezug zur Emotion neu zu bedenken.

Emotion wirkt, und (nicht nur) die Deutschen wählen auch mal Politiker, die das Land vor die Klippen fahren, wenn diese den Wähler im magischen Kreuzchenmoment nur emotional ansprechen. – Die Bewahrer und Demokratiefreunde müssen besser darin werden, Emotionen anzusprechen.

Der Tränenauftritt

Einst trennte man zwischen dem Privaten und dem Politischen, spätestens mit der Politik der ersten Person entdeckte man das Machtpotential des politischen Sich-selbst-auf-Links-Ziehens.

Postrationale PolitikerInnen entdecken den Tränenauftritt als Debatten-Umlenkung, den Hashtag als Debatten-Simulation und das emotional aufgeladene Schlagwort (»Rechter«, »Populist«, etc.) als präventive Debatten-Vermeidung.

Nicht-Linke werden dem inkohärenten Trigger-Strom nicht einfach so ausweichen können, und sie werden auch nicht in derselben Kategorie mitspielen können, das ist deren Terrain, die würden uns mit Erfahrung besiegen.

Warum diskutieren Journalisten denn die merkwürdige Greta Thunberg, aber nicht z.B. Öko-Aktivisten, die sich für Nukleartechnik als umweltfreundlichste Lösung einsetzen? Weil »dumm klick gut« gilt?

Neue Medienkompetenz

Ich sehe eine neue Kulturtechnik und zugleich einen viel zu wenig bedienten, ja, geradezu dürstenden Meinungsmarkt.

Wir wissen alle, ob konservativ, liberal oder irrational, wie man schreibt, wie man liest und wie man sich die Schuhe zubindet.

Wir, die Bewahrer, müssen – oder zumindest: sollten – lernen, den emotionalen Grund unserer politischen Perspektive a) zu verstehen, und b) in Sprache zu formulieren, so dass es c) wählbar und dann politisch umsetzbar ist.

Wenn der Staatsfunk aus einer Gruppe von 1000 Migranten die wenigen kleinen Kinder zeigt (und sie »Flüchtlinge« nennt), aber nicht die weit häufigeren jungen Männer im wehrfähigen Alter, dann emotionalisieren sie, und diese Emotionalisierung ist als Lüge deutbar. – Es ist inzwischen Teil einer neuen Medienkompetenz, solche Manipulation zu erkennen.

Es gilt heute, über die erste Kompetenz hinauszugehen, und nicht nur die Emotionalisierung der Halbwahrheit erkennen, sondern auch lernen, die Wahrheit zu emotionalisieren.

Wir gingen zu lange davon aus, dass die Kraft der Wahrheit und des besseren Arguments sich schon durchsetzen wird (Habermas spricht vom zwanglosen Zwang des besseren Arguments), und wir müssen uns eingestehen, dass aller Vernunftzwang wenig gilt, wenn nur der Unsinn grell genug daherkommt.

Beispiele

Aus der SPD heißt es derzeit (@karl_lauterbach, 6.2.2019/archiviert), die AfD gehe vor »wie ein Diktator«, weil sie den Verfassungsschutz verklagt. – Ausgerechnet die Partei, die den Rechtsstaat mit ihren Angriffen auf Maaßen und ihren Lügen zu Chemnitz beschädigte, sieht nicht, dass der Weg des Rechtsstaats das exakte Gegenteil des Vorgehens eines Diktators ist. Die Äußerung des SPD-Prominenten ist unsinnig, aber sie fügt sich ein in den Strom emotionaler Trigger. – Die Aufgabe von Nicht-Linken und Demokraten wäre es, die Emotionalität des Rechtsstaates nachzuzeichnen: wie gut es sich anfühlt, den Staat als zuverlässigen und gerechten Partner zu wissen, der die allgemeinen Regeln (das Recht) ohne Ansehen der Person durchsetzt, et cetera.

Noch ein Beispiel: Wenn Grüne und eine gewisse »NGO« gegen die Dieselautos deutscher Arbeiter vorgehen, kann und sollte man die Argumente der Deindustrialisierer zerpflücken, doch es wird nicht genügen. Wer emotionalisiert den Arbeiter, der beraubt wird von der plötzlichen Dieselhysterie, wer den Fabrikarbeiter, der seine Stelle verliert? Wer emotionalisiert die Frau, die sich abends nicht mehr auf die Straße traut? Wer emotionalisiert das Kind, das Angst vor der Schule hat? Wer zeichnet die Leiden der Familie nach, wenn die Tochter von einem jungen Mann fürs Leben traumatisiert wurde? Wer emotionalisiert den Rentner, der nicht nur am Ende seines Lebens arm gelassen wird, sondern auch noch zusehen muss, wie alles, wofür er schuftete, verzockt und verschenkt wird, als wäre es wertlos, als hätten alle außer ihm und seinen Freunden ein recht darauf? Als ein Bürgermeister und Stadtwerke-Vorsitzender einen Schrecken und Kratzer abbekam, von einem, dem das Wasser abgestellt worden war, da wurde die angebliche 15-cm-Wunde unter einem Mini-Pflaster zum Anlass von Sondersendungen und öffentlichster Anteilnahme – es dauerte aber ein Jahr , bis Merkel am Breitscheidplatz vorbeiging, um dort dann für Selfies zu grinsen und Bratwurst zu begutachten? Wer zeigte aber das Leid der Opfer auf? Wer führt vor, wer fragt nach, was die Mutter des LKW-Fahrers durchmacht? (siehe auch: »Merkel hat das Blut meines Sohnes an ihren Händen«, welt.de, 18.12.2017) – Wer fragt nochmal nach, wie es der Mutter der ermordeten Susanna geht? (hier wurde es getan, in einer vergleichsweise kleinen Publikation: »Das Blut meiner Tochter klebt an den Händen von Frau Merkel«, juedischerundschau.de, 11.1.2019) – Auf allen Kanälen hörten wir von den Teddybär-Werfern, doch wer berichtet vom Leid der Opfer? (siehe auch: »Die Schuld der Gutmenschen«)

Leiden ist Hass

Wir sollten uns nicht in Illusionen wiegen: Die Emotionalität einer politischen Position aufzuzeigen, ist eine Technik, welche Linke, Postdemokraten und Globalisten für sich und allein für sich beanspruchen.

(Notiz: Eine der effektivsten Arten, die Welt zum Besseren zu verändern, könnte heute sein: Vernunftaffinen Menschen beizubringen, emotional wirksam zu reden – wenn Sie im Lotto gewinnen, sagen Sie mir Bescheid, dann machen wir eine Schule auf, bis dahin aber empfehle ich Relevante Strukturen und Talking Points.)

Propaganda-NGOs und PR-Agenturen schieben kleine Mädchen vor, um ein Thema maximal emotional aufzuladen (teilweise um die Welt reisende Aktivismus-Profis), doch wenn ein Rechtsstaatler und Nicht-Linker ein Thema emotional auflädt, schreien sie Zeter, Mordio und Populismus. Es wird viel Gegenwehr geben.

Wenn Nicht-Linke endlich lernen würden, die wahrlich vorhandene emotionale Qualität konservativer, liberaler und schlicht rechtsstaatlicher Standpunkte darzulegen, würde das Geschrei von Links nochmal neue Lautstärkepegel erreichen.

Mit den Medien und den Debatten ändern sich auch Medienkompetenz und Demokratiekompetenz.

Wer heute an der Demokratie mitarbeiten will – und selten war es dringender! – der muss nicht nur emotionale Argumente erkennen können, sondern auch eigene, stärkere formulieren. Wenn die Lüge Abend für Abend schrill und bunt in die Wohnzimmer der Nation schreit, sollte die Wahrheit mehr tun, als nur in demütigen Grautönen zu flüstern.

Die Linke hinkt auf dem rationalen Bein, die Nicht-Linke auf dem emotionalen – die Linke könnte etwas über Welt und Zusammenhänge dazulernen, wenn sie zur Emotion die Ratio dazunähme, und wenn Nicht-Linke sich darin üben würden, die Emotion hinter der Ratio auszuformulieren, könnten sie etwas über sich selbst lernen.

Die Welt ist heute eine andere als die vor 10, 20 oder 30 Jahren, und in weiteren 10, 20 und 30 Jahren wird die Welt wieder eine andere sein – doch, was auch immer die Zukunft bringt, es ist immer ein guter Rat, mehr über seine eigenen Beweggründe und inneren Motivationen zu lernen.

Wir wollen in uns selbst hineinblicken. Wir wollen erkennen, was die Emotionalität hinter unseren Zielen ist!

Auf denn, denkt, ihr Denkenden, blickt in euch! Erkennt die Motivation hinter der Agitation, die Emotion hinter der Ratio, kurz: Sapere (sed etiam sentire) aude!

Weiterschreiben, Wegner!

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