Dushan-Wegner

20.03.2018

Das große Schweigen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von 小胖 车
Ich erwarte von einem Gebrauchtwagenhändler, dass er mir sagt, was am Auto WIRKLICH fehlt. Wäre es nicht ein Traum, wenn das Fernsehen auch nur halb so glaubwürdig wie ein Gebrauchtwagenhändler wäre?
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Ich verstehe Sie, liebe Leser, Sie wollen auch mal lachen. Ich will hier und heute mit Ihnen über eine Sagen-Fabel sprechen, über das Wesen der Lüge und über Relevanz. Weil wir aber Menschen sind, und weil Menschen gerne lachen, eröffne ich diesen Text mit etwas fürwahr Lustigem!

Gestern, in der Tagesschau am Abend, berichteten sie kritisch zur Putin-Wahl in Russland:

Eine Wahl ohne echte Konkurrenz, hieß es hier, sei keine Wahl. – Michael Georg Link (OSZE): »Beschränkungen der grundlegenden Meinungs- und Redefreiheit führten zu einem Mangel an echtem Wettbewerb. Zwar konnten die Kandidaten im allgemeinen frei ihre Kampagnen führen, doch die ausufernde und unkritische Berichterstattung über den Amtsinhaber in den meisten Medien führte zu ungleichen Chancen.«
tagessschau.de am 19.03.2018 im 20:00 Uhr, in einem Bericht über die Wahlen in Russland

Wenn Sie genug gelacht und dann einen Aufsatz zum Thema »Wenn Mangel an Reflexion zur unfreiwilligen Selbstironie wird« an die Tagesschau-Redaktion gemailt haben, lassen Sie uns, wie versprochen, über eine Äsop-Fabel reden, die sich in der griechisch-römischen Mythologie bedient.

Prometheus, abgelenkt

Zuerst war da Gaia, die Erd-Göttin, die Gebärerin. Sie hatte Tempel dort, wo sich Priester trafen, um die Orakel zu sprechen. Gaia hatte einen Sohn – streng genommen hatte sie viele Kinder und Nachkommen, aber wir wollen hier über den Sohn Dolus reden.

Wenn ein Jurist über Sie spricht, und er etwas mit »Dolus« sagt, dann meint er eigentlich: »Das hast du absichtlich getan!« – Das passt, denn Dolus, dieser Daimon (Geistwesen oder Halbgott) ist die personifizierte List und Täuschung – womit wir beim Thema wären!

Eine Fabel des Äsop (Nr. 535 nach Perry) berichtet uns von Dolus dies:

Prometheus hatte in seiner Töpferwerkstatt eine Statue der Wahrheit geformt. Er hatte all sein Können hineingelegt, denn die Statue sollte die Menschen in ihrem Handeln anleiten.

Zwischendurch rief ihn Jupiter von der Arbeit fort. (Von wegen, wir sind heute bloß wegen E-Mails und Smartphones so abgelenkt!)

Prometheus meinte, dass es eine gute Idee sei, Dolus zur Beaufsichtigung seiner Arbeit in der Werkstatt zu lassen! Hätte er das Sprichwort »Nomen est omen« (»Name ist Zeichen«) gekannt, dann hätte er es sich vielleicht überlegt, denn »Dolus« heißt ja wörtlich »List« – wie langweilig wären aber die Sagen und Fabeln, wenn die Figuren sich allezeit an den in die Geschichte hineincodierten Rat hielten!

Prometheus ließ also Dolus als Aufpasser da, und dieser Dolus war ein Schelm! Dolus vertrieb sich in der Werkstatt die Zeit damit, dass er eine zweite Statue schuf, dem Bildnis der Wahrheit aufs i-Tüpfelchen gleich – bis auf einen kritischen Unterschied: Der Kopie fehlten die Füße!

Als Prometheus zurückkam (nachdem er Jupiter beeindruckt hatte, indem er dessen Computatrum durch Abschalten und Neustarten reparierte) und die zwei Ton-Statuen sah, war er von der Schönheit der zweiten Statue beeindruckt. Prometheus übersah prompt deren Mangel an Füßen und schob beide Ton-Statuen in den Ofen, und, als der Ton hart gebrannt war, hauchte Promotheus beiden das Leben ein.

Die Wahrheit konnte anschließend in die Welt schreiten, auf ihren feinen, hübschen Füßen – die von der List getöpferte Lüge aber musste auf ihren allzu kurzen Beinen am Ort verharren.

Wo sind deine Füße, Lüge?

Über die Jahrtausende wurden diverse Metaphern für die absichtsvolle Unwahrheit ausprobiert. Diese Fabel des Äsop scheint mir besonders passend für eine bestimmte Form von Unwahrheit, die Millionen Deutsche allabendlich im Fernsehen erleben.

Was haben Wahrheit und Lüge (in dieser Fabel) gemeinsam? Sie sind fast in allem gleich und sie haben eine bestimmte Ästhetik.

Der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ist, hier, das Vorhandensein der Füße, die Verankerung mit dem Boden der Realität.

Lassen Sie mich Ihnen einen Vorschlag vorlegen für eine eigene Deutung: Die Füße stehen für die Relevanz. Eine Aussage, der die Relevanz fehlt, kann man unter Umständen Lüge nennen.

Welcher Sprengstoff?

In Rudolstadt, Thüringen, wurden im Antifa-Umfeld über hundert Kilogram Chemikalien gefunden, die wohl als »gefährliche Substanzen« gelten, sprich: mögliches Rohmaterial für Sprengstoff. (Bericht zum Beispiel bei welt.de)

Viele Deutsche erinnern sich noch an den linken Terror der RAF. Wir alle erinnern uns an randalierende und buchstäblich brandschatzende linke Mobs beim G20. Merkel-kritische Veranstaltungen müssen immer öfter unter Polizeischutz stattfinden, um die Teilnehmer vor Antifa-Angriffen zu schützen. Bei einer Demonstration gegen die Regierung wurde letztens ein Schild hochgehalten, das die allgegenwärtige Bedrohung durch linke Gewalt auf den Punkt bringt:

I have a dream: Dass ich eines Tages ohne massiven Polizeischutz meine Meinung äußern kann!
Banner bei Anti-Merkel-Demo

Mann muss schon außerordentlich haltungsbegabt sein, um im Erstarken linker Gewalttäter kein die Gesellschaft insgesamt bedrohendes Problem zu erkennen. Wenn jemand, der die Demokratie verachtet, mit Sprengstoff erwischt wird, dann ist das ohne Zweifel ein für alle Bürger relevantes Thema.

Das implizite Versprechen einer Nachrichtensendung wie der Tagesschau ist, dass sie berichten, was für den Bürger als Bürger relevant ist.

Wenn sie bei tagesschau.de nach »Rudolstadt« suchen (Stand 20.3.2018, Mittag), ist der neueste Bericht von 2011. Es geht um, klar, Nazis. In der 20-Uhr-Tagesschau gestern Abend liefen so brennend aktuelle Nachrichten wie »Straßenbahn-Unfall in Kassel« und »Erneuter Wintereinbruch in Osteuropa«. Dass es auch im März im Osten kalt sein kann, ist für die Tagesschau wichtiger als dass Linkextremisten aufrüsten und Bombenmaterial horten. Spätestens wenn sie im Beitrag zur Putin-Wahl die selektive Medienberichterstattung zugunsten Putins kritisieren, wie zum Einstieg zitiert, wird aus der verzerrten Realität eine zynische Verhöhnung des zwangszahlenden Zuschauers.

Das brüllende Schweigen, als der GEZ-Funk sich tagelang nicht bequemen konnte, von der Gewalt zu Silvester am Kölner Hauptbahnhof zu berichten, war wohl eher kein einmaliges Phänomen.

Immer wieder werden Nachrichten von der Tagesschau als nicht genügend relevant betrachtet, obwohl sie das Leben von Millionen von Menschen negativ betreffen und mit aktueller Politik zusammenhängen, obwohl sie die Demokratie und öffentliche Ordnung angreifen, obwohl sie ein Zeichen für problematische Entwicklung in Deutschland und Europa sind.

Mit etwas Zynismus könnte man den vorherigen Absatz neu lesen und versuchen, »obwohl« durch »weil« zu ersetzen. Wollen wir uns wirklich solchen düsteren Spekulationen hingeben? Nein. Wir wollen auch keine Verdächtigungen darüber anstellen, ob irgendwelche Tagesschau-Mitarbeiter gar Sympathien mit den Gewalttätern der Antifa hegen. Die hätten es ja gesagt, wenn sie es täten, mindestens auf Twitter oder Facebook.

Nehmen wir etwa Telford in Großbritannien. Es ist herausgekommen, dass sogenannte »Grooming Gangs« systematisch minderjährige Mädchen missbrauchen. Der Mirror geht von einer vierstelligen Zahl an Opfer aus. Vierstellige Zahl! Man fühlt sich erinnert an Rotherham. Wenn Sie nach »Telford« suchen auf tagesschau.de, kommt derzeit nur ein Artikel zum Wahlkampf von 2017. Warum berichtet die Tagesschau nicht von einem solchen Skandal? Das große Schweigen.

Wir könnten die Liste verlängern. Versuchen Sie mal, einen positiven Bericht über Trump zu finden, etwa über die brummende Wirtschaft!

Es ist ja nicht so, dass das GEZ-Fernsehen nicht von den fehlenden Meldungen wüsste. Sie scheinen das Netz zu durchkämmen nach kritischen Meldungen, und dann diejenigen herauszusuchen, welche wohl falsch sind, etwa das kursierende Foto vom Mercedes vor der Tafel in Landau. Sie ignorieren 999 wahre Meldungen, um dann (wie hier Patrick »Antifa ist nur Musikgeschmack« Gensing), die falschen Meldungen herauszugreifen, als ob sie stellvertretend für sämtliches Hinterfragen des offiziellen Narrativs wären.

Richtige Frage, falsche Antwort

Der Zwangsgebührenzahler, der sich Abends vor die Tagesschau setzt, tut dies mit einer impliziten Frage: Was ist heute relevant?

Was bedeutet »relevant« in diesem Moment? Es bedeutet: Was bewegt mein Land? Wohin entwickelt sich die Gesellschaft, wie betrifft es mich? Vor welcher Gefahr sollte ich mich hüten? Was muss ich wissen, um für die Zukunft gewappnet zu sein? Wie beeinflusst die Politik mein Leben und die Gesellschaft?

Die Antworten, die er bekommt, mögen zwar für sich selbst richtig sein, als Antwort auf die implizite Frage sind sie eine Lüge.

Die ehrliche Relevanz sind die Füße, welche in Äsops Fabel die Wahrheit von der Lüge unterscheiden. Die Tagesschau pfuscht bei der Relevanz.

Wenn Sie ein gebrauchtes Auto kaufen, und den Verkäufer fragen, was man zum Auto wissen muss, und der Ihnen einzig sagt, hinten rechts sei ein Kratzer, am nächsten Tag stellen Sie fest, dass der Motor hin ist und ausgetauscht werden muss, was der Verkäufer hätte wissen müssen – hat er dann die Wahrheit gesagt oder hat er gelogen?

Wir erwarten vom Gebrauchtwagenhändler, das er weiß, was uns wichtig ist, welche Probleme das Auto hat – und dass er es uns auch sagt. Wenn er das uns Relevante weglässt, lügt er. Wäre es nicht ein Traum, wenn der GEZ-Funk auch halb so glaubwürdig wie ein Gebrauchtwagenhändler wäre?

Weiterschreiben, Wegner!

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