Ich denke dieser Tage immer wieder an das wohl berühmteste Zitat aus dem Film »The Usual Suspects«:

The greatest trick the Devil ever pulled was convicing the world he didn’t exist. (The Usual Suspects; siehe YouTube)

In der deutschen Synchronisation, Die üblichen Verdächtigen, wird das übersetzt: »Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war, die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht.« (siehe YouTube)

Unendlich viel falsch

Es muss in diesen Tagen wohl als Gedanke in der Luft liegen. Heute morgen stieß ich auf dieses X-Posting von NIUS-Chef Reichelt:

Der krasseste Trick des Teufels war es, die Welt davon zu überzeugen, dass er nicht existiert. Der krasseste Trick der linken Kulturkämpfer war es, den Konservativen einzureden, dass Kulturkampf sich nicht gehört. (@jreichelt, 13.07.2025)

Es ist eine stimmige analytische Analogie, und eine präzise, erfrischend neue Beobachtung sowieso. Der Vergleich »linker Kulturkämpfer« mit Satan wirkt ebenso stimmig wie charmant.

Doch nachdem ich das Posting las, fiel mir etwas auf: Wie sicher sind wir uns, dass der Autor des Postings, Herr Reichelt, selbst glaubt, dass der Teufel existiert?

Nicht wenige von uns haben den Film damals gesehen, und wir haben an dieser Stelle geschmunzelt. Wir haben uns konkret diesen Satz gemerkt. Ja, viele kennen genau diesen einen Satz, ohne den Film jemals gesehen zu haben! Wir haben das Zitat über die Jahre immer wieder auf konkrete Situationen angewandt, so wie Herr Reichelt es in diesem Posting tat. All das zusammen ist ein Hinweis darauf, dass in diesem Zitat eine Wahrheit enthalten ist.

Welche Wahrheit aber ist enthalten?

Ein Mensch, der sich für einen Ungläubigen hält, wird wohl so etwas sagen: »Dass der Teufel die Menschen überzeugt hat, dass es ihn nicht gibt, ist eine Metapher darauf, dass Menschen nicht vor sich zugeben wollen, dass eine ihrer Handlungen böse ist.« (Gut möglich, dass euch eine bessere »atheistische« Deutung einfällt. Wenn jede solche Deutung falsch ist, sind unendlich viele davon möglich. Während für die Gleichung »1 + 1« nur eine korrekte Lösung existiert, sind buchstäblich unendlich viele falsche Lösungen denkbar.)

Ich habe einen guten Teil meines Lebens der vergeblichen Aufgabe gewidmet, den Menschen zu erklären, wie ihre Begriffe von Gut und Böse funktionieren. Es hat mit Relevanten Strukturen zu tun, und über die Jahre hat sich jener Erklärungsansatz bewährt und bestätigt.

Der große Fehler meines (bisherigen) Lebens bestand jedoch darin, zu meinen, dass wenn Menschen nur verstehen, wie Gut und Böse funktionieren, sie schon noch motiviert sein würden, eine adäquate Harmonisierung anzustreben, sprich: im Rahmen und Kontext der realen Möglichkeiten gut zu handeln.

Oh, wie ich irrte!

Psychologie und das Wie

Wenn ich »böse Handlung« sage, meine ich hier: ein Handeln, das rational absehbar zum Schaden von Strukturen führt, für deren Erhalt der Einzelne verantwortlich oder in die er eingebunden ist – tatsächlich relevante Strukturen.

Was also treibt einen Menschen an, Böses zu tun? Und wenn er weiß, was ihn antreibt, woraus bezieht er seine Rechtfertigung?

Die Psychologie liefert verschiedene Erklärungen, doch sie wirken alle hilflos.

Theorien wie Moral Disengagement von Albert Bandura beschreiben, wie Menschen damit klarkommen, Böses zu tun. Zum Beispiel durch Anführen einer vermeintlich »höheren« Moral, etwa eines vermeintlich göttlichen Willens. Zum Beispiel durch euphemistische Sprache, welche die tatsächliche Tat verbirgt, etwa Frauenrechte statt Mord an ›störenden‹ Kindern. Zum Beispiel durch Diffusion von Verantwortung, wie etwa der Polizist, der Grundrechte-Demonstranten zusammenschlägt und dabei »nur Befehle befolgt«. Zum Beispiel durch Entmenschlichung der Opfer, wie etwa die deutsche Propaganda, die Andersdenkende heute als Ratten oder eiternden Blinddarm herabwürdigt.

Diese Ansätze erklären, wie böse Menschen das Böse ihrer Taten vor den noch nicht abgetöteten Resten ihres Gewissens verstecken. Es erklärt, warum sie das Böse überhaupt erst tun wollen.

Weitere Erklärungsansätze der Psychologie sind beispielsweise Narzissmus, Machiavellismus oder Psychopathie, doch wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass hier lediglich versucht wird, Metaphern oder Schemata für das Böse zu finden – aber nicht den Motor zu benennen, warum ein Mensch wissentlich Böses tut.

Als ich zum ersten Mal hörte, wie ein Mensch mit dem Vorwurf des »Narzissmus« um sich warf, las ich mal nach, was damit heute eigentlich gemeint ist. Die Literatur zitierte einleitend typische Beispielsätze von Narzissten, und ironischerweise war es wörtlich die Art von Sätzen, die jener Mensch unentwegt von sich gab. Später erfuhr ich, dass die Motivation der zum Narzissmus neigenden Personen eigene Verletzungen und frühere Verunsicherung sind.

Doch Narzissten sind nicht die einzigen Verletzten, und so bleibt die Frage wieder: Warum entscheiden sich manche Menschen willentlich und den Schaden sehend, dauerhaft und wiederholt Böses zu tun?

Das berühmte Stanford-Prison-Experiment beschreibt das Hineinrutschen in das strukturelle Böse. Hannah Arendt schrieb von der Banalität des Bösen. Besonders Hollywood hat große Freude an Filmen über Psychopathen, die Lust am Leid ihrer Opfer empfinden und in ihren Taten weder von Empathie noch von Gewissen oder der Angst vor Strafe gebremst werden.

All das beschreibt die Struktur, in der das Böse seine Handlungen umsetzt. Die frühen Verletzungen des Narzissten, der Empathiemangel des Psychopathen und so weiter, sie sind das Einfallstor des Bösen, sie sind aber nicht der Antrieb, der erste Motivator – die erste Krebszelle, die nicht rechtzeitig vernichtet wurde.

Die Psychologie, so meine ich heute, beschreibt das Wie des Bösen, aber nicht (überzeugend) dessen Warum. Ähnlich übrigens wie die Wissenschaft noch immer keinen Schimmer hat, wie Bewusstsein entsteht.

Nichtwissen und Verwirrung

Im Jahr 2023 veröffentlichte ich einen Essay, auch als Video, mit dem Titel »Wieviel Teufel steckt in der Politik?«.

Ich schrieb darin Sätze über meinen damaligen Stand der Erkenntnis, für die ich mich heute fast schäme, weil sie peinlich feige sind – und grob falsch dazu. Ich schrieb: »Ich halte ja ›Gott‹ für die metaphorische Anthropomorphisierung alles Seienden und seiner Regeln. Und ›Teufel‹ ist unsere metaphorische Sprache für ein gefühltes Prinzip hinter allem, was wir als böse erachten.«

Ich habe viele Jahre meines produktiven Lebens damit verbracht, nach Metaphern zu suchen. Mein Denken war derart von der Suche nach Metaphern vereinnahmt, dass ich nicht mehr anders konnte, als überall Metaphern zu sehen – mea culpa!

Heute spüre ich in den Knochen, dass es schlicht Feigheit ist, überall Metaphern zu sehen. Ich murmele »mea culpa« und schlage mir wieder auf die Brust. Ich lernte seitdem dazu, spätestens als ich gewisse »Reaktionen« sah; siehe mein Video dazu.

Ich sehe Menschen, die Böses tun und die eindeutig sehen, wie ihr Tun den Mitmenschen konkreten Schaden und Leid zufügt – und es dennoch weiter tun.

Und allzu oft kann ich deren Motivation nicht mehr allein durch Nichtwissen und Verwirrung erklären.

Auf Deutsch: Es existiert eine Kraft, die am präzisesten als Dämonen beschrieben ist. Eine externe Macht, welcher der Mensch das Tor öffnet (zum Beispiel durch Disziplinlosigkeit des einfachen Menschen oder bestimmte Rituale der Höhergestellten) und die den Menschen dann antreibt, Böses zu tun.

Und ich seufze

Der Film The Usual Suspects erschien 1995, also vor drei Jahrzehnten – ja, vor dreißig Jahren!

Ich stelle das fest und seufze: Wo ist bloß die Zeit geblieben?

Tatsächlich ist der Gedanke übrigens noch weit älter. Das aus dem Film bekannte Zitat findet sich praktisch wörtlich so bei Baudelaire: »que la plus belle des ruses du diable est de vous persuader qu’il n’existe pas«.

Mein zweiter, deutlich besorgterer Gedanke ist dann: Warum bloß hat sich in diesen dreißig Jahren die Menschheit geistig zurück-entwickelt?

Der größte Trick, so jenes Filmzitat, den der Teufel je durchgezogen hat, bestand darin, die Welt glauben zu lassen, dass er nicht existiert.

Statt »nicht existiert« ließe sich auch formulieren, »dass Dämonen nur Metaphern sind« – mea maxima culpa.

Gegen die bösen Geister

Wir hätten es ja alles wissen können! Wir wurden doch gewarnt, von Paulus persönlich:

Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen. (Epheser 6:12)

Dies ist nicht nur das Wort des Apostels. Es erscheint mir heute tatsächlich als die rationalste Erklärung für die Ereignisse.

»Ist halt so, kannst nichts machen«, »Die hatten eine schwierige Kindheit« und »Geld stinkt nicht« sind schon lange nicht mehr allein plausibel oder auch nur akzeptabel als Erklärung für das Böse.

Wir kämpfen nicht (nur) gegen Menschen aus Fleisch und Blut, wir kämpfen gegen die bösen Geister, in deren Dienst diese Leute stehen.

Es wäre rational, in diesem Kampf nicht allein dastehen zu wollen.