Testfrage an echte Waldfreunde: Wie heißt das Fell am Hinterteil von Reh und Hirsch? – Wissen Sie es? Es heißt: »Spiegel«.
Eine weitere Testfrage, nun an die Germanisten: Was bedeutet »ulen« im Mittelniederdeutschen? Okay, ich habe Germanistik immerhin im Nebenfach studiert und ich hätte es auch nicht gewusst – es bedeutet wischen.
Es gibt mehrere Deutungen des Namens »Till Eulenspiegel«. Einige sind höflich, etwa die, dass der Name von »ick bin ulen spegel« abgeleitet ist: Ich bin euer Spiegel.
Forscher haben herausgefunden, dass Leute, welche derb fluchen, im Durchschnitt besonders ehrlich sind. Der Titel der Studie ist toll: »Frankly, We Do Give a Damn«. In diesem Geiste gefällt mir eine weitere Deutung, eine derbere. Wen man »ulen« als wischen übersetzt und »spegel« als Hintern, dann bedeutet »Eulenspiegel«, in heutige Redeweise übertragen: Leck mich am Arsch!
Von Till Eulenspiegel wird nun erzählt, dass er einmal in Köln in eine Kneipe kam, und in dieser Kneipe wurde Braten gebraten, doch der Braten war, als Eulenspiegel dort ankam, noch nicht fertig. Eulenspiegel wartete also, knusperte etwas Brot, erfreute sich am Duft des Bratens, ohne etwas vom Braten zu essen. Obwohl Eulenspiegel nichts vom Braten aß, auch später nicht, als der Braten serviert wurde, verlangte der Wirt von Eulenspiegel, dass dieser bezahlen möge.
»Aber nein«, sagte Eulenspiegel, »ich bin vom Bratengeruch allein satt geworden!«
Der Bratenwirt aber insistierte; wer satt geworden ist, der möge bezahlen, ob er gegessen hat oder nicht.
Was würde Eulenspiegel tun? Würde er seinem Namen gerecht werden, ob in der einen oder in der anderen Deutung?
Das Bier rollt
Leitmedien in Deutschland und den USA haben aus gutem Grund ein immer schlechteres Image. Sie sind oft mit Politik, Konzernen und/oder NGOs verstrickt und ihre Produkte wirken exakt so.
Wenn jemand aus wolkigem Himmel just jetzt auf die Erde gefallen ist, und nicht ahnt, was die Ursache dieses schlechten Rufs sein könnte, dem sei exemplarisch ein Text mit dem Titel »Angela Merkel: Routiniert, bis es um Europa geht« empfohlen (zeit.de, 14.8.2018). Der Text von Ferdinand Otto ist, was man heute »Haltungsjournalismus« nennt – ich will es so formulieren: Selbst das Kanzleramt oder die Pressestelle des Konrad-Adenauer-Hauses würden wohl irgendwo im Kellergeschoss hinter alten Kisten einen letzten, blassen Funken politischen Anstands finden, der sie daran hindern würde, so eine klebrige Lobhudelei gegenüber der alternden Mächtigen zu verfassen (»Doch als die EU kritisiert wird, blitzt die Tiefe ihrer Überzeugung auf.«), aber lesen Sie selbst.
Man stolpert ja bei Gelegenheit über diese Artikel, wo ein Laster auf der Autobahn umkippt. Das Bier rollt (und fließt, wenn die Flaschen zerbrachen) über die Autobahn, und man ist dann doch über diese Verschwendung traurig, und manchmal kommen tatsächlich Leute vorbei und sammeln auf, was nicht verflossen ist. Nun stellen Sie sich vor, nicht ein Bierlaster, sondern ein Sirup-Tankwagen wäre umgekippt. (Es ist 2016 übrigens tatsächlich passiert, auf der A7.) Der klebrige Sirup fließt über die Autobahn. Stellen Sie sich vor, Sie müssen durch den zäh fließenden Sirup hindurchgehen. Die Schuhe kleben und jeder Schritt schmatzt. Genau so fühle ich mich, wenn ich solche klebrigen Hurra-Artikel lese, jeder Satz ein Schmatzen und anschließend will man duschen.
Ich will Ihnen den letzten Absatz dieses journalistischen Sirupbads in seiner klebrigen Gänze zitieren:
Die letzte Frage stellt eine pensionierte Lehrerin. Sie will wissen, wie ein europäischer Patriotismus aussehen kann: „Europa wird nur gelingen, wenn wir sagen, wir sind stolz darauf, verschieden zu sein“, sagt Merkel. „Ich will den Unterschied merken, ob ich in Spanien bin oder in Deutschland. Ich möchte spüren, ob ich in Mecklenburg bin oder in Thüringen.“
– zeit.de, 14.8.2018
Ignorieren wir für einen Augenblick die hässlichen Zollzeichen, die zeit.de statt orthographischer Anführungszeichen hier nutzt, und betrachten wir das perfide Ende dieses textgewordenen Zuckerschocks!
Zwei trickige Dinge
In diesem perfiden Merkel/Zeit-Absatz passieren zwei trickige Dinge – betrachten wir sie beide!
Erstens: Merkel nutzt ihren einen Trick. Statt über die Sache und politische Entscheidungen zu reden, verarscht – ja: verarscht! – sie die Zuhörer, indem sie das Gespräch auf die Emotionen zum Thema umlenkt und in der Sache beim Gegenteil bleiben kann. (Ich habe es in Texten wie Der »Eindruck« von Recht und Ordnung?! und Mit Gefühlsmenschen logisch reden beschrieben.)
Zweitens: Merkel erweckt den Eindruck, dass sie die Idee eines »Europas der Vaterländer« teilt. In der Praxis, in ihren politischen Entscheidungen, scheint Merkel jedoch zu handeln, als wollte sie das demokratische Deutschland im bürokratischen Europa aufgehen lassen, doch ihr simpler (und effektiver) Rhetorik-Trick erweckt den gegenteiligen, falschen, geradezu patriotischen Eindruck.
Paradies-Zwiebel
Nicht alle Berliner Lohntexte sind so Kaschmirpulli wie der Zeit-Artikel. Es gibt ihn noch, den guten Journalismus. Bei der BILD-Zeitung erfassten sie die Sach-Essenz, sie kratzten den Zuckerguss ab und entdeckten, dass der Kern der Sache das diametrale Gegenteil des pseudopatriotischen Zuckers ist. Der Titel zum selben Ereignis lautete dort: Bundeskanzlerin Merkel: EU-Kindergeld soll weiter gezahlt werden«.
Von wegen »stolz darauf, verschieden zu sein«. Merkel reduziert Nationen auf Volkstanz und Rostbratwurst. Der deutsche Steuerzahler ächzt unter einer Rekord-Steuerquote – mit Negativ-Rekord im persönlichen Vermögen. Stern.de schreibt: »Vermögensschock: Die Deutschen sind die armen Würstchen der EU. (…) Von den Ländern der alten EU liegt nur Portugal hinter Deutschland. In den meisten Ländern besitzen die Bürger mehr als doppelt so viel Vermögen wie hierzulande.« (stern.de, 5.1.2018)
Merkel jubelt gern bei Fußballmeisterschaften (so es denn etwas zu jubeln gibt) und lässt sich auch schon mal mit jenem halbnackten Integrationsbambigewinner fotografieren, sie schwärmt vom lokalen Matjes und auch sonst von nationalen Spezialitäten (welt.de, 27.2.2012: »Selbst mit fünf Bier im Nacken ist Merkel ganz cool«) – und praktiziert das Gegenteil. Merkels Politik ist wie ein Paradies-Apfel auf der Kirmes, in den jemand, unterm roten Zucker statt eines süßen Apfels, zum Scherz, eine gammlige Zwiebel versteckt hat.
Seinen Pfennig gezahlt
In unserer Geschichte von Till Eulenspiegel und dem Bratenwirt, wie hätte Till Eulenspiegel Ihrer Meinung nach reagieren sollen? Wie hätten Sie als Till Eulenspiegel reagiert?
Eulenspiegel hatte am Braten gerochen und für den Moment hatte er ein flüchtiges Gefühl von Sattheit.
Lassen Sie uns für die Antworten zwei verschiedene Till Eulenspiegels ausdenken: 1. Dummtill, und 2. Klugtill. – Wie würden Dummtill und Klugtill reagieren?
Dummtill würde sagen: »Oh, ja, der Bratenduft war lecker, hier ist mein Geld!«
Klugtill würde sagen: »Oh, nein, der Bratenduft ist doch nicht dasselbe wie der Braten – da zahle ich kein Geld!«
Kanzlerin Merkel ist wie der Bratenwirt aus der Till-Eulenspiegel-Geschichte. Merkel verkauft dem Wähler den Duft des Bratens, doch wenn dieser an der Wahlurne seinen Pfennig gezahlt hat, dreht sie sich um und verteilt den Braten lieber an die Nachbarschaft. Wer Merkel oder eine merkelfreundliche Partei wählt, ist der nicht wie Dummtill, der für den Bratenduft zahlt, und zusieht, wie die Nachbarn den Braten essen?
Der »echte« Till war natürlich ein Klugtill. Der Bratenwirt wollte für den Bratenduft bezahlt werden. Till Eulenspiegel nahm einen Pfennig und ließ ihn auf den Tisch fallen. »Hörst du das Klingen des Pfennigs?«, fragte Till den Bratenwirt, und der nickte. »Und so«, sagte Till Eulenspiegel, »bezahle ich den Bratenduft mit dem Klingen des Pfennigs!«
Der deutsche Wähler wird von Merkel verarscht, und Haltungsjournalisten helfen ihr dabei. Merkel verkauft den Wählern den Bratenduft – und schenkt den Braten dann jemand anderem.
Es ist Zeit, dass wir Merkel »den Spiegel vorhalten« (die andere Deutung für »Eulenspiegel« wäre hier doch arg unhöflich). Es ist ja nichts Verwerfliches daran, dass Merkel sich am Kanzleramt erfreut, doch sie sollte es bald wieder, wie wir alle, von außen tun.