Dushan-Wegner

04.02.2022

Der Faktenchecker will dich ins Bett bekommen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Dave McDermott
Der einzige Fakt, der vom »Faktencheck« wirklich »gecheckt« wird: Was du denken und sagen darfst, ohne Ärger zu bekommen. – Tatsächlich erklärt ein Propagandastaat, der »Faktenchecker« einsetzt, damit ALLES zur potenziellen Lüge.
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Ich wäre ein schlechter Sektengründer, ich könnte nicht einmal eine »harmlose« Religion erfinden, oder gar »nur« die Untergruppe einer Religion, eine Konfusion, pardon: Konfession.

Ich habe ja etwas Theologie studiert, doch nach einigen Semestern gestand ich mir ein, dass die ewige Fragespirale der Philosophie mir näher war. Man könnte in Bildsprache sagen: Das warme Bett der Dogmen und religiösen Wahrheiten bereitete mir Juckreiz, und also warf ich mich selbst aus dem Bett.

»Der Glaube gibt dir einen Halt im Leben«, so sagte man uns. Ich hörte es. Ich spürte die labende Wirkung dieser Worte. Ich gelangte aber an einen Punkt meines Lebens, an dem ich begriff: Der »Halt«, den der Glaube anbietet, er besteht auch (aber nicht nur) darin, dass er dem Gläubigen einen Vorwand gibt, nicht mehr weiterzudenken, nicht mehr weiter zu grübeln, sich nicht verpflichtet zu fühlen, immerzu jede Gewissheit zu prüfen.

Der Denkabbruch ist nicht der einzige Faktor, der einem Gläubigen inneren »Halt« gibt. Da sind weitere attraktive Elemente einer Religion, wie ein geregelter Tagesablauf oder die Gemeinschaft. Und viele Religionen weisen, da sollte man sich nicht vertun, aber auch sehr nützliche Aspekte, wie durchaus bewährte Lebensregeln (ich selbst lese etwa immer wieder gern die Sprüche Salomos oder die Pirkei Avot). Es ist der Denkabbruch, der mir an manchen Religionen die Bauchschmerzen bereitet – und zugleich ist dieser zumindest vielen Religionen wesentlich.

Es sollte ein Jahrzehnt dauern, bis ich begriff, wie wirkmächtig es ist, dass längst nicht nur die Religionen den »legitimierten Denkabbruch« als Produkt anbieten.

Verbot und Sanktionierung

Politische Parteien, Konzernmedien/Propaganda und Anbieter von Konsumprodukten liefern (neben Aspekten wie Identität) immer auch einen Vorwand, nicht mehr weiter nachzudenken.

Der Abbruch alles tieferen Nachdenkens und Hinterfragens ähnelt zentralen Regeln des gesellschaftlichen Lebens, etwa dem Verbot von Mord oder Diebstahl, indem es Versprechen und Verbot zugleich ist.

Dass Mord oder Diebstahl geächtet sind und bestraft werden, es verspricht dem Bürger, vor solchen Taten so sicher zu sein wie realistisch möglich. Dieses Versprechen ergibt sich aus dem Verbot samt der zuverlässigen und wirksamen Sanktionierung von Verstößen gegen dieses Verbot.

Ein Suchender wird inneren Halt in den Denkregeln einer Lehre finden, und zunächst empfindet er tatsächlich den vorgegebenen Denkabbruch als befreiend.

Einige der Haltsuchenden jedoch, nachdem sie einmal innerlich zur Ruhe gekommen waren, könnten das Bedürfnis verspüren, wieder selbst zu denken. Das ist dann der Moment, in welchem ein Teil dessen, was ihnen eben noch Halt gab, zu den schmerzhaften Fesseln eines streng geahndeten Verbots wird.

Ein solcher Denkabbruch aber ist derart wichtig für alle Ideologien, dass jede von ihnen zuverlässig Code-Wörter pflegt, die dem Mitglied, aber auch der Außenwelt deutlich signalisieren: »Ab hier ist Denken verboten und wird empfindlich bestraft!«

Die erste Attraktion einer Ideologie besteht üblicherweise im Versprechen von Gemeinschaft, doch ist dieses Versprechen auch nur minimal etabliert, werden bald Denkregeln samt ihrer Code-Wörter eingeführt, und diese werden den Gläubigen ein Leben lang begleiten – ja, selbst wenn er die Gemeinschaft verlassen sollte, bleibt ein Abdruck dieser Regeln in ihm.

»Dort nicht!«

Da unerlaubtes Weiterdenken für geschlossene Ideologien so existentiell gefährlich ist, werden weiterdenkende Menschen mit einem abwertenden Begriff belegt, der den potenziellen oder bereits vollzogenen Ausschluss aus der Gemeinschaft bezeichnet.

Ein naheliegendes Beispiel, frei aus dem Kopf: Das Christentum sprach von Häresie, Gotteslästerung oder Ketzerei, um das Denken in erlaubte Bahnen zu lenken. Positive Denkgebote (das darfst/musst du denken/glauben) wurden als Dogmen festgelegt, wie sie etwa in Katechismen festgehalten wurden. Wer solche Lehren hinterfragte, der galt als Häretiker oder Ketzer (auch wenn er leider damals noch kein Ketzer-T-Shirt dafür erhielt).

Ob Sozialismus, kalifornische Sekten des zwanzigsten Jahrhunderts oder heutige linke Wokeness: Jede Bewegung, deren Welt- und Menschenbild mit der Realität in Konflikt steht, ist auf Signalwörter angewiesen, die allen Anhängern – und der Umwelt – signalisieren: »Dies hast du zu denken, und dort darfst du nicht weiterdenken!«

Im Sozialismus war das erlaubte Denken »marxistisch-leninistisch« oder natürlich »sozialistisch«, verbotenes Denken war »subversiv«, »imperialistisch« oder schlicht »antisozialistisch«. Wer trotz Warnungen weiterdachte, der galt bald als »Klassenfeind«, »Renegat« oder schlicht als »Verräter«.

Sie können, liebe Leser, die Plausibilität und zugleich die praktische Nützlichkeit dieser Ausführungen selbst prüfen. Gehen Sie selbst alle weiteren Ihnen spontan einfallenden Ideologien durch. Überlegen Sie, welche Signalwörter und Begriffe jeweils verwendet werden, um dem Selbstdenkenden zu drohen und ihn bei Bedarf zum sofortigen Denkabbruch zu bewegen.

Die eine Botschaft

Ich sagte, dass ich selbst ein schlechter Religionsgründer wäre. Ich finde keine Freude an Denkmauern, ich will an diesen Mauern lieber der nervige Mauerspecht sein, tagein tagaus hämmernd, mich über jeden herausfallenden Brocken freuend. Ich »hämmere« in diesem Sinne hier und heute, indem ich Sie auffordere, politische Sprache auf »Stoppwörter« hin zu untersuchen und so die Manipulationsversuche zu entlarven.

Fast jedes politische Kampfwort im Propagandastaat trägt heute die eine Botschaft: »Dies sollst du denken, und jenes auf keinen Fall!«

Viele Beispiele, in einem einzigen Satz: Das Propagandawort »Faktencheck« soll die erlaubte Wahrheit festlegen, in Abgrenzung zur »falschen Meinung«, auch »Hass und Hetze« genannt, und wer solche »Verschwörungstheorien« öffentlich äußert, der gilt als »Schwurbler« und »Nazi«.

Frei nach einem Zitat, das Thomas Jefferson zugeschrieben wird: Nur der Faktencheck braucht die Stütze der Staatsgewalt – die Wahrheit steht von alleine aufrecht.

Was sagt es über ein Politik-Presse-System aus, wenn es »Faktenchecker« einsetzt, nicht selten mit Vernetzungen zu Parteien, Finanzakteuren oder Konzernen, welche die »offizielle« Wahrheit verkünden müssen? Dadurch wird nicht das, was diese sagen, zur Wahrheit – sondern alles zur potenziellen Lüge.

Die Sprache des Propagandastaates gibt unentwegt vor, was der Gehorsame zu denken und für wahr zu halten hat. Die Gerngehorsamen unter unseren Mitbürgern verstehen nicht, warum sich unsereins »so anstellt«.

Dem Schläfrigen ist sein Bett ein Paradies. Einem aber, der gegen seinen Willen ans Bett gefesselt ist, wird dasselbe Bett zum Gefängnis.

Ohne Ärger zu bekommen

Ein Land kann sich noch so sehr in die eigene Tasche faktenchecken, irgendwann gewinnt eben doch die Realität – und der Sieg der Realität ist für den Unterlegenen umso schmerzhafter, umso länger er seinen so lächerlichen wie tragischen Windmühlenkampf führte.

Ein aktuelles Beispiel aus der verdrehten Welt sogenannter »Faktenchecks«. Aktuell versuchen pharmanahe Kreise und sogar erschreckend offen das Weiße Haus, den Podcaster Joe Rogan de facto zu »canceln«;  siehe independent.co.uk, 3.2.2022. In Großbritannien versuchte BBC, Rogans Aussagen einem »Faktencheck« zu unterziehen (bbc.com, 1.2.2022) – und es gelang nur durch das Aufstellen rhetorischer Strohmänner, den Bezug auf einsame »Experten«, die längst veröffentliche Forschung ignorieren (vergleiche dailywire.com, 4.2.2022).

Der Begriff »Faktencheck« ist ein zynisches politisches »Angebot, das du nicht ablehnen solltest«. Der »Faktencheck« »checkt« als »Fakt« zuerst die Frage, was du denken und sagen darfst, ohne Ärger zu bekommen.

Der Faktenchecker will dich ins Bett bekommen, und die süßen Worte, die er dir ins Ohr säuselt, sie lauten: »Glaube meiner Wahrheit, steig zu mir in die Kissen, und die Mächtigen werden dich dafür lieb haben!«

Wer sich in den Denkverboten der Propaganda wohlfühlt, für den ist einer, der diese Denkverbote aufbrechen will, ein natürlicher Feind, welcher den Schlafenden aus den warmen, sicheren Federn in die kalte Unsicherheit der Welt werfen will.

»Wir sind mehr!«, brüllen die, die sich im Bett vorgegebener Wahrheiten wohlfühlen, und was soll man ihnen antworten, es stimmt ja. Ich ertappe mich ja selbst gelegentlich erschrocken dabei, hier und da etwas »festgelegen« zu sein.

Kein Kissenaufschüttler

Nein, ich wäre kein guter Sektengründer. – Ob Sektengründer, spendengefütterte Politiker oder die Propagandisten in den Redaktionen, sie bieten dem Volk ein »Bett erlaubter Wahrheiten« an, und mancher Bürger klettert willig hinein, selbst wenn er dafür in Kauf nehmen muss, dass das Verlassen dieses Bettes auf manche Art nicht einfach sein wird (in der Religion nennt man eine solche Abwendung die »Apostasie«, siehe Wikipedia).

Nein, ich will kein Bettaufsteller sein und auch kein Kissenaufschüttler. Ich will Sie nicht einmal »aus dem Bett werfen«! Ich will Sie wie auch mich motivieren, uns selbst täglich neu aus dem Bett zu werfen!

Jeden Morgen, so wir nicht bettlägerig sind, erheben wir unseren Körper aufs Neue aus dem Bett. Wir machen das Bett und wir schütteln die Kissen auf. Und wir wechseln regelmäßig unsere Bettwäsche. – Wir sollten es mit den Gedanken ebenso halten!

In seinem Denken kann sogar der Bettlägerige jeden Tag sich selbst neu aus dem Bett vermeintlicher Gewissheit herauswerfen und dann sein »inneres Bett« neu beziehen.

Wenn uns der Nachbar fragt, warum wir uns nicht anpassen, warum wir nicht endlich in Reih und Glied zurücktreten, können wir ja frech zurückfragen: Was nutzt es dir, deinen Körper brav jeden Morgen aus dem Bett zu heben, wenn dein Verstand seit Jahren durchschläft?

In diesem Sinne, liebe Leser, will ich mich jeden Morgen ermahnen: »Du bist aufgestanden? Gut. – Und jetzt raus aus dem Bett!«

Weiterschreiben, Wegner!

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