Auf Wanderungen sieht man gelegentlich am Rand des Weges ein verlassenes Haus. Sein Dach ist eingestürzt, seine Mauern stehen noch, doch bis auf einige eisern anhaftende Reste ist aller Putz in der Witterung abgebröckelt. Die Fenster wurden schon vor langer Zeit eingeschlagen, sei es von Menschen oder einem Ast im Wind, einige Glasscherben liegen noch herum. Manchmal steckt noch eine vernagelte Tür im Türrahmen, doch sie schützt nichts mehr.
Ein verlassenes und zur Ruine verfallenes Haus macht uns traurig. Wäre an der Stelle eine Wiese, ein Wäldchen oder ein See, dann wären wir nicht halb so traurig. Ein Haus ist mehr als Steine, Fenster, Türen und Dach.
Es muss vor Jahren eine Zeit gegeben haben, da planten Menschen dieses Haus. Tag für Tag kamen Arbeiter zur Baustelle. Sie legten ein Fundament. Sie schichteten Stein auf Stein bis die Mauern standen. Jemand bezahlte das Haus. Jemand richtete es ein. Jemand fegte es und jemand betete vorm Schlafengehen, dass der liebe Herrgott ihn, seine Familie und ihr Häuslein beschützen möge.
Was passierte dann? Wenn man fragt, können Einheimische oder ferne Nachbarn eine Geschichte zu einem eingefallenen Haus erzählen. Von einem Haus heißt es, dass die Familie nach Amerika zog. Von einem anderen Haus heißt es, dass zuletzt eine alte Witwe darin wohnte, und die wurde eines Nachts von zwei Räubern überfallen und geschlagen, und so verblutete sie, deshalb will keiner mehr in dem Haus wohnen. Meistens ist es aber weniger dramatisch, meistens ist es einfach der Zug der Stadt. Die Menschen zieht es aus der Natur in die Stadt, wo es Schulen gibt und Arbeit, wo man Geld verdienen kann, und wenn man viel verdient, kann man sich dann eine Woche Urlaub in der Natur leisten.
Ich werde traurig, wenn ich Ruinen sehe, denn ich denke an die Menschen, die einst viel Lebenszeit und manche Hoffnung in dieses Haus investierten. Wo sind die Menschen nun? War ihre Mühe verschwendet, ihre Arbeit vergebens? Was fühlten diese Menschen, als sie ihr Haus verließen? Hat es sich für die Menschen gelohnt? War dies das Beste, was sie mit ihrer Zeit anstellen konnten? War der Bau dieses Hauses, im Nachhinein betrachtet, gut investierte Lebenszeit?
5 Mark und Bratwurst
Wenn Regierungen sich ihrer Sache nicht ausreichend sicher sind, rufen sie die Bürger auf, für die Sache der Regierung zu demonstrieren.
Was treiben eigentlich Nordkoreas Bürger den lieben Tag lang? Wenn sie nicht gerade hungern (siehe z.B. bbc.com, 22.3.2017) oder zu fliehen versuchen, demonstrieren sie gänzlich freiwillig und unglaublich ordentlich für die tagesaktuelle Politik des Regimes (ein paar Bilder via @nknewsorg, 24.9.2017) – und wenn man während einer Rede des Herrn Kim Yong Un einschläft, dann kann das einen leicht vors Erschießungskommando bringen, wie etwa den Herrn Kim Yong Jin (siehe z.B. reuters.com, 31.8.2016).
Fidel Castro hielt von 1961 bis 2007 jeden Mai praktisch dieselbe Rede zu praktisch derselben Menge, so formulierte es treffend ausgerechnet aljazeera.com, 26.6.2014. Castro konnte sich des Jubels sicher sein und der enthusiastisch geschwenkten kubanischen Flaggen sowieso – die Anwesenheit bei seiner stundenlangen Ansprache war obligatorisch. (Viele Flugstunden weiter, in der DDR, gab es dann wieder Demonstrationen, welche als ferner Widerhall die »Begeisterung« in Kuba reflektierten, am 20.6.1972 titelte Neues Deutschland: »Freundschaftskundgebung der Berliner mit den Genossen aus dem freien Kuba«)
Auch in der DDR war es Usus, am 1. Mai auf die Straße zu gehen.
Im MDR-Dossier heißt es:
Die Teilnahme an den Mai-Demonstrationen war Pflicht in der DDR. Mit einer Mischung aus Druck und Verlockungen versuchte der Staat Massen zu mobilisieren. Anfangs gab es für Teilnehmer gratis Bockwurst, später sogar 5 Mark Prämie. Gegen Ende der DDR bekam der politische Feiertag mehr und mehr Volksfest-Charakter mit Rummel und Imbissbuden. (mdr.de, 30.4.2018)
Diese 5 Mark hießen »Marschiergeld« (spiegel.de, 17.4.2013). Manche trugen Uniform. – Es hat inzwischen Tradition unter deutschen Künstlern, sich öffentlich zum jeweils herrschenden und damit nützlichen Regime zu bekennen (siehe auch: »Kulturschaffende 1934, 1976, 2018«), so auch zum 1. Mai.
In der Aktuellen Kamera vom 1.5.1986 heißt es:
Unter der Losung »Mit unserer Kunst stärken wir den Sozialismus« demonstrieren Schauspieler, Schriftsteller, Filmschaffende und weitere Künstler von 27 kulturellen Einrichtungen Berlins sowie von den Künstlerverbänden. (Aktuelle Kamera 1.5.1986, via mdr.de)
Trotz des Einsatzes der braven »Kulturschaffenden« merkte die DDR-Führung zuletzt, dass die Bevölkerung im Enthusiasmus für die sozialistische Sache nachließ. Man versuchte es mit einer Mischung aus Verlockung von Bratwurst bis 5-Mark, doch man übte den unter Sozialisten beliebten Konformitätsdruck aus:
Es wurde immer eine Liste darüber geführt, wer sich diesem Bekenntnis zum Arbeiter- und Bauernstaat entzog. Denn die Feinde des Sozialismus mussten ja enttarnt werden. (Heinz Egger, ehemaliger sächsischer Innenminister, nach mdr.de)
Heute, 28 Jahre nachdem der Ochse den Esel aufhielt, ohne ihn einzuholen, oder so ähnlich, nun also, nachdem die DDR erfolgreich den Kapitalismus annektierte und Deutschland von einer Ex-FDJ regiert, von einer Ex-SED informiert und von einer Ex-Stasi meinungsüberprüft wird, da leben auch die Kundgebungen gegen den Klassenfeind wieder auf.
Die Tagesschau berichtet in einem Tonfall von solcher Begeisterung, dass selbst den Herren von der Aktuellen Kamera sich die Schamesröte übers kommunistische Rot gelegt hätte:
Zeichen der Solidarität in Berlin – Zehntausende demonstrierten in Berlin gegen Hass und Rassismus. Die Veranstalter von „#unteilbar“ zeigten sich überwältigt. Sänger Herbert Grönemeyer erinnerte an die Zerbrechlichkeit der Demokratie. (tagesschau.de, 14.10.2018)
Es wundert kaum noch, dass regierungsfreundliche Kundgebungen mit den immergleichen prominenten Stars aufwarten. Der für sein Alter erfreulich präsente Herbert Grönemeyer sagte auf, was man so aufsagt, wenn man auf regierungsfreundlichen Kundgebungen spricht. Man war »gegen Rassismus und Ausgrenzung«, und das ist heute Code für Hass auf Abweichler und Regierungskritiker. Man marschierte an der Seite von Linksextremen und Islamisten, doch das läuft eben unter Toleranz – »gut« ist alles, was Deutschland hasst. Was sagt es über ein Land aus, wenn Peinlichminister Maas zu einer Demo aufruft, wo von der wohlorganisierten Bühne aus skandiert wird, man möge die »Banken abfackeln«? Es ist offensichtlich und explizit eine »linke Bewegung«. Es überrascht wenig, dass der Staatsfunkler Georg Restle auf einer Demo-Bühne seine Sprüchlein aufsagte; er rief zur »Haltung« auf, einer schon von Goebbels verwendeten Vokabel der Gleichschaltung (siehe: »Sittliche Reife« und »Haltung« sind eben auch Vokabeln der Gleichschaltung) – zu Georg Restle habe ich, meine ich, alles Notwendige im Text »Propaganda in deinem Wohnzimmer« gesagt.
Im Gefühl der Majorität
Die Großen sind groß, weil sie Dinge tun und sagen, die auch in hundert und tausend Jahren noch gelten; wenn der Kleine sich groß fühlen möchte, schließt er sich dem brüllenden Pöbel an, und brüllt mit, und so glaubt er, dass die Lautstärke des Mobs auch seine eigene Lautstärke sei.
Im Text »Die Mehrheit liegt selten richtig, aber oft falsch« habe ich Goethe zitiert, und ich will es wieder tun, mit einem Satz, der auf jede zweite Hauswand geschrieben und vor jeder Nachrichtensendung verlesen zu werden gehört:
Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten. Überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist. (Goethe zu Eckermann)
Als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, marschieren in Berlin wieder Menschen auf, unterhalten von Staatsfunk, eingeschworen von Journalisten mit »Haltung« und aufgepeitscht von entsprechenden Künstlern. Stellen wir uns kurz vor, in einem andern Land würden Regierungspolitiker und Staatsfunk zu Großkundgebungen und Demonstrationen gegen Opposition und Regierungskritiker aufrufen – was für Worte würden wir für solche Aktionen wählen? »Propaganda« vielleicht? »Totalitarismus« gar?
Letztens riefen sie noch »Wir sind mehr!«, jetzt brüllen sie »ungeteilt!«, und sie merken schon lange nicht mehr, dass sie in all ihrem Hass auf Abweichler und Selbstdenker, in ihren Beschimpfung »Du Nazi!« oder »Du Faschist!« immer mehr wirken wie einer, der den Spiegel anbrüllt.
Was hätte nicht alles?
Ich war lange Zeit wütend und entsetzt, wie einfach es (wieder) ist, so viele Deutsche wie gehirngewaschene Schafe wirken zu lassen. Staatsfunk und gewisse Minister versuchen scheinbar nicht einmal, seriös oder demokratisch zu wirken. Der Tanker Deutschland steuert auf die Idiokratie zu und die Berliner Masse brüllt wieder: Hurra! Wir schaffen das! Wir sind mehr!
Zur Wut und zum Entsetzen über deutsche Bürger, deren geäußerte Meinungen sich auf das Nachplappern und Nachbrüllen der von Regierung und Staatsfunk ausgegebenen Tagesparolen beschränkt, gesellt sich ein weiteres Gefühl dazu: Traurigkeit. Große Traurigkeit ob all der vergebenen Chancen.
Schauen Sie sich einmal die Schwarzweiß-Fotos von den 1. Mai-Demonstrationen in der DDR an (siehe: mdr.de)! Ich sehe die Menschen, und ich frage mich, was sie mit ihrer Zeit alles hätten anstellen können. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn die »Drachenbrut« (Wolf Biermann über die SED, die sich inzwischen »Die Linke« nennt, siehe z.B. n-tv.de, 7.11.2014) nicht die Menschen mit Listen und Bratwurst angeleitet hätte, ihre Lebenszeit zu verschwenden, am 1. Mai und an anderen Tagen. Was hätte in Deutschland alles erfunden werden können, welche Technologien entdeckt, welche Unternehmen gegründet, welche Kunst geschaffen?
Wenn ich sehe, wie in Berlin wieder Menschen ihre Energie darauf konzentrieren, gegen Andersdenkende und einen eingebildeten Feind zu agitieren, werde ich traurig, und ich frage mich, was sie alles Besseres mit ihrer Zeit hätten anstellen können.
Vom Dritten Reich sind Ruinen geblieben. Von der DDR sind Ruinen geblieben. Vom linksgrünen Wahn werden neue Arten von Ruinen bleiben. Wenn der linksgrüne Wahn, angeheizt von ehemaligen DDR-Funktionären mit ihren DDR-Methoden und ihren braven Westhelfern, vorbeigezogen ist, wird es Arbeit geben für die »Trümmerfrauen nach dem Merkelsturz«; Deutschland hat bereits gewisse Übung darin, sein Land abzureißen und wieder neu aufzubauen.
Mit tut es Leid um die verschwendete Liebesmüh. Jedes Haus in Deutschland wurde von jemandem gebaut, jede Straße war jemandem Heimat, jede Stadt bot einst Schutz für Familien und Freundeskreise. All die Arbeit, alle die Hoffnung, welchen Wert werden sie haben?
Am Sonntag sind Wahlen in Bayern. Ich fürchte, (zu) viele Bayern werden für die »Idiokratie« stimmen, sprich den Regierungseintritt der Grünen. All die verschwendete Lebenszeit! Es stehen weitere Wahlen ins Haus, wir können uns auf viele weitere regierungsfreundliche Kundgebungen freuen, wo die Masse moralinbesoffen brüllt, was Staatsfunk und Regierung ihnen vorgeben.
Was also tun? Einen Gegenmob aufzustellen wird schwer, und wäre wohl auch wenig sinnvoll. Es ist den Leichtverführten eigen, brüllend durch die Straße zu ziehen, während die Grübler, auf der Suche nach Wahrheit, lieber in Ruhe und mit Bedacht die Dinge abwägen. Es kommt nie so, wie die erregte Menge es im Rausch ihrer Erregung erhofft; es kommt meist so, wie die Denker und Mahner es prophezeiten, egal wie unhöflich sie dafür beschimpft wurden. Und doch: der Zyklus von Vorhersagen-Beschimpftwerden-Rechtbehalten wird immer schneller. Einst vergingen Jahre, bevor eine Warnung sich materialisierte, heute sind es oft nur Tage oder Wochen.
All die verschwendeten Chancen – so traurig! Die Verführten von Berlin bauen an einem Haus, das kein Fundament hat, deren Erbauer keinen Plan hat, dessen Mauern keine Türen haben und dessen Zukunft nur begrenzt viele Tage noch beschert sind.
Wenn dieser Wahn vorüber ist, werden wir neue Häuser bauen müssen. Einige werden ihr Haus woanders bauen, wie etwa jene Juden, welche sich ein weiteres Mal von Europa verabschieden (siehe z.B. bild.de, 27.7.2018; nypost.com, 24.2.2018, sogar nytimes.com, 30.3.2018).
Ich hoffe und wünsche es sehr, dass wir die Kraft und die Motivation aufbringen werden, neue Häuser zu bauen, wo wir doch schon Häuser gebaut hatten, mit denen wir zufrieden gewesen waren. Wir werden neue Häuser bauen müssen, aus alten Steinen, mit frischer Hoffnung. Möge es gelingen, wenn es soweit ist, und mögen sie schön werden – immerhin sollen unsere Kinder darin wohnen!