Wir haben (fast) alle diesen einen Freund, der die ganze Zeit versucht, irgendwem zu helfen. – Er scheint zu suchen, für wen er »da sein kann«, wo er »dringend helfen« kann, und – seien wir ehrlich! – wo er die seelische Müllhalde spielen darf. Wenn wir solches Verhalten sehen, erfasst uns ein ungutes Gefühl. Hilfsbereit zu sein, das ist das eine – den Fußabtreter zu spielen, das ist das andere.
Die Psychologie kennt das Helfersyndrom. Manchmal suchen Menschen ihren Lebenssinn in der Hilfe, die sie anderen Leuten zuteil werden lassen. Das Gefühl, gebraucht zu werden, wird zum Fixpunkt einer Sucht, die sich auch noch einreden kann, »moralisch gut« zu sein. Wer helfen muss, um sich wertvoll zu fühlen, der ist nicht frei – ist eine solche Hilfe überhaupt noch Hilfe?
Hilfe ist Hilfe und Leben ist Leben, und wenn du das nicht trennst, wird die Hilfe lieblos und das Leben freudlos. Das Leben ist nicht Leiden allein, und es soll nicht aufs Leiden allein ausgerichtet sein, auch nicht auf das Leid der anderen Leute.
Doch, zum Glück ist nicht jeder, der jemandem hilft, im Griff einer Sucht! Ich sehe (mindestens) zwei weitere Ansätze, den Mitmenschen zu helfen.
Feiern und fischen
Es hat sie immer gegeben, es gibt sie heute, und es wird sie hoffentlich lange geben: die normale Hilfe. Die meisten Fälle von Hilfe bestehen schlicht darin, dass ein Mensch einem anderen aus einer Notlage hilft – und dann geht für beide das eigene, normale Leben weiter.
Ich kenne eine Reihe von Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, etwa als Ärztin oder als Krankenpfleger. Es ist deren Job, Menschen zu helfen, und sie haben ihren Beruf selbst gewählt.
Einige der Profi-Helfer nahmen große Mühe auf sich und zahlten einen echten Preis (oft mit der Hilfe ihrer Familie), um Profi-Helfer zu werden. Sie helfen und sie halfen, ein Leben lang. Und doch, trotz eines Lebens voller Hilfe verwechseln die meisten von ihnen nicht das Leben und die Hilfe.
Wenn Feierabend ist und gerade kein Notfall ansteht, dann kümmert man sich um sich selbst, um die eigene Familie. (Und wenn Abend für Abend ein Notfall ansteht, dann überlegt man, wie man seine Hilfe anders disponiert.)
Arbeit ist Arbeit und ich bin ich. Außerhalb der Arbeit als Helfer tankt man Energie – man lebt. Ein Picasso legte am Abend den Pinsel zur Seite um mit Freunden zu feiern, ein Hemingway ging fischen mit seinem geliebten Boot, um wieviel mehr sollte ein Helfer nach getaner Arbeit die Welt sich selbst helfen lassen!
Spiele mit festen Regeln!
Doch, neben den freiwilligen, stabilen Helfern und den Süchtigen kenne ich eine dritte Gruppe; ich will sie die Naiven nennen.
Wer in der westlichen Welt aufgewachsen ist und eine anständige Erziehung genossen hat, der hat erstens auf eigenen Beinen zu stehen gelernt, und zweitens zu helfen gelernt.
Wenn wir in der Straße hinfallen, was tun wir? Wir versuchen gleich aufzustehen, und selbstverständlich versuchen wir es aus eigener Kraft.
Wenn wir aber in der Straße sehen, dass jemand anderes hinfällt, was tun wir? Wir versuchen, ihm aufstehen zu helfen, und wir tun es respektvoll, und wir geben die Hilfe, die er braucht. Wir erwarten, dass er uns dabei hilft, ihm zu helfen. Wenn er wieder steht und läuft, dann wünschen wir alles Gute und gehen weiter.
Hilfe in der westlichen Gesellschaft ist ein Spiel mit festen Regeln. (Wenn Gesellschaft funktionieren soll, braucht es viele »Spiele mit festen Regeln«.)
Gesellschaft klappt nur, wenn jeder Einzelne zunächst einmal versucht, aus eigener Kraft zu gehen. Wenn einer hinfällt, dann sollen andere ihm helfen, wieder aufzustehen, doch immer so, dass er bald wieder von selbst läuft!
Naive Helferei
Was passiert mit dem »Spiel« des Helfens und Geholfenwerdens, wenn eine von beiden Seiten sich nicht mehr an die Spielregeln hält?
Dann wird die Gesellschaft dystopische Eigenschaften entwickeln.
Wenn niemand mehr beim Aufstehen hilft, dann staksen die reichen Söhne und Töchter über die Armen und Bettler hinweg.
Wenn aber einer sich dauernd helfen lässt, selbst wenn er die Kraft hätte, sich selbst zu helfen (oder unter Umständen gar nicht so dringend Hilfe braucht), dann erschöpfen sich die Helfer; das Hilfesystem läuft erst heiß, bis es bald kollabiert.
Wenn der Helfer immer weiter hilft, obwohl der Geholfene sich nicht an die Regeln hält, dann nenne ich das Naivität.
Der naive Helfer ist nicht süchtig nach der Hilfe. Der naive Helfer bezieht sein Selbstwertgefühl nicht aus dem Gebrauchtwerden – sein Problem ist ein anderes.
Die ewige Drehtür
Letztes Jahr berichtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von der Starthilfe Plus (siehe bamf.de, 1.3.2018). Wer illegal nach Deutschland kommt, aber nicht bleiben darf, der erhält unter Umständen ernsthaft Geld dafür, dass er wieder ausreist! (Warum bekommen Bürger nicht Geld dafür, dass sie sich ans Gesetz halten?)
Ich habe im November 2018 im Scherz kommentiert:
»So rein hypothetisch: Wenn Schlepper es schaffen, die Reise nach Deutschland billiger anzubieten als die Ausreiseprämie, haben sie das finanzielle Perpetuum-Mobile geschaffen.« (@dushanwegner, 26.11.2018)
Wir lesen in den Nachrichten:
»Abgeschobene Migranten kommen häufig wieder zurück nach Deutschland. – Laut Sicherheitskreisen in Baden-Württemberg reisen „zwischen einem Drittel und der Hälfte wieder ein“. – Dies ergebe sich „aus den Erfahrungs- und Schätzwerten unserer Praktiker in den Ausländerbehörden“.« (welt.de, 17.2.2019)
Man sagt, dass das Leben bei Gelegenheit die Kunst imitiert, heute imitiert Politik die zynische Satire ihrer selbst.
Was stimmt nicht?
Deutschland hilft, und die deutschen Eliten sind stolz darauf, dass das Volk sein Geld, seine Sicherheit und manchmal auch seine Töchter opfert, damit Deutschland ein »freundliches Gesicht« zeigt (siehe auch »Seid’s ihr völlig deppert?!«).
In welche der drei Kategorien von Helfern würde Deutschland passen?
Einst war Deutschland ein starker, gesunder Helfer. Ich kann mich gut daran erinnern, es war auch die Zeit, in der meine Familie nach Deutschland kam.
»Die Naivität, mit der manche Menschen in diesem Lande Politik machen, wird nur noch übertroffen von der Naivität, mit der manche Menschen dann darüber schreiben«, hat Robert Lembke einmal geschrieben, und man würde sich wünschen, dass es nur Naivität wäre.
Heute predigen Medien, Krisenverdiener und NGOs eine suizidale Form der Hilfe (siehe »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute«), die man ein nationales Helfersyndrom nennen könnte, doch es scheint mir, dass die suizidale Selbstaufopferung ein propagandistisches Ideal ist, nicht die Realität im Alltag. Insgesamt aber würde ich Deutschland nicht ein Helfersyndrom zuschreiben, sondern eine weitverbreitete Naivität.
Der naive Helfer hilft selbst dann, wenn der Geholfene nicht seinen Teil des Geholfenwerden-Spiels leistet.
Wenn junge männliche Migranten erst vom Amt versorgt werden, und dann zur Tafel weitergehen für den Nachschlag, wo sie mit armen deutschen Rentnern konkurrieren, ist die deutsche Hilfe denn rational, ist sie suizidal oder ist sie naiv? Wenn alles, was es braucht, um versorgt zu werden, es ist, seinen Pass vor der Grenze fortzuwerfen, ist solche Hilfe denn rational, ist sie suizidal oder ist sie naiv? Wenn man nicht wahrhaben will, was in den Köpfen und Herzen mit den Einreisenden mitkommt, ist solche Hilfe rational, ist sie suizidal oder ist sie naiv? Wenn junge Männer im wehrfähigen Alter nach Deutschland kommen, ausgewiesen werden und anschließend wiederkommen, dann muss man fragen: Ist das deutsche Hilfe-System rational, ist es suizidal – oder ist es brutal naiv?
Wir alle kennen mindestens einen Menschen, der hilft und hilft, und dabei nicht merkt, dass er ausgenutzt wird – jedes Land sollte darauf achten, nicht dieser Mensch zu sein.
Der Mensch, der auch morgen helfen können will, muss heute wissen, wann er »nun ist auch genug« sagt. Wer morgen die Tür für den Bedürftigen öffnen können will, der muss sie beizeiten schließen für den, der nehmen möchte, was ihm nicht zusteht.
Raubbau an der Natur ist heute aus gutem Grund verpönt – der Raubbau an der Hilfsbereitschaft eines Volkes sollte genauso verpönt sein.
Sei nicht der Mensch und nicht das Land, in und an dem sich jeder nach Gusto bedient. Sei der Mensch und das Land, an den sich der wirklich Notleidende wenden kann, und der dann auch wirklich noch Kraft und Mittel hat, zu helfen.