21.12.2021

Keine Hand von oben

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
Hofft nicht darauf, dass eine magische »Hand von oben« euer Schicksal zum Besseren wenden wird. – Ja, hofft, doch eure Hoffnung sei eine Hoffnung der Tat!

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Die Ameisen im Wald gründeten eine Religion. Vielleicht taten sie es, weil sich auch im Ameisenherzen eine gottförmige Lücke befindet. Vielleicht suchen auch Ameisen nach einem Sinn im Ameisenleben.

Ich würde es nie wagen, den Ameisen die prinzipielle Möglichkeit und mit der Möglichkeit auch das Recht auf Religion abzusprechen, nur weil sie kein Gehirn haben wie wir, denn dann würde ich doch sagen, dass die erhabenen Erfahrungen der Gläubigen nichts mehr als eine Funktion des Gehirns und damit des Körpers sind, wie manch andere Körperfunktion auch.

Der Ameisenhaufen, wo die Ameisen ihre Religion erfanden, er stand am Rand eines Waldwegs.

Diese Ameisen hatten immer wieder erlebt, dass du, lieber Leser, auf einem deiner Waldgänge an ihnen vorbei spaziert bist. Ein Ameisenprophet berichtete seinen Mitameisen, dass genau du ihm letzte Nacht in einem Traum erschienen bist und ihm deine Botschaft mitgeteilt hast.

Die Ameisen entwickelten Rituale. Man sang Ameisenlieder zu deinen Ehren, man verehrte dich. Man bat dich um deine göttliche Hilfe in den kleinen wie auch in den großen Dingen.

Die Beziehung zwischen den Ameisen und dir, ihrem Gott, hat ein sehr praktisches, und kaum überwindbares Problem: Du verstehst die Sprache der Ameisen nicht.

Selbst wenn du überhaupt erfahren könntest, dass die Ameisen dich zu ihrem Gott erklärt haben, und wenn du auch noch ehrlich gewillt und in der Lage wärest, zusätzlich zu deinen übrigen Pflichten auch die Wünsche der Ameisen zu erfüllen, du hättest einfach keine Möglichkeit, die Gebete der Ameisen zu verstehen.

Die Ameisen sprechen eine andere Sprache als du. Den Waldameisen magst du allmächtig und allwissend und allgütig erscheinen, doch ähnlich wie der Menschengott etwa den Krebs oder den Krieg ein für allemal beenden könnte, aber es wohl nicht will, oder es tatsächlich nicht kann, oder womöglich gar nicht mitbekommt, dass die meisten Menschen den Krebs und den Krieg nicht so gut finden, oder ob er tatsächlich auf der Seite der Kriegsherren und Krebsverdiener ist, was ja alles für die Patienten und Kriegsversehrten keinen Unterschied ergibt, so unterliegst auch du Ameisengott gewissen Begrenzungen, deren erste es ist, dass du die Sprache nicht verstehst, in welcher die Ameisen zu dir beten.

Oh, Ameisenkönig, oh Ameise! Hoffe, doch hoffe nicht auf die große Hand, die vom Himmel her nach dir greifen wird, um von jetzt auf gleich dein Leben sorgenfrei werden zu lassen. Wenn es jene Hand denn gäbe, und wenn sie dich zu greifen und zu erheben versuchte, sie würde dich womöglich zuerst zerquetschen, selbst mit bester Absicht, und wer des Hiob Schicksal kennt, könnte die universelle Güte selbst der erklärten Absichten infrage stellen. (Vielleicht wirst auch du Ameisengott einen Kumpel deine Ameisen quälen lassen, im Zuge einer Wette mit eben diesem Kumpel.)

Selbst wenn es diese große Hand gäbe, und vielleicht gibt es sie wirklich, so wären ihre Sorgen eben ihre Sorgen und deine Sorgen blieben doch deine Sorgen. Du verstehst dich ja selbst kaum, wie also soll ein Gott dich verstehen?

Keines Gottes Klaue wird dich von hier nach dort heben. Keine höhere Macht wird dir letzte Gewissheit geben, welchen Ort du als dein Dort bestimmen sollst.

Ich sage nicht, dass es keine höhere Macht geben kann. Ich sage vielmehr, dass du und jene Macht, dass ihr unterschiedliche Sprachen sprecht, dass ihr einander kaum versteht, und was ihr versteht, versteht ihr beide jeweils gründlich falsch, und dazu habe ich auch noch sehr ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der meisten Gestalten, die sich uns als Dolmetscher zwischen den Dimensionen andienen.

Eure Hoffnung komme nicht aus höheren Sphären, nicht aus den Wolken und nicht von glücklicher Fügung. Eure Hoffnung sei eine Hoffnung der Füße und Hände, nicht eine Hoffnung der Wolken und Träume.

Schaffe dir selbst eine Hoffnung, mit jedem Schritt, den deine Füße gehen!

Arbeite gegen den Widerstand, das ist der Widerstand von außen, und hundertmal stärker der Widerstand von innen, aus und in dir selbst.

Werde deinem Widerstand selbst ein Widerstand, ein Rammbock gegen die Rammböcke, das Gewitter gegen den Sturm, denn so und nur so schaffst du deine Hoffnung.

Die Hoffnung ist nicht ein Ort und nicht eine Zeit. Im Rückblick wirst du sehen, dass der Weg der Hoffnung ein Trampelpfad war. Deine Hoffnung ist ein Trampelpfad, den du selbst findest und begründest, indem du ihn gehst. Deine Hoffnung sei dein eigenes Werk, und also mache dein Leben zu deinem Werk!

Auf denn, Ameise, schaffe dir deine Bedeutung, Zweiglein um Zweiglein! Auf denn, Mensch, schaffe dir deine Hoffnung, Schweißtropfen um Schweißtropfen.

Deinen Weg zu gehen, einen möglichen Weg zu deinem Weg zu machen, indem du ihn eben zu gehen beschließt, das sei deine Hoffnung. Hoffe, indem du einen Fuß vor den anderen setzt.

Weiterschreiben, Wegner!

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