08.04.2025

Meinungsfreiheit und Ironie, beide tot

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Aber bitte ohne Scharf«
Ein Journalist wird verurteilt, weil er satirische Kritik an der Regierung postete. In Demokratien ist es üblich, dass Bürger sich über Politiker lustig machen – in »Unsere Demokratie« ist es andersherum.
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Es gibt ein Lied von Alanis Morisette, das heißt »Ironic« (siehe YouTube). In diesem Lied listet sie Situationen auf, die ihrer Meinung nach ironisch sind. Tatsächlich sind sie eher absurd oder einfach nur unglückliche Zufälle.

Ein Verkehrsstau, wenn du ohnehin zu spät bist – ein doofer Zufall, aber nicht ironisch. 10.000 Löffel, wenn du eigentlich ein Messer brauchst. Regen am Tag der Hochzeit. Allesamt doofe Zufälle, bitter und etwas absurd, aber nicht ironisch.

Ironisch bedeutet nicht nur unglücklich, sondern eher paradox oder absurd, und zwar in einem größeren Sinn und Kontext.

Eine Feuerwehrstation, die niederbrennt – das ist ironisch. Ein ertrunkener Rettungsschwimmer – ironisch und makaber dazu. Ein weinender Clown – ironisch und zugleich ikonisches Sinnbild für die Conditio humana, die Zerrissenheit menschlichen Seins.

Ein Fall von satirischer Kritik

Deutschland durchlebt heute Ereignisse, die mehr als eine zufällige Anhäufung unglücklicher Umstände sind. Diese Ereignisse sind mindestens ironisch.

Das Amtsgericht Bamberg hat den Chef des »Deutschland-Kurier«, David Bendels, zu sieben Monaten Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung (apollo-news.net, 04.08.2025).

Sein Vergehen? Bendel hatte am 28. Februar 2024 eine satirische Bildmontage veröffentlicht. Auf dem Bild hält die umstrittene Innenministerin Nancy Faeser ein Schild hoch, auf welchem steht: »Ich hasse die Meinungsfreiheit.«

Bendel wurde in erster Instanz nach § 188 StGB verurteilt, dem »Paragrafen gegen Majestätsbeleidigung«.

Der Verurteilte habe, so die Pressestelle des Amtsgerichts Bamberg, »eine für den unbefangenen Leser nicht erkennbar bewusst unwahre und verächtlichmachende Tatsachenbehauptung« verbreitet (@totalreporter, 07.04.2025).

Lasst euch das einmal auf der Zunge zergehen! Das alles bedeutet: Laut Amtsgericht Bamberg ist für den unbefangenen Leser »nicht erkennbar«, sprich: nicht offensichtlich, dass die Ministerin doch kein Schild mit der Aufschrift »Ich hasse die Meinungsfreiheit« hochhalten würde.

Das Amtsgericht will Satire über diese Regierung verbieten, denn sie ist nicht von der Realität zu unterscheiden.

Damit als vorbestraft

Es ist nicht wirklich ironisch, eher widersprüchlich, dass laut Gericht, eine erkennbar bewusst falsche Behauptung eine falsche Tatsachenbehaupung sein soll. Wenn es erkennbar falsch ist, wie kann es eine Tatsachenbehauptung sein?

Was das Gericht sagt, ist natürlich Unsinn. Damit will es aber seine Macht beweisen. Ich hoffe, dieses Urteil ist kein Symptom des Systems. Es ist ein Kennzeichen totalitärer Systeme, die Bürger zum Bekennen offensichtlicher Absurditäten zwingen – siehe »2+2=5«.

Mit der Begründung des Amtsgerichts ließe sich jegliche Satire verurteilen. Jede Satire enthält eine offensichtlich unwahre Tatsachenbehauptung. (In der Praxis wird aber natürlich nur die regierungskritische Satire verboten werden. Satire gegen die Opposition darf auch weiterhin alles, selbst wenn solche Satire keine Satire ist.)

Ein Bürger kritisiert satirisch, dass der Staat die Meinungsfreiheit hasst, sodass er ab Rechtskraft des Urteils als vorbestraft gilt.

Die Lage in Deutschland ist nicht eine Anhäufung unglücklicher Ereignisse – die Lage ist ironisch.

Ironisch wie die niedergebrannte Feuerwehrstation. Ironisch wie der ertrunkene Rettungsschwimmer. Ironisch wie verurteilt zu sein für die Meinung, dass der Staat die Meinungsfreiheit hasst.

Zwei Minuten zu spät

Es ist nicht ironisch, sondern simple Begriffsanalyse, wenn Claudio Zanetti auf X schreibt:

Ein Staat, in dem einen der Innenminister einer willfährigen Justiz zur Verurteilung überstellen kann, weil man sich über ihn lustig macht, ist keine Demokratie. Punkt. (@zac1967, 07.04.2025)

In Demokratien ist es üblich, dass Bürger sich über Politiker lustig machen – in »Unsere Demokratie« ist es andersherum.

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob einige der Situationen im Lied Ironic nicht doch ein wenig ironisch sind.

Gleich die erste Szene, der Anfang des Liedes: »Ein alter Mann wird 89 Jahre alt. Er gewinnt die Lotterie und stirbt am nächsten Tag.«

Es ist eine Verkettung unglücklicher Umstände – kein Zweifel. Großes Pech, wenn sich gerade die Möglichkeit zum großen Glück einstellte.

Ein Journalist wird verurteilt, weil er satirische Kritik an der Regierung postete. Wenn es dich potenziell ins Gefängnis bringen kann, satirisch zu bebildern, dass die Meinungsfreiheit tot ist, dann ist nicht nur die Meinungsfreiheit tot, sondern auch der Sinn für Ironie.

Was mir schon seit der Merkel-Ära solchen Schmerz bereitet, wenn ich an Deutschland denke: Wir hatten so großartige Möglichkeiten, doch das beste Deutschland aller Zeiten brannte seine Chancen nieder und verfolgt die, die sich darüber beschweren.

Der gute Rat, den man nicht annahm, soll laut jenem Lied ebenfalls »ironisch« sein. Ach, Deutschland wird den guten Rat schon noch annehmen.

Die Deutschen werden zu Sinnen kommen, werden wieder guten Rat annehmen. Allerdings womöglich auf jene »ironische« Weise, die im Lied als »Begnadigung von der Todesstrafe« beschrieben wird – die Begnadigung, die zwei Minuten zu spät kommt.

Weiterschreiben, Wegner!

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