06.12.2024

Menggua Wan darf nicht in Baitan auftreten

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten, Bild: »Verbotene Klänge«
Michael Wendler soll nicht auftreten, weil er Meinungen äußerte, die von der Politik so nicht gewollt sind. Stellt euch für eine Sekunde vor, so etwas käme in China oder gar im »Putin-Reich« vor! Ist es nur dann »totalitär«, wenn es anderswo passiert?
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Haben Sie das aus China gehört? Der Balladen-Sänger Menggua Wan darf nun doch nicht bei einer Serenaden-Nacht 2025 in Baitan auftreten. Die Stadt nehme aufgrund zahlreicher kritischer Stimmen Abstand von dem geplanten Auftritt, hieß es in einer Mitteilung.

Die Verwaltung habe noch einmal umfassend recherchiert und sei auf aktuelle Äußerungen von Menggua Wan gestoßen, die nicht mit der Haltung der kommunistischen Partei vereinbar seien.

»Die Konzerte auf der Drachenbühne sollen den Menschen Freude bereiten. Politische Äußerungen von Künstlern sollen dem nicht im Wege stehen«, teilte die Partei mit. Zuvor hatte die Partei von »heftigen Reaktionen« gesprochen.

Der in Dianlun nahe der Stadt Dunxian geborene Sänger hatte in den vergangenen Jahren mit provokativen und sozialismusfeindlichen Aktionen von sich reden gemacht. Während einer Wirtschaftskrise hatte der Musiker immer wieder imperialistische Propaganda verbreitet und gefährliche, antisozialistische Verschwörungserzählungen gestreut, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die stabilisierende Kraft des Volkes untergruben.

Überraschung!

Die Nachricht, die ich Ihnen gerade vortrug, war natürlich Fake News – aber nur halb!

Fake waren alle Namen. Es existiert (so hoffe ich) kein Balladen-Sänger namens Menggua Wan. Auch die Serenaden-Nacht in Baitan ist ausgedacht, ebenso wie die Vorwürfe bezüglich imperialistischer Propaganda – alles frei erfunden.

Jedoch, und hierin liegt der Witz: Die eigentliche Struktur der obigen Aussagen ist von einem aktuellen Nachrichtentext übernommen, nämlich welt.de, 05.12.2024.

Ich habe die deutschen Namen gegen chinesische Namen ausgetauscht, die deutschen Politthemen gegen klischee-kommunistische. Ähnlich präzise hätte ich eine russische Kulisse einsetzen können.

Nicht dem Sänger Menggua Wan wurde ein Auftritt in Baitan abgesagt, sondern … ach, lesen Sie selbst!

Jener Artikel beginnt so: »Der Schlagersänger Michael Wendler darf nun doch nicht bei einer Schlagernacht im brandenburgischen Beelitz 2025 auftreten.«

Es sind nicht die Sozialisten von Baitan, sondern die von Beelitz, welche befanden, dass die politische Haltung des Sängers nicht mit ihrer Parteilinie vereinbar war, weshalb sie seine Auftritte absagten.

Wenn die anderen es tun

Wir lesen heute Meldungen, die sich bald nur noch in den Namen und den vorgeworfenen Gedankenverbrechen von jenen Meldungen unterscheiden, die uns im Geschichtsunterricht zur Warnung vorgelegt wurden.

Die Antwort auf die Frage, ob Deutschland eine freiheitliche Demokratie und ein Rechtsstaat ist, entscheidet sich an den Bedeutungen der Begriffe: Ist ein Staat dann eine freiheitliche Demokratie und ein Rechtsstaat, wenn er nach der für diesen Begriff typischen Eigenschaft aufgebaut ist und auch täglich handelt – oder ist es dann eine Demokratie, wenn es bestraft wird, dies infrage zu stellen, egal, was der Staat ansonsten tut?

Deutsche Propaganda will uns von so mancher Angelegenheit glauben lassen, es sei ein geradezu metaphysischer Unterschied, ob »die anderen« es tun, oder ob »wir« es tun. (Dazu zählt auch die Frage, ob deutsche Propaganda eben »Propaganda« ist – die Propaganda in Deutschland will nicht »Propaganda« heißen, sondern »öffentlich-rechtlicher Rundfunk«, »Zivilgesellschaft«, »Öffentlichkeitsarbeit der Regierung« oder mit einem der vielen weiteren Bullshit-Begriffe für klassische Propaganda angesprochen werden.)

Dass es ist

»Des einen Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist«, so sagt man. Ähnlich ist es mit Propaganda, Zensur und dem Kampf gegen Andersdenkende: Des einen »unsere Demokratie« ist des anderen Totalitarismus.

Wir lernen, zur Erinnerung: Es ist der Fall, was der Fall ist – nicht, was die Propaganda sagt, was der Fall sei.

Deine Hausaufgabe aber ist die Antwort auf eine Frage. Gegeben deine aktuellen Verantwortungen und noch ausstehenden Lebensträume: Welche Konsequenzen ziehst du daraus, dass es ist, wie es ist?

Weiterschreiben, Wegner!

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